Fragestellung: Ist eine Gentherapie mittels Antisense-Oligonukleotiden bei Spinaler Muskelatrophie (SMA) sicher und klinisch effektiv?

Hintergrund: Die SMA betrifft 1 : 11.000 Neugeborene und ist die häufigste genetische Todesursache im Kindesalter. Bei Beginn im Säuglingsalter zeigt die SMA (Typ I) regelhaft einen schwere Verlaufsform: Motorische Meilensteine wie selbständiges Drehen oder freies Sitzen werden nicht erreicht. Die Kinder versterben in der Regel im ersten oder zweiten Lebensjahr an respiratorischer Insuffizienz und pulmonalen Infekten.

Die SMA des Kindesalters resultiert aus einer homozygoten Deletion des SMN1-Gens mit konsekutivem Fehlen des Survival Motor Neuron Proteins 1. SMN2 ist eine Genkopie, die sich in nur elf Nukleotiden von SMN1 unterscheidet, aber physiologisch funktionslos ist, da durch eine dieser Varianten das Exon 7 aus der SMN-mRNA herausgeschnitten wird. Nusinersen ist ein Antisense-Oligonukleotid, dessen Sequenz die Suppressorstellen der Exon 7-Spliceregion im SMN2-Gen blockiert und damit den Verbleib von Exon 7 in der mRNA fördert, sodass unter dieser Therapie mehr funktionstüchtiges SMN-Protein vom SMN2-Gen translatiert werden kann.

Patienten und Methodik: 20 Patienten mit Erkrankungsbeginn in den ersten sechs Lebensmonaten wurden in einer multizentrischen, offenen Phase-II-Dosiseskalationsstudie mit 6 mg oder 12 mg Nusinersen intrathekal behandelt. Die Applikation erfolgte über Lumbalpunktionen an den Tagen 1, 15, 85, 253 und dann alle vier Monate.

Die primären Endpunkte der Studie waren die Sicherheit beziehungsweise Nebenwirkungen der Therapie sowie die Überlebenszeit ohne dauerhafte Beatmung. Ferner wurden die motorische Entwicklung und die motorischen Nervenaktionspotenziale des N. ulnaris und N. peronaeus erfasst. Präsentiert wird eine Zwischenanalyse nach zwei bis 32 Monaten Behandlungszeit.

Ergebnisse: Nusinersen wurde gut vertragen. Unerwünschte Ereignisse wurden zwar entsprechend dem fatalen Verlauf der Erkrankung häufig beobachtet, erschienen jedoch im Wesentlichen nicht therapiebedingt. Vier Patienten starben im Studienverlauf. Autopsien zeigten die Aufnahme des Antisense-Oligonukleotids in spinalen Motoneuronen sowie immunhistochemisch deutlich mehr SMN-Protein in spinalen Motorneuronen im Vergleich zu unbehandelten SMA-Patienten. Klinisch verbesserten sich vielen Patienten in den motorischen Scores und einige erreichten Meilensteine wie freies Sitzen und selbständiges Drehen. Elektrophysiologisch war eine Amplitudenzunahme des motorischen Nervenaktionspotenzials unter der Therapie zu verzeichnen. Im Vergleich zu einer Natural History Study zeigte die Kaplan-Meyer-Analyse einen eindrücklich günstigeren Verlauf bezüglich des primären Endpunkts Tod oder dauerhafte kontrollierte Beatmung.

Schlussfolgerung: Diese offene Phase-II-Studie legt nahe, dass wiederholte intrathekale Gaben von Nurinersen für Kinder mit SMA Typ I gut verträglich sind und positive Effekte sowohl auf die motorische Entwicklung als auch auf elektrophysiologische Parameter und das Überleben zeigen.

Kommentar von Ludger Schöls, Tübingen

Intrathekale Therapie mit Antisense-Nukleotiden grundsätzlich möglich

Diese Studie ist sehr ermutigend. Auch wenn die relativ kleine Patientenzahl und relativ kurze Dauer sowie das offene Design dieser Phase-II-Studie und der Vergleich mit einer Natural History Study sicher eine vorsichtige Interpretation der Daten erfordern, ist das positive Ansprechen auf die Antisensetherapie in allen Kategorien (Motorik, Überleben, Elektrophysiologie) vielversprechend. Die Daten passen zu den Ergebnissen einer früheren Phase-I-Studie bei Patienten mit SMA Typ II und Typ III. Entsprechend ist bereits eine placebokontrollierte, randomisierte Phase-III-Studie angelaufen. Konsequenterweise wurde auch eine Phase-II-Studie bei präsymptomatischen Mutationsträgern für eine möglichst frühe Behandlung gestartet. Insgesamt ist diese Studie der Beleg, dass eine intrathekale Behandlung mit Antisense-Oligonukleotiden für neurologische Erkrankungen grundsätzlich möglich ist.

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Prof. Dr. Ludger Schöls, Tübingen