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Prof. Dr. med. Dr. rer. nat Sonja Loges II. Medizinische Klinik und Poliklinik (Onkologie, Hämatologie mit Knochenmarktransplantation mit Abteilung Pneumologie), Hubertus Wald Tumorzentrum, Institut für Tumorbiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf s.loges@uke.de

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Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer II. Medizinische Klinik und Poliklinik (Onkologie, Hämatologie mit Knochenmarktransplantation mit Abteilung Pneumologie), Hubertus Wald Tumorzentrum, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf c.bokemeyer@uke.de

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Die personalisierte medikamentöse Krebstherapie hat das Ziel, auf molekulare — meist genomische — Informationen abgestimmte, zielgerichete Therapieverfahren einzusetzen. Dieser Ansatz verspricht durch seine Spezifität eine höhere Effektivität bei weniger Toxizität, beispielsweise im Vergleich zur Chemotherapie. Bei manchen Tumorarten — etwa beim nichtkleinzelligen Adenokarzinom der Lunge oder beim Melanom — kann ein Teil der Patienten heute mit zugelassenen zielgerichteten Substanzen über mehrere Jahre bei guter Lebensqualität behandelt werden.

Die breitere Testung auf bekannte molekulare Aberrationen in Kollektiven von vorbehandelten Patienten stellt die Therapeuten im klinischen Alltag aber auch vor neue Herausforderungen; etwa, wenn eine potenziell therapierbare Veränderung gefunden wird, für die es zwar ein entsprechendes Medikament gibt, das aber für diese Tumorart bislang nicht zugelassen ist. Hier — und auch teilweise bei den zugelassenen Indikationen — wird das onkologische Paradigma, dass Patienten basierend auf großen randomisierten Therapiestudien behandelt werden, aufgrund der relativen Seltenheit der einzelnen genetischen Mutationen zunehmend infrage gestellt. Paradoxerweise sind die zielgerichteten Therapien viel spezifischer als Chemotherapeutika, aber die klinische Evidenz für die Anwendung ist bezüglich der Fallzahl oft deutlich eingeschränkt. So werden Substanzen teilweise aufgrund von Phase-I/II-Studien zugelassen und Patienten off-label basierend auf Kasuistiken als Evidenz behandelt. In diesem Spannungsfeld ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von u.?a. Molekulargenetikern und klinisch erfahrenen Onkologen notwendig, um Patienten verantwortungsvoll beraten zu können. Um dieses Wissen möglichst vielen Patienten zugänglich zu machen, sind starke lokale, nationale und internationale Netzwerkstrukturen notwendig.

Hype und Realität

Mit den immer geringer werdenden Kosten und steigender Effizienz von Hochdurchsatzverfahren ist die Sequenzierung bei breiten Patientenkollektiven in der klinischen Anwendung angekommen. Diese Ära der genomischen Medizin hat große Euphorie ausgelöst. Während 2006 nur 0,5 % der Krebspatienten mit für spezifische Mutationen zugelassenen Substanzen behandelt werden konnten, zeigen neue Daten, dass es heute bereits 5 % der Patienten sind [Marquart J et al. JAMA Oncol. 2018; https://doi.org/10.1001/jamaoncol.2018.1660].

Nach einer Untersuchung vom MD Anderson Cancer Center in Houston, TX/USA, können circa 25–30 % der Krebspatienten mit einer zielgerichteten Therapie im Rahmen von Phase-I-Studien außerhalb der zugelassenen Indikationen behandelt werden und haben im nicht randomisierten Vergleich damit eine bessere Prognose als Patienten, die nicht molekular zielgerichtet behandelt wurden [Wheler JJ et al. Cancer Res. 2016; 76(13): 3690-701]. Es liegt auf der Hand, dass solche Ergebnisse aufgrund vieler möglicher Selektionsbias mit großer Vorsicht zu betrachten sind.

Es gibt aber auch negative Studienergebnisse. So zeigte sich z. B. in der SHIVA-Studie, dass es nicht immer erfolgreich ist, Patienten mit Mutationen in Signalwegen, für die es zugelassenen Inhibitoren gibt, entitätenübergreifend zu behandeln. Hier ergab sich nämlich kein Unterschied zwischen der Behandlung mit Chemotherapie und zielgerichteter Therapie [Le Tourneau C et al. Lancet Oncol. 2015;16(13):1324-34]. Für diese Studie ist anzumerken, dass viele der therapierten Mutationen keine „Driver-Mutationen“ (Treibermutationen) waren; Treibermutationen sind solche, die Signalwege aktivieren, von deren Aktivierung der Tumor biologisch abhängt. Für die Behandlung unserer Patienten ist es sicher von entscheidender Bedeutung, zwischen den „Driver-Mutationen“ und sogenannten „Passenger-Mutationen“ zu differenzieren: „Passenger-Mutationen“ sind nämlich solche, die keine oder nur geringfügige biologische Konsequenzen haben; Patienten, deren Tumoren ausschließlich „Passenger-Mutationen“ aufweisen, sollten deshalb in der Regel nicht mit molekular-zielgerichteten Substanzen behandelt werden.

