Fragestellung: Hat moderater Alkoholkonsum Auswirkungen auf Hirnstrukturen, die für Kognition und Gedächtnis zuständig sind?

Hintergrund: Alkoholkonsum ist außerhalb der islamischen Welt weit verbreitet. Es ist unbestritten, dass erhöhter Alkoholkonsum nicht nur zu Leberschäden führt, sondern auch zu einer Hirnatrophie, zu bleibenden kognitiven Schäden und das Risiko von Malignomen erhöht. Einige Zeit wurde postuliert, dass es zwischen Alkoholkonsum und bestimmten Krankheiten eine U-förmige Beziehung gibt. So wurde unterstellt, dass geringer Alkoholkonsum das Auftreten einer Demenz verhindert und die Rate von Schlaganfällen und Herzinfarkten reduziert. Das letztere konnte durch große epidemiologische Studien widerlegt werden. Bisher gibt es allerdings kaum langfristig angelegte Beobachtungsstudien, die den Zusammenhang zwischen moderatem Alkoholkonsum, kognitiven Funktionen und strukturellen Hirnveränderungen untersucht hätten.

Patienten und Methodik: Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine Subgruppenanalyse der WHITEHALL-II-Studie, die 1985 am University College in London begonnen wurde und 10.308 zivile Regierungsangestellte einschloss. Die Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status, Stress und kardiovaskulären Erkrankungen. Die damals eingeschlossenen Personen wurden über 30 Jahre verfolgt und in 5-Jahres-Abständen nachuntersucht. Im Jahr 2015 wurden 550 Personen zufällig ausgewählt, die in eine Substudie mit zerebraler Bildgebung eingeschlossen wurden. Für die Auswertung wurde der Alkoholkonsum pro Woche erfasst. Nach den englischen Kriterien beinhaltet eine Alkoholeinheit 8 g Alkohol. Die in England empfohlene wöchentliche Höchstdosis beträgt 14 Alkoholeinheiten, dies entspricht vier großen Gläsern Bier oder fünf Gläsern Wein. Die Messung kognitiver Funktionen umfassten Gedächtnisfunktion, den Montreal Cognitive Assessment (MoCA) und eine Reihe anderer neuropsychologischer Instrumente. Bei allen Probanden wurde eine Kernspintomografie durchgeführt. Bei allen Bildern wurde eine voxelbasierte Morphometrie vorgenommen und das Volumen des Hippocampus und der Amygdala automatisch erfasst. Drei unabhängige Beurteiler werteten zusätzlich die Bilder aus und beurteilten, ob eine Atrophie des Hippocampus vorlag oder nicht.

Ergebnisse: Es bestand eine lineare Beziehung zwischen Alkoholkonsum über 30 Jahre und der Wahrscheinlichkeit einer Atrophie des Hippocampus. Die Odds Ratio für eine Atrophie des Hippocampus betrug bei Personen mit hohem Alkoholkonsum definiert als über 30 Alkoholeinheiten pro Woche gegenüber abstinenten Personen 5,8 mit einem p-Wert von < 0,001. Bei Personen mit moderatem Alkoholkonsum definiert als 14 bis 21 Einheiten pro Woche betrug die Odds Ratio 3,4 mit einem p = 0,007. Es ergab sich kein Hinweis, dass geringer Alkoholkonsum gegenüber Alkoholabstinenz protektiv wäre. Es ergab sich kein Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und der Leistung in der neuropsychologischen Testung und es zeigten sich keine longitudinalen Veränderungen für die Sprachfunktion.

Schlussfolgerungen: Moderater Alkoholkonsum führt langfristig zu einer Atrophie des Hippocampus. Eine protektive Funktion geringer Mengen Alkohol lässt sich nicht nachweisen.

Kommentar von Hans-Christoph Diener, Essen

Obergrenzen für wöchentlichen Alkoholkonsum reduzieren

Die vorliegende Subgruppenanalyse der WHITEHALL-II-Studie fand bei 550 Männern und Frauen, die bei Einschluss in die Studie 43 Jahre alt waren, über einen Zeitraum von 30 Jahren einen linearen Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Atrophie des Hippocampus. Dieser Zusammenhang ergab sich sowohl in der voxelbasierten Morphometrie wie in der subjektiven Beurteilung durch drei unabhängige Bildauswerter. Der frühe postulierte protektive Effekt geringer Mengen Alkohol ließ sich nicht nachweisen. Die Ergebnisse lassen sich allerdings nur auf die hier untersuchte Population übertragen. Es handelt sich um Regierungsbeamte mit mittlerem Einkommen in einer anzunehmenden stabilen sozialen Struktur. Ob sich die Ergebnisse auch auf eine Population aus niedrigeren sozialen Schichten übertragen lassen, bleibt ungeklärt. Angesichts der relativ kleinen Studienpopulation ließ sich ein direkter Zusammenhang zwischen moderatem Alkoholkonsum und kognitiven Funktionen nicht nachweisen.

Die derzeit empfohlenen Obergrenzen für Alkoholkonsum orientieren sich an chronischen Leberschäden und dem Risiko maligner Erkrankungen. Die Studienergebnisse legen aber nahe, dass möglicherweise die empfohlenen Obergrenzen für den wöchentlichen Alkoholkonsum reduziert werden sollten.