1 Einleitung

Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die Ergebnisse der Evaluation der Auswirkungen des Mindestlohns im Dachdeckerhandwerk, wo bereits zum 1. Oktober 1997 ein Mindestlohn eingeführt wurde. Seitdem wurde der Mindestlohn mehrfach angehoben und ist zudem seit 2003 bundeseinheitlich geregelt, was zu einer in Ostdeutschland hohen Betroffenheit der Branche vom Mindestlohn geführt hat. Im Jahr 2010 erhielten dort gut 50 % der Beschäftigten den Mindestlohn von 10,80 Euro.

Trotz dieser hohen Betroffenheit sind negative Beschäftigungswirkungen jedoch keine zwangsläufige Folge, sondern hängen mit den Güter- und Arbeitsmarktbedingungen in der Branche zusammen. So können im Falle eines Wettbewerbs um Arbeitskräfte potenziell negative Beschäftigungswirkungen auftreten, während im Fall eines beschränkten Wettbewerbs um Arbeitskräfte auch positive Beschäftigungseffekte denkbar sind (vgl. den Übersichtsartikel von Neumark and Wascher 2008). Ob überhaupt Beschäftigungswirkungen eintreten, hängt jedoch unter anderem von den Möglichkeiten ab, mindestlohnbedingte Lohnkostensteigerungen durch Preiserhöhungen an die Kunden weiterzugeben oder durch Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung aufzufangen.

Auf Basis eines Branchenbildes werden zunächst die Wettbewerbsbedingungen auf dem Güter- und Arbeitsmarkt dargestellt und daraus Hypothesen zu möglichen Wirkungen des Mindestlohns abgeleitet. Anschließend werden die kausalen Wirkungen des Mindestlohns im Hinblick auf Beschäftigung, Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen sowie auf die Wettbewerbssituation in der Branche analysiert. Hierfür wird ein Kontrollgruppenansatz verwendet, der zwei Kontrollgruppen einschließt: (1) Unternehmen und Beschäftigte einer nicht vom Mindestlohn betroffenen, aber dem Dachdeckerhandwerk möglichst ähnlichen Branche und (2) Unternehmen und Beschäftigte des Dachdeckerhandwerks, die aufgrund einer höheren Entlohnung nicht direkt vom Mindestlohn betroffenen sind.

Für diese Analysen steht mit den administrativen Arbeitnehmer-Arbeitgeberdaten der Bundesagentur für Arbeit, dem Mannheimer Unternehmenspanel des ZEW sowie der Vollerhebung der Beschäftigten des Dachdeckerhandwerks durch die Lohnausgleichskasse des Dachdeckerhandwerks eine sehr gute Datengrundlage zur Verfügung. Insbesondere kann die Betroffenheit vom Mindestlohn wesentlich genauer festgestellt und für kausale Wirkungsanalysen genutzt werden, als dies in der bislang einzigen Evaluationsstudie für Deutschland für das Bauhauptgewerbe von König und Möller (2008) möglich war.Footnote 1

Die Ergebnisse der Evaluation zeigen, dass es vor allem in Ostdeutschland mindestlohnbedingt zu deutlichen Stundenlohnzuwächsen für die unteren Dezile der Lohnverteilung kam. Dies verschlechterte zwar die Beschäftigungschancen der mindestlohnbedingt verteuerten Arbeitskräfte, ließ die Gesamtbeschäftigung jedoch vermutlich unverändert. Eindeutige Wettbewerbswirkungen ließen sich ebenfalls nicht nachweisen, wenngleich sich für Ostdeutschland eine gewisse Verschiebung der Unternehmensstruktur in Richtung Ein-Personen-Unternehmen zeigt. Auf der Ebene der Preise liegen Hinweise vor, dass die mindestlohnbedingten Kostensteigerungen zumindest teilweise über höhere Preise an die Kunden weitergegeben wurden. In Ostdeutschland wurde ein Teil der mindestlohnbedingten Kostenzuwächse zudem durch eine Lohnzurückhaltung für die oberen Lohngruppen kompensiert.

