Skip to main content
Log in

Ethik, Natur und Doping im Sport

Ethics, nature and doping in sports

  • Hauptbeiträge
  • Published:
Sportwissenschaft Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Die Frage nach den Kriterien und Gründen für das Dopingverbot im Sport greift ein aktuelles und seit Langem kontroverses Thema der Sportwissenschaft auf, in deren Mittelpunkt die Begriffe Natur und Natürlichkeit stehen. Die Kritik an der mangelnden begrifflichen Schärfe einer Kennzeichnung von Doping als künstlicher und damit illegitimer Form der sportlichen Leistungssteigerung hat zur Abschaffung einer Wesensdefinition geführt. Doping wird gegenwärtig pragmatisch, d. h. als Verstoß gegen die Anti-Doping-Bestimmungen definiert. Doping ist, was verboten ist. Die Tatsache, dass Doping von vornherein normativ definiert wird, löst ebenso wie die Frage nach den Kriterien für die Aufnahme bestimmter Mittel auf die Verbotslisten Zweifel an der ethischen Legitimität der bestehenden Dopingverbote aus. Das Dopingverbot im Sport und die Diskussion um die künstliche Leistungssteigerung gewinnen als Symbol für ein globales Enhancement-Stopp daher zunehmend an Bedeutung in der biomedizinischen Ethik, d. h. in der Debatte um Human-Enhancement und die Perfektionierung des Menschen durch Biotechniken.

Abstract

The question concerning criteria and reasons for prohibition of doping in sports addresses a current issue of sport sciences revolving around the concepts of nature and naturalness which has been discussed controversially for some time. Criticism concerning the conceptual incisiveness with which doping is designated as artificial, thus constituting an illegitimate form of enhancing sports performance, has led to the abolishment of a definition of its essence. Doping is currently defined pragmatically, i.e. as a violation against anti-doping regulations. Doping per se is what is prohibited. The fact that doping is defined normatively a priori raises doubts as to the ethical legitimacy of existing doping prohibitions and questions regarding criteria for including certain agents in the list of forbidden substances. Thus, as a symbol for a global halt to enhancement, prohibition of doping in sports and discussions on artificial performance enhancement are gaining importance in the field of biomedical ethics, i.e. in the debate on human enhancement and endeavours to perfect the human being through biotechnology.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this article

Price excludes VAT (USA)
Tax calculation will be finalised during checkout.

Instant access to the full article PDF.

Notes

  1. Aufgrund der Bedeutungsvielfalt der menschlichen Natur verhält sich der Ausdruck natürlich wie ein „semantisches Chamäleon“ (Birnbacher, 2006, S. 6) und kann je nach Kontext und dem jeweils intendierten Gegenbegriff eine andere Bedeutung annehmen. Hierauf gründet eine Reihe von Missverständnissen auf Seiten der Natürlichkeitskritik.

  2. So gilt z. B. im Bereich des Neuroenhancement die im Sport noch vor wenigen Jahren als Dopingmittel gelistete Einnahme von Koffein zur Steigerung der Konzentrationsfähigkeit als gewohnte und vergleichsweise natürliche Methode im Gegensatz zu innovativen Techniken wie z. B. Hirnimplantaten oder Mikrochips.

  3. Durch den bioethischen Begriff des Biofakts, welcher von der außermenschlichen Natur seinen Ausgang nimmt, werden einerseits autonome Wachstumsprozesse, wie z. B. das körperliche Wachstum eines Menschen, unterschieden von andererseits heteronomen Prozessen, wie es z. B. infolge der Gabe von Wachstumshormonen eintritt. Im Gegensatz dazu gibt es nur bei der menschlichen Natur als dritter Unterscheidungsmöglichkeit die Kategorie des sog. Gewollt-Wüchsigen, bei welcher der Mensch – geplant oder ungeplant – Wachstumsprozesse auslösen kann. Mit dem Trainingseinwand in der Sportethik korrespondiert in der Bioethik daher der sog. Zeugungseinwand (Bayertz, 2005), welcher die Autonomie des embryonalen Wachsens aufgrund des zur Zeugung notwendigen Sexualakts als nur noch „relativ autonom“ (ebd., S. 15 f.) gegeben sieht. Eine derartige Relativierung und damit Gradierbarkeit menschlicher Reproduktionstechniken von der natürlichen Zeugung über die künstliche Befruchtung in vitro hin zu innovativen Methoden wie der Klonierung hätten – sollte sich die Gradierbarkeitsthese Bayertz als zutreffend erweisen – gravierende Folgen für die ethische Diskussion im Rahmen der Reproduktionsmedizin.

  4. Kritiker der Natürlichkeitsidee und des Dopingverbots plädieren gerade wegen der jenseits des sportlichen Trainings fortbestehenden biologischen Unterschiede infolge der natürlichen Lotterie für deren künstlichen Ausgleich und Egalisierung durch den gezielten Einsatz von Doping. Zum Gedanken eines „handicapper general“ vgl. The President’s Council on Bioethics (2003, S. 132).

