1 Einleitung

Die Transformation des Staates weg vom Sozial- hin zum Gewährleistungsstaat (Kersten 2006: 252) sowie der demographische und soziale Wandel zwingen auch hoch entwickelte Staaten zur Auseinandersetzung mit Fragen zur Aufrechterhaltung der LebensqualitätFootnote 1 und VersorgungssicherheitFootnote 2 der Bevölkerung in sich disparat entwickelnden Räumen (ARL 2016: 2). Überall dort, wo sich aufgrund nicht mehr gegebener wirtschaftlicher Tragfähigkeiten klassische Angebotsformen der Nahversorgung (Geschäfte, Praxen, ÖPNV) aus der Fläche zurückziehen und das Erfordernis der Konzentration von Dienstleistungen in zentralen Orten weite Versorgungswege nach sich zieht, ist die Suche nach und die Entwicklung von adäquaten Alternativen in vollem Gange (BMVBS/BBSR 2011: 5).

In diesem Kontext wurde die Bedeutung gut funktionierender Nachbarschaften und der Ressource Zeit (wieder-)erkannt (nef 2008: 10). Seither wird bürgerschaftliche Verantwortung intensiv diskutiert – nicht nur, um finanzielle Lücken zu füllen, die vor allem in ländlichen bzw. strukturschwachen Regionen klaffen, sondern auch, um die Dorfgemeinschaften von mehr oder weniger unverbindlichen Nachbarschaften in verlässlich organisierte Netzwerke umzuwandeln, um diesen einige Teilbereiche der Daseinsvorsorge zu übertragen (BMVI 2015: 120). Die Nachbarschaftsgemeinde bzw. die sorgende Gemeinschaft als soziales Netzwerk soll somit weit über die gegenseitige Unterstützung im Krisenfall hinausgehen und als Koproduzentin bei der Bewältigung des Alltags und der gemeinsamen Freizeitgestaltung fungieren (vgl. Schmid 2009: 74; BMVI 2015: 105 f.).

Gleichzeitig besteht angesichts der Überlagerung der Dynamiken des demographischen Wandels, der Abwanderung und der anhaltenden Ausdünnung lokaler Infrastrukturen (vgl. Alisch/Kümpers 2015: 9) sowie angesichts der zunehmenden Individualisierung und Heterogenisierung der Lebenslagen und Lebensverläufe Sorge über den Aufbau und die Stabilität sozialer Netzwerke (vgl. Pacione 1997: 423 f.; Dehne/Neubauer 2014: 3 f.). Der (neuen) Unübersichtlichkeit und Unklarheit über die Zuständigkeiten der Zivilgesellschaft entspringen neue Anforderungen an die Steuerungs- und Moderationsfunktion der staatlichen Verwaltung (vgl. Steinführer 2015: 5). Unter den gegebenen Bedingungen sind ehrenamtliche Angebote mittelfristig als flankierende Maßnahmen zur Sicherung der Lebensqualität und Versorgung und nicht als Substitut staatlicher Daseinsvorsorge zu interpretieren (vgl. Steinführer 2015: 15), die auf kleinräumiger Ebene gut organisiert sein müssen (BMVI 2015: 120).

In diesem Beitrag werden am Beispiel des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark (ZHN) die Potenziale und Restriktionen einer Zeitbank als mögliches Organisationsmodell für freiwilliges bürgerschaftliches Engagement – definiert als „sich selbst auferlegte Verpflichtung“ (More-Hollerweger/Sprajcer 2009: 4) und als organisatorisches Modell, „die Geschicke des Gemeinwesens“ (Simsa 2001: 44) mitzubestimmen – kritisch diskutiert.

Da der Erfolg von auf Zeittausch basierender, organisierter Nachbarschaftshilfe in Form von Zeitbanken in hohem Maße von der Zufriedenheit der involvierten Personen abhängt (Slay 2011: 5), ist eine kontextbezogene evidenzbasierte Evaluierung des Mehrwerts organisierter Nachbarschaftshilfe für die Lebensqualität der Teilnehmenden und deren konkreter Beitrag zur Daseinsvorsorge aufgrund des Mangels an belastbaren empirischen Daten dringend geboten. Hier setzt der vorliegende Beitrag an: Er stellt die Grundprinzipien und Funktionsweise von Zeitbanken vor und ordnet die Zeitbanken in Bezug auf deren Bedeutung für die Daseinsvorsorge international ein. Daran anschließend werden am Beispiel des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark die quantitativen und qualitativen Wirkungen dieser Art organisierter Nachbarschaftshilfe für die hierin involvierten Personen herausgearbeitet und die Ergebnisse vor dem Hintergrund infrastruktureller und demographischer Veränderungen diskutiert.

2 Zielstellung des Beitrags

Das Ziel dieses Beitrags ist es, im breiten Themenfeld der Verlagerung von Teilaspekten der Daseinsvorsorge in Richtung bürgerschaftliches Engagement das System der Zeitbanken anhand des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark qualitativ und quantitativ aufzuarbeiten. Die von Blüml (2015) erarbeiteten Ergebnisse zum Zeit-Hilfs-Netz Steiermark regten die Autoren dieses Beitrags an, sich mit Zeitbanken als auf dem Tauschgedanken aufbauende, organisierte Form von Nachbarschaftshilfe vertiefend auseinanderzusetzen. Aufbauend auf Blümls Feststellungen zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden hinsichtlich Beteiligung sowie Angebot und Nachfrage (Blüml 2015: 74 ff.), der Identifikation der Pkw-Fahrtüchtigkeit als zentrale Voraussetzung, um aktiv helfen zu können, sowie der Vermutung, dass disperse Siedlungsstrukturen und Defizite in der kommunalen Basisinfrastruktur (u. a. Geschäfte und sozialmedizinische Angebote) die Anbietenden bzw. Helfenden bei der Erbringung von Unterstützungsleistungen behindern (Blüml 2015: 93 f.), werden hier folgende querschnittsorientierte Fragen untersucht:Footnote 3

  • Was lässt sich aus der Analyse der Mitglieder- und Inseratenstruktur in Bezug auf den Zusammenhang von demographischen Charakteristika der am Zeit-Hilfs-Netz Steiermark Teilhabenden und den Leistungsbereichen ableiten?

  • Wie ist es um die Passfähigkeit von Angebot und Nachfrage, die Reziprozität sowie die Intensität der Tauschbeziehungen bestellt?

  • Inwiefern profitieren die Teilhabenden in Bezug auf ihre Lebensqualität?

  • Welchen Beitrag können Zeitbanken im Kontext der Daseinsvorsorge leisten?

Nicht Gegenstand dieses Beitrags ist jedoch der Vergleich unterschiedlicher Formen bzw. Modelle bürgerschaftlicher Beteiligung und deren Beiträge zur Sicherung der Daseinsvorsorge wie der aktuell intensiv diskutierten Bürger‑, Sozial- oder Seniorengenossenschaften (vgl. Elsen 2012; BMVI 2015; Schmale 2017) mit dem Modell Zeitbank.

3 Zeitbanken – eine internationale Einordnung des Themas

Organisierte Nachbarschaftshilfe folgt dem Selbsthilfeprinzip und basiert auf dem bargeldlosen Leistungs- und Warentausch zwischen den Teilnehmenden (Hiller 2013: 120). Das Tauschmittel bzw. die Währung, in der Leistungen verrechnet werden, ist die Zeit. Die Idee zu sogenannten komplementären Währungen bzw. Local Exchange and Trading Systems (LETS) zum Aufbau solidarischer Wirtschaftssysteme (für benachteiligte Personengruppen) hatte Anfang der 1980er-Jahre der Kanadier Micheal Linton (Hiller 2013: 120). Um den Konsequenzen der bereits in den 1980er-Jahren in den USA beobachtbaren sozialen Erosionsprozessen entgegenzuwirken, entwickelte auch der Amerikaner Edgar Cahn (Seyfang 2002: 2; Hiller 2013: 123) sogenannte Zeitbanken, die die älteste, in unterschiedlichen Formen weltweit verbreitete dienstleistungsbasierte Lokalwährung darstellen (Shih/Bellotti/Han et al. 2015: 1075).

