Zusammenfassung
Das Konzept zur Leistungssportreform ist beschlossen. Eine potenzialorientierte Fördersystematik ist das Ziel. Der Diskussionsbeitrag stellt die im Sport verwendeten Methoden zur Ressourcenverteilung vor und beschreibt deren zentrale Ideen. Er rekonstruiert auf der Grundlage der öffentlich zugänglichen Materialien die Anwendung der Ressourcenverteilungsmethoden sowie die damit verbundenen Implikationen innerhalb der neuen Leistungssportkonzeption. Ziel des Diskussionsbeitrages ist es, zu einem breiteren Verständnis der bislang verwendeten Methoden beizutragen, auf implizite Wirkungsannahmen zu verweisen, Lücken in der geplanten Ausgestaltung der Fördersystematik hervorzuheben und somit die weitere Diskussion anzuregen und zu befruchten.
Abstract
The concept for the competitive sports reform has been decided. A potential-oriented support system is the goal. This discussion paper presents the methods for resource distribution used in sports and describes their central ideas. On the basis of the publicly accessible materials, the article reconstructs the application of resource distribution methods as well as the associated implications within the new concept for competitive sports. The aim of the paper is to contribute to a broader understanding of the methods, to refer to implicit effective approaches, to highlight gaps in the current planned support system and thus to stimulate further discussion.
Notes
Beispiele für derartige Disziplingruppen sind: Badminton Frauen, Basketball Männer, Kanu Rennsport Canadier Frauen, Leichtathletik Sprung Männer, Radsport Bahn Kurzzeit Frauen, Schießen Schnellfeuerpistole Männer sowie Eiskunstlauf Einzel Frauen, Short Track Männer, Skisprung Frauen.
Eine Gleichverteilung wird beispielsweise in kommunalen Sportförderrichtlinien praktiziert, wenn jeder Sportverein pro jugendlichem Mitglied einen Betrag x oder pro Mannschaft in einer definierten Liga einen Zuschuss von y erhält.
Ein weiterer Modus wären unipersonale Entscheidungen, bei denen die Entscheidung von einer einzigen Person getroffen wird und wie sie wohl aktuell immer noch in internationalen Sportorganisationen zu beobachten sind.
Zum Aushandlungsprozess in vorangegangenen Olympiazyklen zu den sog. „Zielvereinbarungen“ vgl. Emrich, Pierdzioch, und Rullang (2013).
Allerdings wird die Legitimität von Scoringverfahren untergraben, wenn die Ergebnisse Auswirkungen auf andere Vergabeentscheidungen mit hohen diskretionären Handlungsspielräumen haben, wie beim „Förderkonzept 2012“ des DOSB geschehen (Emrich et al., 2013).
Das unter Mitwirkung des Autors und Markus Klepzig entstandene Scoringverfahren führt bei gleicher Ressourcenmenge zu gravierenden Umverteilungen zwischen den Landesfachverbänden. Als weiteres Beispiel für Scoringmodelle ohne Handlungsspielräume bei der Anwendung sei die Verteilung der TV-Gelder der Deutschen Fußball Liga an die Clubs der Bundesliga und der 2. Bundesliga genannt.
Dieses von Markus Klepzig und dem Autor entwickelte Verfahren setzt auf einen Vergleich von Kennzahlen und ist damit Benchmarkverfahren verwandt (vgl. auch Thieme, Mazurkiewicz, & Klepzig, 2016, S. 662 ff.).
Eine durch ein vom Autor entwickeltes Scoringverfahren entstandene Prioritätenliste zur Sanierung von Fußballplätzen einer Kommune ist nach rund acht Jahren immer noch handlungsleitend (Thieme, 2014).
Spezifische regressionsanalytische Verfahren, wie beispielsweise Boosted Regression Trees sind teilweise in der Lage, diese Probleme zu vermeiden. Boosted Regression Trees weisen zudem eine hohe Anpassungsfähigkeit auf und können die eigene Prognosequalität selbstständig verbessern. Zudem lässt sich das Endogenitätsproblem systematisch eingrenzen (vgl. zur Anwendung von Boosted Regression Trees in einem sportwissenschaftlichen Kotext Emrich & Pierdzioch, 2016).
