Fragestellung: In den letzten 20 Jahren wurde eine Vielzahl neuer Antikonvulsiva (AED) auf den Markt gebracht. Hat sich dadurch etwas an der Behandlungsprognose bei neu diagnostizierten Epilepsien geändert?

Hintergrund: Die Tatsache, dass in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als ein Dutzend neuer AED zugelassen wurde, hat im klinischen Alltag eine größere Bandbreite an Behandlungsoptionen, verbesserte Verträglichkeit und eine verstärkte Hoffnung auf anhaltende Anfallskontrolle gebracht. Aus älteren Studien ist bekannt, dass mehr als ein Drittel der Epilepsiepatienten fortgesetzt unter Anfällen leidet und damit als therapierefraktär gilt.

Patienten und Methodik: Patienten mit neu diagnostizierter Epilepsie wurden in eine Langzeitbeobachtungsstudie eingeschlossen. Insgesamt waren es 1.795 Patienten, die über im Minimum zwei Jahre, im Median über elf Jahre oder bis zu ihrem Tod, medikamentös behandelt und bezüglich ihrer Anfallssituation erfasst wurden. Die initiale Diagnostik beinhaltete Oberflächen-EEG und zerebrale Bildgebung (CCT oder cMRT) zur besseren Klassifikation des Epilepsiesyndroms (strukturell versus genetisch).

Die Auswahl des ersten AED erfolgte durch den behandelnden Neurologen nach mutmaßlicher Wirksamkeit, entsprechend dem festgelegten Epilepsiesyndrom und der zu erwartenden Interaktion anhand von vorbestehenden Begleitmedikationen oder -erkrankungen. Bei Unverträglichkeit des ersten AED bereits in niedrigeren Dosierungen oder fehlender Anfallskontrolle wurde auf eine andere Monotherapie umgestellt. Bei guter Verträglichkeit des ersten AED, aber auch in hoher Dosierung nicht ausreichender Wirkung, wurde ein zweites AED meist add-on etabliert. Monotherapie war aber primäres Behandlungsziel. Als anfallsfrei galten Patienten, die zwölf Monate oder länger keinen Anfall mehr hatten. Trat bei diesen Patienten vor Studienende ein erneuter Anfall auf, wurden sie nicht mehr als „anfallsfrei“ gewertet.

Ergebnisse: Am Ende der Beobachtungszeit waren 1.144 Patienten (63,7%) für ein Jahr oder länger anfallsfrei geblieben. Aus dem gesamten Pool blieben 50,5% mit dem erstgewählten AED für ein Jahr oder länger anfallsfrei. 80,2% erhielten zum Zeitpunkt der letzten Visite eine Monotherapie, 19,8% hatten eine Kombination aus zwei oder mehr AED. Patienten mit genetischen Epilepsien waren etwas häufiger anfallsfrei (68,1% vs. 62,5%). Statistisch sank die Wahrscheinlichkeit, im Verlauf der Studiendauer anfallsfrei zu werden, nachweislich mit jedem dem ersten Medikament folgenden Therapieregimewechsel. Besonders auffallend war dies für den Austausch des ersten gegen das zweite AED. Bei Wechsel auf ein drittes AED waren es sogar nur noch 4,1%, die Anfallsfreiheit erreichten. Danach war es dann offensichtlich nahezu egal, was an weiteren Therapieoptionen gewählt wurde. Die Hoffnung auf Anfallsfreiheit lag bei diesen Patienten nur noch bei knapp 1% für jede weitere Medikamentenkombination.

Schlussfolgerungen: Meist wird mit dem ersten oder zweiten Antikonvulsivum Anfallsfreiheit erzielt, mit jedem weiteren Behandlungsversuch schwindet die Hoffnung auf Therapieerfolg. Ein Drittel der Patienten gilt auch heute als therapierefraktär.

Kommentar von Vivien Homberg, Bad Berka

In den letzten zwanzig Jahren hat sich nicht viel geändert

Eine wichtige alltagsrelevante Studie von Autoren, die sich dem Thema seit vielen Jahrzehnten mit reichlich klinischer Erfahrung widmen. Sie hilft uns im täglichen Patientenkontakt Erwartungshaltungen nach Therapieversagen der ersten Antikonvulsiva besser zu steuern und nicht unnötige Hoffnungen auf das „neue“ Medikament zu wecken. Geändert hat sich somit, den Therapieerfolg betreffend, die letzten 20 Jahre nichts.

Eine bedeutende Quintessenz der Studie ist außerdem die Einschätzbarkeit der Behandlungsprognose. Bereits ab dem zweiten, sicher jedoch ab dem dritten Behandlungsversuch in Mono- oder Kombinationstherapie ist Therapierefraktärität gegeben. Dies entspricht den bekannten Eingangsbedingungen einer prächirurgischen Diagnostik — sofern gewünscht oder möglich — , die zu diesem Zeitpunkt auch spätestens erwogen werden sollte. Nicht ganz überraschend, nun schwarz auf weiß dokumentiert, ist der Umstand, dass die „neuen“ Antikonvulsiva nicht wirklich besser wirken. Der große Gewinn der pharmazeutischen Entwicklungen der letzten Jahre ist und bleibt die bessere Verträglichkeit der antikonvulsiven Medikamente bei geringeren Interaktionen. Mehr denn je muss man nun auf einen Paradigmenwechsel in der pharmakologischen Forschung zur Epilepsietherapie hoffen.

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Dr. med. Vivien Homberg, Bad Berka