Zeitbanken wird seither ein hohes Potenzial in Bezug auf den Aufbau von Gemeinschaften und die Reanimation von Nachbarschaftshilfe zugeschrieben (Ozanne 2010: 4; Shih/Bellotti/Han et al. 2015). Begründet wird dies durch folgende Grundprinzipien und Merkmale von Zeitbanken:

  • die Freiwilligkeit der Teilhabe (Gegenleistungen sind nicht einklagbar),

  • den bargeldlosen Leistungstausch,

  • die Gleichwertigkeit der erbrachten Leistung (Seyfang 2003a: 700; Lasker/Collom/Bealer et al. 2011: 103),

  • die indirekte Reziprozität, das heißt die Wechselseitigkeit von Geben und Nehmen (Yamagishi/Cook 1993: 235) und

  • das Offensein für alle an einer Teilhabe interessierten Personen (Seyfang 2002: 6).

In der Regel ist die Tauscheinheit die Stunde.

Welche Erwartungen an Zeitbanken thematisch bzw. im Kontext der Organisation von Daseinsvorsorge geknüpft werden, hängt von den spezifischen nationalen politischen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen und dem anbietbaren Portfolio ab (vgl. Peacock 2000: 57; Boyle 2014: 6). Unterschiede bestehen auch darin, ob Zeitbanken von lokalen Organisationen geführt werden, Multiplikatoren als Mitglieder in Zeitbanken fungieren oder der direkte Tausch zwischen Einzelpersonen im Vordergrund steht (Shih/Bellotti/Han et al. 2015: 1077). Somit kann eine etablierte Zeitbank (theoretisch) auf systemischer Ebene eine Koproduzentin in der Daseinsvorsorge sein (nef 2008: 3; Shih/Bellotti/Han et al. 2015: 1076) und Mehrwerte auf der persönlichen Ebene der teilnehmenden Personen entfalten: Sei es, um das Bedürfnis zu helfen zu befriedigen, sei es, um sich als Teil einer Community zu fühlen (Thorne 1996: 1364).

Obwohl Zeitbanken in der Fachliteratur tendenziell als gute Lösung zur Kompensation infrastruktureller Defizite präsentiert werden, muss auch auf deren Grenzen hingewiesen werden: Zeitbanken haben einen klein(st)räumigen Wirkungsbereich und deren Erfolg ist abhängig von der Stabilität des Engagements und der Hilfsbeziehungen sowie den Fertigkeiten und der altersstrukturellen Zusammensetzung der sich aktiv Beteiligenden (Seyfang 2003b). Darüber hinaus besteht weder für die Anbietenden noch für die Nachfragenden ein Anspruch auf Leistung (Fraaß/Görtler/Rosenkranz 2016: 9). Zudem gefährdet das Fehlen einer entsprechenden Nachfrage die Kontinuität des Angebots. Shih, Bellotti, Han et al. (2015: 1078 ff.) identifizierten in diesem Zusammenhang im Rahmen einer Auswertung der drei größten Zeitbanken in den USA die mangelnde Erreichbarkeit von Angeboten (vor allem in ländlichen Regionen) als relevantes Moment, weiters Schwierigkeiten in der zeitlichen Koordination des Austauschs sowie Fragen der Verfügbarkeit von (vor allem höher qualifizierten) Angeboten. Auch der Mangel an Unterstützung durch Organisationen bzw. staatliche Stellen schränkten die Verbreitung von Zeitbanken ein.

4 Zeitbanken in Österreich

Im internationalen Vergleich nehmen sich die österreichischen Zeitbanken in quantitativer Hinsicht bescheiden aus. Dies wird vor allem im Hinblick auf die USA deutlich, wo der sogenannte Dritte SektorFootnote 4 aufgrund der sozial- und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen inzwischen eine tragende Säule der Daseinsvorsorge ist (vgl. Peacock 2000: 61). Laut Höllhumer und Trukeschitz (2016: 13) wurden in Österreich die ersten Zeitbanken im Jahr 2006 gegründet. Eine Bestandsaufnahme aus dem Jahr 2015 zeigt, dass rund 8.000 Personen in den gezählten 40 Tauschkreisen und Zeitbanken registriert sind, es eine räumliche Konzentration in den Bundesländern Oberösterreich, Niederösterreich und der Steiermark gibt, der Bestand an Zeitbanken Fluktuationen unterliegt und die Transaktionen in den Zeitbanken vor allem zwischen Privatpersonen erfolgen (Höllhumer/Trukeschitz 2016: 12 ff.). Informationen zu den Dimensionen des Angebots und der Nachfrage bzw. zum Umfang oder zur Intensität der Tauschbeziehungen liegen nicht vor.

5 Das Beispiel Zeit-Hilfs-Netz Steiermark

5.1 Entstehungsgeschichte und Organisationsstruktur

Der Verein „Landentwicklung Steiermark“ hat das Ziel, nachhaltige Regionalentwicklung über verschiedene Projekte zu betreiben und dabei die Bürgerinnen und Bürger der Steiermark mit einzubeziehen.Footnote 5 Zwischen 1997 und 2015 war er die Leitstelle für alle Lokalen Agenda-21-Prozesse in der Steiermark und auch mit deren Umsetzung betraut. Er initiierte Bewusstseinsbildungsprozesse und Projektinitiativen. Die Arbeit in den Gemeinden und der Austausch mit den sich in den Lokalen Agenda-21-ProzessenFootnote 6 beteiligenden Personen ließen erkennen, dass (Ab‑)Wanderungsdynamiken, altersstrukturelle Verschiebungen, Siedlungsstrukturen und Veränderungen im kommunalen Angebot an Gütern und Diensten des täglichen Bedarfs einander überlagern. Dies hatte eine Lockerung oder Auflösung der sozialen Kohäsion sowie Erschwernisse beim Zugang zu Infrastruktur in den Gemeinden zur Folge.

Der Blick auf die demographische und ökonomische Entwicklung des Bundeslandes Steiermark erklärt den wahrgenommenen Handlungsbedarf, zeigen sich doch abgesehen von der Landeshauptstadt Graz und dem politischen Bezirk Graz-Umgebung alle anderen Räume von Bevölkerungsstagnation oder -schrumpfung betroffen. Bis 2050 werden sich die Disparitäten in Bezug auf die räumliche Verteilung der Bevölkerung weiter verschärfen. Die einzigen Bevölkerungsgewinner werden Graz (+28,2%) und Graz-Umgebung (+12%) bleiben, und ab 2020 wird der Rückgang von Personen im erwerbsfähigen Alter vor allem in strukturschwachen peripheren Gebieten spürbar werden. Parallel dazu schreitet die demographische Alterung voran. Bis 2050 wird knapp ein Drittel der steirischen Bevölkerung älter als 65 Jahre sein und die Anzahl der über 85-Jährigen wird sich bis dahin etwa verdreifacht haben (Land Steiermark 2016a: 5 ff.). Die raumdifferenzierte Betrachtung des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf zeigt, dass die Region Graz mit 44.200 Euro pro Einwohner (Stand 2013) die Spitze des Bundeslandes bildet, während die übrigen steirischen Regionen deutlich unter dem Bundeswert von 38.100 Euro pro Kopf (2013) liegen (Land Steiermark 2016b: 35).

