Ein Teil der Menschen, die an COVID-19 erkranken, leidet an Langzeitfolgen der Infektion. Zu Prävalenz, Ausmaß und Ausprägung dieser Langzeitfolgen liegen inzwischen auch Befunde bei Krebserkrankten vor. Ein kurze Übersicht über den aktuellen Kenntnisstand.

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Langzeitfolgen einer überstandenen COVID-19-Erkrankung können unter Umständen eine Rehabilitation erforderlich machen. Welche Maßnahmen dafür infrage kommen, ist im Beitrag "Rehabilitation bei Post-COVID-19-Patienten - individuell und zielgerichtet" ab Seite 44 in diesem Heft beschrieben. Sie finden den Beitrag auch online unter https://doi.org/10.1007/s15004-022-9030-6

Kurze Zeit nach den ersten Berichten über die klinischen Verläufe infolge einer Infektion SARS-CoV-2 ("severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2") folgten die ersten multizentrischen Auswertungen zum Krankheitsverlauf unter chinesischen Krebspatient*innen [Liang W et al. Lancet Oncol. 2020;21(3):335-7). Klinische Verlaufsbeobachtungen belegten die höhere Komplikationsrate vor allem bei Personen mit Lungenkarzinomen, gastrointestinalen Malignomen, Mammakarzinom und malignen hämatologischen Erkrankungen [Dai M et al. Cancer Discov. 2020; 10(6):783-91; Mehta V et al. Cancer Discov. 2020; 10(7):935-41) und bei denjenigen mit fortgeschrittenem Tumorleiden [Zhang L et al. Ann Oncol. 2020;31(7):894-901]. Erklärt wurde dies durch die ausgeprägte Immunsuppression aufgrund der größeren Tumorlast, der intensiveren Systemtherapien, des Einsatzes von Immuntherapien und der häufigen Kontakte in Kliniken, in denen auch Menschen mit schweren COVID-19-Verläufen behandelt wurden [Dai M et al. Cancer Discov. 2020;10(6):783-91]. Dies sollte zudem die häufig schweren Infektionsverläufe und die vergleichsweise hohe Mortalität, die um das bis zu Dreifache gegenüber der Vergleichspopulation erhöht war, erklären [Mehta V et al. Cancer Discov. 2020;10(7):935-41; Kuderer NM et al. Lancet. 2020; 395(10241):1907-18]. Nachteil all dieser Studien über potenzielle Risikofaktoren und auch der Berichte über klinische Interventionen ist die geringe Fallzahl, der zumeist retrospektive Charakter und die Heterogenität der eingesetzten onkologischen Therapien und Tumorstadien [Liu C et al. Cancer Biol Med. 2020; 17(3):519-27], sodass gesicherte Kenntnisse zur optimalen akuten COVID-19-Therapie bei Krebskranken bislang nicht vorliegen. Offensichtlich ist nur, dass erforderliche kurative Krebstherapien nicht ausgesetzt, eine rechtzeitige Isolation von potenziellen COVID-19-Patient*innen umgesetzt und supportive Maßnahmen bei Infektionszeichen eingeleitet werden sollen [Al-Quteimat OM et al. Am J Clin Oncol. 2020;43(6):452-5].

Langzeitfolgen nach COVID-Infektion

Schon kurze Zeit nach diesen Publikationen erfolgten Beschreibungen über chronifizierte Verläufe in Folge von COVID-19 mit einer enormen Bandbreite an Symptomen (allem voran Fatigue; pulmonale, kardiovaskuläre und neurologische Symptome), wobei die Angabe zur Häufigkeit in den Publikationen enorm variierte (10-90 %), vermutlich abhängig von der Intensität und Genauigkeit der Beobachtungen und Untersuchungen sowie der Definition des Syndroms [Marshall M. Nature. 2020;585(7825):339-41; Dagher H et al. Open Forum Infect Dis. 2021;8(Suppl_1):S256-7].

