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Tourette-Syndrom und andere Tic-Erkrankungen im Kindes- und Erwachsenenalter

Kirsten Müller-Vahl

Berlin: Medizinisch-Wissenschaftliche

Verlagsgesellschaft 2014. (ISBN 978-3-95466-099-5), 44, 95 €

Der russische Psychologe Alexander R. Lurija schrieb einmal an den US-amerikanischen Neurologen Oliver Sacks über das Tourette-Syndrom: „Jedes Verständnis eines solchen Syndroms wird unser Verständnis der allgemeinen menschlichen Natur ungeheuer vertiefen (…). Ich kenne kein anderes Syndrom, dass ähnlich interessant wäre (…)“. Von Professor Kirsten Müller-Vahl, die seit vielen Jahren an der Medizinischen Hochschule Hannover die größte Spezialsprechstunde für Tourette-Syndrom und chronische Tic-Störungen im deutschsprachigen Raum leitet, kann man mit Sicherheit sagen, dass sie weltweit zu den Personen gehört, die das größte Verständnis und Wissen über diese oft sehr bizarr anmutende Störung besitzen. 2010 veröffentlichte Müller-Vahl das erste umfassende deutsche Buch über das Tourette-Syndrom. Sie beschrieb die Komplexität der klinischen Präsentation des Syndroms mit all seinen Komorbiditäten, die zugrunde liegenden Pathomechanismen, die notwendige Diagnostik und die vielfältigen, interdisziplinären Behandlungsmöglichkeiten. 2014 folgte die zweite Auflage. Müller-Vahl erwähnt darin selbst in ihrem Vorwort, dass die Erforschung des Tourette-Syndroms seit einigen Jahren in Europa durch die intensiven Forschungskooperationen der European Society for the Study of Tourette Syndrome (ESSTS) einen Schub erfahren hat. Dem trägt auch dieses Buch Rechnung mit zusätzlichen 50 Seiten Umfang.

Was ist neu in der zweiten Auflage? Insbesondere die Kapitel Pathogenese und Genetik, aber auch Therapie nehmen deutlich mehr Raum ein. Müller-Vahl verbindet die Ergebnisse der zahlreichen neuen Studien in diesen Bereichen kenntnisreich mit dem bisherigen Wissensstand, der nunmehr wie bei anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen auch neben dem dopaminergen System den Einfluss weiterer Neurotransmitter berücksichtigt. In den Kapiteln Genetik und Pathogenese geht die Autorin ausführlich darauf ein. Ausführlicher gestaltet ist auch das Kapitel Therapie, insbesondere wird auf die deutlichen Fortschritte in der Verhaltenstherapie von Tic-Störungen eingegangen. Ohne sich hier in Details zu verlieren, beschreibt Müller-Vahl die psychotherapeutischen Interventionsmöglichkeiten praxisnah.

Wie schon die erste Auflage ist dieses Buch nicht nur für Neurologen und Psychiater geeignet, sondern für alle medizinischen Kollegen, Psychologen, Psychotherapeuten, Lehrer und Sozialarbeiter. Betroffene und ihre Angehörigen werden ebenfalls viele Informationen für sich als hilfreich empfinden. Immer noch vergehen in Europa mitunter Jahre vom ersten Auftreten der Tics bis zur Diagnose. Im Interesse der Patienten ist diesem Buch eine breite Leserschaft zu wünschen.