Um diese negativen Entwicklungen abzumildern, beauftragte das Land Steiermark im Jahr 2011 die Landentwicklung Steiermark mit der Konzeption eines auf dem Modell Zeitbank aufbauenden Zeit-Hilfs-Netzes. Der Anspruch an das Zeit-Hilfs-Netz Steiermark lag darin, die Nachbarschaftshilfe wiederzubeleben und die Kommunikation innerhalb der heterogener werdenden (Land‑)Bevölkerung zu befördern. Zudem wurde in diesem Ansatz eine Möglichkeit gesehen, die Kostenbelastungen der Gemeinden im Bereich sozialer Hilfen zu senken.Footnote 7 Alle interessierten Kommunen waren als Gebietskörperschaften eingeladen, sich daran zu beteiligen. Möglicherweise begründeten auch die offiziellen Zahlen zum ehrenamtlichen Engagement in der Steiermark (Land Steiermark 2010: 5 ff.) die Hoffnungen in das Zeit-Hilfs-Netz Steiermark. Demnach leistet etwa jeder Zweite bereits Freiwilligenarbeit, die Beteiligungsquote in Bezug auf formelle Tätigkeiten liegt bei 31 %, in Bezug auf informelle bei 33 % (BMASK 2015: 23). Sport‑, Kultur- und Brauchtumsvereine machen knapp 47 % aller Vereine aus, gefolgt von Einsatzorganisationen (9,5%) und sonstigen Vereinen (43,9%), wobei letztere überwiegend zur Dorfgemeinschaft beitragen (Land Steiermark 2010: 5 ff.).

Über Fördermittel des Landes – diese sind mittlerweile ausgelaufen – wurden die mit der Organisation des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark verbundenen Aufgaben finanziert. Hierzu zählten die Projektbegleitung und Beratung der teilnehmenden Gemeinden, die Kontaktpflege mit den Koordinatoren der Gruppen des Zeit-Hilfs-Netzes sowie die Organisation von landesweiten Netzwerktreffen. Heute bildet der eingetragene Verein „Zeit-Hilfs-Netz Steiermark“ das organisatorische Dach des Netzes, welches dezentral in Form von Gruppen organisiert ist, die nach ihren Standortgemeinden benannt sind. Die Mitglieder des Vereins sind im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit unfall- und haftpflichtversichert. Der jährliche Mitgliedsbeitrag von zehn Euro umfasst neben dem Versicherungsschutz auch eine jährliche Gutschrift von fünf Gutstunden auf dem Stundenkonto. Das soll neuen Mitgliedern als Anreiz dienen, nicht nur Unterstützung zu leisten, sondern diese auch in Anspruch zu nehmen. Seit seiner Gründung im Jahr 2011 waren zehn steiermärkische Gemeinden im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark aktiv. Mittlerweile sind zwei Gemeinden ausgeschieden, zwei neue hinzugekommen. Zum 31. Dezember 2015 umfasst das Zeit-Hilfs-Netz Steiermark drei ländliche Gemeinden, sechs Kleinstädte und einen Bezirksteil der Landeshauptstadt Graz (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
figure 1

Räumliche Verteilung der teilnehmenden Gemeinden

Tabelle 1 zeigt, dass die zum Zeitpunkt der Auswertung im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark aktiven Gemeinden hinsichtlich Einwohnerzahl, Demographie und Funktion heterogen sind. Auffallend ist die Spannweite bezüglich der Mitgliedszahlen in den Gruppen. Sie reicht von 11 bis 103 Personen. Ein Zusammenhang zwischen Raumtypus bzw. Größe der Gemeinde und Mitgliederzahl lässt sich nicht herstellen. Gemeinsam ist den Gruppen, dass deren Mitglieder vorrangig in den namengebenden Standortgemeinden wohnen.

Tabelle 1 Profil der Zeit-Hilfs-Netz-Gruppen Steiermark und Mitgliederstruktur Quellen: Statistik Austria (2016a); Statistik Austria (2016b); Land Steiermark (2016a); eigene Berechnungen

5.2 Funktionsweise als Marktplatz

Das Zeit-Hilfs-Netz Steiermark ist als (virtueller) Marktplatz bzw. Kommunikationsplattform konzipiert und bietet tauschbereiten Vereinsmitgliedern die Möglichkeit, Angebote und Nachfragen in verschiedenen Leistungsbereichen in Form von Inseraten sichtbar zu machen. Getauscht werden können Hilfestellungen in den folgenden Leistungsbereichen (Kategorien)Footnote 8:

  • administrative Hilfen

  • Fahrtendienste/Begleitung

  • Freizeit/Geselliges

  • handwerkliche Hilfen

  • Kinderbetreuung

  • Hilfe im Haushalt

  • Hilfe beim Kochen und Essen

  • Gesundheit und KörperpflegeFootnote 9

  • Selbstgemachtes aus dem Garten

  • Secondhandprodukte

Diese Inserate werden sowohl in der Online-Plattform Cyclos – einer international etablierten Kommunikationsplattform (Boyle 2014: 7) – als auch analog in Form von in den Standortgemeinden ausliegenden und vom Organisationsteam laufend aktualisierten, jedoch nicht redaktionell bearbeiteten ListenFootnote 10 verwaltet.

6 Empirische Untersuchung des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark

Zur Beantwortung der in Kapitel 2 formulierten Fragestellungen werden drei empirische Zugänge gewählt: die Datenanalyse der Mitglieder- und Inseratendatenbank, die explorative Expertenbefragung von für das Zeit-Hilfs-Netz Steiermark verantwortlichen Personen der Landentwicklung Steiermark und der Leiter der ZHN-Gruppen sowie die Dokumentenanalyse des Ergebnisprotokolls zum jüngsten Netzwerktreffen.

6.1 Zielstellung der empirischen Zugänge

Die Datenanalyse dient dazu, einen Überblick über das demographische Profil und die Wohnstandorte der registrierten Mitglieder zu gewinnen, die quantitative Dimension und inhaltliche Struktur von Angebot und Nachfrage zu erfassen sowie die theoretische Passung von angebotenen und nachgefragten Leistungen abzuleiten und etwaige Veränderungen in der Mitglieder- und Angebotsstruktur zu identifizieren. Zweck der explorativen Expertenbefragung ist es, die Motivation für die Teilhabe und damit die Relationen bzw. etwaige Schieflagen von Angebot und Nachfrage im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark zu verstehen, die Bedeutung des Zeit-Hilfs-Netz Steiermark im zeitlichen Verlauf zu erklären sowie einen Ausblick auf dessen Weiterentwicklung zu geben. Die im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark aktiven Mitglieder wurden zwecks Wahrung ihrer Anonymität nicht befragt.

Um jedoch Informationen zum subjektiven Mehrwert des Zeit-Hilfs-Netz Steiermark für die hierin aktiven Personen, den gesellschaftlichen Mehrwert des Netzes und die Bedeutung des Tauschprinzips ableiten zu können, die Interpretation der Ergebnisse der Analyse der Inserate und der Expertenbefragung zu verfeinern sowie den Aspekt etwaiger zeitlicher Schwankungen im Angebot und in der Nachfrage näher zu untersuchen, wurde das Ergebnisprotokoll vom vierten Netzwerktreffen des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark, welches im April 2015 stattgefunden hat, herangezogen. Dieses ist gleichsam eine Zwischenbilanz der bisherigen Aktivitäten, Stolpersteine und Erfolge der ersten fünf Bestandsjahre des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark.

6.2 Methodische Vorgehensweise

6.2.1 Datenanalyse der Mitglieder- und Inseratendatenbank

Zur inhaltlichen Auswertung wurden anonymisierte Gesamtlisten der Mitglieder seit Gründung des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark im Jahr 2011 sowie Listen der Angebote und Nachfragen zu den Zeitpunkten 31. Dezember 2014 und 31. Dezember 2015 als Excel-Tabellen von der Landentwicklung Steiermark bereitgestellt. Das Datenmanagement – es wurden jährlich zum Stichtag 31. Dezember Anzahl und Art der Inserate erhoben –, die Art der Datenarchivierung sowie personelle Umstrukturierungen beim Datenbereitsteller begründen die Beschränkung auf den Vergleich der beiden Zeitpunkte 31. Dezember 2014 und 31. Dezember 2015. Die Erwartungen der Autoren dieses Beitrags an den Vergleich der Inserate bezogen sich auf die Identifikation geschlechts- und ZHN-gruppenspezifischer Unterschiede hinsichtlich Art und Menge der Angebote und Nachfragen.