2 Der Markt für Dachdeckerleistungen in Deutschland

Der Gütermarkt für Dachdeckerleistungen setzt sich aus dem Neubaugeschäft, der Sanierung bzw. Reparatur von Dächern und dem Dachausbau einschließlich der Errichtung von Solaranlagen auf Dächern zusammen. Im Gegensatz zu häufig in der Mindestlohn-Literatur untersuchten Dienstleistungsbranchen wie z. B. der Fast-Food-Industrie (Card und Krueger 1994) zeichnet sich das Dachdeckerhandwerk durch einen hohen Anteil an Fachkräften von etwa 65 % aus (Aretz et al. 2011). Der typische Beschäftigte des Dachdeckerhandwerks ist der männliche Vollzeitbeschäftigte mit einer beruflichen Ausbildung. Gleichzeitig machen Personalkosten nur etwa 40 % der Gesamtkosten aus (Kostenstrukturerhebung 2001). Bei hochwertigen Dachsystemen kann der Anteil der Personalkosten aufgrund steigender Materialkosten sogar niedriger ausfallen. Produktivitätsfortschritte können erzielt werden, wenn neue Dachsysteme mit vereinfachten Anbringungs- und Verlegungstechniken auf den Markt gebracht werden.

Das Dachdeckerhandwerk wird vor allem von traditionellen Dachdeckerunternehmen dominiert, die als stehendes Gewerbe dem Meisterzwang unterliegen und meist nicht mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigen. Sie bieten ihre Leistungen vielfach regional und hauptsächlich für Privatkunden an. Die Preiselastizität dieses Kundensegments ist vermutlich niedrig, da Privatkunden für Dacharbeiten vielfach auf Fachunternehmen angewiesen sind und auf die Errichtung von Dächern und gegebenenfalls deren Reparatur schwerlich verzichtet werden kann. Tatsächlich geben mehr als drei Viertel der 250 im Rahmen einer Unternehmensbefragung erhobenen Dachdeckerunternehmen (vgl. Anhang A) an, Qualität spiele eine stärkere Rolle für den Wettbewerb als der Preis. Es ist somit zu vermuten, dass steigende Arbeitskosten zumindest teilweise durch Preiserhöhungen kompensiert werden können, zumal der Arbeitskostenanteil an den gesamten Kosten für die Errichtung oder Reparatur von Dächern gering ist. Neben den traditionellen Dachdeckerunternehmen gibt es nach Berechnungen des Mannheimer Unternehmenspanel (MUP) einige wenige große Dachdeckerunternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern, die im Wesentlichen überregional tätig sind und häufig als Zulieferer für große Bauunternehmen agieren und tendenziell einem stärkeren Preiswettbewerb unterliegen.Footnote 2

Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt handelt es sich beim Dachdeckerhandwerk eher um einen Wettbewerbsmarkt als um einen monopsonistischen Arbeitsmarkt. Angesichts der großen Anzahl von Arbeitgebern im Dachdeckerhandwerk auch auf der Ebene der regionalen Arbeitsmärkte ist eine Marktmacht der Unternehmen gegenüber den Arbeitskräften im Sinne eines klassischen Monopsons unwahrscheinlich. Die Arbeitsbedingungen in der Branche erscheinen zudem als relativ gut, da wichtige Elemente wie der Kündigungsschutz, die Beschäftigungssicherung in den Wintermonaten und die Anwendungsbereiche von Lohnzuschlägen bundesweit einheitlich geregelt sind. Auch geben 92 % der befragten Unternehmen an, zum Lohntarifvertrag zu entlohnen und Überstunden auszubezahlen bzw. über ein Arbeitszeitkonto auszugleichen. Diese Beobachtungen sprechen somit zunächst nicht dafür, dass der Wettbewerb um Arbeitskräfte nennenswert eingeschränkt ist.

Andererseits ist zu konstatieren, dass sich das Verhältnis von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage mit dem Beschäftigungsrückgang in der Dachdeckerbranche zumindest bis vor wenigen Jahren verschlechtert hat. So unterlag das gesamte Baugewerbe nach dem Ende des wiedervereinigungsbedingten Baubooms einem Strukturwandel, der sich insbesondere in Ostdeutschland in rückläufigen Umsätzen (vgl. Abb. 1), starkem Beschäftigungsabbau und einem abnehmenden Verhältnis zwischen Branchenumsatz und Anzahl der Unternehmen niederschlug. Im Unterschied zum Bauhauptgewerbe (Hochbau) erfuhren das Dachdeckerhandwerk und weitere Branchen des Baunebengewerbes weniger starke Umsatzrückgänge vor 2004 sowie eine schnellere wirtschaftliche Erholung nach dem konjunkturellen Tiefpunkt.Footnote 3 Der starke Umsatzeinbruch im Bauhauptgewerbe spiegelt das Einsetzen des langjährigen Abwärtstrends bei den Bauinvestitionen wider, während die schnellere Erholung in den restlichen Branchen auf konjunkturelle Sondereffekte wie dem Aufkommen neuer Geschäftsfelder in den Bereichen Gebäudesanierung und Solartechnik zurückzuführen ist. Während die Umsätze im westdeutschen Dachdeckerhandwerk seit 2005 wieder über dem Niveau von Mitte der 1990er Jahre liegen, hat sich die Entwicklung in Ostdeutschland ab 2004 nur leicht verbessert, die Umsatzwerte aus der Zeit vor der Mindestlohneinführung bleiben weiterhin außer Reichweite.

