Fragestellung: Ausgehend von der Hypothese, dass tardive Dyskinesien (TD) teilweise durch einen zentralen cholinergen Mangel mitverursacht sein könnten, wäre es möglich, dass Cholinergika die Symptomatik von TD verbessern könnten.

Hintergrund: Seit den 1950er-Jahren werden Antipsychotika oder Neuroleptika zur Behandlung von chronischen psychischen Erkrankungen wie der Schizophrenie eingesetzt. Allerdings haben antipsychotische Medikamente ein breites Nebenwirkungsspektrum, einschließlich Bewegungsstörungen, die sehr belastend und stigmatisierend sein können und die Compliance verschlechtern.

Die genauen pathophysiologischen Mechanismen von TD sind unbekannt. Antipsychotika blockieren unter anderem Dopaminrezeptoren. Einer Hypothese zufolge kommt es durch Langzeitblockade von Dopaminrezeptoren zur einer Dysbalance zwischen reaktiv hyperaktiv dopaminergen Neuronen und der cholinergen Neurotransmission. Eine weitere Hypothese legt nahe, dass die chronische Behandlung mit Antipsychotika zu einer vermehrten Produktion von freien Radikalen führt, die spezifische Zellen im ZNS schädigen können, was sich klinisch als TD zeigt.

TD treten bei mehr als 20% der Menschen auf, die länger als drei Monate klassische Antipsychotika verwenden. Obwohl das TD-Risiko mit Antipsychotika der zweiten Generation reduziert zu sein scheint, sind TD bis heute nicht eliminiert. In der großen CATIE-Studie zeigte sich in einer Nachbeobachtungszeit von vier Jahren eine TD-Inzidenzrate von etwa 17%.

Patienten und Methodik: Zwischen 2015 und 2017 wurde eine Suche nach kontrollierten Studien im Cochrane-Register durchgeführt. Patienten mussten antipsychotikainduzierte TD und eine chronische Erkrankung und entweder ein Cholinergikum, Placebo oder keine Intervention erhalten haben. 14 hochwertigere randomisierte kontrollierte Studien — acht davon mit Cross-over-Design — mit 364 Teilnehmern enthielten auswertbare quantitative Daten. Alle Studien hatten geringe Patientenzahlen (n = 5 bis n = 60) und die methodische Qualität der Studien war meist schlecht. Nur zwei Studien wurden ambulant durchgeführt, nur vier liefen länger als sechs Wochen. Als Skalen wurde meist die Abnormal Involuntary Movement Scale (AIMS) oder die Tardive Dyskinesia Rating Scale (TDRS) verwendet.

Ergebnisse: Die häufigsten unerwünschten Arzneiwirkungen waren gastrointestinale Beschwerden. Im Vergleich zu Placebo zeigte sich keine signifikante (> 50%) Verbesserung der TD unter Cholinergika. Acht Studien zeigten keine signifikante Verschlechterung von TD. Durch die schlechte Studienqualität konnte auch keine Besserung kognitiver Funktionen gezeigt werden. Zu Fragen wie Lebensqualität, sozialen Netzwerken oder Inklusion gab es in den Studien keine Daten.

Schlussfolgerung: Der Effekt von Cholinergika bleibt bei schlechter Studienqualität unklar.

Kommentar von Markus Weih, Nürnberg

An der Praxis wird sich durch diese Metaanalyse nichts ändern

Spätdyskinesien sind die Kehrseite des Erfolgs der Antipsychotika und trotz guter Symptomremission nicht selten der Preis, den die Patienten für einen guten Behandlungserfolg zahlen. Nach Einführung der Atypika bestand zunächst die Hoffnung, dass auch die tardiven Dyskinesien seltener werden, was sich nicht in erwartetem Umfang bewahrheitet hat. Im Gegensatz zu unerwünschten Arzneiwirkungen, die sich nach Dosisreduktion bessern oder verschwinden, überdauern die Dyskinesien nicht selten, was Fragen nach dem pathophysiologischen Prozess aufwirft. Viele Patienten fühlen sich durch ihre Dyskinesien zwar nicht eingeschränkt, es gibt aber auch andere, die sich dadurch stigmatisiert und ausgegrenzt fühlen. Aufgrund pathophysiologischer Überlegungen wurde eine Dysbalance zwischen dem dopaminergen und cholinergen System vermutet. Die vorliegende Metaanalyse greift dies auf, konnte aber keinen signifikanten Therapieeffekt von Cholinergika zeigen, die der Nervenarzt heute nur noch aus der Behandlung der Demenz vom Alzheimer-Typ kennt. Diese Unwirksamkeit kann in der Praxis bestätigt werden und deckt sich auch mit aktuellen Standardempfehlungen. Die Studienqualität der hier vorliegenden Metaanalyse war schlecht, was beim Aufeinandertreffen von alten, kleinen Studien mit den hohen Ansprüchen der Cochrane Collaboration nicht verwundert. Dennoch ist es wichtig, auch heute das Thema der Spätdyskinesien nicht zu vergessen.

Als Schlussfolgerung ist zu sagen, dass das cholinerge Defizit eine Hypothese bleibt und Cholinergika derzeit keinen Stellenwert bei antipsychotikainduzierten tardiven Dyskinesien haben.

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Prof. Dr. med. Markus Weih, Nürnberg