"Wir bieten (jungen) Kollegen eine attraktive Alternative zum OP"
Zum Stand der neuen Zusatzweiterbildungsordnung (ZWBO) Orthopädische Rheumatologie (ORh) berichtet Dr. Markus Schneider, Mitglied der eigens dazu von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) ins Leben gerufenen Taskforce.
Herr Dr. Schneider, was war die Motivation für die Aktualisierung der ZWBO ORh?
Dr. Markus Schneider: Hintergrund ist die medizinische Entwicklung der letzten 20 Jahre. Die orthopädische Rheumatologie (ORh) war aus dem meist operativen Behandlungsansatz von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen entstanden. Durch den Einsatz immer effektiverer Immunsuppressiva sind die sehr eingreifenden rheumaorthopädischen Operationen wie Synovialektomien weitaus seltener erforderlich geworden. Dazu kommt, dass es den rein konservativ arbeitenden Orthopäden - seit vor über zehn Jahren Orthopädie und Unfallchirurgie zusammengelegt wurden - in Deutschland kaum noch gibt. Die große Mehrheit der Orthopäden stammt heute aus der Unfallchirurgie. Die früheren Fähigkeiten der konservativen Orthopädie, wie sie für Deutschland und Österreich einzigartig waren, werden heute in der Weiterbildung zum Facharzt kaum noch abgebildet und sollten nun wieder in die Weiterbildung eingebracht werden - so das Ziel der DGOU und aller beteiligten orthopädisch-unfallchirurgischen Fachgesellschaften.
Zum anderen liegt der Neuausrichtung die umfassendere Definition von Rheumatologie von Ländern wie Großbritannien, Frankreich, der Schweiz und den USA zugrunde. Dort ist der Rheumatologe eine Art konservativer Orthopäde, der Krankheiten und Funktionsstörungen der Bewegungsorgane bei degenerativen, entzündlichen und stoffwechselbedingten Krankheiten, behandelt, also auch bei Arthrosen, Rückenschmerz, Sehnen- und Muskelerkrankungen sowie Osteoporose. Den klassischen Orthopäden, wie wir ihn in Deutschland kennen, gibt es dort gar nicht, sondern nur den klar operativ ausgerichteten "Orthopedic Surgeon". In gewissem Sinne ist die neue Definition der orthopädischen Rheumatologie also eine Anpassung an den internationalen Standard.
"Die früheren Fähigkeiten der konservativen Orthopädie werden heute in der Weiterbildung kaum noch abgebildet - das sollte sich ändern".
"Noch ist in der Diskussion, wer überhaupt weiterbilden kann."
Was sind die wichtigsten Neuerungen im Vergleiczur alten ZWBO?
Schneider: Die ORh ist zukünftig nicht nur auf die entzündlichen Krankheiten fokussiert, sondern auf alle rheumatischen Krankheiten - auch die degenerativen. Die Neudefinition stellt die ORh also viel breiter auf. Die Zusatzweiterbildung war bisher schwerpunktmäßig operativ orientiert, das heißt es wurden sehr viele Operationen wie Synovialektomien gefordert. Der operative Anteil ist nun deutlich reduziert. Die medikamentöse Behandlung von entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparates ist weiterhin dabei, ebenso rheumatologisch-klinische Untersuchung und spezieller Ultraschall. Hinzugekommen sind nun Handlungskompetenzen in Schmerztherapie, Osteologie, Rehabilitation, physikalischer Therapie und manueller Medizin.
Wird der orthopädische Rheumatologe zukünftig auch Biologika verordnen und Komorbiditäten abklären?
Schneider: Die neue WBO verlangt Kenntnisse und Erfahrungen auch auf dem Gebiet der Biologika-Therapie. Der orthopädische Rheumatologe, der sich mit der Biologika-Therapie befassen will, wird das dann uneingeschränkt durchführen dürfen. Ich gehe aber davon aus, dass auch zukünftig die Zusammenarbeit mit dem internistischen Rheumatologen gefragt sein wird.
Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit mit den internistischen Rheumatologen in Zukunft vor?
Schneider: Die internistischen Rheumatologen haben kaum Interesse, etwa die Polyarthrose der Hände oder die Coxarthrose zu behandeln und sie haben bei den bestehenden Versorgungsengpässen auch gar nicht die Zeit, sich in den Praxen mit allen Formen der Gelenkbeschwerden zu befassen. Der orthopädische Rheumatologe kann eine qualifizierte Voruntersuchung durchführen und gegebenenfalls ausgewählte Patienten zum internistischen Rheumatologen überweisen. Im Bereich der entzündlichen Rheumaerkrankungen, die maximal ein Drittel unserer Tätigkeit ausmachen, werde ich auch in Zukunft, zumal was die Labordiagnostik und Pharmakotherapie angeht, auf die Expertise der internistischen Rheumatologen zugreifen, da sie mehr Erfahrungen mit Medikamentenwechselwirkungen, Komorbiditäten und Ähnlichem haben als ich. Es wird aber jedem orthopädischen Rheumatologen überlassen bleiben, wie er das handhaben will.
