Grippe ist keine Erkältung, sondern eine ernstzunehmende Erkrankung [1]. Die Zahl der Todesfälle aufgrund der saisonalen Influenza schwankt jährlich von mehreren hundert bis 20.000; weltweit sind es 250.000 bis 500.000 Todesfälle [2]. Deshalb ist eine Influenzaimpfung, besonders u. a. für medizinisches Personal, wichtig. Aufgrund der Corona-Pandemie und den in diesem Zusammenhang ausgesprochenen Empfehlungen für eine Grippeimpfung spielt sie in diesem Herbst eine noch wichtigere Rolle.

In Deutschland starben an der Grippewelle 2017/18 rund 25.100 Menschen [3], 60.000 hospitalisierte Influenzafälle und neun Millionen Influenza-bedingte Arztbesuche wurden gemeldet [4]. Bei den 25.100 Todesfällen von 2017/18 handelt es sich um die sogenannte Schätzung der Übersterblichkeit im Zeitraum der Grippewelle, die das RKI jährlich aufstellt (im Vergleich 2014/15: 21.300; 2011/12: 2.500 [5]). Die Zahl der Todesfälle bei laborbestätigten Influenza-Infizierten lag damals bei 1.674. In der Saison 2018/2019 wurden ca. 40.000 Patienten mit einer nachgewiesenen Grippeinfektion im Krankenhaus behandelt [6], rund 3,8 Millionen Influenza-bedingte Arztbesuche [7] und 954 Todesfälle mit Influenzainfektion gezählt [8]. Eine Auswertung zur Influenza-assoziierten Übersterblichkeit für diese Saison liegt noch nicht vor.

Stand 9.4.2020 starben in der Saison 2019/20 in Deutschland 411 Menschen an Influenza, 4,3 Millionen suchten eine Praxis auf [9]. Genaue Zahlen werden üblicherweise erst im September veröffentlicht, auch hier fehlt zum Redaktionsschluss die Angabe zur Übersterblichkeit. Allerdings weiß man schon, dass die Grippesaison 2019/20 mit elf Wochen relativ kurz war. Das vergleichsweise schnelle Abklingen und eine um mindestens zwei Wochen kürzere Dauer der Grippewelle wird mit den Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie in Deutschland begründet. Da Kinder für die Verbreitung der jährlichen Grippe eine wesentliche Rolle spielen, hätten insbesondere die Schulschließungen eine wichtige Rolle gespielt [10].

Risiko berufliche Exposition

Medizinisches Personal sollte sich zum persönlichen Schutz wegen eines möglichen Kontaktes mit Influenzakranken impfen lassen. Auch kann es selbst eine mögliche Infektionsquelle für (evtl. zur Risikogruppe zählende) Patienten darstellen. Mit einer Impfung folgt man dem ethischen Gebot, Patienten nicht zu schaden [12,13].

Aber es gibt Impflücken: 2018 hatten nur 30 Prozent der Pflegekräfte und 60 Prozent der Ärzte einen Impfschutz [14]. Eine bundesweite Befragung im Frühjahr 2019 bei rund 27.000 Klinikmitarbeitern zeigte, dass sich nur 52% von ihnen in der Saison 2018/19 gegen Grippe hatten impfen lassen [15]. Insgesamt sind die Impfquoten in den Risikogruppen zu niedrig. 2014 waren bspw. nur 11% der Schwangeren geimpft [16], in der Saison 2018/19 zwischen 20 und 54% der chronisch kranken Erwachsenen [17].

Nicht nur im medizinischen Bereich bieten viele Arbeitgeber Arbeitnehmern eine Influenzaimpfung an, um die Erkrankung und den damit verbundenen Arbeitsausfall zu vermeiden. Die betriebliche Grippeschutzimpfung ist natürlich keine Pflicht, denn eine Grippeimpfung ist eine private gesundheitliche Präventionsmaßnahme.

