Die dräuende Klimakatastrophe hat schon jetzt weitreichende medizinische Folgen, wie eine aktuelle Übersichtsarbeit nahelegt. Aber betrifft das auch die Onkologie?

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Eine Klimakatastrophe hätte tatsächlich auch konkrete Folgen für die Onkologie, wie Ergebnisse verschiedener Reviews nahelegen.

Extremere Wetterlagen bringen als Folge des menschengemachten Klimawandels (MKW) mehr medizinische Probleme mit sich. Das betrifft nicht nur Offensichtliches wie etwa Todesfälle, die auf Hitze, Stürme oder Überflutungen zurückzuführen sind. Manche Folgen werden subtiler daherkommen, etwa in Form von hitzebedingten Ernteausfällen, die die Versorgung mit (gesunden) Lebensmitteln gefährden. Und einige dieser Folgen lassen sich sogar jetzt schon erkennen. Zu diesem Schluss kommt zumindest ein Team um Marina Romanello von der Initiative "The Lancet Countdown", das gerade frisch einen neuen Report zum Thema publiziert hat [Romanello M et al. Lancet. 2021; https://doi.org/g3hb]. Seit 2015 veröffentlichen Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen und Nationen diese Reportreihe. Ziel der Initiative ist es, "die Verbindungen von öffentlicher Gesundheit und Klimawandel nachzuverfolgen". Neben dem prestigeträchtigen Fachjournal "Lancet" sind u. a. auch Universitäten und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Teil des Projektes.

Für das aktuelle Review haben Romanello und Mitarbeitende satte 44 (im weiteren Sinne) gesundheitsbezogene Indikatoren herangezogen. Dabei handelt es sich um einen ziemlich breiten Mix. Dieser umfasst Anzeichen auf mögliche Gefahren für die öffentliche Gesundheit (Ausmaß der Hitzeexposition vulnerabler Gruppen; Dürren etc.) einerseits, aber auch Hinweise auf Maßnahmen zur Abmilderung von Klimafolgen (Anteil von Grünflächen im urbanen Raum; nationale Gesundheitspläne) andererseits.

Zu den "härteren" gesundheitsbezogenen Indikatoren gehören etwa "klimasensible Infektionskrankheiten". Darunter versteht Romanellos Team zum Beispiel Malaria oder Denguefieber, die durch Stechmücken übertragen werden, oder auch Erkrankungen, die von bestimmten Salzwasserbakterien (sog. Vibrionen) ausgelöst werden können (z. B. Cholera). Für alle klimasensiblen Erreger beobachte man, dass sich Umweltbedingungen zugunsten der Pathogene veränderten. Etwa habe in den nördlichen Breitengraden der Anteil an Küstenflächen, die eine Übertragung mit Nicht-Cholera-Vibrionen erlauben, im Vergleich zu den 1980er-Jahren um 56 % zugenommen. Auch das Transmissionsrisiko für Denguefieber oder Zika steige, da die basalen Reproduktionsraten der hauptsächlich übertragenden Stechmückenarten Aedes aegypti und Aedes albopictus im Vergleich zu den 1950er-Jahren um 7-13 % gewachsen seien.

Überhaupt sehen Romanello und ihr Team ungünstige Entwicklungen auch bei zahlreichen anderen Indikatoren, weswegen sie ihren Sachstandsbericht mit "code red for a healthy future" überschrieben haben.

Klimawandel trifft Onkologie zweifach

In dem aktuellen Report spielt Krebs nahezu keine Rolle. Und zugegebenermaßen erscheint die Verbindung von Krebs und Klima auf den ersten Blick als nicht besonders stark. Dass aber auch die Onkologie Folgen des MKW zu spüren bekommen wird, ist relativ wahrscheinlich, wie zuletzt zum Beispiel Robert A Hiatt, und Naomi Beyeler von der University of California, San Francisco, CA/USA, in einem Review dargestellt haben [Hiatt RA, Beyeler N. Lancet Oncol. 2020;21(11):e519-e527]. Die beiden Forschenden sehen letztlich zwei Hauptwege, über die der MKW die Onkologie trifft (Tab. 1):

T1 Konnex von Klima und Krebs. Ausgewählte Faktoren, wie der menschengemachte Klimawandel die Onkologie beeinflussen könnte (nach [Hiatt RA, Beyeler N. Lancet Oncol. 2020;21(11):e519-e527]).
  1. 1.

    Steigende Krebsinzidenzen durch Zunahme onkogener Faktoren

  2. 2.

    Störungen und Gefährdungen der Versorgung von Krebserkrankten

Zum ersten Punkt zählen zum Beispiel Luftverschmutzungen (industriell verursacht, aber auch durch Waldbrände), UV-Strahlenexposition, abnehmende Ernährungsqualität (reduzierter Anteil an "protektiven" Bestandteilen wie Gemüse, Obst etc.; Zunahme von kanzerogenen Aflatoxinen etc.) oder auch hitzebedingter Bewegungsmangel.

Unter Punkt zwei fallen etwa Auswirkungen, wie wir sie teilweise in der COVID-19-Pandemie erlebt haben: Wenn Ressourcen aufgrund von unmittelbareren MKW-Folgen (Hitzeerkrankungen, Infektionen, Hunger etc.) umverteilt werden müssten, ginge das mit großer Wahrscheinlichkeit zulasten von Krebsprävention, -screenings, -diagnostik und -therapien. Auch gesellschaftliche und ökonomische Unsicherheiten, die in der Flanke des MKW auftreten, bergen das Risiko, die Versorgung von Krebskranken zu kompromittieren.

Anders als der aktuelle Report von Romanello und Mitarbeitenden, der letztlich ein Bild des Ist-Zustands liefert, sind Hiatts und Beyelers Überlegungen zum Konnex von Klima und Krebs noch etwas spekulativer. Das reflektiert allerdings keineswegs einen geringeren wissenschaftlichen Rigor. Zum einen beziehen sich auch Hiatt und Beyeler auf die derzeitig verfügbare empirische Datenlage. Und: Wie gründlich sich die beiden mit dem Thema auseinandergesetzt haben, mag man auch daran ablesen, dass sie etwaige (vereinzelte) positive Auswirkungen des MKW mitdiskutieren (etwa eine höhere, ggf. krebspräventive Vitamin-D-Versorgung in einigen Regionen der Welt, weil mehr Menschen sich wegen "besseren" Wetters draußen aufhalten).

Klima schützen, Krebs vorbeugen?

Vieles spricht dafür, dass der MKW die onkologische Versorgung und eventuell auch das globale Krebsrisiko negativ beeinflussen könnte. Aus dieser Annahme folgt letztlich, dass ein suffizienter Klimaschutz auch der Onkologie bzw. der öffentlichen Gesundheit zugute käme. Einige dafür notwendige Anpassungen könnten sogar einen zusätzlichen krebspräventiven Benefit bieten - etwa durch die Reduzierung von kanzerogenen Emissionen oder die Ausweitung einer stärker pflanzenbasierten Kost [Nogueira LM et al. CA Cancer J Clin. 2020;70(4):239-44].