Fragestellung: Ziel dieser Studie war es, die Rolle von psychischer Belastung (Angst und Depressivität) als möglichen Prädiktor von lokalisationsspezifischer Krebsmortalität zu untersuchen.

Hintergrund: Bei kardiovaskulären Erkrankungen wird häufig Stress als Krankheitsrisiko assoziiert. Dies veranlasst Forscher seit vielen Jahren, ähnliche Zusammenhänge bei Krebserkrankungen zu untersuchen. Bislang waren die Ergebnisse sowohl bezüglich der Inzidenz als auch bezogen auf die Mortalität widersprüchlich.

Patienten und Methodik: Daten aus 16 bevölkerungsbezogenen Studien (13 aus England, drei aus Schottland) wurden gepoolt (n = 163.363). Die Teilnehmer hatten bei Baseline (zwischen 1994 und 2008) einen Kurzfragebogen mit zwölf Items zu Angst und Depressivität, den GHQ-12 (General Health Questionnaire 12), ausgefüllt. Zielgrößen waren die Krebsinzidenz (nur bei den drei schottischen Studien möglich) und die Krebsmortalität. Der Vitalstatus wurde durch Record Linkage mit Daten der amtlichen Statistik bestimmt. Für die schottischen Studien war ein Record Linkage mit Daten des landesweiten Krebsregisters möglich. Personen mit einer Krebserkrankung bei Baseline wurden von der Auswertung ausgeschlossen.

Bei der Regression auf Mortalität wurde das Belastungsniveau dichotomisiert in hoch belastet (GHQ 7 – 12 Punkte) versus niedrig belastet (GHQ 0 – 6 Punkte) verglichen, adjustiert für Alter, Geschlecht, Bildung, sozioökonomischen Status, Body-Mass-Index (BMI) sowie Konsum von Tabak und Alkohol bei Baseline.

Durch linksseitige Zensierung begegnete man dem Problem von Reverse Causality, das heißt, dass Personen deshalb psychisch belastet sein könnten, weil sie Krebs haben, und nicht anders herum. Fehlende Werte wurden imputiert.

Ergebnisse: Das mittlere Follow-up lag bei 9,5 Jahren. In dieser Zeit waren 4.353 Personen an Krebs verstorben. Für alle Krebserkrankungen kombiniert lag die Mortalitäts-Hazard-Ratio (HR) bei 1,32 (95 %-Konfidenzintervall [KI] 1,18 – 1,48). Bei Krebserkrankungen, die nicht mit Rauchen assoziiert sind, lag das HR bei 1,45 (1,23 – 1,71), für kolorektale Tumoren bei 1,84 (1,21 – 2,78), für Prostatakarzinome bei 2,42 (1,29 – 4,54), für Pankreaskarzinome bei 2,76 (1,47 – 5,19) und für Leukämie bei 3,86 (1,42 – 10,5).

Schlussfolgerung: Die Studie legt nach Ansicht der Autoren nahe, dass psychische Belastung prädiktiv bezüglich ausgewählter Krebsentitäten sein könnte.

Kommentar von Susanne Singer, Mainz

Assoziation ist nicht Ursache und Mortalität ist nicht Inzidenz

Krebs als schwerwiegende Erkrankung, bei der die Ätiologie vielfach unklar ist, fordert Kliniker und Forscher dazu heraus, nach bisher unbekannten Ursachen zu suchen. Immer wieder rückt dabei die Psyche in den Fokus — je nach Zeitgeist einmal unter dem Stichwort Persönlichkeit, ein anderes Mal als intra- oder interpersonale Konflikte — oder, so wie hier, als Stresserleben. Obwohl methodisch hochwertige Studien regelmäßig finden, dass kein direkter Zusammenhang besteht, allenfalls vermittelt über konfundierende oder mediierende Faktoren, reizt es Forscher offenbar immer wieder, die Frage neu zu bearbeiten.

Das Hauptproblem epidemiologischer Studien ist hier, dass man nie sicher sein kann, alle relevanten konfundierenden Störgrößen berücksichtigt zu haben. Die Folge: Zusammenhänge zwischen Stress und Krebs können durch unkontrollierte Drittvariablen zustande gekommen sein. Eine Interpretation im Sinne von Ursache und Wirkung wäre nicht zulässig. Trotzdem werden die Daten oft so interpretiert, leider auch in der hier vorliegenden Studie. Die Forscher haben sich zwar bemüht, viele Konfounder zu berücksichtigen, es fehlen aber beispielsweise berufliche Noxen, endokrine Faktoren, Ernährung und letztlich auch die Art der onkologischen Behandlung, die für das Überleben nach Krebs natürlich entscheidend ist. Hiermit verbunden ist noch ein weiteres Problem dieser Metaanalyse: In 13 von den 16 einbezogenen Kohortenstudien lagen lediglich Daten zur Mortalität vor, nicht jedoch zur Inzidenz. Die Autoren interpretieren ihre Ergebnisse aber so, als ob Stress die Krebsentstehung begünstige, also die Inzidenz.

Fazit: Die Schlussfolgerungen, die die Autoren aus ihrer Studie ziehen, basieren nicht auf gesicherten Daten.

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Prof. Dr. med. Susanne Singer, Mainz