Abb. 1
figure 1

Umsatzentwicklung in West- und Ostdeutschland (nominell ohne Umsatzsteuer, 2002=100), Umsatzsteuerstatistik. Anmerkungen: Angaben für 1995 geschätzt über Interpolation der Werte 1994 und 1996; Angaben für Gas-/Wasser-/Heizungsinstallation sowie für Hochbau, Brücken- u. Tunnelbau u. Ä. wegen mangelnder Vergleichbarkeit der Branchenabgrenzung nach der WZ-Umstellung nur bis 2008

Die konjunkturelle Entwicklung schlug sich auch auf dem Arbeitsmarkt in Form von hohen Beschäftigungsverlusten, vor allem in Ostdeutschland, nieder, die sich erst seit 2005 stabilisiert haben, vgl. Abb. 2. Der starke Beschäftigungsrückgang kann die Marktposition der Arbeitnehmer schwächen, wenn ehemalige Beschäftigte der Branche aufgrund von Such- und Mobilitätskosten nicht in andere Branchen und/oder Regionen abwandern (vgl. Manning 2003). Ein Wechsel in andere Baubranchen wurde jedoch durch die insgesamt schlechte Marktsituation im Baugewerbe erschwert. In der Unternehmensbefragung gaben gut 60 % der Dachdeckerunternehmer an, dass ihre Beschäftigten im Falle einer Lohnkürzung ihrer Einschätzung nach das Unternehmen verlassen würden. Immerhin 40 % der Unternehmen gehen somit davon aus, schlechtere Arbeitsbedingungen durchsetzen zu können ohne Arbeitnehmer an konkurrierende Unternehmen verlieren zu müssen. Dies kann als ein Indiz dafür gewertet werden, dass der Wettbewerb am Arbeitsmarkt zumindest teilweise beschränkt ist.

Abb. 2
figure 2

Entwicklung des Beschäftigungsniveaus nach Branche für West- und Ostdeutschland, 1994–2008 (2000=100), BA-Daten (vgl. Anhang A)

Parallel zum Beschäftigungsrückgang nahm die Zahl der Betriebe im gleichen Zeitraum leicht zu. Der Beschäftigungsrückgang ging mit einer Entwicklung hin zu immer kleineren Unternehmensstrukturen einher. So kam es im Dachdeckerhandwerk zu einer starken Zunahme von Ein-Personen-Unternehmen (EPU). Nach Auswertungen der Lohnausgleichskasse stieg der Anteil von EPU von etwa 8 % im Jahr 1995 auf 23 % im Jahr 2010. Parallel dazu nahm die Relation zwischen dem Gesamtumsatz der Branche und der Anzahl der Unternehmen und damit die Marktkonzentration ab. Eine zunehmende Zahl an Unternehmen stand somit einem sinkenden Branchenumsatz gegenüber.

3 Mindestlohnregelungen im Dachdeckerhandwerk

Der im Oktober 1997 eingeführte allgemeinverbindliche Mindestlohn hat für alle Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen des Dachdeckerhandwerks in Deutschland Gültigkeit, die überwiegend Bauleistungen im Sinne des §211 Absatz 1 SGB IIIFootnote 4 ausüben. Laut Tarifvertrag ist der persönliche Geltungsbereich des Mindestlohns auf gewerbliche Arbeitnehmer/Innen (Arbeiter/Innen) beschränkt, bei denen es sich weder um Azubis, Reinigungskräfte noch minderjährige Beschäftigte handelt. Kaufmännische Angestellte, die nicht den gewerblichen Beschäftigten zuzurechnen sind, fallen somit ebenfalls nicht in den Geltungsbereich des Mindestlohns. Der Geltungsbereich gilt zudem auch für geringfügig Beschäftigte sowie Leiharbeitnehmer/innen.Footnote 5