Wo kann die Weiterbildungszeit absolviert werden? Gibt es dafür bereits Listen?
Schneider: Das ist noch nicht abschließend behandelt. Noch ist in der Diskussion, wer überhaupt weiterbilden kann. Denn wir haben kaum eine Klinik, die Reha und Osteologie abdeckt, wo man ein Punktat diagnostizieren kann, wo eine differenzierte Schmerztherapie gemacht wird und die technische Orthopädie vertreten ist. Wahrscheinlich wird man also die Kompetenzen nicht nur in der Klinik, sondern auch bei Niedergelassenen erwerben müssen. Daher ist auch eine Art Verbundweiterbildung in der Diskussion. Da sind wir noch dran. Die Inhalte der Weiterbildung stehen und sind verabschiedet. Entschieden ist aber noch nicht, wer weiterbilden darf und wie die Inhalte und Fähigkeiten vermittelt werden. Wir als IGOST sehen es jetzt als unsere Aufgabe an, dass wir uns an der Umsetzung der neuen WBO ORh beteiligen und die Weiterbildung in der Kompetenz spezialisierte Schmerztherapie mitgestalten und mittragen.
Welche Übergangsbestimmungen gibt es und was kann aus anderen Weiterbildungen anerkannt werden?
Schneider: Auch hier sind wir noch mitten in der Diskussion. Es wird aber so sein, dass diejenigen, die jetzt die Zusatzbezeichnung ORh haben, keine Kurse oder erneute Prüfung durchlaufen müssen. Ebenso werden Zeiten aus der WB "Spezielle Schmerztherapie" oder "Osteologe DVO" anerkannt. Wer eine Überqualifikation hat, muss diese Module natürlich nicht erneut absolvieren.
Wichtig für die Umsetzung ist ja, dass die neue ZWBO ORh für die Folgegenerationen attraktiv ist. Wie wollen Sie das erreichen?
Schneider: Nun war es ja bisher so, dass ein Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mehr oder weniger schwerpunktmäßig operativ ausgebildet wurde und sich die erforderlichen Kenntnisse für einen konservativ ausgerichteten Praxisbetrieb in vielerlei Kursen und Seminaren teuer erarbeiten musste. Das ändert die neue Zusatzweiterbildung Orthopädische Rheumatologie. Den Kandidaten wird hier ein umfassendes Wissen vermittelt, damit sie in den großen Sparten der konservativen muskuloskelettalen Medizin bestens gerüstet sind.
Und natürlich kann eine so aufwendige Weiterbildung nur sinnvoll sein, wenn man einen Benefit davon hat, wenn wir sie also stationär wie ambulant attraktiv machen. Für eine Klinik kann das bedeuten, dass sie eine andere Weiterbildungsbefugnis erhält und Ärzte ausbildet, die sie anschließend kompetent einsetzen kann. Für jene orthopädischen Rheumatologen, die nicht primär operieren und in die Niederlassung gehen wollen, muss es einen Vorteil im Sinne einer Add-on-Vergütung geben, sprich Extra-Ziffern in den Gebührenordnungen. Es müsste ein bisschen mehr sein als die jetzige "Rheumaziffer", eher angelehnt an die Grundvergütung in der Speziellen Schmerztherapie. Das durchzusetzen ist ein Ziel der Task Force.
Wieviel Interesse besteht, wird sich zeigen. Es gibt Stimmen, die sagen, die ZWBO sei zu umfangreich. Insofern stellt sich die Frage, ob nicht ein Teil schon in die Facharztweiterbildung gepackt werden könnte. Denn der in der Facharztweiterbildung befindliche Orthopäde merkt ja nicht erst einen Monat vor Ende der Weiterbildung, dass er nicht schwerpunktmäßig operieren will oder, dass ihm das Fach zwar Spaß macht, er aber nicht der überragende Operateur sein wird. Da wäre es gut, wenn er schon im letzten Drittel der Facharztweiterbildung die Möglichkeit hätte, konservativ-orthopädische Qualifikationen zu erwerben.
Was haben die Patienten von der neuen ZWBO?
Schneider: Für Patienten, die nicht operiert werden müssen oder wollen, wird der orthopädische Rheumatologe eine Anlaufstelle sein, weil er vorrangig konservative Verfahren in einem breiten Spektrum einsetzen wird. Die neue WBO verspricht, das alte konservative Wissen der deutschen Orthopädie aufrechtzuerhalten. Denn in acht bis zehn Jahren wird es fast keinen Kollegen mehr geben, der die frühere Ausbildung zum Facharzt für Orthopädie absolviert hat. Insofern bieten wir den jungen Orthopäden mit der neuen ZWBO ORh eine attraktive Alternative zur operativen Orthopädie und eine Möglichkeit, im nichtoperativen Bereich sattelfest zu werden und zwar bei allen rheumatischen Krankheiten, seien sie degenerativ, stoffwechselbedingt oder entzündlich. Und davon werden auch die Patienten profitieren.
Das Interview führte Dr. Wiebke Kathmann.