Wie bei der früheren Residenzpflicht ist die 30-Minuten-Grenze ein "geeignetes Kriterium zur Bestimmung der räumlichen Nähe", hat das Bundessozialgericht entschieden. Engeren Grenzen für Ärzte erteilte der Vertragsarztsenat eine Absage.

figure 1

© Kniel Synnatzschke / Westend61 / picture alliance

Wie weit die Anfahrt zu ausgelagerten Praxisräumlichkeiten ist, ist genau festgelegt.

Ärzte müssen ausgelagerte Praxisräume innerhalb von 30 Minuten erreichen können. Engeren Grenzen erteilte der Vertragsarztsenat des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel in seiner jüngsten Sitzung eine Absage. Wie bei der früheren Residenzpflicht sei die 30-Minuten-Grenze auch hier ein "geeignetes Kriterium zur Bestimmung der räumlichen Nähe". Dabei dürften die ausgelagerten Räume aber nicht zum faktischen Hauptsitz werden und bezogen auf das Spektrum der Praxis dürften dort nur "spezielle Leistungen" erbracht werden.

Im Streitfall geht es um ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), das zytologische Laborleistungen für niedergelassene Gynäkologen erbringt. Neun Kilometer entfernt will es rund 1.000 Quadratmeter Büro- und Laborfläche anmieten. Am bisherigen Standort seien die Kapazitäten erschöpft. Die Fahrzeit zur Praxis beträgt 17 bis 19 Minuten.

In der Vorinstanz hatte das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen darauf verwiesen, dass ausgelagerte Praxisräume nur im "räumlichen Nahbereich" zulässig sind. Dies sei bei neun Kilometern und einer Fahrzeit von je nach Verkehrslage rund 19 Minuten nicht mehr erfüllt. Die früheren Grundsätze für die inzwischen abgeschaffte Residenzpflicht, wonach für Ärzte ihre Praxis innerhalb von 30 Minuten erreichbar sein musste, seien hier nicht anwendbar.

Organisatorische Einheit vom Tisch

Dem widersprach nun das BSG. "Der Senat sieht die zeitliche Erreichbarkeit innerhalb von maximal 30 Minuten generell als geeignetes Kriterium zur Bestimmung der räumlichen Nähe an", erklärten die Kasseler Richter. Dies stelle sicher, dass Ärzte in angemessener Zeit vor Ort sein können und trage zudem den unterschiedlichen Anforderungen ländlicher wie städtischer Regionen hinreichend Rechnung.

An der früher vertretenen Ansicht, dass Hauptsitz und ausgelagerte Räume der Praxis "in den Augen des Publikums" eine organisatorischen Einheit bilden müssen, hielt der BSG-Vertragsarztsenat nicht fest. Diese Rechtsprechung sei zu "überholten berufsrechtlichen Vorgängerregelung" ergangen. Durch die Digitalisierung seien enge Organisationsstrukturen auch über größere Entfernungen hin möglich geworden.

Weil in Streitfall die 30-Minuten-Grenze eingehalten ist, konnte das BSG offenlassen, ob bei reinen Laborpraxen ohne Arzt-Patienten-Kontakt nicht sowieso auch weitere Entfernungen zulässig sein können.

Weiterhin gilt nach dem Kasseler Urteil aber, dass in ausgelagerten Praxisstätten nur spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen erbracht werden dürfen und - anders als in Zweigpraxen - nicht das gesamte Spektrum. Dabei beziehe sich der Begriff der "speziellen Leistungen" nicht auf die jeweilige Arztgruppe, sondern auf das Leistungsspektrum der betreffenden Praxis oder des MVZ. Daher könne auch ein Arzt, der im Vergleich zur Fachgruppe insgesamt überwiegend spezielle Leistungen erbringt, in ausgelagerten Räumen nicht im Wesentlichen die gleichen Leistungen wie am Hauptsitz anbieten.

Zudem müsse der Hauptsitz auch der Hauptort der Praxistätigkeit bleiben, urteilte das BSG. Wegen der Größe der angemieteten Räume soll im Streitfall auch dies das LSG Essen noch prüfen.