Abbildung 3 zeigt die Höhe des allgemeinverbindlichen Mindestlohns im Dachdeckerhandwerk im Zeitablauf. Unmittelbar nach der ersten Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Mindestlohns gab es zunächst zwei unterschiedlich hohe Mindestlöhne in Ost- und Westdeutschland. Erst seit 2003 gibt es einen bundeseinheitlichen Mindestlohntarif. Seit seiner Einführung wurde der Mindestlohn mehrfach erhöht, zuletzt am 1. Januar 2012 auf 11 Euro pro Stunde. Seit 2000 wurden die Mindestlohnregelungen für das Dachdeckerhandwerk zudem wiederholt per Rechtsverordnung erneuert. Dabei kam es zwischen den auslaufenden Regelungen und der Erneuerung zu einigen kürzeren Zeitabschnitten ohne Mindestlohnregelung. Mit Ausnahme der einjährigen Unterbrechung 2000/2001 sind diese temporären Unterbrechungen allerdings so kurz, dass kaum mit Anpassungsprozessen im Hinblick auf Beschäftigung, Wettbewerb und Arbeitnehmerschutz zu rechnen ist, zumal Unternehmen jederzeit von einem Fortbestand der Regelung ausgehen konnten und viele Anpassungsprozesse erst mit Verzögerungen eintreten.

Abb. 3
figure 3

Der allgemeinverbindliche Mindestlohn im Dachdeckerhandwerk

4 Evaluationsdesign und Datenbasis

Um die kausalen Wirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigungssituation, den Arbeitnehmerschutz sowie die Wettbewerbssituation im Dachdeckerhandwerk zu identifizieren, gilt es die Frage zu beantworten, wie sich der Mindestlohn auf diese Zielgrößen verglichen mit einer hypothetischen Situation ohne den Mindestlohn ausgewirkt hat. Diese kontrafaktische Situation ohne Mindestlohn wird in der Evaluationsliteratur üblicherweise durch eine Kontrollgruppe gemessen, die der vom Mindestlohn betroffenen so genannten Treatmentgruppe möglichst ähnlich ist. In den USA wurden in der neueren Literatur häufig Unternehmen bzw. Beschäftigte aus einem Bundesstaat mit einem gleichbleibenden Mindestlohnniveau als Kontrollgruppe für Unternehmen bzw. Beschäftigte derselben Branche aus einem Bundesstaat mit einem veränderten Mindestlohnniveau genutzt (vgl. Card 1992; Neumark und Wascher 1992; Card und Krueger 1994; Dube et al. 2010).

In der deutschen Dachdeckerbranche wurde der Mindestlohn jedoch zeitgleich für alle Betriebe des Dachdeckerhandwerks wirksam. Zwar gab es in der Zeit von 1997 bis 2002 in Ost- und Westdeutschland unterschiedliche Mindestlohnhöhen. Ein Vergleich dieser Regionen ist aufgrund des stark abweichenden konjunkturellen Verlaufs (vgl. Abb. 1) jedoch nicht sinnvoll. Somit stehen keine geeigneten Unternehmen bzw. Beschäftigten der Dachdeckerbranche zur Verfügung, die nicht in den Geltungsbereich des Mindestlohns fallen oder von einem anderen Mindestlohnniveau betroffen wären. Für die statistische Rekonstruktion der kontrafaktischen Situation ohne Mindestlohn stehen damit vor allem zwei Kontrollgruppen zur Verfügung: (1) Unternehmen und Beschäftigte einer dem Dachdeckerhandwerk möglichst ähnlichen, nicht vom Mindestlohn betroffenen Branche und (2) Unternehmen und Beschäftigte des Dachdeckergewerbes selbst, die nicht oder in geringerem Ausmaße von mindestlohnbedingten Lohnveränderungen betroffen sind.