Wandelbare Viren bestimmen Impfstoff

Influenzaviren bestehen aus verschiedenen Virustypen (A, B und C); es wird auch von Viruslinien oder Stämmen gesprochen [18]. Diese Viren mutieren ständig, speziell der A-Typ. Deshalb ist der Impfstoff saisonal unterschiedlich: normalerweise ist das Immunsystem in der Lage, nach durchlaufener Erkrankung bei einer Neuinfektion zügig Antikörper zu bilden. Diese Antikörper würden in der Theorie an das Hämagglutinin und die Neuroaminidase, zwei Oberflächenproteine der Virushülle, binden bzw. das Virus zerstören [19]. In der Praxis ist das nicht der Fall, da das Virus seine Virushülle ständig umbaut, so dass die Antikörper die Oberflächenproteine nicht mehr erkennen [20].

Im Gegensatz zu den Virustypen B und C kommen beim Virustyp A sogar mehrere Untertypen dieser beiden Oberflächenproteine vor. Darum treten beim Virustyp A auch Bezeichnungen wie H1N1 oder H3N2 auf: Die Subtypen werden durch die Anfangsbuchstaben der beiden Oberflächenproteine Hämagglutinin (H) und Neuroaminidase (N) benannt und dann durchnummeriert [22].

Was bedeutet dann z. B. A/Hong Kong/45/2019 (H3N2)-ähnlicher Stamm oder B/Washington/02/2019 (B/Victoria/2/87-Linie)-ähnlicher Stamm? Das sind Antigene, die der Impfstoff beinhaltet: A und B bezeichnen die Virustypen, der Ortsname bezieht sich auf den Ort der Virusisolierung; die erste Ziffer gibt die Nummer des jeweils isolierten Stamms an, die zweite bezieht sich auf das Isolierungsjahr, und H und N mit dazugehöriger Ziffer bezeichnet, wie gerade dargelegt, den aktuellen Hämagglutinin- bzw. Neuraminidase-Subtyp [22].

Die Viren-Mutagenität bedingt, dass die Grippeimpfung nicht immer optimal schützt, schließlich hat das Virus in der Zeit der Her- bis zur Bereitstellung des Impfstoffes genügend Zeit, sich zu wandeln. Trotzdem ist bei geimpften Influenza-Patienten, die erkranken, der Krankheitsverlauf deutlich milder als bei Ungeimpften.

In Deutschland bieten zahlreiche Hersteller Influenza-Impfstoffe an, die meisten als Totimpfstoffe (mit inaktivierten Viren bzw. Bestandteile der Viren; [18]). Ein Lebendimpfstoff (lebend-attenuiert) ist für Kinder (2-17 Jahre) in Form eines Nasensprays zugelassen. Er kann auch bei Gerinnungsstörungen eingesetzt werden [22, 23, 24]. Die Impfstoffe enthalten die für die Saison festgelegten Antigene, die die WHO zwei Mal jährlich nach Auswertung der Daten aller weltweiten tätigen Referenzzentren festlegt.

Für die Nordhalbkugel geschieht dies in der Regel im Februar, damit der Impfstoff bis zum Herbst vorliegt. Die Produktion ist aufwändig, und die meisten Impfstoffe wurden bisher mithilfe von bebrüteten Eiern hergestellt (pro Impfstoffdosis ein Ei). Inzwischen werden dafür auch Zellkulturen (z. B. aus Hundenieren) herangezogen, damit im Pandemiefall eine schnellere Lieferung in umfangreichen Mengen gesichert ist [1]. Deshalb wird es in diesem Jahr erstmals unterschiedliche Influenza-A-Stämme bei Zell-/Hühnereiweiß-basierten und lebend-attenuierten Impfstoffen geben [22, 25].

Bis zur Saison 2012/13 gab es in Deutschland nur trivalente (Dreifach-) Impfstoffe. Diese enthalten Bestandteile von zwei Subtypen des Influenza-A-Virus und einen Influenza-B-Stamm [11]. Seitdem stehen uns vermehrt höher wirksame, quadrivalente (Vierfach-) Impfstoffe mit einer zweiten zusätzlichen Influenza-B-Komponente zur Verfügung. Diese wurden letztes Jahr erstmalig als Kassenleistung angeboten [25, 26].

