Fragestellung: Emotionale Störungen nach einem Schlaganfall sind ein häufiges Problem, die das klinische Ergebnis ungünstig beeinflussen. Hier wurde untersucht, ob die frühzeitige Gabe von Escitalopram depressive Symptome sowie emotionale und neurologische Störungen nach einem Schlaganfall reduzieren kann.

Hintergrund: Depressive Verstimmung, Affektlabilität und Reizbarkeit sind bei Schlaganfallpatienten häufig, verschlechtern das funktionelle Ergebnis, die Lebensqualität und erhöhen die Belastung für Pflegepersonen. Nur wenige Studien haben den Nutzen von Antidepressiva in der Frühphase nach einem Hirninfarkt untersucht. Die Ergebnisse waren unterschiedlich. In einem Cochrane-Review wurde 2008 festgestellt, dass Antidepressiva vom SSRI-Typ die Post-Stroke-Depression nicht verhindern können, was aber durch folgende Studien infrage gestellt wurde. SSRI können auch Affektinkontinenz, Reizbarkeit, motorische Defizite und kognitive Störungen reduzieren.

Patienten und Methodik: 478 Patienten erhielten in 17 südkoreanischen Zentren zwischen 2011 und 2014 entweder Placebo (n = 237) oder 10 mg Escitalopram (n = 241) bis drei Wochen nach einem Schlaganfall (Infarkt oder Blutung) für eine Dauer von drei Monaten und wurden noch weitere drei Monate weiter untersucht. 405 Patienten konnten ausgewertet werden und wurden noch weitere drei Monate nachbeobachtet. Es wurde unterschieden nach Patienten, die voll analysiert wurden, Intention-to-treat- und in der Per-protocol-Analyse.

Ergebnisse: Mehr als die Hälfte der Patienten hatte depressive Symptome, etwa ein Viertel mittelschwer bis schwer. Der primäre Outcome (moderate oder schwere depressive Symptome, das heißt mit mindestens 17 Punkten, in der MADR-Skala) unterschied sich nach drei Monaten geringfügig, aber nicht signifikant zwischen den zwei Gruppen. In den sekundären Outcomes gab es nicht signifikante Unterschiede bei Reizbarkeit und Affektlabilität, motorischer Funktion, NIHSS, mRS, Barthel-Index, MoCA, Lebensqualität und Angehörigenbelastung.

Schlussfolgerungen: Eine frühe Behandlung mit Escitalopram führt nach drei bis sechs Monaten zu keiner Reduktion von mittelschweren oder schweren depressiven Symptomen bei Schlaganfallpatienten.

Kommentar von Markus Weih, Nürnberg

Die Gabe von Escitalopram ist weiterhin individuell abzuwägen

Die vorliegende EMOTION-Studie war eigentlich als Präventionstudie geplant. Sie ist ein schönes Beispiel, wie in einem geradlinigen Studiendesign eine wichtige klinische Fragestellung adressiert werden kann. Im Gegensatz zu früheren „Reha“-Studien belegte die Studie die klinische Tatsache, dass sich eine Depression schon bald nach einem Schlaganfall entwickelt und dann langsam abklingt. Das Ergebnis nach drei bis sechs Monaten unterschied sich aber leider nicht wesentlich von anderen Studien zu diesem Thema, die erst später mit der Therapie begannen. Leider zeigte sich auch keine Veränderung in den sekundären Outcomes wie Reizbarbeit, Affektlabilität, motorische oder kognitive Funktionen, Lebensqualität und der Belastung von Pflegepersonal. Allerdings behandelten andere Studien ihre Patienten teilweise länger, bis zwölf Monate. Als Empfehlung für die Praxis kann festgehalten werden, dass Escitalopram weder in der Prävention noch zur Behandlung von depressiven Reaktionen nach Schlaganfall einen festen Stellenwert hat und eben weiter „individuell“ abgewogen werden muss. Davon unabhängig bleibt Escitalopram natürlich ein in der Regel sehr gut verträgliches und gut wirksames Antidepressivum.

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Prof. Dr. med. Markus Weih, Nürnberg