Zusammenfassung
Viele Studierende brechen ihr Studium im Fach Mathematik bereits im Verlauf des ersten Studienjahres ab. Als Gründe für die hohe Abbruchquote werden neben dem unterschiedlichen Charakter der Mathematik auch die unterschiedlichen Lernkulturen in der Schule und im Studium diskutiert. In diesem Beitrag werden Ergebnisse einer empirischen Studie vorgestellt, bei der u. a. die Rolle von individuellen Lernstrategien von 104 Mathematikstudierenden im ersten Semester untersucht wird. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass insbesondere die Entwicklung von Selbsterklärungsaktivitäten in Phasen des Selbststudiums einen bedeutsamen Einfluss auf die Entwicklung des Interesses an Mathematik, des mathematikbezogenen Selbstkonzeptes sowie auf den Studienerfolg im ersten Semester zeigt. Auffällig ist dabei, dass der Einsatz von Selbsterklärungsaktivitäten während des Selbststudiums keinen signifikanten Zusammenhang zu zentralen kognitiven und affektiven Lernvoraussetzungen zu Studienbeginn aufweist. Diese Lernstrategie kommt bei den erfolgreicheren Studierenden somit vermutlich in den ersten Studienwochen als Anpassung an die akademische Lernkultur zum Tragen. Auf Basis der Ergebnisse werden Ansätze für Unterstützungsmaßnahmen für die Studieneingangsphase diskutiert.
Abstract
Many mathematics students give up studying during their first year at university. Possible reasons for the high drop-out rate might be differences concerning the character of mathematics taught as well as the different learning cultures in school and at university. In this article, we present results of an empirical study, in which we investigate the role of individual learning strategies of 104 mathematics students during their first semester. Results indicate that particularly the development of self-explanations in self-study phases has an important impact on the development of interest in mathematics, mathematical self-concept as well as study success in the first semester. It is noticeable that the use of self-explanations during the self-study phases is not significantly connected to central cognitive and affective learner prerequisites when commencing studies. Therefore, this learning strategy comes probably into play by the more successful students during their first weeks of study when adapting to academic learning culture. Based on the results, we discuss approaches to support learners in their first semester at university.
Notes
1-Fach-Bachelor/Master Mathematik ersetzt hier den früheren Studiengang Mathematik mit Abschluss Diplom, 2-Fächer-Bachelor/Master Mathematik den ehemaligen Studiengang Mathematik für das Lehramt an Gymnasien.
Nach Angaben von Dieter und Törner (2010) liefert ihre Studie aufgrund methodischer Probleme keine Ergebnisse für Studierende in einem Lehramtsstudium mit Fach Mathematik.
Dabei geht es um Lehrveranstaltungen in Mathematikstudiengängen. Betrachtet man Mathematikveranstaltungen, bei denen es auf eine instrumentelle Anwendung der Mathematik ankommt, wie etwa ein bestimmter Typ von Rechenkursen für Physikstudierende oder Statistikkursen für Psychologiestudierende, so steht auch hier der Anwendungscharakter im Vordergrund.
Zwar steht auch im realen Mathematikunterricht eine außermathematische Anwendungsorientierung nicht im Vordergrund, aber zu einem überwiegenden Teil der mathematischen Inhalte werden außermathematische Anwendungskontexte aufgezeigt, über die Mathematik als sinnvolles instrumentelles Hilfsmittel dargestellt werden soll. Die Charakterisierung der Mathematik ohne außermathematische Motivation, d.h. Mathematik als kontextfreie Theorie, die aus sich heraus (in einem geisteswissenschaftlichen Sinne) entwickelt wird und die ohne außermathematischen Referenzrahmen eine sinnvolle Existenz haben kann, wird in der Schule kaum thematisiert.
Hier geht es um den Kontext Hochschullehre. In der mathematischen Forschung dürfte der Weg in der Regel umgekehrt sein, d. h. eine formale Definition erfolgt erst, nachdem sich in einer Explorationsphase die Notwendigkeit eines neuen Begriffes herauskristallisiert hat. Dies kann sich manchmal über Jahre oder Jahrzehnte hinziehen und auch dann muss die erste formale Definition nicht endgültig sein.
