Fragestellung: Kann durch die Blockade des IL-2-Rezeptors mithilfe eines monoklonalen Antikörpers die Erkrankungsaktivität bei Patienten mit Multipler Sklerose (MS) wirksam reduziert werden (SELECT-Studie)?

Hintergrund: Das Zytokin Interleukin 2 (IL-2) spielt eine wichtige Rolle bei der Aktivierung und Regulierung des Immunsystems. Aus genetischen Studien ist außerdem bekannt, dass bei Individuen mit einer höheren Expression der alpha-Untereinheit des IL-2-Rezeptors auf T-Zellen das Risiko an einer Autoimmunerkrankung, insbesondere an MS zu erkranken, deutlich ansteigt. Daclizumab ist ein monoklonaler Antikörper gegen den IL-2-Rezeptor (CD25), der ursprünglich zur Behandlung von Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen entwickelt wurde. Dalizumab war außerdem der erste monoklonale Antikörper, der zugelassen wurde. In initialen Fallberichten konnte bei Patienten, die unter Interferon-beta-1b weiterhin Schübe aufwiesen, die Kombination mit Daclizumab eine signifikante Reduktion der Erkrankungsaktivität erreichen. Nach einer kleineren Phase-II-Studie (CHOICE) folgte nun eine größere Phase-IIb-Studie (SELECT).

Patienten und Methodik: In dieser dreiarmigen, randomisierten Doppelblindstudie wurden in insgesamt 76 Zentren Patienten mit einer schubförmigen MS entweder mit Daclizumab 150 mg (n = 208) oder 300 mg (n = 209) subkutan alle vier Wochen oder mit Placebo (n = 204) über einen Zeitraum von 52 Wochen behandelt. Primärer Endpunkt war die jährliche Schubrate. Sekundäre Endpunkte waren die Reduktion der Erkrankungsprogression sowie verschiedene MRT-Parameter.

Ergebnisse: Der primäre Endpunkt, die jährliche Schubrate, wurde mit Daclizumab 150 mg um 54% (0,21) und mit Daclizumab 300 mg um 50% (0,23) im Vergleich zu Placebo (0,46) signifikant reduziert (p < 0,0001). Das Risiko für eine über drei Monate anhaltende Behinderungsprogression sank nach einem Jahr unter Daclizumab 150 mg um 57% und unter Daclizumab 300 mg um 43% im Vergleich zu Placebo. Die Daclizumab-Gruppen wiesen ferner mit 81% und 80% signifikant mehr schubfreie Patienten auf. Neue Läsionen im MRT wurden mit Daclizumab ebenfalls signifikant im Vergleich zur Placebogruppe verringert. Schwere unerwünschte Wirkungen traten bei 9% der Patienten mit Daclizumab 300 mg, bei 7% mit Daclizumab 150 mg und bei 6% unter Placebo auf.

Schlussfolgerungen: Die SELECT-Studie bestätigt eindrücklich, dass Daclizumab in der Behandlung der MS hochwirksam ist und sowohl die Schubrate in beiden Dosierungen klar über 50% reduziert und auch die Erkrankungsprogression in der Größenordnung von etwa 50% vermindern kann. Die Nebenwirkungen sind vergleichsweise gering; durch die nur monatliche Injektionsfrequenz gibt es fast keine injektionsbedingten Nebenwirkungen.

Kommentar von Volker Limmroth, Köln

Eine neue Substanz mit vielversprechendem Potenzial

SELECT stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass mit Daclizumab die nächste Substanz zur Behandlung der schubförmigen MS in der Entwicklung ist, die sowohl eine hohe Wirksamkeit sowie gute Verträglichkeit besitzt. Auch wenn direkte Vergleiche von gut definierten Parametern, wie der jährlichen Schubrate, zwischen sonst unterschiedlichen Studien nur unter Vorbehalt erfolgen können, darf wohl davon ausgegangen werden, dass Daclizumab wirksamer als die herkömmlichen injizierbaren Immunmodulatoren ist. Die subkutane Gabe alle vier Wochen ist von der Handhabung ebenfalls sehr patientenfreundlich. Hautreaktionen wurden nicht berichtet. Pathophysiologisch ist interessant, dass neben der Blockade der IL-2-Rezeptoren nicht nur die Aktivierung der T-Lymphozyten reduziert wird, sondern offensichtlich auch der Anteil an immunregulatorischen natürlichen Killerzellen (CD56bright) deutlich ansteigt. Welcher Mechanismus nun entscheidend ist oder ob vielleicht sogar die Kombination der verschiedenen Effekte zur guten Wirkung beträgt bleibt vorerst Spekulation. Wie dem auch sei, von Daclizumab wird man in der MS-Therapie sicher noch viel hören beziehungsweise lesen.

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Prof. Dr. med. Volker Limmroth, Köln-Merheim