  5. Dies zeigt sich nicht nur auf der stofflichen Ebene, sondern auch auf der Formebene. Der austrainierte und insofern kultivierte Sportler kann wie eine Hecke wieder zum Busch renaturieren. Auch auf der Formebene zeigt sich die Rückgebundenheit einer willentlichen Einflussnahme auf den menschlichen Körper durch sportliches Training an den Formenschatz der Natur. Der atrophierte Körper eines Wissenschaftlers oder Astronauten kann nach dem hier vertretenen biogenetischen Ansatz nicht als natürlicher gelten als der gestählte Körper des trainierten Athleten. Die lebenspraktische Relevanz des aristotelischen Naturbegriffs gerade in Bezug auf die Korrelation von Stoff und Form zeigt auch das Beispiel eines Sportlers, der sich aufgrund der Einnahme von Wachstumshormonen einer Hautverpflanzung unterziehen musste: Da seine Knochen praktisch die Haut durchstießen, konnte der Athlet seine Hand nicht mehr richtig öffnen (vgl. Bamberger & Yaeger, 1990, S. 70).

  6. Im Grunde genommen müssen zwei Arten von genetischer Natürlichkeit bzw. Künstlichkeit, nämlich eine dynamische und eine statische Variante unterschieden werden. Während durch Eingriffe in bereits ausgewachsene Strukturen zeitlich versetzte Mischungsverhältnisse von Natürlichkeit und Künstlichkeit entstehen (statische Variante), sind Eingriffe zur gezielten Auslösung von Wachstumsprozessen, wie sie für Biofakte kennzeichnend sind, durch eine Gleichzeitigkeit von Gewachsenem und Gemachtem (dynamische Variante) gekennzeichnet.

  7. Im Rahmen der juristischen Inhaltskontrolle, welche die Erforderlichkeit, Angemessenheit und Zumutbarkeit der Dopingverbote hinsichtlich der materialen Ziele der Dopingbekämpfung prüft, kommen Natürlichkeitssätze im Gewande der Chancengleichheit und des Ansehensschutzes zum Tragen.

  8. Im Welt-Anti-Doping-Code wird z. B. unterschieden zwischen „exogenen“ anabol-androgenen Steroiden (AAS), die „vom Körper nicht auf natürlichem Wege produziert werden“ können, und „endogenen“ AAS, die „vom Körper auf natürlichem Wege produziert werden“ können (2006, S. 1 f.).

  9. Der englische Ausdruck „enhancement“ bedeutet wörtlich Vergrößerung, Erhöhung oder Steigerung. Er hat neben der deskriptiven Grundbedeutung jedoch auch präskriptive Konnotationen wie Verbesserung sowie auch, genau gegenteilig, Übertreibung oder Verschlimmerung.

Literatur

  1. Adolphsen, J. (2003). Internationale Dopingstrafen. Tübingen: Mohr Siebeck.

  2. Andersen, J. L., Schjerling, P. & Saltin, B. (2001). Muskeln, Gene und Leistungssport. Spektrum der Wissenschaft, 70–75.

  3. Aristoteles (1995). Philosophische Schriften, Bd. 6. Physik: Vorlesung über die Natur. Hamburg: Meiner.

  4. Bamberger, M. & Yaeger, D. (1997). Over the edge. Sports Illustrated, 62–70.

  5. Bayertz, K. (2005). Die menschliche Natur und ihr moralischer Status. In K. Bayertz (Hrsg.), Die menschliche Natur: Welchen und wieviel Wert hat sie? (S. 10–30). Paderborn: Mentis.

  6. Bette, K.-H. & Schimank, U. (2006). Doping im Hochleistungssport. Anpassung durch Abweichung. 2., erw. Aufl. Frankfurt/M: Suhrkamp.

  7. Birnbacher, D. (2006). Natürlichkeit. 1. Aufl.. Berlin. New York: de Gruyter.

    Google Scholar 

  8. Caysa, V. (2003). Von der Philosophie des Sports zur Anthropologie des Körpers. Neue Publikationen in der deutschen Sportphilosophie. Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, 71–80.

  9. Diem, C. (1960). Wesen und Lehre des Sports. 2. Aufl. Berlin: Weidmannsche Verlagsbuchhandlung.

  10. Donike, M. & Rauth, S. (1993). Dopingkontrollen. Köln: Sport und Buch Strauß.

  11. Gebauer, G. (2000). Der Angriff des Dopings gegen die europäische Sportauffassung. Überlegungen zu ihrer Verteidigung, in Japan niedergeschrieben. In M. Gamper, J. Mühlethaler & F. Reidhaar (Hrsg.), Doping. Spitzensport als gesellschaftliches Problem (S. 113–129). Zürich: Verlag NZZ.