Von allen Baubranchen, die ähnliche konjunkturelle und institutionelle Rahmenbedingungen auf dem Gütermarkt aufweisen und zudem zumindest zum Zeitpunkt der Mindestlohneinführung im Dachdeckerhandwerk von keinem allgemeinverbindlichen Mindestlohn betroffen waren, weist das Installationsgewerbe die größte Ähnlichkeit zum Dachdeckerhandwerk auf und stellt daher die präferierte Kontrollbranche dar (siehe Aretz et al. 2011). Andere potenzielle Vergleichsbranchen wie das Maler- und Lackiererhandwerk (für den Zeitraum vor Einführung eines Mindestlohns in diesem Sektor im Jahr 2003) und das Glasergewerbe schieden u. a. deshalb aus, weil sie anders als das Dachdecker- und Installationshandwerk gar nicht oder deutlich weniger von der energetischen Gebäudesanierung und der Solarförderung profitieren. Für die Unternehmen des Maler- und Lackiererhandwerks kommt hinzu, dass sie aufgrund der Möglichkeit der Eigenarbeit im Bereich des Privatkundengeschäfts unter einem deutlich höheren Preisdruck stehen, sodass sich viele Unternehmen auf Arbeiten für gewerbliche Auftraggeber (Objektkundengeschäft) konzentriert haben und dadurch eine deutlich andere Auftraggeberstruktur aufweisen. Zudem besteht auch im Hinblick auf strukturelle Merkmale (Kostenstruktur, Größenstruktur, Produktivität, Personalkostenanteil), welche den Einfluss des Mindestlohns moderieren können, die größte Übereinstimmung zwischen der Installationsbranche und dem Dachdeckerhandwerk. Diese Ähnlichkeit der Branchen schlägt sich zudem in weitgehend parallelen Trends in Bezug auf Unternehmensanzahl, Umsatz, Preise, Beschäftigung, Gründungen und Schließungen vor der Mindestlohneinführung nieder. Für Ansatz (1) wurden daher die Beschäftigten und Unternehmen des Installationsgewerbes zu Vergleichszwecken herangezogen. Details zu der Auswahl der Kontrollbranche können in Aretz et al. (2011) nachgelesen werden.

Durch die Bildung der Differenzen der Zielgrößen der vom Mindestlohn betroffenen Unternehmen oder Beschäftigten vor und nach der Mindestlohneinführung mit den Differenzen der Zielgrößen der jeweiligen Kontrollgruppe (Differenzen-von-Differenzen-Design, kurz: DvD-Design) können zeitkonstante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen ebenso herausgefiltert werden wie Einflüsse von Zeittrends, die beide Gruppen in gleichem Maße betreffen. Der kausale Effekt kann somit unter der Annahme identifiziert werden, dass die Veränderungen über die Zeit in beiden Gruppen parallel verlaufen wären, wenn der Mindestlohn nicht eingeführt worden wäre („common trend assumption“). Darüber hinaus muss die Kontrollgruppe durch das Treatment unbeeinflusst sein (Stable Unit Treatment Value Assumption (SUTVA), vgl. Cameron und Trivedi 2005: 872). Die Validität dieser Annahme ist jedoch fraglich, wenn so genannte Spillover-Effekte zu Abhängigkeiten zwischen der Treatment- und Kontrollgruppe führen und die Kontrollgruppe somit indirekt ebenfalls von dem Treatment beeinflusst ist.

Für die Analysen greifen wir auf unterschiedliche Datensätze zurück, die in Anhang A kurz beschrieben werden. Für die deskriptiven Analysen zu den Arbeits- und Gütermarktbedingungen wurde neben der amtlichen Statistik (Umsatzsteuerstatistik, Betriebsstatistik, Kostenstrukturerhebung, Statistik der Baukonjunktur und der Baupreise) das Mannheimer Unternehmenspanel (MUP) ausgewertet. Letzteres beinhaltet für jedes Unternehmen einige Strukturmerkmale wie z. B. Wirtschaftszweigkennung, Umsatz (ab 1999), Anzahl der Mitarbeiter und die Bonitätseinstufung durch die Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Darüber hinaus wurden zu Beginn der Evaluation eine Reihe qualitativer Interviews mit Unternehmen der Dachdeckerbranche durchgeführt, um Handlungs- und Rahmenbedingungen der Branche zu erfragen und damit eine computergestützte Telefonbefragung (CATI) bei 500 Unternehmen vorzubereiten. Diese Befragung diente der Ergänzung der Sekundärdaten, um Datenlücken im Hinblick auf mögliche Auswirkungen des Mindestlohns zu schließen. Die Arbeitsmarktsituation im Dachdeckerhandwerk wurde zudem auch unter Verwendung administrativer Individualdaten analysiert. Diese bilden neben dem MUP die wichtigste Datengrundlage für die Wirkungsanalysen.

