Fragestellung: Metaanalyse der prognostischen Signifikanz verschiedener Konstrukte und Operationalisierung kurzer psychotischer Episoden.

Hintergrund: Zur Operationalisierung des Psychoserisikos existieren verschiedenste Konstrukte. Vier Beschreibungen von kurzen psychotischen Episoden haben sich durchgesetzt: Patienten mit remittierter erster polymorph-psychotischer oder schizophrenieformer Episode (ICD 10 F23.x; acute and transient psychotic disorder, ATPD), kurze psychotische Störung (DSM 5, brief psychotic disorder, BPD), kurze intermittierende psychotische Symptome (brief intermittend psychotic symptoms, BIPS) und kurze limitierte intermittierende psychotische Symptome (brief limited intermittend psychotic symptoms, BLIPS). Es wird die Hypothese getestet, dass das Risiko für ein Wiederauftreten psychotischer Symptome am größten ist bei Patienten mit der Erstmanifestation einer Schizophrenie (first episode of schizophrenia, FES), gefolgt von den oben genannten kurzen psychotischen Episoden (FES > ATPD > BPD > BIPS > BLIPS).

Patienten und Methodik: Von anfänglich 1.992 Publikationen wurden 82 Studien in die Metaanalyse einbezogen. Insgesamt wurden die Daten von 11.133 Patienten mit FES, ATPD, BPD, BIPS und BLIPS und einem Follow-up von sechs, zwölf, 24 und ≥ 36 Monaten ausgewertet. Moderatoren wurden mit einer Metaregression analysiert. Zur Einschätzung eines Publikationsbias wurde ein Funnel-Plot erstellt sowie der Egger-Test eingesetzt.

Ergebnisse: Das Risiko einer erneuten psychotischen Episode war bei Erstmanifestation einer Schizophrenie nach 24 oder ≥ 36 Monaten signifikant höher als bei kurzen psychotischen Episoden (ATPD, BPD, BIPS bzw. BLIPS). Zwischen diesen vier Gruppen unterschied sich das Risiko erneuter psychotischer Episoden nicht signifikant. Moderatorvariablen waren das Geschlecht und eine Antipsychotikatherapie. Es lag kein Publikationsbias vor.

Schlussfolgerungen: Die Autoren folgern, dass die Langzeitprognose nach einer kurzen psychotischen Episode (unabhängig welchen Typs) signifikant besser ist als nach einer psychotischen Episode, die als Erstmanifestation einer Schizophrenie diagnostiziert wurde.

Kommentar von Anke Brockhaus-Dumke, Alzey

Geringeres Rezidivrisiko nach kurzer psychotischer Episode

Diese wegweisende und methodisch gut gemachte Metaanalyse zeigt, dass das Risiko einer erneuten psychotischen Episode nach einer kurzen psychotischen Episode deutlich geringer ist als nach Erstmanifestation einer Schizophrenie. Trotz unterschiedlicher Definitionen der vier Syndrome mit kurzen psychotischen Episoden ist die Prognose bezüglich des Psychoserezidivs gleich. Das spricht dafür, für künftige Klassifikationssysteme eine vereinheitlichte Definition kurzer psychotischer Episoden zu erarbeiten.

Lesenswert ist die Publikation auch wegen des Überblicks über die historische Entwicklung der Psychosekonzepte sowie der detaillierten Darstellung der Kriterien der beiden Risikosyndrome (BIPS und BLIPS) und der beiden psychotischen Störungen (ATPD und BDP) hinsichtlich Symptomen, Alter bei Erstmanifestation, Dauer und Häufigkeit, Funktionsniveau und Ausschlusskriterien.

Nicht in die Prognoseanalyse einbezogen wurde die Entwicklung anderer psychischer Störungen. Insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung bipolarer Störungen sind hier noch Ergebnisse zu erwarten. Auch andere Zustände mit erhöhtem Psychoserisiko wie das Vorliegen attenuierter Positivsymptome oder die Kombination zwischen erhöhter genetischer Belastung und Abfall im Funktionsniveau wurden nicht berücksichtigt. Trotz detaillierter Darstellung des Auswahlprozesses der Publikationen wird nicht ganz klar, nach welchen Kriterien der Schritt von 1.781 Abstracts (nach Entfernung der Duplikate) zu 1.450 gescreenten Abstracts erfolgte.

Zusammenfassend kann abgeleitet werden, dass die Zustände mit erhöhtem Psychoserisiko (BIPS und BLIPS) sowie die psychotischen Störungen nach ICD 10 (ATPS) und DSM 5 (BPD) künftig zusammengefasst werden sollten. Schon jetzt ist zu empfehlen, die Beratung zum Psychoserisiko bei kurzen psychotischen Episoden anzupassen, da das Risiko für die Entwicklung rezidivierender psychotischer Episoden deutlich geringer ist als bei beginnender Schizophrenie. Für die Strategien zu Prävention oder Behandlung heißt das, dass eine antipsychotische Medikation bei kurzen psychotischen Episoden mit Zurückhaltung gesehen und den psychotherapeutischen Ansätzen mehr Gewicht gegeben werden sollte.

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PD Dr. med. Anke Brockhaus-Dumke, Alzey