Auch hier sei darauf verwiesen, dass sogar Forschungsdisziplinen, die Mathematik als Hilfswissenschaft verwenden, auf andere Evidenzkriterien für mathematische Aussagen zurückgreifen. So ist es in der Physik oder in der Psychometrie durchaus auch üblich, Evidenz über empirische Simulationen zu generieren, d. h. die mathematischen (hinreichenden) Voraussetzungen für den Einsatz eines Algorithmus sind für bestimmte Anwendungen zwar nicht erfüllt, aber in Simulationen hat sich der Algorithmus als robust gegen die Verletzung dieser Voraussetzungen erwiesen und kann deshalb verwendet werden.
Leider liegen uns keine Informationen darüber vor, ob fehlende Studierende nur das Modul „Analysis 1“ oder tatsächlich das Mathematikstudium abgebrochen haben, so dass bezüglich der Studienabbruchgründe keine sicheren Aussagen gemacht werden können.
Zur Kontrolle wurden die Studierenden in einem Fragebogen nach dem wahrgenommenen Wert von Übungsaufgaben befragt. Fast alle Studierenden haben die essentielle Rolle der Übungsaufgaben für den Lernprozess bestätigt.
Hier ist anzumerken, dass es selbstberichtete Zuordnungen sind und wie bei allen Fragebogenstudien mit Selbsteinschätzungen eine mögliche soziale Erwünschtheit sowie eine unrealistische Einschätzung eine Rolle spielen können (auch wenn die Befragung anonym war). Die Tatsache, dass es hier keine Studierenden gibt, die sich – nach eigenen Angaben – gar nicht mit den Übungsaufgaben beschäftigen bzw. die Lösungen nur mechanisch abschreiben, erscheint unrealistisch. Wir gehen deshalb von einer Positivverzerrung aus, so dass der in Abschn. 4 dargestellte Einfluss der Lernstrategien eher unterschätzt wird.
Adjustierung nach Bonferroni.
Eine detailliertere Aufschlüsselung der Modulprüfungsergebnisse – etwa in Form von erreichten Punktzahlen in der Klausur – ist nicht sinnvoll, da die Studierenden die freie Wahl zwischen mehreren Klausurterminen mit unterschiedlichen Klausuren hatten.
Das Bearbeiten zusätzlicher Problemstellungen neben den Übungsaufgaben ist aufgrund des Zeitmangels oft nicht möglich.
Man müsste sich hier auf intensive Eigentätigkeitsphasen in der Schulzeit beziehen, die mit den Phasen des Selbststudiums an der Hochschule vergleichbar sind. Dies umfasst insbesondere die Einarbeitung in neue mathematische Themengebiete. Derartige Lernaktivitäten werden aber nur an wenigen Schulen gefordert. Eine reliable, fragebogenbasierte Erfassung von intensiven Elaborationsaktivitäten bei Schülerinnen und Schüler verschiedener Schulen stellt damit eine große Herausforderung dar.
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Danksagung
Wir möchten an dieser Stelle dem beteiligten Dozent, den Tutorinnen und Tutoren und den Studierenden danken, dass Sie uns Ihre Zeit für die Erhebung zur Verfügung gestellt haben. Den Gutachterinnen und Gutachtern danken wir für die wertvollen Hinweise zur Verbesserung des Manuskripts.
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Anhang: Erhebung der Lernstrategien im Hinblick auf die Verwendung von Selbsterklärungen
Anhang: Erhebung der Lernstrategien im Hinblick auf die Verwendung von Selbsterklärungen
Die Studierenden wurden aufgefordert, die einzelnen Typen auf einer vierstufigen Likert-Skala von „trifft nicht zu“ (entspricht 0) bis „trifft zu“ (entspricht 3) gemäß der Passung zu ihrem eigenen Lernverhalten einzuschätzen (Tab. 4). Da diese Angaben nicht notwendigerweise eindeutig ausfallen, sollten sie zusätzlich denjenigen Typ angeben, der auf sie am Ehesten zutrifft. Eine Analyse ergab, dass fast alle Studierende durch beide Einschätzungen dem gleichen Studierendentyp zugeordnet wurden.
(Typ A: verweigernder Typ; Typ B: Abschreiber-Typ; Typ C: nachvollziehender Typ; Typ D: selbsterklärender Typ; Typ E: selbstlösender Typ)
Im Folgenden stellen wir Ihnen verschiedene Lerntypen vor. Schätzen Sie bitte ein, wie gut der jeweilige Lern-Typ auf Sie zutrifft.
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Rach, S., Heinze, A. Welche Studierenden sind im ersten Semester erfolgreich?. J Math Didakt 34, 121–147 (2013). https://doi.org/10.1007/s13138-012-0049-3
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