Auch in der Medizin sollte man nicht übereilt handeln, da sich dies haftungsrechtlich negativ auswirken kann. Dies gilt vor allem für die Beurteilung der Indikationsfrage einer Behandlung. Denn wenn nicht einmal eine relative Indikation besteht, erweist sich ein dann dennoch vorgenommener Eingriff in der Regel als haftungsbegründend.

Ein Patient litt seit Anfang 2014 unter Prostatabeschwerden. Im August 2015 stellte er sich wegen erschwerten und schmerzhaften Blasenentleerungen und fieberhaftem Harnwegsinfekt bei druckschmerzhafter Prostata als Notfall in einer urologischen Klinik vor. Zunächst sollte er bei fehlendem Restharn nur antibiotisch behandelt werden, schon nach drei Tagen kam der Mann aber wieder und wurde mit der Verdachtsdiagnose Prostataentzündung aufgenommen. Am nächsten Tag wurde die Blase gespiegelt und ein Bauchdeckenkatheter angelegt, zudem unterzeichnete der Patient schon eine Aufklärung für eine operative Ausschälung der Prostata, die drei Tage später durch die Harnröhre folgte. Die mikroskopische Untersuchung des Gewebes ergab als Zufallsbefund ein wenig aggressives Prostatakarzinom sowie eine geringgradige chronische Entzündung.

Nach der Entlassung des Patienten kam es leider zu diversen Problemen: Eine akute Nachblutung und ein Harnverhalt zogen die Ausräumung einer Blasentamponade und Nachresektion von Prostatagewebe nach sich, es war eine Harnbelastungsinkontinenz 2. bis 3. Grades festzustellen und wegen einer hochgradigen Enge in der Prostataloge musste erneut operiert werden. Medikamentöse Therapieversuche führten nur zur vorübergehenden Besserung des Harndrangs, aber nicht zur Besserung der Harninkontinenz. Es schlossen sich noch drei Schlitzungen von Harnröhren- und/oder Blasenhalsengen an und es musste sogar Mundschleimhaut in die Harnröhre transplantiert werden, abermals mit einhergehenden Komplikationen. Erst die Implantation eines künstlichen Schließmuskels ermöglichte dem Patienten schlussendlich eine wieder restharnfreie Entleerung.

So sah das Gericht den Fall

Das Landgericht (LG) Detmold gab dessen Klage überwiegend statt (Urt. v. 6.5.2021, Az. 4 O 59/19), da die OP an der gerade akut entzündeten Prostata laut zugezogenem Sachverständigen nicht lege artis war. Eine absolute Indikation zur Ausschälungs-OP war nicht gegeben; dies wäre nur bei einem Abszess der Fall gewesen, was gemäß Computertomografie und Ultraschall aber nicht so war. Selbst eine relative Indikation lag nach der Begutachtung nicht vor, da die Harnblase anfangs noch restharnfrei entleert werden konnte und zudem der Bauchdeckenkatheter zur Entleerung hätte genutzt werden können.

Der urologische Gutachter wertete die OP während einer akuten Prostatitis letztlich als grob fehlerhaft, wobei er diese auch von einer chronischen Prostatitis abgrenzte: So bestanden schon initial klinische Anzeichen eines akuten Geschehens in Gestalt von Fieber, Schüttelfrost und druckschmerzhafter Prostata. Der sich damit ergebende Verdacht auf eine akute Prostatitis habe sich auch fortgesetzt. Zwar schien es korrekt, die Entzündung antibiotisch anzubehandeln, jedoch hätte die Therapie mehrere Wochen fortgesetzt werden müssen, um wirksam zu sein. Sie konnte zum Zeitpunkt des Eingriffs noch nicht als abgeschlossen gelten. Vor einer OP hätte mithin erst eine Abheilung oder zumindest weitere Entwicklung der akuten Prostatitis abgewartet werden müssen; erst dann hätte die Situation neu bewertet werden können. Auf jeden Fall hätte man die OP laut Gutachten erst im Intervall planen dürfen - zumal der sofortige Eingriff höhere Komplikationsrisiken barg.

Was bedeutet das Urteil für den klinischen Alltag?

Der Leitsatz des Urteils fiel in medizinischer Hinsicht deutlich aus. Demnach entspricht es nicht den Regeln ärztlicher Kunst, eine transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P) vorzunehmen, während eine akute Prostatitis besteht.

Rechtlich wäre zu ergänzen, dass allgemein rechtswidrig ist, trotzdem zu behandeln, wenn in der gegebenen Konstellation nicht einmal von einer relativen Indikation ausgegangen werden kann. Dies kann in der Regel auch nicht durch eine gegebenenfalls dennoch eingeholte Einwilligung gerechtfertigt werden.

In kontraindizierte Maßnahmen kann nämlich in der Regel nicht wirksam eingewilligt werden. Allenfalls in sehr eng ausgelegten Ausnahmefällen im Bereich von Außenseiter- beziehungsweise Neulandmethoden wird mitunter anderes diskutiert - dies aber auch wiederum nur, solange hierbei nicht die Grenzen der Sittenwidrigkeit einer Behandlung überschritten werden.