Fragestellung: Wirkt eine Gleichstromstimulation (tDCS) als Zusatz zu einer adäquaten Medikation antidepressiv bei Patienten mit bipolarer affektiver Störung in einer depressiven Episode?

Hintergrund: Die Wirksamkeit von bifrontaler tDCS als Zusatztherapie einer depressiven Störung wurde mittlerweile in einer Reihe von randomisierten Doppelblindstudien nachgewiesen. In diese Studien wurden aber meist keine Patienten mit bipolarer Störung eingeschlossen, oder die Stichprobe war für eine separate Analyse bezüglich der Wirksamkeit bei bipolarer Depression zu klein.

Patienten und Methodik: In einem monozentrischen Design wurden 59 ambulante Patienten in die Studie eingeschlossen. Alle litten an einer bipolaren affektiven Störung (I und II nach DSM) mit gegenwärtig depressiver Episode. Außer Angststörungen waren alle psychischen Komorbiditäten ein Ausschlusskriterium. Die Patienten wurden mit einem Stimmungsstabilisator sowie meist zusätzlich mit einem Antidepressivum behandelt. Bei allen musste in der aktuellen depressiven Episode mindestens eine erfolglose Pharmakotherapie erfolgt sein. Nach vierwöchiger, stabiler Phase ohne klare Besserung wurden die Patienten in die Studie eingeschlossen und erhielten zusätzlich entweder eine tDCS-Behandlung oder eine Scheinbehandlung mit tDCS-Elektroden. Bei dieser Scheinbehandlung wird zu Beginn genauso wie in der Verumform Strom über die Elektroden rampenförmig angelegt und führt meist zu einem Kribbeln in der Haut unter den Elektroden. Allerdings wird der Strom sogleich (auch rampenförmig) wieder abgeschaltet, im Gegensatz zur Verumbehandlung, bei der der Strom für 30 Minuten appliziert wird. Die Stimulationsgeräte sind über einen Zahlencode programmierbar, sodass eine doppelte Verblindung möglich ist. Die Behandlung umfasste zehn Stimulationen für 30 Minuten mit 2 mA Stromstärke, sowie je eine weitere Stimulationssitzung nach vier und nach sechs Wochen. Im Anschluss an die letzte Stimulation wurden der klinische Erfolg (Hamilton-Skala), der klinische Gesamteindruck (Clinical Global Impression, CGI) und Nebenwirkungen beurteilt.

Ergebnisse: Während sich die Patienten nach Scheinbehandlung im Mittel um 7,3 Punkte auf der Hamilton-Skala verbesserten, zeigte sich in der Verumgruppe eine mittlere Besserung um 12,8 Punkte. In der kategorialen Analyse zeigten in der Verumgruppe 19 von 30 Patienten eine Besserung um 50 % (Response), im Vergleich zu acht von 29 Patienten in der Scheingruppe (Ergebnis signifikant). Remissionen zeigten unter Verum zehn von 30 versus fünf von 29 Patienten (nicht signifikant). Auch bei der gesamten klinischen Besserung (CGI) zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen.

Schlussfolgerungen: Gleichstromstimulation als zusätzliche Behandlung bei bipolarer Depression scheint ähnlich wirksam zu sein, wie es aus Studien an unipolar depressiven Patienten bekannt ist. Zur Bestätigung dieser Ergebnisse empfehlen die Autoren eine weitere Studie mit einer größeren Stichprobe.

Kommentar von Thomas Kammer, Ulm

Ein weiterer Stein im Puzzle der Therapie der bipolaren Depression

Die formal hochwertige Studie mit Evidenzgrad II (erster RCT zum Thema, Jadad-Score 5) ergänzt die vorliegenden Daten zur Wirksamkeit der tDCS als zusätzliche Behandlung einer depressiven Episode, die bisher in dieser Qualität nur bei unipolar Depressiven gezeigt werden konnte. Die Studie betritt ein schwieriges Terrain, ist doch die pharmakologische Therapie der bipolaren Depression im Vergleich zur unipolaren Depression wesentlich schlechter untersucht. Entsprechend vielschichtig sind die dazu vorliegenden Leitlinien, und auch die Definition der Pharmakoresistenz, die ein Einschlusskriterium der Studie war, ist deutlich unsicherer im Vergleich zur „reinen“ Depression. Daher ist den Autoren beizupflichten, dass diese Ergebnisse in mindestens einem größeren Patientenkollektiv multizentrisch überprüft werden müssen, bevor sie zu einer klinischen Empfehlung werden können. Hierbei sollten dann sowohl die sehr heterogenen medikamentösen Strategien als auch die Klassifikation der bipolaren Störung spezifischer berücksichtigt werden. Bemerkenswert erscheint mir, dass bei keinem Patienten ein (prinzipiell unerwünschter) Wechsel aus der depressiven in eine hypomane oder manische Phase beobachtet wurde. Da dieser Wechsel sowohl bei adäquater medikamentöser Therapie als auch mit EKT gelegentlich beobachtet wird, stellt er für mich ein klinisches Maß für die antidepressive Potenz einer Therapie dar, die die tDCS-Behandlung in dieser Patientenstichprobe offensichtlich nicht erreicht hat.

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Prof. Dr. med Thomas Kammer