Fragestellung: Haben Medizinstudenten ein erhöhtes Risiko depressive Symptome, depressive Episoden oder Suizidgedanken zu entwickeln?

Hintergrund: Viele Studien beschäftigen sich mit der Frage einer erhöhten Prävalenz depressiver Symptome bis hin zu Suizidgedanken bei Medizinstudierenden. Es wurde gezeigt, dass diese erhöhte Prävalenz im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung unabhängig von unterschiedlichen Ländern, unterschiedlichen Ausbildungssystemen und unterschiedlichen Populationen der Studierenden vorliegt. Im Rahmen dieser Arbeit wurde metaanalytisch untersucht, inwiefern diese methodisch sehr unterschiedlichen Studien vergleichbar sind, um hieraus Implikationen zur Genese, Prävention und Therapie abzuleiten.

Patienten und Methodik: Analysiert wurden Studien aus 47 Ländern mit insgesamt 129.123 Medizinstudenten. Ausgewertet wurden 167 Querschnitts und 16 Langzeitstudien, die als Hauptfokus die Prävalenz einer depressiven Episode oder depressiver Symptome hatten, und 24 Querschnittsstudien, die die Prävalenz von Suizidgedanken bei Medizinstudierenden untersuchten. Als Outcome wurde die Punkt- oder Periodenprävalenz über das Auftreten depressiver Episoden, depressiver Symptome oder Suizidgedanken bestimmt. Zudem wurde die durchschnittliche Anzahl Studierender, die aufgrund depressiver Symptome in Behandlung waren, berechnet.

Ergebnisse: Nach dem Pooling aller Daten ergab sich eine Prävalenz von 27,2 % für das Auftreten depressiver Episoden oder Symptome. Je nach Studiendesign fand sich eine hohe Heterogenität bezüglich der Prävalenz von 9,3 – 55,9 %. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung war eine höhere Prävalenz der genannten Outcome-Variablen zu verzeichnen, dies ebenso gegenüber Studierenden anderer Fächer. Die Langzeitstudien zeigten einen Zuwachs an depressiven Symptomen im Verlauf der Ausbildung von 13,5 %. Jedoch lieferten die Querschnittsstudien keine Korrelation zwischen Ausbildungszeitpunkt und Prävalenz; diese war hier über die Ausbildungszeit stabil. 15,7 % der Probanden, die an depressiven Symptomen litten, waren zu den Untersuchungszeitpunkten in Behandlung. Gepoolt traten Suizidgedanken bei 11,1 % der Studierenden auf, wobei die Auftrittswahrscheinlichkeiten zwischen 7,4 – 24,3 % variierten.

Schlussfolgerungen: Bei Medizinstudenten ist die Prävalenz an depressiven Symptomen zu leiden oder an einer depressiven Episode zu erkranken gegenüber der Normalbevölkerung und Studenten anderer Fächer deutlich erhöht.

Kommentar von Stefan Schenkel und Nadine Dreimüller, Mainz

Das Ausbildungssystem der Medizin als krankmachender Faktor?

Diese Metaanalyse zeigt trotz ihrer vielen Limitationen, dass Medizinstudierende eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben depressiv zu erkranken. Die sechs Studien aus Deutschland, die in die Metaanalyse Eingang fanden, bestätigen dies ebenfalls für Deutschland. Kritisch beurteilt werden muss die Vergleichbarkeit von unterschiedlichen Studiendesigns, Ausbildungssystemen und auch verschiedener Populationen in ihren spezifischen Gesellschaften, aus denen sie kommen, die teilweise völlig andere Voraussetzungen haben und Anforderungen an ihre zukünftigen Ärzte stellen. Ein zweiter problematischer Punkt sind die unterschiedlichen Outcome-Kriterien und Suizidgedanken als Symptom, ohne Benennung von Hintergründen der Erkrankungen oder sozialen Umstände, um nur einige Limitationen zu nennen. Kausale Aussagen können aufgrund der Heterogenität der Studien und ihrer unterschiedlichen Herkunftsländer sicherlich nicht gemacht werden. Vieles bleibt daher weiterhin Spekulation.

Die Gründe, warum ein Medizinstudium zu einer erhöhten Prävalenz depressiver Störungen beziehungsweise Symptome führt, sind nicht eindeutig geklärt: Liegt es zum Beispiel an der Belastung durch die ständige Konfrontation mit Leiden und Tod oder an der Wahl des Studiums durch junge Menschen mit erhöhter Veranlagung depressiv zu erkranken? Auch wenn die Ursachen unklar sind, dürfte es plausibel sein, intensiver darüber nachzudenken, ob nicht auch strukturelle Gründe (familienunfreundliche Arbeitsbedingungen, Überlastung durch Ärztemangel, ökonomischer Druck) ihren Beitrag leisten, und zu versuchen, diese entsprechend zu ändern. Im Sinne der Resilienzforschung wären Anschlussprojekte zur Klärung der Frage, was junge Studierende gesund hält, empfehlenswert, ebenso wie Studien zur Wirksamkeitsüberprüfung von Interventionen zur Prävention von Depressionen, wobei erste Untersuchungen bereits laufen.

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Dr. med. Nadine Dreimüller, Mainz