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© Lois Lammerhuber/Photoagentur Lammerhuber

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Prof. Dr. med. Christian Gerloff

Ich sitze an meinem Schreibtisch (das kommt tatsächlich vor) und erhalte eine kryptische Telefonanrufankündigung. Meine Assistentin: „Es möchte Sie eine Personalfirma sprechen“. Ich: „Stichwort?“. Meine Assistentin: „Wollen sie nicht sagen. Es sei sehr wichtig.“ Ich: „Na gut, dann lassen Sie uns mal telefonieren“.

Das Telefon klingelt und schnell wird klar, es geht schon mal nicht um mich. Irgendwo in Deutschland wolle man eine Neurologie „ganz neu aufsetzen“ – sehr attraktiv sei das – und man benötige nun meinen Expertenrat, wenn es um die dortige Chefarztposition geht. Ein kleiner Seufzer meinerseits, dann fange ich mich und höre weiter zu. Ob ich denn jemanden wisse, aus meinem Team oder überhaupt. Da erlaube ich mir nachzufragen, wie diese „ganz neu aufgesetzte Neurologie“ denn aussehe. Bevor ich jemandem einen Job empfehle, muss ich ja ein Gefühl dafür haben, um was es geht. „Gut, sehr attraktiv eben, im Bettenplan des Landes alles geregelt, Stroke-Unit-Betten und alles vorhanden. Das Gehalt sei auch sehr gut.“ Nachfrage: „Zertifizierte Stroke Unit?“ – Kurzes Zögern am anderen Ende: „Nein.“ Sei aber geplant. Nachfrage meinerseits: „Wie viele Oberärzte? Stellenschlüssel?“ – Nochmals kurzes Zögern: Müsse noch geklärt werden, aber man spreche gerne noch einmal mit dem Träger. Ich: „Von wie vielen geplanten Betten reden wir denn?“ Prompte Antwort: „Zwanzig.“ Dabei ist gemeint inklusive Stroke-Unit-Betten. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, es wäre besser aufzulegen. Da ich nun schon einmal dabei bin und die Stimme am anderen Ende durchaus sympathisch klingt, erlaube ich mir zu sagen, dass eine noch nicht existente, geplante, sehr kleine, noch ohne Personal nur fiktiv skizzierte Klinik für Neurologie eventuell schwer zu besetzen sei, vor allem „irgendwo in Deutschland“ – also weder Ku‘damm noch Stachus noch Binnenalster, vor allem mit hochqualifizierten Fachärzten oder Fachärztinnen für Neurologie. Ob es denn Pläne zur Erweiterung, zur Erreichung einer kritischen Größe gebe? Erneut das schon bekannte aber mithin sympathische Zögern am anderen Ende: Man wolle den Träger diesbezüglich fragen. Und ob ich nicht doch jemand in meinem Team hätte? „Wie bitte?“ ... Never mind. Höfliche Verabschiedung. Spätestens hier hätte ich misstrauisch werden sollen.

Ich erhalte Unterlagen. Vertraulich, aber langweilig. Wo die Reise hingehen soll, wird nicht klar. Es bleibt zunächst die noch nicht existente, geplante, sehr kleine, noch ohne Personal nur fiktiv skizzierte Klinik für Neurologie irgendwo in Deutschland. Neurologische Betten werden ja durchaus gebraucht, insofern hatte ich noch immer Hoffnung. Beim nächsten Telefonat werde ich also etwas deutlicher, hake nach, erkläre bereitwillig nochmal, was man verbessern könnte, sehe aber kein Licht am Horizont und bedaure am Ende, dass ich niemandem aus meinem Team die Empfehlung für ein solches Unterfangen geben kann, niemanden kenne, der oder die dafür in Frage kommt. Die Gründe der mangelnden Attraktivität waren ja offen auf dem Tisch. Man bedankt sich höflich, bilateral, meine Leistung zum Nulltarif war ja auch für die Beratungsfirma erschwinglich und ich selbst musste für meine Auskünfte auch nichts bezahlen. Und es hätte ja auch ein interessantes Angebot und damit eine Karrierechance für jemanden aus meinem Umfeld sein können. Alles entspannt?

Leider nein. So will es doch der Zufall, dass einer meiner Oberärzte wenige Tage später beiläufig erwähnt, dass er einen kryptischen Anruf (im Anschluss an eine ebenso kryptische E-Mail) erhalten habe, wobei ihm eine Chefarztstelle in einer ganz neu aufzusetzenden, sehr attraktiven Klinik für Neurologie irgendwo in Deutschland angeboten worden sei ...

Meistens bin ich weit weg von einem Pulverfass, aber es gibt Tage, an denen man dann doch zum Hörer greift und detoniert. Zumindest diese Beratungsfirma wird mich so schnell nicht wieder anrufen ... und man hört, dass große Unternehmen das Personal-Recruiting zum Teil wieder „in-sourcen“. Warum wohl?

Epilog: Hier handelt es sich um Fiktion. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen oder lebenden oder toten Beratungsfirmen sind rein zufällig und auf keinen Fall beabsichtigt. Und selbstverständlich hat auch kein Chef zu „bestimmen“, wer wen wann und warum anruft. Was wir aber in der Neurologie nicht brauchen, sind schlecht durchdachte, fragile Klinikkonzepte, die dann mühevoll mit Schmerzensgeld für die Klinikleitung, überteuerten Leihärzten und unter härtesten Bedingungen arbeitenden Weiterbildungsassistenten/-innen betrieben werden. Dadurch werden wir die neurologische Versorgung flächendeckend nicht verbessern ... und den Job nicht attraktiver für den Nachwuchs machen.