In einem ersten Schritt wurden die drei Datenbanken über die Identifikationsnummer der registrierten Mitglieder miteinander verknüpft. Daran schloss sich eine auf der Auszählung von Häufigkeiten beruhende Analyse der Inhalte dieser drei Datenquellen an, durch die sich folgende Aspekte darstellen lassen:

  • das demographische Profil der registrierten Mitglieder über die Merkmale Alter und Geschlecht,

  • die Wohnadressen der registrierten Mitglieder,

  • die konkrete Absicht der registrierten Mitglieder, Leistungen aktiv zu erbringen und/oder zu empfangen (über die Zuordnung als anbietendes und/oder nachfragendes Mitglied),

  • die quantitative Dimension und kategorienbezogene Struktur von Angebot und Nachfrage sowie das Verhältnis von Angebot und Nachfrage (über die Häufigkeit der angebotenen und/oder nachgefragten Leistungsbereiche),

  • die differenzierte, kategorienbezogene Darstellung des Leistungsspektrums (über die zusätzlichen Detailangaben zu den von den Mitgliedern angebotenen und nachgefragten Hilfestellungen),

  • die kategorienbezogenen Unterschiede in der Angebots- und Nachfragestruktur zu den definierten zwei Zeitpunkten.

Die theoretische Passung von Angebot und Nachfrage wurde wie folgt konstruiert: Zuerst wurden die Detailbeschreibungen der Angebote und Nachfragen getrennt nach Kategorien bzw. Leistungsbereichen und ZHN-Gruppen für den jeweils aktuell verfügbaren ZeitpunktFootnote 11 auf Hinweise zu den zeitlichen und räumlichen Bedingungen des Angebots und den Besonderheiten der Nachfrage hin untersucht. Die Auseinandersetzung der zeitlichen Dimension dient der Klärung, ob die Leistungen mitgliederbezogen und kategorienbezogen wiederkehrend angeboten bzw. nachgefragt werden. Zur Darstellung der zeitbezogenen Rhythmik wurden a priori zwei Ausprägungen festgelegt: unregelmäßig und regelmäßig. In weiterer Folge wurden alle Detailbeschreibungen der Angebots- und Nachfrageinserate auf zeitbezogene Hinweise überprüft. Der Ausprägung „unregelmäßige Hilfen“ wurden alle Inserate zugeordnet, die verbale Beschreibungen enthalten, die explizit die Unregelmäßigkeit des Angebots bzw. der Nachfrage zum Ausdruck bringen wie etwa „ab und zu“, „bei Gelegenheit/gelegentlich“, „im Bedarfsfall“, „im Notfall“ oder „spontan“; der Ausprägung „regelmäßige Hilfen“ wiederum alle, in denen der Begriff „regelmäßig“ vorkommt. Aus der Analyse der räumlichen Reichweite, das heißt des Aktionsradius der Anbietenden bzw. der aus der Sicht der Nachfragenden erforderlichen Aktionsradien, sollten die Fahraufwände abgeleitet werden. Diese räumliche Anforderung wurde wie folgt codiert: „1“ für Reichweite bzw. Aktionsradius innerhalb der Wohngemeinde der Anbietenden bzw. Nachfragenden, „2“ für inner- und außerhalb der Wohngemeinde, „3“ für außerhalb der Wohngemeinde. Nicht eindeutig zuordenbare Angaben erhielten den Wert „4“ (Aktionsradius unbestimmt).

Danach wurden die neucodierten Daten in einer Datenbank zusammengeführt und über die kategorienbezogene, zeitliche und räumliche Kongruenz alle theoretischen Tauschpaare (Tandems) auf der Ebene der ZHN-Gruppen ermittelt. Abschließend wurde der zeitliche Aufwand für die theoretisch möglichen Tauschakte festgestellt. Durch die Berechnung der Entfernungen zwischen den Wohnadressen der Tandempartner über Google Maps wurde der zeitliche Aufwand der Distanzüberwindung mit dem Auto bzw. die erforderliche Gehzeit bestimmt. Der Umfang von im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark bereits geleisteten Stunden, die Intensität der Tauschbeziehung(en) und die Abschätzung der Reziprozität der Tauschbeziehungen im Netz, wie sie von Fraňková, Fousek, Kala et al. (2014: 268) im Jahr 2013 an einem tschechischen Beispiel gezeigt worden ist, ließen sich auf der Basis der verfügbaren Daten jedoch nicht abbilden.

6.2.2 Explorative Expertenbefragung

Im Frühjahr 2016 wurden die mit der Organisation des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark betrauten Mitarbeiter der Landentwicklung Steiermark sowie alle Gruppenleiter mittels schriftlicher Befragung um eine Reflexion der Ergebnisse der Mitglieder- und Inseratenanalyse, der Bestimmungsfaktoren der Teilhabe der Personen, eine Einschätzung des aktuellen Beitrages des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark zur Schließung von kommunalen Versorgungslücken sowie um einen Ausblick auf die nähere Zukunft des Netzes ersucht. Der Fragebogen für die Gruppenleiter umfasste 23 offene Fragen sowie ein Textfeld für Anmerkungen und wurde von der Landentwicklung Steiermark an die zehn Gruppenleiter per E‑Mail übermittelt. Fünf Gruppenleiter nahmen an der Befragung teil. Der Fragenkatalog für die Mitarbeiter der Landentwicklung Steiermark enthielt dieselben Fragen sowie zwei weitere zu den Hintergründen für das Ausscheiden bzw. Neuhinzukommen von ZHN-Gruppen. Die Antworten wurden thematisch gegliedert, nach der Methode des ständigen Vergleichens nach Glaser und Strauss (1998) synthetisiert und mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (2002) ausgewertet.

6.2.3 Dokumentenanalyse des Ergebnisprotokolls zum vierten Netzwerktreffen des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark

Das 13-seitige Fotoprotokoll des vierten Netzwerktreffens des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark fasst die Erfahrungen der im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark engagierten Personen und deren Bewertung von Erfolg und Mehrwert des Netzes für die Lebensqualität zusammen. Insgesamt wurden im Zuge dieser Veranstaltung – sie dient gleichsam als Evaluierung der bisherigen Aktivität des Netzes – von fünf ZHN-Gruppen Poster zur Entstehungsgeschichte der einzelnen ZHN-Gruppen, drei Poster zu gruppenspezifischen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen (Aktivitäten) und sieben Poster, die die Erfolgslinien der jeweiligen ZHN-Gruppe (einschließlich der Stolpersteine) visualisieren, erstellt. Diese Poster wurden von den Autoren inhaltsanalytisch ausgewertet. Fokussiert wurde dabei auf die inhaltliche Ebene der Poster, die gruppenspezifische Aktivität, die seitens der ZHN-Gruppen entlang einer Zeitleiste eingetragenen Erfolge bzw. Misserfolge sowie die Meilensteine und Hindernisse. Die Inhalte der Poster wurden in einen Text übertragen, der themenzentriert und gruppenvergleichend ausgewertet wurde. Da die auf den Postern verwendeten Begriffe zur Bezeichnung derselben Gegenstände kaum voneinander abweichen, wurde auf das Kodieren von Textpassagen verzichtet und gleich zur Häufigkeitsauszählung bestimmter Textmerkmale (vgl. Merten/Teipen 1991: 103) übergegangen.

7 Ergebnisse

Die im Folgenden vorgestellten Ergebnisse entstanden durch das Zusammenführen der quantitativen und qualitativen empirischen Befunde.

