Fragestellung: Ist eine Ganzhirnbestrahlung nach stereotaktischer Radiochirurgie für Patienten mit ein bis drei Hirnmetastasen mit einer Veränderung der kognitiven Funktion assoziiert?

Hintergrund: Mehrere internationale Studien haben das Konzept der Ganzhirnbestrahlung für Patienten mit wenigen (meist ein bis drei) Hirnmetastasen infrage gestellt. In den Untersuchungen zeigte sich eine Verbesserung der lokalen Kontrolle ohne Verbesserung des Gesamtüberlebens. Die vorliegende Studie adressiert die wichtige Frage, ob eine Ganzhirnbestrahlung nach fokaler Radiotherapie mit einer kognitiven Verschlechterung innerhalb von drei Monaten assoziiert ist.

Patienten und Methodik: In 34 Einrichtungen Nordamerikas wurden Patienten mit ein bis drei Hirnmetastasen in die Gruppe einer alleinigen radiochirurgischen Therapie oder einer Radiochirurgie plus Ganzkopfbestrahlung randomisiert. Die Bestrahlung erfolgte bis 30 Gy in zwölf Fraktionen, die stereotaktische Radiochirurgie mit 18 – 22 Gy/Metastase in der Ganzhirngruppe und mit 20 – 24 Gy in der Gruppe mit alleiniger Stereotaxie. Die Funktionsuntersuchungen, die nach sechs Wochen, drei Monaten und dann in reduzierter Frequenz bis zu fünf Jahre durchgeführt wurden, waren Untersuchungen zur Lebensqualität, der Barthel-Index, der Hopkins Verbal Learning Test-Revised, Wortflüssigkeitsuntersuchungen, Feinbeweglichkeitstests, die Trail Making Tests A und B sowie Gedächtnisuntersuchungen und Wiedererkennungstests. Als primärer Outcome der Studie wurde eine relevante kognitive Verschlechterung um mehr als eine Standardabweichung zum Ausgangsbefund in einem der sieben kognitiven Tests definiert.

Ergebnisse: Von 213 randomisierten Patienten (111 alleinige stereotaktische Radiochirurgie, 102 Kombinationstherapie) zeigte sich bei den im Mittel 60,6 Jahre alten Patienten eine relevante und signifikante Reduktion der kognitiven Verschlechterung zum Zeitpunkt von drei Monaten nach alleiniger stereotaktischer Radiochirurgie (Unterschied – 28,2 %, 90 %-Konfidenzintervall [KI] – 41,9 % bis – 14,4 %, p < 0,001). Ähnliche Ergebnisse wurden auch für die Lebensqualität erreicht. Diese für den Patienten relevanten Einschränkungen der kognitiven Funktion und Lebensqualität werden bei einer signifikant kürzeren Zeit bis zum intrakraniellen Progress durch die weniger aggressive Therapie erreicht (Hazard Ratio 3,6, 95 %-KI 2,2 – 5,9, p < 0,001). Das Gesamtüberleben war jedoch im Trend in der stereotaktischen Bestrahlungsgruppe mit 10,4 Monaten eher günstiger als in der Kombinationstherapie, in der 7,4 Monate erreicht wurden. Dieses Ergebnis erreichte keine statistische Signifikanz. Trotz ihrer formalen Relevanz erreichten die kognitiven Veränderungen keine signifikante Differenz für das Kriterium „funktionelle Unabhängigkeit nach drei Monaten“ in den Behandlungsgruppen.

Schlussfolgerung: Bei Patienten mit ein bis drei Hirnmetastasen ist eine stereotaktische Radiochirurgie als alleinige Therapie ohne konsolidierende Ganzhirnbestrahlung geeignet.

Kommentar von Wolfgang Wick, Heidelberg

Sinkende Relevanz der Ganzhirnbestrahlung bei Hirnmetastasen

Die aktuelle Studie demonstriert eine weitere Reduktion der Relevanz der Ganzhirnbestrahlung bei Patienten mit Hirnmetastasen. Diese Studie ist ausgesprochen wichtig. Unter der Vorstellung, dass eine Verlängerung der Zeit bis zur intrakraniellen Progression für Patienten mit ein bis drei Hirnmetastasen funktionell relevant ist, wurde in vielen Zentren trotz fehlender Effekte der aggressiven Therapie auf das Gesamtüberleben weiterhin eine große Zahl der Patienten entsprechend behandelt. Die vorliegende Studie zeigt, dass die verzögerte intrakranielle Progression offenbar funktionell nicht relevant ist und zum anderen signifikante sowie relevante kognitive Defizite und Einschränkungen der Lebensqualität durch die Ganzhirnbestrahlung auftreten. Dieses für Neurologen nicht überraschende Ergebnis wird auch in dieser Studie nicht durch eine Einschränkung des Gesamtüberlebens erkauft. Neben der konsequenten Anpassung des Therapiestandards erscheint die Integration von Lebensqualität und kognitiven Untersuchungen in den klinischen Alltag, vor allem aber in klinischen Studien, hoch relevant zu sein.

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Prof. Dr. med. Wolfgang Wick, Heidelberg