Der demographische Wandel mit seinen Folgen für die Stadt- und Regionalentwicklung ist auch nach etlichen Jahren intensiver wissenschaftlicher Analysen und breit gefächerter praktischer Erfahrungen ein Thema von großem gesellschaftspolitischem Interesse. Für die raumwissenschaftlichen Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft (4R), d. h. die Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL), das Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL), das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) und das Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), bildet die Thematik einen Schwerpunkt ihrer Arbeit. In den vergangenen Jahren wurde dieser Schwerpunkt auch im Rahmen des „Pakts für Forschung und Innovation“ gefördert. Mehrere Projekte und die internationale raumwissenschaftliche Dresden Leibniz Graduate School (DLGS), eine von 13 Graduiertenschulen, die von der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam mit Universitäten bisher initiiert worden sind, widmen sich diesem Thema.

Zum Abschluss des gemeinsamen Projekts „Demographischer Wandel – Komplexität als Herausforderung für die Stadt- und Regionalentwicklung“ führten die 4R-Einrichtungen zusammen mit ihrem universitären Projektpartner, dem Dresdner Zentrum Demographischer Wandel (ZDW), einer zentralen Einrichtung der Technischen Universität Dresden, im Jahr 2009 die internationale Konferenz „Leeres Land und bunte Stadt?“ durch. Klischees sollten dabei hinterfragt werden: Auf der einen Seite die wirtschaftlich vitalen, urbanen Zentren als Sammelbecken ganz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, auf der anderen Seite die peripheren, ländlichen Gebiete, geprägt durch selektive Bevölkerungsverluste? Gewinnerregionen auf der einen, Verlierer auf der anderen Seite? Die Konferenz verstand sich als Plattform, um aktuelle Forschungen zur zunehmenden Diversität räumlicher Entwicklungen in Zeiten des demographischen Wandels gemeinsam mit Vertretern aus Wirtschaft, Planungspraxis und Politik zu diskutieren.

Das vorliegende Heft von Raumforschung und Raumordnung greift die Thematik auf. Die publizierten Beiträge wurden fast ausschließlich bei der Konferenz präsentiert. Zwei Beiträge setzen sich vergleichend mit ländlich-peripheren Gebieten auseinander, drei Studien widmen sich der Quartiersentwicklung in Großstädten, eine davon fragt nach den Rahmenbedingungen für das Altern in einer (westdeutschen) Großwohnsiedlung. Ein Beitrag befasst sich mit einem Sektor, der insbesondere in einer alternden Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnen wird: der ambulanten ärztlichen Versorgung.

Anja Reichert-Schick vergleicht in ihrem Beitrag zwei ländlich-periphere Regionen, die Westeifel und Vorpommern. Beide sind zwar gleichermaßen vom demographischen Wandel betroffen, ihre aktuelle Lage und ihre Entwicklungsperspektiven unterscheiden sich jedoch grundlegend: Die Westeifel ist in einer deutlich stabileren und aussichtsreicheren Situation als Vorpommern. Beeindruckend ist die Tatsache, dass die Menschen – wie die Autorin in beiden Untersuchungsgebieten nachweist – gerne im ländlichen Raum leben und dessen Qualitäten schätzen. Dies ist ein Potenzial, das in der Zukunft noch systematischer genutzt werden könnte.

Patrick Küpper stellt in seinem Beitrag Ergebnisse aus seiner Dissertation vor, die er im Rahmen des gemeinsamen Projekts der 4R-Einrichtungen im IÖR geschrieben hat. Auf der Grundlage einer umfangreichen Befragung von Akteuren der Regionalpolitik in ländlich-peripheren Räumen weist er nach, dass der demographische Wandel inzwischen fast überall in Deutschland „angekommen“ ist. Überwiegend werden Strategien des Gegensteuerns, seltener hingegen der Anpassung verfolgt. Beachtenswert ist, dass – so der Autor – Empfehlungen der Wissenschaft zur Bewältigung des demographischen Wandels in dünn besiedelten, peripheren Räumen in der Praxis nur bedingt auf Resonanz zu stoßen scheinen.