7.1 Mitgliederstruktur und demographisches Profil der engagierten Personen

Seit 2011 haben sich 348 Personen im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark registrieren lassen. Am 31. Dezember 2014 hatte das Zeit-Hilfs-Netz Steiermark 229, ein Jahr später 252 eingetragene Mitglieder, obwohl zwischenzeitlich zwei Gruppen ihre Tätigkeit eingestellt haben. Die zum 31. Dezember 2015 höhere Mitgliederzahl ist auf die steigenden Mitgliederzahlen in sieben von acht ZHN-Gruppen sowie auf die kontinuierliche Teilhabe der bereits in den ZHN-Gruppen registrierten Mitglieder zurückzuführen. Nach Ansicht der Gruppenleiter begründet sich das Ausscheiden einzelner Mitglieder hauptsächlich aus Wohnstandortwechseln bzw. aus deren Ableben. Etwas mehr als die Hälfte der sich aktuell engagierenden Personen war bereits im Jahr davor aktiv, und die Anzahl der registrierten Mitglieder, die mehr als eine Leistung anbieten bzw. nachfragen, ist niedriger als noch vor einem Jahr (vgl. Tabelle 2).

Tabelle 2 Eckdaten zu den im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark registrierten Mitgliedern

Hinsichtlich der Anzahl an aktiven Mitgliedern und der Spannweiten der aktiven Mitglieder unterscheiden sich die ZHN-Gruppen deutlich voneinander: Die Kleinstadt Trofaiach verzeichnet 44 aktiv anbietende und 31 nachfragende Personen. In den anderen sieben derzeit aktiven ZHN-Gruppen sind zwei bis 25 anbietende Personen bzw. eine bis sieben nachfragende Personen verzeichnet.

Nach Ansicht der Gruppenleiter lassen sich die Veränderungen der Mitgliederzahlen ebenso wie die Auflösung von ZHN-Gruppen aus den Herausforderungen der Mitgliederwerbung, den unterschiedlichen (individuellen) Möglichkeiten der Aufrechterhaltung des Engagements und der vergleichsweise geringen Nachfrage nach angebotenen Leistungen erklären. Als zentrale Herausforderungen der Mitgliederwerbung werden Schwellenangst, das Nicht-annehmen-Können von Hilfe durch familienferne Personen, die Ansicht, (als älterer Mensch) keine Gegenleistung anbieten zu können, sowie die Sorge, dass die MitgliedschaftFootnote 12 im Zeit-Hilfs-Netz einen parteipolitischen Zusammenhang begründet, genannt. Die im Vergleich zum Angebot geringe Nachfrage wird auf die nicht erfüllbaren überzogenen Erwartungen der (ehemaligen) Nachfragenden in Bezug auf die Regelmäßigkeit der Unterstützung und die enttäuschte Hoffnung auf Substitution kostenintensiver professioneller (handwerklicher) Dienste zurückgeführt. Übrig bleiben somit jene (potenziellen) Nachfrager, die sich des Erfordernisses von (gelegentlicher) Unterstützung bewusst sind, um Hilfe bitten können und der eigenen Einsamkeit aktiv etwas entgegensetzen möchten. Soziale Motive stehen für sie, wie Blüml (2015: 87 f.) für eine ZHN-Gruppe festgestellt hat, im Vordergrund.

Die Voraussetzung und Motivation zur Teilhabe am Zeit-Hilfs-Netz Steiermark besteht nach Ansicht der Gruppenleiter darin, etwas Sinnvolles tun zu wollen, rasch und unbürokratisch unterstützungssuchenden Personen helfen zu können sowie die Möglichkeit zu haben, die hierfür notwendigen Zeitreserven zu mobilisieren und die Unterstützungsaktionen in den eigenen Alltag gut integrieren zu können. Unlängst zugezogene Personen sehen in diesem Zusammenhang eine gute Gelegenheit, sich in der neuen Wohngemeinde rascher zu integrieren. Personen, die mit plötzlich veränderten Lebensumständen konfrontiert sind, freuen sich auf neue Kontakte. Die Anbieter wiederum erwarten keine Gegenleistung. Ihnen genügt es, wenn ihre Angebote nachgefragt werden. Andernfalls werden sie ungeduldig und scheiden aus dem Zeit-Hilfs-Netz Steiermark aus.

Die Beteiligung von Frauen liegt zu beiden Zeitpunkten über jener der Männer, auch bei den Mehrfachanbietenden (vgl. Tabelle 2). Das Verhältnis von Frauen zu Männern, die zu beiden Zeitpunkten mehrere Hilfestellungen anbieten, beträgt rund 3:1. Die Analyse der nachfragenden Mitglieder zeigt Ähnliches: Zu beiden Zeitpunkten besteht ein Frauenüberhang. Das Verhältnis Frauen zu Männer, die zu beiden Zeitpunkten anbieten, liegt bei 5:1. Die Gruppenleiter vermuten hinter der überproportionalen Teilhabe von Frauen ein ausgeprägteres Bewusstsein für soziale Anliegen, mehr Kommunikationsfreude und Interesse an persönlichem Austausch, hinter der geringeren Beteiligung von Männern das Engagement in anderen Vereinen und Organisationen und ein höheres Maß an Überwindung, sozial tätig zu werden.

Zu beiden Zeitpunkten stellen Personen im Erwerbsalter (20 bis 59 Jahre) gefolgt von den über 60-Jährigen den größten Anteil unter den (aktiven) Mitgliedern, während Personen über 60 Jahre am häufigsten nachfragen. Die Altersstruktur der aktiven Mitglieder ist in den ZHN-Gruppen unterschiedlich: Teilweise fehlen ganze Alterskohorten (vor allem die 20- bis 39-Jährigen), eine einzige ZHN-Gruppe ist altersstrukturell ausgewogen. Dies führen die Mitarbeiter der Landentwicklung Steiermark auf die intensive Bewerbung und Betreuung der ZHN-Gruppe in der und durch die Standortgemeinde zurück.

Junge Menschen sind mit Ausnahme einer ZHN-Gruppe, in welcher das aktive Engagement „belohnt“ wird,Footnote 13 im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark unterrepräsentiert. Die Beteiligung der unter 20-Jährigen ist zu beiden Zeitpunkten gering: Per 31. Dezember 2014 boten vier Personen Hilfe an, eine Person fragte nach. Ein Jahr später gab es acht anbietende und zwei nachfragende junge Menschen. Diese geringe Beteiligung erklären die Gruppenleiter und die Mitarbeiter der Landentwicklung Steiermark mit der selektiven Abwanderung und der Dynamik dieser Lebensphase, die durch andere Prioritäten, knappe Zeitbudgets und geringe Präsenz vor Ort gekennzeichnet ist.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass Frauen (74% aller Anbietenden) (vgl. Abbildung 2) und Personen, die im Erwerbsalter sind bzw. am Übergang in die nachberufliche Lebensphase stehen (50% aller Anbietenden), gleichsam das Rückgrat der Gebenden bilden. Dies bezieht sich einerseits auf die Beteiligung der 50-bis 69-Jährigen, andererseits auf die thematische Bandbreite der von ihnen angebotenen (Dienst‑)Leistungen.

Abbildung 2
figure 2

Anbieter nach Geschlecht (31. Dezember 2015)