10 bis 14 Tage nach der Impfung ist der Schutz vollständig aufgebaut. Da die jährliche Influenzawelle bei uns meist nach Neujahr beginnt, ist der beste Impfzeitpunkt im Oktober oder November. Auch danach bzw. zu Beginn einer Influenzawelle kann eine Impfung noch sinnvoll sein, denn eine Prognose über die Dauer einer Grippewelle ist nicht möglich [11]. Die Inkubationszeit beträgt in der Regel ein bis zwei Tage. Personen, die noch keine Symptome haben, aber bereits infiziert sind, sind schon ansteckend.

Symptome und mögliche Komplikationen

Eine Influenza beginnt plötzlich. Es besteht ein starkes allgemeines Krankheitsgefühl mit hohem Fieber (39-40°C), Schüttelfrost, Schweißausbrüchen, Kopfschmerzen, Halsschmerzen und Hustenreiz bzw. trockenem Husten. Dazu kommen Appetitlosigkeit, Schwindel, Muskel- und Gelenkschmerzen etc. In der Regel dauert eine Grippe sieben bis 14 Tage. Die Therapie erfolgt symptomatisch [27, 28].

Der allgemeine Gesundheitszustand eines Grippe-Erkrankten bestimmt die Auswirkungen von Komplikationen, die prinzipiell bei allen Influenza-Patienten auftreten können. Personen mit Grundkrankheiten haben deshalb ein erhöhtes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe. Da die Influenzaviren das Immunsystem schwächen, indem sie die Makrophagenanzahl des Wirtes verringern und gleichzeitig die Epithelien des Respirationstraktes schädigen, werden bakterielle Superinfektionen begünstigt [28]. Dazu zählen Nasennebenhöhlenentzündung, Mittelohrentzündung, Bronchitis und Lungenentzündung. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Rhythmusstörungen, Herzinsuffizienz, Lungenödem, Kollapsneigung und Sepsis werden beschrieben [14, 28]. Prinzipiell kann das Virus jedes Organ angreifen.

Manchmal kommt es nach Impfungen zu leichten grippeartigen Symptome, die rasch wieder abklingen. An der Einstichstelle werden Schmerzen, Rötung und Schwellung beschrieben [11]. Kontraindikation besteht bei bekannten schweren Überempfindlichkeitsreaktionen auf z. B. Adjuvanzien oder Konservierungsstoffe der Impfstoffe. Da der Großteil des Impfstoffbedarfs aus einem Verfahren mit Hühnereiern gewonnen wird, enthält er Spuren von Hühnereiweiß. Bei einer auf 1,3 Millionen Impfungen kann es deshalb zu einer schweren allergischen Reaktion kommen [29]. Bei bekannter, nur leichter Reaktion nach Verzehr von Hühnereiweiß ist keine Vorsichtsmaßnahme notwendig; bei bekannter schwerer Allergie sollte man nur mit einem Hühnereiweiß-basierten Stoff impfen, wenn anschließend klinisch überwacht wird [30]. Eine Alternative ist ein auf Zellkulturen hergestellter Impfstoff. Unsicherheit besteht bei der Frage, ob ein Zusammenhang zwischen dem Guillian-Barré-Syndrom und der Influenzaimpfung besteht [31]. Diskutiert werden 1-2 Fälle pro eine Million Impfungen, was der jährlichen Prävalenz des Syndroms auch ohne Impfung entsprechen würde [32].

Impfungsempfehlung und Corona

Die Grippeschutzimpfung wird als kardiovaskuläre Präventionsmaßnahme verstanden, die z. B. das Infarktrisiko um 15-45% senkt (im Vergleich: Statine senken das Risiko um 19-30%, ein Rauchstopp um 32-43%; [33]). Das liegt daran, dass die Kombination einer bereits vorliegenden Atherosklerose und der durch eine Grippe hervorgerufenen Entzündungsprozesse und Sauerstoffmangel in Geweben das Herzinfarktrisiko erhöhen würde. Daten aus Tierversuchen haben darüber hinaus gezeigt, dass eine bakterielle Infektion nach einer Virusinfektion einen schlimmeren Verlauf nimmt.

In diesem Herbst wird der Grippeimpfung im Zusammenhang mit dem Coronavirus eine besondere Bedeutung zukommen [34]. Sowohl zur Abgrenzung beider Infektionen als auch dem Ausschluss einer gleichzeitigen Infektion werden viele Ärzte die Influenzaimpfung ihren Patienten nahelegen.

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