Immer wieder wird über kulturelle Unterschiede diskutiert, die für die Behandlung von Krebspatienten mit Migrationsbiografie relevant seien. Aber wie sieht es eigentlich mit "harten" klinischen Besonderheiten aus?

Ein solcher Aspekt seien zum Beispiel besondere Komorbiditäten, die weltweit in unterschiedlicher Frequenz aufträten, erklärte Wolfgang Knauf, Vorsitzender des Berufsverbandes der niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO) auf dem Deutschen Krebskongress 2020. Das beträfe nicht nur Infektionserkrankungen wie AIDS oder Tuberkulose, sondern etwa auch Hämoglobinopathien wie Thalassämie oder Sichelzellanämie. Zum Beispiel lägen die Inzidenzraten dieser hämatologischen Erkrankungen in afrikanischen Ländern sehr viel höher als in Europa, so Knauf. Das bedeute, dass Krebspatienten mit entsprechendem Migrationshintergrund unter Umständen ein a priori höheres Anämierisiko trügen. Das könne bei einer notwendigen Chemotherapie bedeutsam werden, warnte Knauf: "Wenn dann der Hämoglobinwert der Betroffenen aufgrund der Chemotherapie in Verbindung mit sogenannter Tumoranämie abfällt von 9 oder 10 auf 6,5 oder noch tiefer, dann ist das etwas anderes, als wenn jemand mit der gleichen Tumorerkrankung und der gleichen Polychemotherapie und dem gleichen Ausmaß an Tumoranämie von einem Ausgangswert von 14 runter geht auf 11". Es könne also sein, dass man sich ggf. mit Komorbiditäten beschäftigen müsse, die so vor 20-30 Jahren noch nicht relevant gewesen seien, gab Knauf zu bedenken.

Knauf griff in seinem Vortrag primär auf Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück, aber auch auf Erfahrungen aus der eigenen Niederlassung in Frankfurt. Im Hinblick auf den Begriff "Migrationshintergrund" bezog sich Knauf auf eine Definition, wie sie auch das statistische Bundesamt anwendet: "Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt" [https://tinyurl.com/Destatis-Migra].

Forschungsprojekt zum Thema

Knauf verwies zudem auf das im Schnitt jüngere Alter von Patienten mit Migrationsbiografie. Zudem bestünde bei Krebspatienten mit Migrationshintergrund eine besondere Chance, dass diese von psychoonkologischen Unterstützungen profitieren könnten. Der Bedarf und die Nutzung von entsprechenden Angeboten soll daher auch im Rahmen eines großen Forschungsprojektes erhoben werden, das das Wissenschaftliche Institut der niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (WINHO) zusammen mit der Universitätsmedizin Mainz durchführt. Mehr Informationen zu diesem Projekt: https://winho.de/de/projekte/psychoonkologische-versorgung-von-patienten-mit-migrationshintergrund.html

Bericht vom 34. Deutschen Krebskongress (DKK) 2020 vom 19. bis zum 22. Februar 2020 in Berlin