7.2 Qualität und Quantität der angebotenen und nachgefragten Leistungen

7.2.1 Vielfältiges Leistungsspektrum

Zum Zeitpunkt der Datenanalyse wurden Leistungen in zehn Kategorien (vgl. Kapitel 5.2) angeboten bzw. nachgefragt. Die Analyse der Detailbeschreibungen der Leistungen spiegelt die inhaltliche Vielfalt und die Spezifität der Offerte wider: In der Kategorie „administrative Hilfen“ finden sich neben allgemeinen, nicht näher spezifizierten Hilfestellungen auch Angebote zur Unterstützung beim Umgang mit dem Computer, zur Übernahme von Behördenwegen und Unterstützung bei Schulaufgaben. Die Kategorie „Fahrtendienste/Begleitung“ umfasst – abgesehen von allgemeinen, nicht näher spezifizierten Hilfestellungen – auch Angebote und Nachfragen für Einkaufsfahrten, Botengänge sowie die Begleitung zum Arzt oder zur Apotheke. Die Kategorie „Freizeit/Geselliges“ ist am stärksten ausdifferenziert und enthält allgemein gehaltene Inserate zu gemeinsamen oder begleiteten Außer-Haus-Aktivitäten (darunter vor allem Begleitung beim Spazierengehen, Hund ausführen, mit den Kindern spazieren gehen), aber auch spezifischere Angebote und Nachfragen in der häuslichen Freizeitgestaltung (wie z. B. Vorlesen, Kartenspielen, Plaudern, Stricken beibringen, Unterricht in einem bestimmten Musikinstrument). Personen, die in der Kategorie „handwerkliche Hilfen“ Inserate schalten, suchen bzw. bieten Unterstützung vor allem bei der Übernahme von (kleineren) Reparaturarbeiten im Haus sowie bei der Gartenpflege. Die Kategorie „Hilfe beim Kochen und Essen“ umfasst Angebote für die (fallweise) Unterstützung beim Backen bzw. beim Zubereiten von Mahlzeiten. Die Angebote und Nachfragen in der Kategorie „Hilfe im Haushalt“ sind unterschiedlich detailliert beschrieben. Alle Leistungen beziehen sich auf klassische Arbeiten im Haushalt wie Fensterputzen, Bügeln oder die Betreuung der Wohnung während des Urlaubs. Leistungen im Bereich „Kinderbetreuung“ fokussieren die stundenweise Betreuung bzw. Unterstützung der Kinder in schulischen Angelegenheiten. Einzelangebote im Bereich „Gesundheit und Körperpflege“ spannen den Bogen von der Gesprächstherapie bis hin zur Hospizbegleitung. In den beiden Kategorien „Selbstgemachtes aus dem Garten“ und „Secondhandprodukte“ finden sich vereinzelt Angebote, die nicht näher spezifiziert sind.

7.2.2 Kategorienbezogene Schwerpunkte und die Relation von Angebot und Nachfrage

Am häufigsten sind Angebote in den Kategorien „Freizeit/Geselliges“, „Fahrtendienste/Begleitung“, „handwerkliche Hilfen“ und „Hilfe im Haushalt“. Sie stammen von Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren. Männer engagieren sich vor allem in den Bereichen „handwerkliche Hilfen“ und „administrative Hilfen“, bieten Fahrtendienste, Begleitungen sowie Unternehmungen im Rahmen der gemeinsamen Freizeitgestaltung an. Ein ausgedünntes Angebot gibt es in den Kategorien „Gesundheit und Körperpflege“ sowie „Kinderbetreuung“. Mit Ausnahme der Kategorie „Freizeit/Geselliges“ zeigt die Analyse der Angebotsinserate kategorienbezogene Schwankungen. Die Aktivität der Zugehörigen zu den anderen Altersgruppen hingegen streut über das Leistungsspektrum.

Die größte Nachfrage gibt es zu beiden Zeitpunkten in den Kategorien „Freizeit/Geselliges“, „Hilfe im Haushalt“ und „handwerkliche Hilfen“. In Bezug auf die Kategorie „Freizeit/Geselliges“ fällt die Bedeutung der Nachfrage nach Besuchen zuhause, Gesprächen und dem gemeinsamen Spazierengehen auf. Vergleichsweise mäßig nimmt sich die Nachfrage nach Fahrtendiensten und Begleitungen aus.

Dass Personen gleichzeitig Anbieter und Nachfrager sind, stellt nicht den Regelfall, sondern die Ausnahme dar. Somit verwundert nicht, dass quantitativ das Angebot die Nachfrage überwiegt. Zum 31. Dezember 2014 boten 107 Personen 194 Hilfestellungen an, zum 31. Dezember 2015 waren es 96 Personen mit 162 Angeboten. Zu beiden Zeitpunkten werden dreimal so viele Leistungen angeboten wie nachgefragt (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 3
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Kategorienbezogenes Angebot und Nachfrage im Vergleich

Die Nachfrage kommt tendenziell von Frauen. Sie fragen vor allem in den Kategorien „Freizeit/Geselliges“ und „Hilfe im Haushalt“ nach (vgl. Abbildung 4). Hinsichtlich der altersspezifischen Nachfrage überrascht beispielsweise die der 70- bis 79-Jährigen nach Fahrtendiensten wenig. Umso erstaunlicher ist – trotz der kleinen Fallzahlen – die große Nachfrage in den Kategorien „Freizeit/Geselliges“, „handwerkliche Hilfen“ und „Hilfe im Haushalt“ über alle Altersgruppen.

Abbildung 4
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Nachfrager nach Geschlecht (31. Dezember 2015)

Sowohl das aktuelle gruppenspezifische Angebot als auch die Nachfrage orientieren sich laut Auskunft der Gruppenleiter am momentanen Bedarf. Somit ergeben sich neben thematischen Jahresschwerpunkten – 2014 Betreuung älterer Menschen, 2015 Betreuung von Asylbewerbern – und gemeinsam festgelegten Aktivitäten (z. B. EDV-Kurs für Senioren in Zusammenarbeit mit Schulen, Thementage, Flohmärkte/Sammeln für gute Zwecke) auch saisonale Schwerpunkte (z. B. Tausch von Gartenpflanzen, Gartenbetreuung während des Sommerurlaubs).

Hinsichtlich der Angebots- und Nachfragestruktur ähneln die ZHN-Gruppen einander: In jeder ZHN-Gruppe gibt es Personen, die handwerkliche Hilfen anbieten; Freizeit/Geselliges wird mit einer Ausnahme in allen derzeit aktiven ZHN- Gruppen nachgefragt, Fahrtendienste/Begleitung werden mit Ausnahme von einer ZHN-Gruppe nicht nachgefragt, und es besteht kein Bedarf nach Unterstützung beim Kochen und Essen, bei Gesundheit und Körperpflege sowie den beiden 2015 neu eingeführten Kategorien „Secondhandprodukte“ und „Selbstgemachtes aus dem Garten“. Kinderbetreuung wird ebenfalls kaum nachgefragt. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich hierbei um einen sensiblen Bereich handelt (Verantwortung, Haftungsfragen) oder andere Betreuungsmöglichkeiten genutzt werden. Das vorhandene Angebot im öffentlichen Personennahverkehr, die (nach wie vor gegebene) eigene Pkw-Fahrtüchtigkeit sowie verlässliche informell organisierte Fahrgemeinschaften wiederum könnten die generell geringe Nachfrage nach Fahrtendiensten und Begleitung erklären.

Weshalb sich im Vergleich der beiden Zeitpunkte kategorienbezogene gegenläufige Entwicklungen von Angebot und Nachfrage in den Bereichen Freizeitgestaltung und administrative Unterstützung zeigen, lässt sich nicht hinreichend erklären. Es scheint, dass Menge und Art der über das Zeit-Hilfs-Netz Steiermark angebotenen und nachgefragten Leistungen von der Anzahl und Fluktuation der momentan aktiven Mitglieder, deren spezifischen Fertigkeiten und persönlichen Interessen sowie den spontan entstehenden Bedarfen bei sich plötzlich verändernden Lebenssituationen (z. B. Tod des Ehepartners) gesteuert werden und Trends erst durch eine Längsschnittbetrachtung sichtbar gemacht werden können.

7.2.3 Bedingungen des Angebots und Besonderheiten der Nachfrage

Es ist anzunehmen, dass Tauschbeziehungen dann eingegangen werden, wenn sowohl inhaltliche Übereinstimmung als auch Einvernehmen über die Zeitlichkeit und Räumlichkeit der Leistungserbringung gegeben und die Erreichbarkeit gewährleistet sind. Angesichts dieser Erfordernisse bringt die Analyse der Inserate Interessantes ans Licht: Es gibt einen Überhang an unregelmäßigen Angeboten, während die Nachfragenden zu beiden Zeitpunkten den Wunsch nach regelmäßiger Unterstützung signalisieren (vgl. Abbildung 5).

Abbildung 5
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Anbieter- und nachfragerspezifische Vorstellungen über die Zeitlichkeit des Tausche(n)s

Hinter der Unregelmäßigkeit der Angebote ist die fehlende Bereitschaft der Anbietenden zur zeitlichen Bindung oder der Wunsch nach Spontaneität in der Hilfestellung (vgl. Carroll 2013: 140; Shih/Bellotti/Han et al. 2015: 1081) zu vermuten. Die Bedeutung anderer Einflussfaktoren kann auf der Basis der vorliegenden empirischen Befunde nicht abgeleitet werden.

