Fragestellung: Reduziert der Gebrauch von Nikotin die Wirksamkeit von immunologischen Medikamenten wie Interferon-beta?

Hintergrund: Die negativen additiven Effekte vaskulärer Risikofaktoren auf ein durch inflammatorische Prozesse vorgeschädigtes zentrales Nervensystemen sind inzwischen sehr gut belegt und können nicht mehr ernsthaft infrage gestellt werden. Auch die Datenlage zu Nikotin und Multipler Sklerose (MS) ist inzwischen eindeutig. MS-Patienten sind von den negativen Effekten des Rauchens in ganz besonderem Maße betroffen — und offensichtlich stärker als Patienten mit anderen Autoimmunerkrankungen wie zum Beispiel rheumatische Arthritis oder Myasthenie. MS-Patienten, die rauchen, sind nicht nur schneller progredient, sie werden auch schneller sekundär progredient, haben eine geringere Lebensqualität, werden schneller kognitiv schlechter und sterben früher. Weniger gut untersucht ist jedoch die Frage, ob auch die Wirkung von immunologischen Substanzen beeinflusst wird.

Patienten und Methodik: Diese Studie untersuchte daher die möglichen Zusammenhänge zwischen Rauchen und der Wirksamkeit von Interferonbehandlungen bei MS-Patienten sowie die Interaktion zwischen Rauchen und genetischen Faktoren, die Autoimmunerkrankungen begünstigen, wie den HLA-Allelen HLA-DRB1*15:01, HLA-A*02:01 und der N-acetyltransferase-1 (NAT1) mit der Variante rs7388368A. Dazu wurden 834 dänische Patienten, die im Rahmen ihrer MS mit einem Interferon behandelt wurden und in der dänischen MS-Biobank gespeichert waren, genotypisiert. Die Ergebnisse wurden mit den klinischen Verläufen, der Schubrate in den zwei Jahren vor und während der Behandlung beziehungsweise am Behandlungsende aus dem dänischen MS-Therapieregister abgeglichen und korreliert. Die Information zum Nikotingebrauch wurde in einem gesonderten Fragebogen erhoben.

Ergebnisse: Die Schubrate in der Gruppe der rauchenden MS-Patienten, die mit einem Interferon behandelt wurden, war signifikant höher als in der Gruppe der Nichtraucher (Incidence rate ratio (IRR) = 1,20). Die IRR stieg mit jeder Packung Zigaretten pro Tag um 27 %. Eine Assoziation mit einem der untersuchten genetischen Markern konnte hingegen nicht nachgewiesen werden.

Schlussfolgerungen: Die Autoren schlossen hieraus, dass Rauchen auch unter einer wirksamen Therapie mit Interferonen die Schubrate erhöht beziehungsweise die Wirksamkeit dieser Substanzgruppe reduziert.

Kommentar von Volker Limmroth, Köln-Merheim

Kein Interferon für Raucher

Rauchen hat eine besondere Bedeutung für MS-Patienten und sollte in jedem Fall vermieden werden. Diese Daten sind so eindeutig, dass wir sie inzwischen auch an unsere Patienten weitergeben müssen. Die dänischen Kollegen haben nun untersucht, ob unabhängig davon auch Patienten, die unter einer Therapie stehen, mehr Schübe haben. Denn das bedeutet nicht nur, dass Rauchen als vaskulärer Risikofaktor in vorgeschädigten Arealen eine schnellere Progression verursacht, sondern, dass auch unabhängig davon, Medikamente unter Umständen schlechter wirken und Patienten auch noch mehr Schübe haben werden.

In einer Studie aus dem letzten Jahr sind Kollegen aus den USA und Australien einen Schritt weitergegangen: Sie fordern, dass über die negative Bedeutung des Rauchens standardmäßig aufgeklärt und der Nikotinkonsum regelmäßig abgefragt werden sollte. Sie fordern weiterhin Entwöhnungsbehandlungen als Teil eines umfassendes Behandlungskonzepts.

Man könnte auch noch einen Schritt weitergehen und gegebenenfalls eine Sanktionierung von Leistungen erwägen oder diese mindestens androhen, wenn spezifische Verhaltensmodifikationen nicht erfolgen. In den USA ist das durchaus denkbar und durchsetzbar, in Deutschland sind edukative Maßnahmen dieser Art aber eher unrealistisch.