Zur Beschreibung der Langzeitfolgen wurden unterschiedliche Begriffe wie "Long-COVID", "Post-COVID-Syndrom" oder Post-COVID-19-Erkrankung (Begriff der WHO [Weltgesundheitsorganisation]) vorgeschlagen, wobei sich auch die jeweils zugrunde liegenden Definitionen unterscheiden (vgl. Robert-Koch-Institut 2022 [https://go.sn.pub/RKI_LongCOVID]). Für Details zu diesen (vorläufigen) Definitionen und Begrifflichkeiten siehe den Beitrag "Rehabilitation bei Post-COVID-19-Patienten - individuell und zielgerichtet" (ab Seite 44 in diesem Heft oder online unter: https://doi.org/10.1007/s15004-022-9030-6).

Das Muster erinnert in manchen Zügen an chronische Erschöpfungszustände von Krebspatient*innen nach überstandener intensiver Tumortherapie. Im Rahmen einer vergleichenden Studie scheint der Schweregrad der COVID-19-Langzeitfolgen und dessen Häufigkeit die Folgeerscheinungen der Tumortherapie jedoch deutlich zu übertreffen [Kuehn BM. JAMA. 2021;326(8):692]

Aktuelle Daten zu COVID-19-Langzeitfolgen und Krebs

Nun liegen die ersten großen Studien vom Imperial College London, Großbritannien, (OnCovid-trial) und dem MD Anderson Cancer Center (MDACC) in Houston, TX/USA, vor, in denen sich die Forschenden mit den COVID-19-Langzeitfolgen unter Tumorpatient*innen befasst haben. Deren Ergebnisse wurden auf der Jahrestagung der European Society for Medical Oncology (ESMO) 2021 sowie im Rahmen einer Onlinekonferenz der Infectious Diseases Society of America (IDSA) vorgestellt. 60 % der 312 Tumorpatient*innen aus der MDACC-Kohorte berichteten über die späten Symptome der COVID-19-Erkrankung, noch bis zu 14 Monate nach erfolgreich abgeschlossener Tumortherapie [Dagher H et al. Open Forum Infect Dis. 2021;8(Suppl_1):S256-7]. Im Vordergrund standen in dieser Gruppe Erschöpfungszustände (82 %), Schlafstörungen (78 %), Myalgien (67 %) und gastrointestinale Symptome (61 %). Frauen gaben diese Beschwerden signifikant häufiger an als Männer (63 vs. 37 %; p = 0,036). In der Londoner Kohorte wurden 1.557 Patient*innen im Verlauf beobachtet, von denen 15 % COVID-19-Langzeitfolgen aufwiesen, davon 50 % mit Atembeschwerden und 41 % mit Fatigue. In dieser Gruppe waren Raucher jenseits des 65. Lebensjahres mit relevanten Begleiterkrankungen besonders häufig betroffen. Bei 13 % der Patient*innen musste die Tumortherapie wegen der COVID-19-Langzeitfolgen vorzeitig beendet und bei weiteren 15,8 % die Systemtherapie in der Form und Dosierung angepasst werden [Cortellini A et al. Ann Oncol. 2021;32(S5):S1130].

Diese Daten belegen die Bedeutung von COVID-19-Langzeitfolgen für unsere Tumorpatient*innen und deren Therapie. Für eine optimale Führung unter der onkologischen Therapie sind die Folgeerscheinungen einer zuvor oder zeitgleich mit der Diagnose der Krebserkrankung einhergehenden SARS-CoV-2-Infektion zu beachten. Im Idealfall können die Beschwerden durch eine koordinierte Rehabilitation verringert werden, sodass eine optimale Tumortherapie möglich ist.

Kann Reha helfen?

Aufgrund der Ähnlichkeit der chronischen Folgen der COVID-19-Infektion und jenen unter onkologischen Therapien erscheint sogar vorstellbar, dass durch die COVID-Rehabilitation auch die Folgeerscheinungen der Tumortherapie wirksam verringert werden können. Im Artikel "Rehabilitation bei Post-COVID-19-Patienten - individuell und zielgerichtet" stellt das Team um Daniela Leitl diese rehabilitativen Maßnahmen für Patient*innen mit COVID-19-Langzeitfolgen im Detail und mit kritischer Bewertung vor [Leitl D et al. InFo Hämatol. 2022;25(5):44-53]. Sie finden den Beitrag in diesem Heft auf Seite 44 oder online (unter https://doi.org/10.1007/s15004-022-9030-6).