Bei den administrativen Daten handelt es sich um kombinierte Arbeitnehmer-Arbeitgeberdaten. Zum einen steht mit den Daten der Lohnausgleichskasse des Dachdeckerhandwerks (LAK) eine Vollerhebung der Beschäftigten und Betriebe des Dachdeckerhandwerks zur Verfügung. Die wichtigsten Variablen umfassen den monatlichen Bruttolohn sowie die monatlich entlohnte Arbeitszeit in Stunden, die eine exakte Berechnung des Bruttostundenlohns ermöglichen. Mittels dieser Daten lässt sich die Betroffenheit der Beschäftigten vom Mindestlohn somit wesentlich genauer feststellen, als dies in der bislang einzigen Mindestlohn-Evaluationsstudie für Deutschland für das Bauhauptgewerbe von König und Möller (2008) möglich war, die auf Daten der Bundesagentur für Arbeit aufbaut. Diese Daten haben insbesondere den Nachteil, dass eine genaue Angabe über die Arbeitsstunden – und somit über die exakten Stundenlöhne – fehlt. Dennoch verwenden wir auch die Daten der Beschäftigtenhistorik und des Betriebshistorikpanels der Bundesagentur für Arbeit (BA), da diese im Gegensatz zu den LAK-Daten auch Beschäftigte und Unternehmen der Installationsbranche beinhaltet. Der oben beschriebene Kontrollgruppenansatz (1) kann somit nur auf Basis dieser Daten umgesetzt werden. Die Verwendung beider Datensätze ermöglicht uns, die Bruttostundenlöhne in den BA-Daten auf Basis eines Schätzmodells zu rekonstruieren. Details zu dem Imputationsverfahren finden sich in Anhang B.

5 Die Betroffenheit der Branche vom Mindestlohn

Das durch den Kaitz-Index gemessene Verhältnis vom Mindestlohn zum Medianlohn gibt einen ersten Anhaltspunkt zur Betroffenheit der Branche vom Mindestlohn. Der Index gibt an, in welchem Maße der Mindestlohn im Falle einer Einhaltung der Mindestlohnregelungen in die Lohnverteilung eingreift und zu einer Stauchung der Lohnverteilung führt. Auf der Ebene des einzelnen Beschäftigten lässt sich die Betroffenheit vom Mindestlohn hingegen daran festmachen, ob vor der Mindestlohneinführung bzw. -erhöhung eine Entlohnung unterhalb des Mindestlohnniveaus vorlag und somit mindestlohnbedingt ein über das normale Lohnwachstum hinausgehender Lohnanstieg erfolgen müsste. In diesem Fall spricht die Literatur auch von einem bindenden Mindestlohn bzw. einem durch den Mindestlohn betroffenen Beschäftigten (vgl. Card 1992; Card und Krueger 1995). Zum anderen kann das Ausmaß der Betroffenheit für Personen mit einem bindenden Mindestlohn durch die individuelle Lohnlücke, d.h. die prozentuale Differenz zwischen dem tatsächlichen Stundenlohn des Beschäftigten, w it , und dem im Laufe des nächsten Jahres geltenden Mindestlohn ML i,t+1, gemessen werden. Um den Grad der (Nicht-)Einhaltung der Mindestlohnregelungen abzuschätzen, wird die Lohnlücke mit der tatsächlichen Lohnveränderung der Beschäftigten im selben Zeitraum verglichen. Ob die beobachteten Lohnzuwächse der Beschäftigten mit einem bindenden Mindestlohn über das normale Lohnwachstum hinausgehen, lässt sich anhand eines Vergleiches mit den Lohnveränderungen der Beschäftigten ohne einen bindenden Mindestlohn abschätzen. Ist dies der Fall, sollte es zu einer Stauchung der Lohnverteilung kommen.