Allerdings sind die Attribute unterschiedlich gut einzuschätzen. Während einige Attribute gut zu quantifizieren sind, sind andere Attributbeschreibungen beispielsweise vor dem Hintergrund von Einzel- und Mannschaftssportarten unschärfer. Zudem werden bei einigen Attributen bislang nur die Ausprägungen 0 oder 10 genutzt. Es ist daher konsequent, wenn die inzwischen berufene PotAS-Kommission nach Auskunft ihres Vorsitzenden die bislang in der Diskussion befindlichen Attribute erneut diskutiert (WDR, 2017). Offen ist jedoch, ob sich die skizzierten Messprobleme vermeiden lassen bzw. in welchem Maße sie toleriert werden sollen.
Bei der erfolgten Gewichtung wurde bei einzelnen Attributen von verschiedenen Akteuren aktuell eine elementar unterschiedliche Gewichtung vorgenommen.
Beispielsweise wäre eine Festlegung denkbar, nach der eine Disziplin, für die nicht eindeutig entschieden werden kann, welchem Prototypen sie zuzuordnen ist, dem Prototyp zugeordnet wird, der mit der höchsten Auszahlung verbunden ist.
Hierfür können im Prinzip beliebige Ähnlichkeitsmaße verwendet werden. In der Praxis hat sich hierfür der Euklidische Abstand am besten bewährt, allgemeiner: die sog. Lp-Normen, bei denen die p-te Wurzel aus der Summe der p-ten Potenzen der Attributdifferenzen verwendet wird; für p = 2 ist das der Euklidische Abstand.
Dabei können auf dem trainierten Netz für die Erkennung Attribut-spezifische Relevanzwerte eingegeben werden. Der so erzeugte Relevanzvektor entspricht in der Länge dem Attributvektor und gibt für jedes Attribut an, mit welchem Gewicht das jeweilige Attribut in die Abstandsberechnung eingehen soll. Auf diese Weise lässt sich für Tests z. B. das Trennungsverhalten bei der Erkennung analysieren und für produktive Anwendungen Priorisierungen einzelner Attribute modifizieren.
Allerdings ist den öffentlich zugänglichen Dokumenten nicht zu entnehmen oder aus ihnen zu rekonstruieren, welche Kriterien bei der Auswahl der einzelnen Akteure berücksichtigt wurden, die dann in Arbeitskreisen die Attribute bestimmt haben. Zu vermuten ist jedoch ein wenig geregelter Prozess mit einer breiten Streuung der Entscheidungsparameter über die Vielzahl der beteiligten Organisationen.
Als Mitglieder der PotAS-Kommission wurden am 8. Mai 2017 Prof. Dr. Bernd Strauß (Vorsitzender; Universität Münster), Prof. Dr. Urs Granacher (Universität Potsdam), Dr. Mirjam Rebel (Bundesinstitut für Sportwissenschaft), Britta Heidemann (Olympiasiegerin 2008 im Fechten), Reinhard Wendt (ehemaliger Sportchef der Deutschen Reiterlichen Vereinigung und des Deutschen Olympiakomitees für Reiterei) vorgestellt (BMI, 2017).
FSL/WISS = Forschungs- und Service-Verbund Leistungssport/Wissenschaftsteam.
SDHS = Stiftung Deutsche Sporthilfe.
Denkbar wäre eine Spannweite von der Übermittlung der Information, in welche Cluster die Disziplinen eingeordnet wurden, die der Spitzenverband vertritt, mit dem das Strukturgespräch geführt werden soll, bis hin zu einer umfassenden Dokumentation, ohne damit allerdings die methodisch bedingten Intransparenzen beseitigen zu können.
Dieser Name wird verwendet, weil es in den bisherigen Unterlagen an einer Benennung der Kommission fehlt.
Zumindest die Vertreter des BMI scheinen von einer vollständigen Transparenz auszugehen (DLF, 2016). Allerdings sind beispielsweise die Stellungnahmen der Sportverbände gegenüber dem BMI bzw. dem DOSB zur Reform derzeit auch nicht in anonymisierter Form öffentlich verfügbar.
Zudem ist zu befürchten, dass die subjektiven Steuerungsmodelle der beteiligten Akteure eine geringe Varianz aufweisen und damit spätestens jetzt eine „one best way“-Logik implementiert wird, die ja durch die Verwendung eines neuronalen Netzes gerade vermieden werden sollte.
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Der Autor bedankt sich für umfassende Hinweise und Anregungen bei (in alphabetischer Reihenfolge) Eike Emrich, Michael Fröhlich, Jürgen Perl, Michael Scharf sowie einem anonymen Gutachter.
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Thieme, L. Zielsicher verteilen. Ger J Exerc Sport Res 47, 264–273 (2017). https://doi.org/10.1007/s12662-017-0463-2
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- Leistungssportförderung
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- Ressourcenverteilungsmethoden
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