Im Vergleich der beiden Zeitpunkte fallen neben dem quantitativen Rückgang der Nachfrage auch kategorienspezifische Verschiebungen hin zur Nachfrage nach Unterstützung im Bedarfsfall auf. Während ein Jahr zuvor die Nachfrager einen tendenziell regelmäßigen Bedarf in den Kategorien „Fahrtendienste/Begleitung“, „Freizeit/Geselliges“, „handwerkliche Hilfen“, „Kinderbetreuung“ und „Hilfe im Haushalt“ anmeldeten, ist die Nachfrage zum 31. Dezember 2015 – mit Ausnahme der Kategorien „Fahrtendienste/Begleitung“ und „Kinderbetreuung“ – tendenziell anlassfallbezogen. Die Gruppenleiter erklären diese Entwicklung mit der ihrerseits geleisteten Aufklärungsarbeit zwecks Erdung der Ansprüche und Erwartungen der NachfragendenFootnote 14 durch den permanenten Hinweis auf die Freiwilligkeit der im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark erbrachten Leistungen und die scharfe Abgrenzung zu professionellen Diensten.

Die Analyse der 141 Angaben für den ersten und der 120 Angaben für den zweiten Zeitpunkt zu den räumlichen Reichweiten bzw. seitens der Anbietenden erforderlichen Aktionsradien zeigt, dass das häusliche Umfeld sowie die (eigene) Wohngemeinde die beiden wichtigsten räumlichen Bezugsebenen der Leistungserbringung und -nachfrage sind (vgl. Abbildung 6).

Abbildung 6
figure 6

Erforderliche Reichweiten der angebotenen und nachgefragten Leistungen

Zudem werden die kategorienspezifisch unterschiedlichen Mobilitätserfordernisse der Anbietenden sichtbar: Sowohl bei den administrativen Hilfen als auch bei „Freizeit/Geselliges“ spielt die Wohngemeinde des Anbieters und des Nachfragers eine zentrale Rolle.Footnote 15 Administrative Hilfen und Beiträge im Bereich „Freizeit/Geselliges“ werden vornehmlich für Personen, die in derselben Wohngemeinde wie die Anbieter wohnen, geleistet. In Bezug auf „Fahrtendienste/Begleitung“ geht der Aktionsradius der Anbietenden über die eigene Wohngemeinde hinaus und richtet sich (theoretisch) (partiell) nach den Ansprüchen der Nachfragenden. Diesen wiederum ist es tendenziell ein Anliegen, beispielsweise zwecks gemeinsamer Freizeitgestaltung (vor allem Spazierengehen, Kartenspielen) oder für administrative Hilfen die Wohngemeinde nicht verlassen zu müssen. In Bezug auf die Kategorie „Fahrtendienste/Begleitung“ beschreiben die Nachfragenden die Zielorte nicht näher, sondern erläutern den mit der Fahrt verbundenen Zweck und bekunden die Absicht, selbst mitzufahren.

7.3 Zur Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage und zur Bedeutung des Tauschens

Die inhaltliche, zeitliche und aktionsräumliche Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage bildet die Voraussetzung für eine (theoretische) Tauschbeziehung. Die Analyse der Inserate (vgl. Tabelle 3) ergibt, dass sich aus den aktuell 106 registrierten Anbietern, 52 registrierten Nachfragern und 131 aktiven Mitgliedern theoretisch 160 Tandems bilden lassen, von denen insgesamt 69 Personen profitieren (könnten).

Tabelle 3 Die Passfähigkeit von Angebot und Nachfrage

Die Entfernungen zwischen den Wohnstandorten der (theoretisch) zusammenpassenden Anbietenden und Nachfragenden reichen von 78 bis einigen Hundert Metern bis hin zu mehr als 12 Kilometern in Kleinstädten wie auch Landgemeinden. Der zeitliche Aufwand für die Distanzüberwindung beträgt in den Standortgemeinden tendenziell mehr als fünf Autominuten. Die geringen Fallzahlen und die Zufallsbedingtheit der theoretischen Passung lassen keine raumtypenspezifischen Schlussfolgerungen für die zeitlichen Aufwände für die Distanzüberwindung der Tauschpartner zu. Für das Zustandekommen von Tauschbeziehungen scheint in Anbetracht der Altersstruktur der Helfenden die Pkw-Fahrtüchtigkeit Voraussetzung für das aktive Anbieten zu sein (vgl. auch Blüml 2015: 90), zumal in den ländlichen Fallbeispielgemeinden die innergemeindliche Erschließung mittels öffentlichem Personennahverkehr meist nicht gegeben oder dessen Nutzung im Vergleich zum Pkw zu aufwändig ist. Die Bequemlichkeit durch das Auto ist vor allem dann von Belang, wenn ein Anbieter mehrere Nachfragende bedient und es in dispersen Siedlungsstrukturen mit bewegter Topographie weite Wege zurücklegen muss.

Die Reziprozität, das heißt das wechselseitige Geben und Nehmen, lässt sich auf Basis der zur Auswertung vorliegenden Informationen nicht bestimmen. Die Ergebnisse des Ergebnisprotokolls bestätigen die Einschätzung der Gruppenleiter in Bezug auf die Bedeutung des Tauschprinzips: Das gleichzeitige Anbieten und Nachfragen von Unterstützung ist in allen ZHN-Gruppen die Ausnahme. Selbst die intensive Bewerbung des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark und die Aufklärungsarbeit seitens der Gruppenleiter ändern daran nichts. Trotzdem sei der Bestand des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark nach Ansicht der Gruppenleiter nicht gefährdet. Es habe sich lediglich der Wandel des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark weg von den Tauschaktionen hin zu einer Plattform der Begegnung, wo das Zusammenkommen, Freundschaft schließen und die gemeinsame Betätigung der Mitglieder im Vordergrund stehen, vollzogen. Vielmehr sei es als Erfolg zu werten, dass aus dem Zeit-Hilfs-Netz Steiermark ausgeschiedene Personen einander weiterhin treffen und sich informell unterstützen. Man solle sich darüber freuen, dass die Nachbarschaftshilfe wieder funktioniert.

Hinsichtlich der quantitativen Dimension kommt dem Zeit-Hilfs-Netz Steiermark nach Ansicht der Gruppenleiter in der Daseinsvorsorge flankierende Bedeutung zu. Auch sei das Funktionieren des Zeit-Hilfs-Netzes durch den Rückbau der kommunalen Basisinfrastruktur weder bedroht, noch sei zu befürchten, dass das Netz diese irgendwann gar ersetzen solle. Auch müsse im Hinblick auf die Zukunft des Zeit-Hilfs-Netzes die Bedeutung von (statistischen) Kennzahlen zur Evaluierung von erfolgreich organisierter Nachbarschaftshilfe reflektiert und diskutiert werden, um nicht in die Rechtfertigungsfalle zu tappen.

8 Diskussion der empirischen Befunde

Da es sich bei den empirischen Ergebnissen zum Zeit-Hilfs-Netz Steiermark um Momentaufnahmen handelt, ist Behutsamkeit bei der Ableitung des Mehrwerts dieser Zeitbank für die Lebensqualität und Potenziale der Beteiligten im Kontext der Daseinsvorsorge geboten. Der hohe Detaillierungsgrad der empirischen Befunde zum Zeit-Hilfs-Netz Steiermark lässt eine inhaltlich-strukturelle Einordnung in Bezug auf andere österreichische Zeitbanken nicht zu, wohl aber einen Vergleich in Bezug auf die Mitgliederzahlen. Höllhumer und Trukeschitz (2016: 16) stellen fest, dass die durchschnittliche Mitgliederzahl auf der Organisationsebene 139 Mitglieder, auf der lokalen Ebene 32 Mitglieder umfasst. Somit liegt das Zeit-Hilfs-Netz Steiermark auf der Organisationsebene mit einer Mitgliederzahl von knapp 350 Personen weit über dem und mit 31 Personen auf lokaler Ebene (ZHN-Gruppen) im Durchschnitt.