  12. Geipel, I. (2008). No Limit. Wieviel Doping verträgt die Gesellschaft? Stuttgart: Klett-Cotta.

  13. Habermas, J. (2001). Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Wege zu einer liberalen Eugenik. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

  14. Habermas, J. (2008). Vorwort. In M. Sandel, Plädoyer gegen Perfektion. Ethik im Zeitalter der genetischen Technik. Mit einem Vorwort von Jürgen Habermas, 2. Aufl. (S. 7–14). Berlin: Berlin University Press.

  15. Israel, S. (1992). Spitzensport – hochgradige Adaptation – Spezialnorm. Leistungssport, 1, 17–22.

  16. Karafyllis, N. C. (2003). Das Wesen der Biofakte. In N. C. Karafyllis (Hrsg.), Biofakte. Versuch über den Menschen zwischen Artefakt und Lebewesen (S. 11–26). Paderborn: Mentis.

  17. Krüger, A. (2003). Der Hightech-Gladiator – noch Fiktion oder schon Wirklichkeit? In B. Ränsch-Trill & M. Lämmer (Hrsg.), Der „künstliche Mensch“ – eine sportwissenschaftliche Perspektive? (S. 155- 168). Sankt Augustin: Academia.

    Google Scholar 

  18. Lanzerath, D. & Woopen, Chr. (2001). Genetische Ausstattung – Krankheit – Behinderung. Die ethische Funktion des Krankheits- und Behinderungsbegriffs in der medizinischen Anwendung der Humangenetik. In C.F. Gethmann, L. Honnefelder, O. Schwemmer & L. Siep (Hrsg.), Forschungsprojekt: Die „Natürlichkeit“ der Natur und die Zumutbarkeit von Risiken. Abschlußbericht (S. 165–225). Bonn: Institut für Wissenschaft und Ethik.

  19. Nowotny, H. & Testa, G. (2009). Die gläsernen Gene. Die Erfindung des Individuums im molekularen Zeitalter. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

  20. Paul, Ch. (2004). Grenzwerte im Doping. Naturwissenschaftliche Grundlagen und rechtliche Bedeutung. Berlin: Duncker & Humblot.

  21. Pawlenka, C. (2010). Ethik, Natur und Doping. Paderborn: mentis.

  22. Plessner, H. (1975). Die Stufen des Organischen und der Mensch. Berlin, New York: de Gruyter.

  23. President’s Council on Bioethics (2003). Beyond Therapy: Biotechnology and the pursuit of happiness. Washington D.C.: Dana Press.

  24. Ränsch-Trill, B. (2003). Einleitung. Zur Anthropologie des Menschen. In B. Ränsch-Trill & M. Lämmer (Hrsg.), Der „künstliche Mensch“ – eine sportwissenschaftliche Perspektive? (S. 9–16). Sankt Augustin: Academia.

    Google Scholar 

  25. Rawls, J. (2002). Geschichte der Moralphilosophie. Hume – Leibniz – Kant – Hegel. Herausgegeben von B. Herman. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

  26. Roughley, N. (2005). Was heißt Natur? In K. Bayertz (Hrsg.), Die menschliche Natur. Wieviel und welchen Wert hat sie? (S. 133–156). Paderborn: Mentis.

  27. Sandel, M. (2009). Plädoyer gegen Perfektion. Ethik im Zeitalter der genetischen Technik. Mit einem Vorwort von Jürgen Habermas. 2. Aufl. Berlin: Berlin University Press.

  28. Savulescu, J., Foddy, B. & Clayton, M. (2004). „Why we should allow performance enhancing drugs in sport.“ British Journal of Sport Medicine, 38, 660–667.

    Google Scholar 

  29. Siep, L. (2005). Normative Aspekte des menschlichen Körpers. In K. Bayertz (Hrsg.), Die menschliche Natur. Wieviel und welchen Wert hat sie? (S. 156–173). Paderborn: Mentis.

  30. Sloterdijk, P. (2009). Du mußt dein Leben ändern. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

  31. Wetz, F.J. (2008). Praktische Philosophie. Bd. 3. Zeitdiagnose. Stuttgart: Reclam.

  32. Suits, B. (2004). Was ist ein Regelspiel?. In C. Pawlenka (Hrsg.), Sportethik. Regeln – Fairneß – Doping (S. 29–41). Paderborn: Mentis.

  33. Wehling, P. (2003). Schneller, Höher, Stärker – mit künstlichen Muskelpaketen: Doping im Sport als Entgrenzung von „Natur“ und „Gesellschaft“. In N. Karafyllis (Hrsg.), Biofakte. Versuch über den Menschen zwischen Artefakt und Lebewesen (S. 85–111). Paderborn: Mentis.

Download references

Interessenkonflikt

Die korrespondierende Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Claudia Pawlenka.

Rights and permissions

Reprints and permissions

About this article

Cite this article

Pawlenka, C. Ethik, Natur und Doping im Sport. Sportwiss 42, 6–16 (2012). https://doi.org/10.1007/s12662-011-0223-7

Download citation

  • Published:

  • Issue Date:

  • DOI: https://doi.org/10.1007/s12662-011-0223-7

Schlüsselwörter

Keywords

Navigation