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Medizinische Gewalt M. Hedrich Bielefeld: [transcript] 2014, (ISBN 978-3-8376-2802-9), 34,99 €

Alle, die um den Artenschutz besorgt sind, werden aufatmen: Es gibt sie noch, jene inzwischen fast ausgestorbene Art der theoretischen Antipsychiater. 2014 wurde ein besonders markantes Exemplar an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln beobachtet. Wer sich jene Welt der 1960er- und 1970er-Jahre mit ihren antipsychiatrischen Schriften aus ideologischen Elfenbeintürmen noch einmal vor Augen führen will, sollte sich das Buch „Medizinische Gewalt“ von Markus Hedrich ausleihen. Zwar spricht der Titel verallgemeinernd von Medizin, jedoch werden Internisten und Allgemeinmediziner enttäuscht sein. Zielrichtung ist die Psychiatrie insgesamt und besonders alle Formen von Elektrotherapie. Diese stehen nach Interpretation des Autors in engem Zusammenhang mit der Hinrichtung durch den elektrischen Stuhl. Hier sind wir im Zentrum des klassischen antipsychiatrischen Gedankenguts angekommen: der „Elektroschock“ als Kristallisationspunkt psychiatriefeindlicher Überzeugungen. Aus der Zusammenfassung: „Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts erscheint die vermeintliche Elektrokonvulsionstherapie als ärztliche Maximalstrafe, die auch in deutschen Universitätskliniken und Landeskrankenhäusern appliziert wird, um die psychiatrischen Patienten zu disziplinieren.“

Laut Impressum ist das Buch „die aktualisierte Version jener Arbeit, die im September 2013 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen wurde.“ Angeblich ausgezeichnet mit der Note 1,0. Dass eine deutsche Universität einem solchen Machwerk ein akademisches Siegel verleiht, ist zutiefst beschämend. Einen medizinischen Gutachter hat es, soweit uns bekannt, nicht gegeben. Nach wissenschaftlichen Standards wäre ein solcher Gutachter angemessen gewesen — hätte aber die archetypische Ausformung antipsychiatrischen Gedankenguts mit großer Wahrscheinlichkeit verwässert. Umso deutlicher tritt zutage, wie tief das antipsychiatrische Stigma auch universitär verwurzelt ist.

Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) hat sich in acht Jahrzehnten durch kontinuierliche Innovationen aus der sogenannten Elektroschocktherapie zu einer modernen medizinischen Maßnahme entwickelt, die heute in Kurznarkose und Muskelrelaxierung bei schweren oder therapieresistenten depressiven und psychotischen Erkrankungen weltweit angewandt wird. Mit mehr als 12.000 wissenschaftlichen Publikationen und tausenden dankbarer Patienten ist sie immer noch die wirksamste antidepressive Therapie.