Die Identifizierung von Treibermutationen — wie und was sequenzieren?

Die Sequenzierung von Tumorproben erfolgt mittels „next generation sequencing“ (NGS). Hierbei ist das Sequenzieren von Hot-Spot-Mutationen in einzelnen Genen, die sogenannte Panelsequenzierung, bereits in relativ breiter Anwendung. Zusätzlich rückt die Exom- und Genomsequenzierung von Tumorproben breiter Patientenkollektive in greifbare Nähe. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass die Komplexität der Daten und die Anforderungen an die (bioinformatische) Datenanalyse von der Panelsequenzierung zur Genomsequenzierung stark zunehmen. Hier sind erhebliche Ressourcen und Expertise notwendig, um beispielsweise echte Mutationen von Genvarianten ohne pathologische Bedeutung zu unterscheiden oder bei mehreren Aberrationen gleichzeitig eine Hierarchie der klinischen Bedeutungen zu etablieren.

Von den Sequenzierdaten zur Therapie

Die Interpretation von Sequenzierdaten und die Umsetzung in eine Therapieempfehlung erfordert Strukturen wie interdisziplinäre molekulare Tumorboards mit Teilnahme von Molekular- und Humangenetikern sowie Onkologen mit hoher therapeutischer Expertise in der jeweiligen Entität. Ein solches Tumorboard, aus dem eine nach Evidenzgrad strukturierte Therapieempfehlung resultiert, ist für die verantwortungsvolle Beratung der Patienten unumgänglich. Zusätzlich ist es wichtig, Erfahrungen mit Nebenwirkungen der zielgerichteten Substanzen mit in die Beratung des Patienten unter Berücksichtigung der individuellen Komorbiditäten einzubeziehen. Computeralgorithmen sind zweifelsohne hilfreich, um z. B. Listen aktueller Literatur sowie klinischer Studien in Bezug auf die vorhandenen Mutationen zu erstellen, sie können aber die therapeutische Erfahrung mit den einzusetzenden Substanzen für den individuellen Patienten nicht ersetzen.

Netzwerke — gemeinsam zum Ziel

Aufgrund der Komplexität der Dateninterpretation und der relativen Seltenheit der Mutationen mit Inzidenzen im niedrigen einstelligen Prozentbereich oder darunter sind nationale und internationale Harmonisierungen und Netzwerkbildungen unumgänglich. Nur so können gemeinsame Standards in der Diagnostik sowie die evidenzbasierte Erstellung von Befunden und Therapieempfehlungen berücksichtigt werden. Von entscheidender Bedeutung sind Netzwerke auch, um Patienten für molekular-stratifizierte klinische Studien zu rekrutieren und Fallserien zu erstellen, auf deren Basis klinische Studien geplant und gegebenenfalls Off-Label-Behandlungen bei den Kostenträgern beantragt werden können. Es ist hier aber klar zu betonen, dass die Behandlung von Patienten mit molekularen Veränderungen in klinischen Studien Vorrang vor einer möglichen Off-Label-Behandlung hat.

Die personalisierte Krebstherapie in einem Heft

In dieser Sonderausgabe geben renommierte Experten einen breiten Überblick über den aktuellen Stand und die Herausforderungen der personalisierten Krebstherapie. Wir diskutieren über diagnostische Standards und die Vor- und Nachteile der Gewebe- und Liquid-Biopsy als Basis für die personalisierte Krebstherapie. Anhand des konkreten Beispiels des Universitären Cancer Centers Hamburg (UCCH) zeigen wir den Aufbau von Strukturen und lokalen Netzwerken für die Patientenberatung und -versorgung. Wir berichten ausführlich über verschiedene Entitäten, in denen die personalisierte Krebstherapie bereits eine wichtige Rolle im klinischen Alltag spielt. Hier nimmt ohne Frage das nichtkleinzellige Lungenkarzinom eine Vorreiterrolle ein, was sich auch an dem am 1. April 2018 gestarteten und von der Deutschen Krebshilfe geförderten nationalen Netzwerk genomische Medizin (nNGM) zeigt. Das nNGM hat das Ziel, eine deutschlandweite Netzwerkstruktur zu bilden und gemeinsame Standards für die molekulare Diagnostik, ihre Interpretation und die Umsetzung in konkrete Behandlungsempfehlungen im Rahmen eines gemeinsamen Studiennetzwerks zu etablieren. Dieses Netzwerk wird von onkologischen Spitzenzentren getragen, die von der Krebshilfe anerkannt sind. Prinzipiell können alle Kliniken und niedergelassenen Onkologen dem Netzwerk beitreten. Es hat sicher eine entscheidende Bedeutung für die Weiterentwicklung und Qualität der personalisierten Krebstherapie im Bereich des Lungenkarzinoms — und auch darüber hinaus. Aber lesen Sie selbst, wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre der spannenden Artikel.

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Sonja Loges

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Carsten Bokemeyer