Fragestellung: Beeinflusst die lebenslange Exposition an ultravioletter Strahlung (UVR) das Risiko, an Multipler Sklerose (MS) zu erkranken?

Hintergrund: Niedrige oder fehlende Exposition an ultravioletter Strahlung durch Sonnenlicht scheint die Prävalenz von Autoimmunerkrankungen, insbesondere von MS, zu beeinflussen. Mehrere Studien wiesen in den letzten Jahren auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Sonnenlicht, Vitamin-D-Synthese, Vitamin-D-Spiegeln und MS hin. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass Vitamin D tatsächlich diverse immunologische Funktionen hat und unter anderem für einen schnelleren apoptotischen Abbau von aktivierten T-Lymphozyten sorgt. In einer Studie wurde nun untersucht, ob eine niedrige Exposition an ultravioletter Strahlung in einer Kohorte von amerikanischen Radiologie-Technikern mit einer erhöhten Inzidenz an MS assoziiert ist.

Patienten und Methodik: Probanden der 3. und 4. amerikanischen Radiologie-Techniker-Kohorten-Studie (USRT; n = 39.801) konnten an dieser Untersuchung teilnehmen. Neben allen Details ihres geografischen (häuslichen) Umfelds, Lebensgewohnheiten, in der Natur verbrachten Stunden, Zahl der Sonnenbrände, Hauttypus, Hautempfindlichkeiten und ihrer sonstigen medizinischen Vorgeschichte wurde auch spezifisch nach einer MS gefragt. In der Diagnose und der Behandlung der MS besonders geschulte beziehungsweise damit vertraute Neurologen sichteten die Unterlagen und verifizierten alle MS-Fälle. Insgesamt wurden 148 MS-Fälle diagnostiziert. Für jeden Teilnehmer wurde mithilfe der Satellitendaten des NASA Total Ozone Mapping Spectrometer (TOMS) und anhand der geografischen Daten (Breitengrad, Dauer der jährlichen UV-Strahlung modifiziert nach Einstrahlwinkel, Wetterbedingungen, gewöhnlicher Wolkenbestand, Jahreszeit etc.) sowie des Alters und anhand der angegebenen im Freien verbrachten Stunden, eine individuelle Expositionsdosis berechnet (J/m2).

Ergebnisse: Mehr als 90 % der Teilnehmer waren Frauen, kaukasisch, das mittlere Alter betrug 44 Jahre. Bei der Berechnung der lebenslangen UVR-Exposition zeigte sich in der Gruppe mit niedriger UVR (< 22 J/m2) ein deutlich höheres Risiko eine MS zu entwickeln als in der Gruppe mit hoher UVR (> 49 J/m2), vor allem bei unterschiedlicher UVR-Exposition während der Winterzeit (allerdings nicht während der Sommerzeit). In der Subgruppenanalyse nach Alter war die statistische Signifikanz aufgrund der unterschiedlichen UVR-Exposition insbesondere in den Gruppen unter 40 Jahren am höchsten, während in den älteren Gruppen teilweise nur ein nicht signifikanter Trend zu beobachten war.

Auch die Subgruppenanalyse hinsichtlich der im Freien verbrachten Zeit ergab Unterschiede. So zeigte sich insbesondere bei den Probanden, die angegeben hatten, in ihrer Jugend viel Zeit im Freien verbracht zu haben (> 5 Stunden/Tag) ein tendenziell (allerdings nicht signifikant) niedrigeres Risiko, an einer MS erkrankt zu sein als bei Probanden, die angegeben hatten wenig Zeit im Freien verbracht zu haben (< 1 Stunde/Tag). Im Hinblick auf mögliche Sonnenprotektionsfaktoren (Augenfarbe, Haarfarbe, Neigung zu Sonnenbränden) zeigten sich keine Unterschiede.

Schlussfolgerungen: Das Risiko einer MS-Erkrankung war in dieser Studie für die Gruppen mit niedriger UVR-Exposition signifikant höher als für Probanden mit höherer Exposition. Diese Daten unterstützen indirekt weiter die Theorie einer protektiven Wirkung hoher Vitamin-D-Werte.

Kommentar von Volker Limmroth, Köln

Neue Erkenntnis: UV-Strahlung ist nicht nur schlecht

Diese Studie ist sehr aufwendig und schlau gemacht. Man kann manchmal neidisch werden, wenn man die Möglichkeiten der amerikanischen Kollegen sieht. Hier wurde nicht grob der Breitengrad als Kriterium bewertet sondern eine absolute individuelle UV-Strahlen-Dosis anhand von Satellitendaten berechnet, wobei beim Wohnort nicht nur der Breitengrad einfloss, sondern die individuelle Strahlung des Wohnortes in Sommer und Winter, die jeweilige Wolkenbedeckung, das typische Wetter, die Ozonbeschaffenheit der jeweiligen Region und mehr. Das Ergebnis passt in die bisherigen Vorstellungen und Erkenntnisse zu den Effekten von Sonnenstrahlung und Vitamin D (auch wenn bei dieser Kohorte keine Vitamin D-Spiegel gemessen wurden). Sonnenlicht, insbesondere als UVR, schützt offensichtlich in gewissem Umfang vor MS. Sehr spannend wäre die Frage, ob dies auch für andere Autoimmunerkrankungen zutrifft.

Die hier vorliegende Studie unterstreicht damit indirekt — ob es uns recht ist oder nicht — erneut die Bedeutung des Vitamin-D-Stoffwechsels für die MS, zumindest als einen modellierenden Faktor.