Fragestellung: Welchen Einfluss hat eine Therapie mit Kortikosteroiden auf die Prognose des Glioblastoms?

Hintergrund: Glioblastome sind die häufigsten und aggressivsten intrinsischen Hirntumore. Die Standardtherapie besteht aus einer maximalen, sicheren Resektion und eine Chemoradiotherapie mit Temozolomid. Kortikosteroide, zumeist Dexamethason, werden perioperativ, aber auch während der weiteren Therapie zur Behandlung des vasogenen Ödems eingesetzt. Die Relevanz von Steroiden für das Gliomzellwachstum oder das Überleben von Patienten ist nicht endgültig gesichert.

Patienten und Methodik: Die Autoren führten eine retrospektive Analyse zur prognostischen Wertigkeit von Steroiden an drei unabhängigen Patientenkohorten durch. Zudem wurde präklinisch untersucht, wie Steroide Gliomzellproliferation und -tod beeinflussen, und welche genetischen Veränderungen mit der Steroidtherapie assoziiert sind. Als Kontrolle wurde eine murine Version von Bevacizumab, ein Antikörper gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor, verwendet. In der „The Cancer Genome Atlas“ (TCGA)-Gewebedatenbank wurde der prognostische Effekt der Dexamethason-induzierten Gensignatur untersucht.

Ergebnisse: In klinischen Serien sind Steroide während einer Radiotherapie ein unabhängiger negativer prognostischer Faktor. Die durch Steroide induzierte Gensignatur ist in der TCGA-Datenbank ebenfalls mit einer relevant schlechteren Prognose assoziiert. In Gliommodellen waren Steroide mit reduzierter Zellproliferation, aber nicht mit Tumorzelltod assoziiert. Die Effektivität einer Radiotherapie in einem realistischen Mausmodell war jedoch reduziert, während Bevacizumab hier neutral war.

Schlussfolgerungen: Steroide scheinen die Effektivität einer Glioblastomtherapie zu reduzieren und das Überleben von Patienten negativ zu beeinflussen. Die durch Dexamethason verursachten antiproliferativen Effekte sind möglicherweise für einen Schutz vor durch Radio- und Chemotherapie induziertem genotoxischen Stress verantwortlich. Diese Daten zeigen, dass alternative Konzepte für die Steroidtherapie bei Hirntumorerkrankungen erforderlich sind.

Kommentar von Wolfgang Wick, Heidelberg

Die negativen Effekte könnten auch für andere Tumoren relevant sein

Verschiedene Studien liefern Hinweise, dass Steroidgebrauch nicht nur ein Parameter ist, der Patienten mit einer schlechten Prognose kennzeichnet, sondern der die Effektivität einer Tumortherapie direkt negativ beeinflusst. Die Beobachtung, dass Steroide häufiger bei Patienten mit einer höheren Tumorlast und verstärkten tumorassoziierten Symptomen eingesetzt wurden, erscheint eher trivial. Interessanter und gegebenenfalls therapeutisch korrigierbar sind unmittelbare Effekte auf die Wirksamkeit der Therapie. Bereits seit längerer Zeit wird der rekonstituierende Effekt auf die Bluthirnschranke diskutiert. Relevant könnten negative Effekte auf das immunologische Mikromilieu oder direkte negative Auswirkungen auf die Therapie sein. Bereits eine retrospektive Auswertung der NOA-08-Studie zur Radio- oder Temozolomidtherapie älterer Patienten mit Glioblastom hatte ergeben, dass die Temozolomidsensitivität bei paralleler Steoridtherapie verringert wird. Der Effekt wurde präklinisch mit einer verstärkten Aktivität des N-myc downstream-regulated gene (NDRG1) und des Alkylanzienresistenzfaktors O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase (MGMT) erklärt. Andererseits könnte ein größerer Tumor, der dann auch mehr Kortison erfordert, diese Beobachtung ebenso erklären. Zudem wäre es erklärlich, dass MGMT-inaktive Tumore auch am stärksten durch einen eventuellen bluthirnschrankenabdichtenden Effekt beeinflusst werden würden.

Die aktuelle Arbeit geht über die bisherigen Erklärungsmodelle hinaus. Sie zeigt, dass der ungewollte Effekt auch für eine alleinige Radiotherapie gelten könnte, eine Gensignatur, die steroidassoziiert sowie prognostisch ungünstig ist, und die Effekte möglicherweise durch Bremsen der Zellproliferation und damit Reduktion der Zellvulnerabilität für genotoxischen Stress verursacht werden. Zudem wird in dieser Arbeit eine Lanze für den Ersatz von Steroiden durch Bevacizumab gebrochen, obwohl die Primärtherapiestudie AVAglio keinen differenziellen Effekt im Hinblick auf die Steroidtherapie gezeigt hatte. Dennoch war der Steroidgebrauch in der Bevacizumabgruppe geringer und das progressionsfreie Überleben verbessert, nicht jedoch das Gesamtüberleben.

In Summe werden in dieser Arbeit klare ungünstige Effekte der Kortisontherapie aufzeigt, die über die unerwünschten Effekte von Steroiden hinausgehen und möglicherweise auch für andere Tumorerkrankungen relevant sind.

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Prof. Dr. med. Wolfgang Wick, Heidelberg