Fragestellung: Gibt es frühe klinische oder paraklinische Prädiktoren, die es erlauben den Langzeitverlauf der Multiplen Sklerose (MS) bei Patienten unter einer bestehenden Interferon-beta-1a-Therapie abzuschätzen?

Hintergrund: Beta-Interferone reduzieren die Schubrate der schubförmig verlaufenden MS um circa 30–40% und die Erkrankungsprogression je nach Studie und Präparat zwischen 30–38%. Bei einigen Patienten bleibt die Interferon-beta-Therapie aber auch ohne klinische Effekte, ohne dass bisher geklärt werden konnte, weshalb Beta-Interferone bei einigen Patienten nicht wirken. Wünschenswert wären daher Biomarker oder auch die Kombination aus klinischen Parametern und Biomarkern, die bereits in der Frühphase der Interferon-beta-Therapie eine Vorhersage erlauben, ob die Therapie wirken wird oder nicht beziehungsweise ob ein frühzeitiges Wechseln des Medikaments oder eine frühe Eskalation sinnvoll sind.

Patienten und Methoden: Die initiale Zulassungsstudie für Interferon-beta 1a i. m. ist als offene Beobachtungsstudie weiter geführt worden (ASSURANCE-Studie). Insgesamt nahmen 136 Patienten an dieser Beobachtungsstudie über den gesamten Zeitraum teil. Sie waren initial über zwei Jahre entweder mit Interferon-beta 1a i. m. (n = 69) oder mit Placebo (n = 67) behandelt worden. Nach den ersten zwei Jahren der Therapie war die Folgebehandlung nicht mehr festgelegt. Nach durchschnittlich 15 Jahren evaluierten sich die Patienten mithilfe eines EDSS-Fragebogens selbst. Die Ergebnisse der Selbsterhebung waren vorher mit den klinischen Untersuchungen von Neurologen abgeglichen worden, wobei eine hohe Übereinstimmung gefunden werden konnte. Die klinischen und kernspintomografischen Ergebnisse der ersten zwei Jahre wurden dann mit dem klinischen Status nach 15 Jahren korreliert.

Ergebnisse: Der Anteil an Patienten mit früher Erkrankungsaktivität war in der mit Interferon-beta 1a i. m. behandelten Gruppe insgesamt niedriger als in der Placebogruppe. In der Interferongruppe war eine frühe persistierende MRT-Aktivität (trotz Therapie) aber mit einer signifikanten Behinderungsprogression und mit einem hohen EDSS assoziiert. Ein besonders starker kernspintomografischer Marker war der Nachweis von Gadolinium aufnehmenden Herden (noch vor einer Zunahme der T2-Herde) trotz Interferon-Therapie. In der Placebogruppe war die MRT-Aktivität zwar auch prädiktiv für eine unvorteilhafte klinische Entwicklung, aber nicht im gleichen Ausmaß.

Schlussfolgerungen: Die Autoren schließen aus den Ergebnissen, dass eine kernspintomografisch dokumentierte Erkrankungsaktivität trotz bestehender Interferon-beta-Therapie prädiktiv für einen langfristig ungünstigen Verlauf beziehungsweise eine stärkere Erkrankungsprogression ist. Der Nachweis aktiver Gadolinium aufnehmender Herde ist dabei prädiktiver als die Zunahme von T2-Läsionen.

Kommentar von Volker Limmroth, Köln

Die Ergebnisse sind interessant, aber nicht überraschend

Zunächst darf festgestellt werden, dass die Durchführung der Studie verblüffend einfach war. Die Patienten der Avonex-Zulassungsstudie wurden nach 15 Jahren nochmals ausfindig gemacht und erhielten einen Fragebogen, auf dem sie ihre Symptome genau beschreiben sollten. Der Fragebogen war vorher mithilfe der Erhebung des Expanded Disability Status Scale (EDSS) durch einen Neurologen überprüft und validiert worden.

Die Ergebnisse der Arbeit sind interessant, aber nicht überraschend. Patienten, die unter der Interferon-beta-Therapie noch aktive Herde aufweisen, haben nach 15 Jahren einen wesentlich schlechteren klinischen Status als Patienten, die kernspintomografisch unauffällig waren. Der eigentliche Wert der Arbeit liegt damit eigentlich darin, das Kind beim Namen zu nennen: Patienten mit aktiven Herden unter einer Interferon-beta-Behandlung (ob mit oder ohne klinische Verschlechterung zum Zeitpunkt der Kernspintomografie) sollten rasch auf eine andere Therapie umgestellt beziehungsweise eskaliert werden, ohne dass lange auf eine klinische Verschlechterung gewartet werden sollte.

Die Schwäche der Arbeit ist dabei, dass der Zeitraum nicht genauer definiert wird, über den ein Beta-Interferon mindestens in der Behandlung Verwendung finden sollte, um sicher sein zu können, dass die therapeutischen Effekte wirklich ausgeschöpft wurden.

Dennoch bleibt die wichtige Botschaft für Patienten, die nach ein bis zwei Jahren der Interferon-beta-Therapie noch neue aktive Herde ausweisen: Sie sollten zügig eine andere Therapie erhalten. Die Studie passt damit gut in unsere derzeitige Diskussion, ob das Konzept der schrittweisen Eskalation im Anbetracht neuer, den Beta-Interferonen überlegener Medikamente, wirklich noch zeitgemäß ist.