Während sich die meisten raumwissenschaftlichen Arbeiten zum demographischen Wandel mit Regionen beschäftigen, die von Schrumpfung betroffen sind, setzt sich Thomas Pohl mit der demographischen „Gewinnerregion“ Hamburg auseinander. Die Stadt profitiert stark vom stetigen Zustrom von Zuwanderern. Allerdings zeigt ein differenzierter Blick, dass nicht alle Gebiete von der Zuwanderung profitieren. Das hat zur Folge, dass zum Beispiel die monofunktionalen Wohnquartiere in den suburban geprägten Stadtteilen durch starke Alterungsprozesse gekennzeichnet sind. Ein Fazit des Autors: Auch die Zuwanderung Junger kann Alterung nicht (überall) vermeiden. Für eindeutige Aussagen sind zukünftig jedoch mehr kleinräumlich differenzierte Grundlagen erforderlich.

Olaf Schnur und Ilka Markus erweitern die Fragestellung von Thomas Pohl und beschäftigen sich generell mit den Zukunftsaussichten von Quartieren bis zum Jahr 2030 unter dem Einfluss des demographischen Wandels. Auf der Grundlage einer Delphi-Studie erfassen sie wesentliche Akteure der Quartiersentwicklung, Einflussfaktoren und Zukunftstrends. Sie unterscheiden dabei acht Quartierstypen und erstellen ein Ranking der demographischen Betroffenheit. Die Megatrends der Quartiersentwicklung, die die Autoren aus den Antworten der Befragten ableiten, verdienen eine breitere Diskussion und eingehendere Untersuchungen.

Jan Hilligardt greift ein Thema auf, das in einer alternden Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnen wird, nämlich die ambulante ärztliche Versorgung. Er verfolgt die einschlägigen Diskussionslinien in der Bundesrepublik und zeigt – aus Sicht der Praxis – die Defizite und Herausforderungen im Bundesland Hessen auf. Er plädiert für neue Konzepte, da die aktuellen Planungsinstrumente der Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigungen sowie der Landes- und Regionalplanung seiner Meinung nach nicht in ausreichendem Maße zur Problemlösung beitragen (können).

Schließlich beleuchtet Birgit Wolter den demographischen Wandel aus einer Mikroperspektive. Sie setzt sich mit dem Altwerden in der Großwohnsiedlung auseinander. In ihrer Studie am Beispiel des Märkischen Viertels in Berlin zeigt sie auf, dass eine Großwohnsiedlung durchaus gute räumliche Voraussetzungen für das Wohnen im Alter besitzt. Sie mahnt einen neuen Blick auf Großwohnsiedlungen und ihre Potenziale an – gerade auch in einer alternden Gesellschaft.

Insgesamt zeigen die Beiträge, dass es viele Ansätze gibt, dem demographischen Wandel zu begegnen. Auch wenn einerseits immer noch viele Akteure in Gebieten mit rückläufiger Bevölkerungszahl in der Praxis gegenzusteuern versuchen, so gibt es doch andererseits auch viele kreative Ansätze, die von einem neuen Umgang mit dem demographischen Wandel zeugen oder diesen anmahnen. Und ebenso ist eine zweite Erkenntnis bemerkenswert: Auch wenn die Autoren vielfach noch das Klischee der „Überalterung“ unserer Gesellschaft benutzen, so zeigen sie doch auch gleichzeitig, dass Alterung immer mehr zum „Normalfall“ wird. Damit sind zwar erhebliche Herausforderungen verbunden, Alterung bietet aber auch erhebliche Chancen.

Resignation angesichts des demographischen Wandels ist fehl am Platz. Die Forschung wird sich noch stärker als bisher gerade mit den Chancen des demographischen Wandels auseinandersetzen und dabei einen differenzierenden Blick auf unterschiedlich strukturierte Gebiete werfen müssen. Die Autoren formulieren hierzu eine Vielzahl von Forschungsfragen. Die Leibniz-Gemeinschaft wird auch in Zukunft ihren Beitrag dazu leisten, dass der Dialog über den demographischen Wandel in der Wissenschaft sowie zwischen Wissenschaftlern und Praktikern weiter vorangetrieben wird: Theoria cum praxi – Wissenschaft im Dienste der Gesellschaft.