Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist übergewichtig oder adipös. Das bedeutet nicht nur kardiovaskulär eine erhebliche Gefahr; auch für onkologische Erkrankungen lassen überschüssige Kilos das Risiko steigen.

figure 1

© engel.ac / stock.adobe.com

Zum 14. Mal trafen sich Krebsmedizinier zum Jahreskongress des Münchener Tumorzentrums

Adipositas und Tumorgenese: Gibt es Zusammenhänge? Das ist die Frage, der sich Marc Martignoni von der Chirurgischen Klinik des Klinikums rechts der Isar der TU München zu stellen hatte. Zweifel lässt er gar nicht erst aufkommen. "Das kann man leicht beantworten", sagt er gleich zu Beginn seiner Ausführungen: "Ja, es gibt sie." Zu unterscheiden ist demnach zwischen Karzinomen, die mit einer gesteigerten Prävalenz unter übergewichtigen und adipösen Personen assoziiert sind, und solchen, bei denen es keine Belege dafür gibt. Martignoni verweist auf das Continuous Update Project des World Cancer Research Fund, das in einer Metaanalyse dem Risiko für verschiedene Tumoren nachgegangen ist. In die Kategorie erhöhtes Risiko fallen demnach Adenokarzinome des Ösophagus, Pankreaskarzinome, Leber-, Kolorektal-, Endometrium-, Nieren- und postmenopausaler Brustkrebs. Die Abschätzungen des erhöhten Risikos je Anstieg des Body-Mass-Index um 5 kg/m2 Körperoberfläche (KOF) liegen dabei zwischen 5 % (Kolorektalkarzinome) und 48 % bzw. 50 % (Ösophagus- bzw. Endometriumkarzinom).

Möglicherweise erhöht ist das Risiko für Karzinome im Hals-Nasen-Ohren-Bereich (Mund, Pharynx, Larynx) sowie für Magen-, Gallenblasen-, Ovarial- und Prostatakrebs. Sichere Aussagen zum Risiko fürs Zervixkarzinom lässt die Datenlage derzeit nicht zu. Was das prämenopausale Mammakarzinom betrifft, ist sogar ein erniedrigtes Risiko nicht auszuschließen.

Auch mit Blick auf die Ursachen sind Unterscheidungen zu treffen. Zum einen sind es lokale anatomische Veränderungen, die zum Krebs führen können, wie dies beim Adenokarzinom des Ösophagus der Fall ist. Gastroösophagealer Reflux kann eine metaplastische Umwandlung der Schleimhaut in der Speiseröhre auslösen und einen Barrett-Ösophagus bedingen, der als Präkanzerose anzusehen ist. Intraabdominal erhöhte Fettmasse begünstigt diese Entwicklung.

Eine wichtige systemische Ursache für die Entstehung von bösartigen Tumoren ist die Insulinresistenz. Sie nimmt mit dem Grad der Adipositas zu. Hauptgrund für die Resistenz sind erhöhte freie Fettsäuren, die von Adipozyten gebildet werden. Aber auch Metaboliten der adipositasbedingten systemischen Entzündung wie IL-6 oder TNF-α leisten einen Beitrag zur reduzierten Insulinsensitivität. Der in der Folge erhöhte Insulinspiegel stimuliert das Zellwachstum und hemmt die Apoptose, beides zusammen fördert die Karzinogenese.

Weitere systemische Faktoren, die zur Krebsentstehung bei Adipositas beitragen, sind laut Martignoni ein erniedrigter Adiponektinspiegel (Schwächung der Insulinwirkung) und eine Dysregulation onkogener Adipokine, etwa eine erhöhte Bildung von Leptin.

Möglich ist auch, dass ein verändertes Mikrobiom adipöser Patienten krebsfördernd wirkt. Erhöhte Fettaufnahme und verminderte Ballaststoffe in der Nahrung können eine Dysbiose bewirken. Übergewicht selbst kann eine Überexpression bestimmter Bakterienspezies anstoßen, die karzinogene Metaboliten produzieren. Zudem scheint Adipositas ungünstig auf das Tumormikromilieu zu wirken. Das führt dazu, dass CD8-T-Zellen vermindert ins Tumorbett infiltrieren, die Tumorbekämpfung geschwächt und das Tumorwachstum gestärkt wird.

Sollen also Tumorpatienten abnehmen, wenn sie adipös sind? "Eine Gewichtsreduktion ist nur dann sinnvoll, wenn sich der Patient außerhalb eines Therapieintervalls befindet", meint Martignoni. Anzustreben sei ein Gewicht im Normbereich. Bei abgemagerten oder kachektischen Patienten sei eine Gewichtszunahme anzustreben oder das Gewicht zu halten, auf keinen Fall dürfe Gewicht verlorengehen. "Krebspatienten, die mit Übergewicht kommen, verlieren ja ganz häufig Gewicht", so Martignoni weiter. Hier müsse man höllisch darauf achten, dass der Normbereich nicht unterschritten werde: "Das wäre fatal für diese Patienten."

Bericht vom TZM-Essentials 2022, dem 14. Jahreskongress des Tumorzentrums München, 11. Februar 2022