Am Beispiel des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark lässt sich zeigen, dass Zeitbanken vorrangig von Frauen mittleren Alters getragen werden. Dies weicht zwar von den Ergebnissen einer österreichweiten Studie (IFES 2013) ab, die ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Bereich der informellen Freiwilligenarbeit und einen Männerüberhang in der formellen Freiwilligenarbeit identifiziert, reiht sich aber in die internationalen Befunde zu Zeitbanken ein (vgl. Neymotin 2016: 155). Die geschlechtsspezifischen Besonderheiten des Angebots – Frauen bieten bevorzugt Unterstützung in den Bereichen „Freizeit/Geselliges“ und „Hilfe im Haushalt“ an, Männer im Bereich „handwerkliche Hilfen“ – decken sich mit der geschlechterspezifischen Struktur der informellen Freiwilligenarbeit in Österreich (IFES 2013: 40). Ob ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis und die Erhöhung der Beteiligung junger Menschen vorhandene Lücken im Portfolio des Zeit-Hilfs-Netzes Steiermark (z. B. Tätigkeiten, die mit körperlichen Belastungen verbunden sind) schließen könnten, bleibt ebenso unbeantwortet wie die Frage, inwiefern das Engagement in anderen Vereinen (wie beispielsweise Sport- und Musikvereinen) oder das berufliche Fortkommen junge Menschen von einer Teilhabe im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark bzw. an organisierter Nachbarschaftshilfe abhält (Pantea 2015: 277 ff.) bzw. inwiefern die Art der im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark nachgefragten Leistungen den Interessen junger Menschen entgegensteht.

Die quantitative Bedeutung der im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark angebotenen und nachgefragten Leistungen ist trotz der kleinräumigen Organisationsstruktur gering. Das Angebot überwiegt die Nachfrage, und es dominieren Handreichungen in Bezug auf die Freizeitgestaltung, Hilfe im Haushalt und handwerkliche Unterstützung. Dieser empirische Befund bringt damit einen international belegten zentralen Stolperstein für Zeitbanken ans Licht: nicht um Hilfe bitten zu können oder zu wollen (nef 2008: 1; Valor/Papaoikonomou 2016: 9). Die im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark verhältnismäßig große Bedeutung von Angeboten und Nachfragen im Bereich „Freizeit/Geselliges“ für die Zugehörigen aller Altersgruppen und die kurzen Distanzen zwischen den Wohnstandorten der theoretischen Tandempartner lassen vermuten, dass die – möglicherweise auch unterschiedlichen sozialen Milieus zugehörigen – Menschen einander im Alltag bzw. im öffentlichen Raum nicht (mehr) begegnen (Dangschat/Hamedinger 2007: 228) bzw. sich nicht einfach so im Vorbeigehen über ihre Bedarfe austauschen. Abseits der Einzelbeiträge, die im Zeit-Hilfs-Netz im Kontext der Daseinsvorsorge erbracht werden, zeigt sich, dass durch die Teilhabe am Netz jedenfalls individuelle Mehrwerte für das subjektive WohlbefindenFootnote 16 entstehen: Die aktiv Gebenden tun etwas in deren Augen Sinnvolles und erwarten dafür Anerkennung anstelle von Gegenleistungen (vgl. auch nef 2008: 3; Shih/Bellotti/Han et al. 2015: 1078 ff.) und freuen sich über die Gelegenheit, über das Zeit-Hilfs-Netz Freundschaften zu schließen, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und an die Community anzudocken (vgl. Pacione 1997: 421 f.).Footnote 17 Offenbar sehen sowohl die Anbietenden als auch die Nachfragenden in der Teilhabe am Zeit-Hilfs-Netz Steiermark eine Möglichkeit, der Einsamkeit zu entfliehen.

Über die Robustheit und die Bedeutung organisierter Nachbarschaftshilfe im Allgemeinen und von Zeitbanken im Speziellen im Stufenbau der Daseinsvorsorge muss angesichts der demographischen, gesellschaftlichen Verschiebungen und der Wirkkraft weiterer raumbezogener Einflussfaktoren kritischer denn je diskutiert werden, selbst wenn gesellschaftliche Mehrwerte auf ein koproduktives Moment schließen lassen.

Angesichts des hohen Anteils bereits heute älterer im Netz aktiver Personen, der geringen Anzahl der Inserate und der zeitlichen und räumlichen Spezifika der angebotenen und nachgefragten Leistungen handelt es sich um einen Glücksfall, wenn eine angebotene Leistung auf eine passgenaue Nachfrage und umgekehrt trifft. Im Zeit-Hilfs-Netz Steiermark ist man sich dessen bewusst und akzeptiert, dass der Tauschgedanke nicht mehr im Vordergrund steht. Der Wandel des Netzes in Richtung gemeinschaftliche Aktivität mündet in die Frage, ob es noch dem Modell Zeitbank zuordenbar ist und wie es sich in das Angebot bestehender anderer Vereine bzw. bürgerschaftlicher Genossenschaften einordnen lässt.

An der Optimierung seiner Selbstverortung im Stufenbau des Vereinswesens bzw. gar der Daseinsvorsorge arbeitet das Zeit-Hilfs-Netz Steiermark durch die Verbesserung der Kommunikation und Koordination mit anderen Vereinen und Professionisten bereits – zwecks klarer Abgrenzung ehrenamtlich erbringbarer Leistungen von kommerziellen Angeboten – auch aus Gründen der Qualitätssicherung, Versorgungssicherheit und Haftung. Somit können aus heutiger Sicht ehrenamtlich engagierte Personen das vorhandene (kommerzielle) Angebot auf kleinräumiger bzw. kommunaler Ebene bestenfalls ergänzen, nicht aber substituieren.

In diesem Zusammenhang ist angesichts der erwartbaren altersstrukturellen Verschiebungen im Profil der aktiven Personen verstärkt eine Auseinandersetzung darüber notwendig, inwiefern anderwärtiges formelles Engagement (z. B. in Vereinen) oder informelles Engagement im Rahmen der klassischen Nachbarschaftshilfe einen Hinderungsgrund für die Beteiligung an organisierter Nachbarschaftshilfe darstellt (Baumgartner/Kolland/Wanka 2013: 151), wie sich das Angebotsportfolio verändern wird, sobald erste körperliche Einschränkungen bei den Helfenden auftreten und die Pkw-Fahrtüchtigkeit als eine der zentralen Voraussetzungen zu helfen verloren geht, die Nachfragenden mehr Unterstützung in der Alltagsorganisation benötigen und sich die Bereitschaft zur freiwilligen Übernahme von Leistungen in der Freizeit älterer wie auch jüngerer Menschen verändert (vgl. Sundeen/Raskoff 2000: 188). Die Beteiligung immobiler und sehr alter Personen wird neben der Sicherung einer kritischen Masse an sich mittelfristig aktiv Engagierenden (vgl. Shih/Bellotti/Han et al. 2015: 1081) vor allem in von Bevölkerungsrückgang geprägten ländlichen Räumen zur zentralen Herausforderung werden.

Um die Bedeutung organisierter Nachbarschaftshilfe im Kontext der Daseinsvorsorge weiterhin auf einem stabilen, wenngleich quantitativ geringen Niveau halten zu können, wird es erforderlich sein, Ehrenamt kleinräumig professioneller zu organisierenFootnote 18, intensiver zu begleiten und finanziell zu stützen. Dabei muss man sich vor Augen führen, dass die kollektive Alterung ganzer Siedlungsbereiche bzw. Stadtteile die Reanimation passgenauer Nachbarschaftshilfe zunehmend behindern und eine stabile kommunale Basisinfrastruktur (wie etwa Lebensmittelgeschäfte, Gaststätten und Vereinslokale als Orte der Begegnung) eine zentrale Voraussetzung für unaufwendige und gelingende Unterstützung bleiben wird.