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Trotz der im europäischen Vergleich hohen Zahl niedergelassener Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, zusätzlicher Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und einer hohen und wachsenden Zahl von Psychologischen Psychotherapeuten besteht in Deutschland eine deutliche Unterversorgung psychisch Erkrankter. Das sieht man an mehrwöchigen Wartezeiten in Großstädten und mehrmonatigen in ländlichen Regionen inzwischen sowohl bei Fachärzten als auch bei psychologischen Psychotherapeuten. Folge ist eine weitere Verlagerung der Versorgung auf Hausärzte und eine ständige Zunahme der Einweisungen in Krankenhäuser.

Die Misere beruht entscheidend auf finanziellen Fehlanreizen für ambulant tätige Fachärzte und Psychologische Psychotherapeuten. Dazu kommt die Unterfinanzierung psychiatrisch-psychotherapeutischer Kliniken über die vor einem Vierteljahrhundert festgelegte Psychiatrie-Personalverordnung (PsychPV), die eine nachhaltig wirksame Therapie häufig nicht ermöglicht.

Der erste Schritt der Neufinanzierung ist im stationären Bereich in Angriff genommen worden. Das initiale Vorhaben, ein DRG-ähnliches Entgeltsystem, das sogenannte PEPP (Pauschalierendes Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik), zu installieren, stieß auf Kritik auch innerhalb der Bundesregierung. So wurde der Gesetzgebungsprozess zu einem Budgetsystem, dem PsychVVG, umgewandelt. Die Finanzierung wird nicht nur die strukturellen Besonderheiten der Kliniken berücksichtigen, sondern soll auch die personellen Mindestanforderungen für eine leitliniengerechte Versorgung der Patienten garantieren. Insbesondere ist angestrebt, dass die inzwischen aufgrund von wissenschaftlichen Evidenzen und Leitlinien in die Versorgung zu implementierende Psychotherapie im PsychVVG adäquat abgebildet wird.

In der Finanzierung ambulanter psychiatrisch-psychotherapeutischer Leistungen werden erste Schritte gemacht, sich von den inadäquaten Quartalspauschalen von etwa 50 bis 60 Euro pro Patient zu lösen. Diese Quartalspauschalen können eine wirtschaftlich akzeptable Praxisfinanzierung nur bei sehr hohen Fallzahlen oder bei zahlreichen „Verdünnern“ ermöglichen, die jedoch in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis im Vergleich zu anderen Facharztbereichen eher unterrepräsentiert sind. In den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Niedersachsen wurde bereits erfolgreich anstatt der Quartalspauschalen ein Individualbudget eingeführt, bei dem auch psychiatrische Leistungen 10-Minuten-getaktet finanziert werden. Andere Bundesländer wie Bayern nähern sich dieser wesentlich patientengerechteren Finanzierung. In Baden-Württemberg hat die AOK im Rahmen eines Selektivvertrages für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie (PNP) mit dem Medi-Verbund ein idealtypisches Finanzierungssystem eingeführt, das ebenfalls zeitgetaktet ist und zusätzlich rasche Leistungserbringung, also die Verhinderung von längeren Wartezeiten, finanziell belohnt.

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Prof. Dr. med. Mathias Berger

Am weitesten fortgeschritten ist die Reform der GKV-Finanzierung von ambulanten Psychotherapien. Die bisherigen Finanzierungsmodalitäten der Richtlinienpsychotherapie haben dazu geführt, dass von einem ärztlichen/psychologischen Psychotherapeuten pro Jahr im Schnitt nur 50 Patienten behandelt werden.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wird nun aller Voraussicht nach am 1. April 2017 ein neues Finanzierungssystem etablieren, das auf einen deutlichen Anstieg kurzer Kriseninterventionen zielt. Dabei wird zwischen einer stabilisierenden Akutbehandlung von 12 Stunden ohne vorangegangene Probatorik und einer ebenfalls 12-stündigen Kurzzeitpsychotherapie mit vorausgegangenen zwei bis vier Probatorik-Stunden differenziert. In diese beiden Behandlungsstränge kann der Patient nur aufgenommen werden, wenn er vorher in einer Sprechstunde eines hierfür qualifizierten Facharztes oder psychologischen Psychotherapeuten gesehen wurde. Dieser muss die Indikation stellen. Wenn die Akutbehandlung oder die Kurzzeittherapie nicht ausreicht, kann eine weitere Kurzzeittherapie mit 12 Stunden folgen. Erst dann ist eine weitere Verlängerung bei Verhaltenstherapie auf insgesamt 80, bei Tiefenpsychologie auf 100 und bei Psychoanalyse auf maximal 300 Stunden, aber jetzt nur über ein Gutachterverfahren möglich. Die Festlegung der Finanzierung der verschiedenen Behandlungsstränge wird in den nächsten Monaten erfolgen.

Insgesamt handelt es sich um äußerst erfreuliche Reaktionen des Gesetzgebers und des G-BA auf eine zunehmend beunruhigende Versorgungssituation.