Die Auswertung dieser Indikatoren in Tab. 1 weisen insbesondere in Ostdeutschland auf eine starke Betroffenheit vom Mindestlohn hin. So unterlagen nach der Einführung eines bundeseinheitlichen Mindestlohns in Ostdeutschland zuletzt mehr als die Hälfte der im ostdeutschen Dachdeckerhandwerk gewerblichen abhängigen Beschäftigten einem bindenden Mindestlohn, d.h. sie erhielten in dem Jahr vor der nächsten Mindestlohnerhöhung einen Lohn unterhalb des Mindestlohns (Spalte 1). Das Ausmaß der Eingriffsintensität in Ostdeutschland zeigt sich auch am hohen Kaitz-Wert von zuletzt 100 % und demonstriert, dass der Medianlohn mittlerweile dem Mindestlohn entspricht (Spalte 5). Zum Vergleich variiert der Kaitz-Index für flächendeckende Mindestlöhne in den OECD-Ländern lediglich zwischen Werten von unter 30 Prozent in der Türkei und mehr als 70 Prozent in Italien (Dolton und Rosazza-Bondibene 2011). Auch wenn ein Branchenmindestlohn nicht mit einem flächendeckenden Mindestlohn gleichzusetzen ist, suggerieren diese Zahlen eine auch im internationalen Vergleich hohe Betroffenheit vom Mindestlohn im ostdeutschen Dachdeckerhandwerk. In Westdeutschland waren im Jahr 2009 hingegen maximal 9 % der Beschäftigten betroffen, was sich auch in einem geringeren, wenn auch mit etwa 70 % immer noch hohen Kaitz-Index niederschlägt.

Tab. 1 Individuelle Betroffenheit von der Mindestlohneinführung bzw. nächsten Mindestlohnerhöhung (1997–2008), LAK-Daten

Zudem zeigt sich, dass die Lohnzuwächse der Beschäftigten mit einem bindenden Mindestlohn (Spalte 3) im Vergleich zu Beschäftigten, für die der Mindestlohn nicht bindend war (Spalte 4), vor allem in Ostdeutschland deutlich überdurchschnittlich ausfielen. Dies führte in Ostdeutschland auch im Vergleich zur Installationsbranche zu einer starken Stauchung der Lohnverteilung (siehe Abb. 4). Für die Lohnverteilung in Westdeutschland lässt sich dagegen eine solche Stauchung nicht erkennen. Allerdings war das Ausmaß der Nicht-Einhaltung der Mindestlohnregelungen in Westdeutschland relativ hoch, denn die Lohnzuwächse der Beschäftigten mit einem bindenden Mindestlohn waren zwar überdurchschnittlich, entsprach jedoch in vielen Jahren nur etwa einem Drittel der durchschnittlichen individuellen Lohnlücke zum Mindestlohnniveau (Spalte 2). Erst seit 2006 nahm die Einhaltung des Mindestlohns in Westdeutschland deutlich und sprunghaft zu, was vermutlich auf verstärkte Kontrollbemühungen in den letzten Jahren zurückzuführen ist. In Ostdeutschland entsprachen die durchschnittlichen Lohnanstiege der von einem bindenden Mindestlohn Betroffenen dagegen weitestgehend der durchschnittlichen individuellen Lohnlücke.

Abb. 4
figure 4

Lohnverteilung in der Dachdecker- und Installationsbranche nach West- und Ostdeutschland, 1994 und 2008, BA-Daten

In Westdeutschland waren vom Mindestlohn primär Ungelernte, geringfügig oder in Teilzeit Beschäftigte mit deutlich unterdurchschnittlichen Betriebszugehörigkeiten von einem bindenden Mindestlohn betroffen. In Ostdeutschland hingegen erhält der vom Mindestlohn betroffene Beschäftigte nahezu den durchschnittlichen Stundenlohn. Zwar sind auch in Ostdeutschland ungelernte Arbeitskräfte überdurchschnittlich häufig vom Mindestlohn betroffen, die deutliche Mehrheit der Betroffenen ist jedoch eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft.

Trotz der insgesamt hohen Betroffenheit vom Mindestlohn und der insbesondere in Ostdeutschland zu beobachtenden Lohnkompression ist die mit dem Mindestlohn einhergehende effektive Kostenbelastung überschaubar. Zum einen steigen die gesamten Lohnkosten für gewerbliche Beschäftigte selbst bei einer vollständigen Einhaltung des Mindestlohns mit jeder Mindestlohnstufe um lediglich etwa 1 % in Westdeutschland und bis zu 2,5 % in Ostdeutschland. Da die Personalkosten für gewerblich Beschäftigte jedoch nur etwa 30 % der Gesamtkosten ausmachen, relativieren sich die Kosten weiter. So führt der Mindestlohn je nach Mindestlohnstufe selbst bei vollständiger Einhaltung zu Gesamtkostenerhöhungen von lediglich 0,2–0,5 % in West- und 0,3–0,8 % in Ostdeutschland. Zwar relativieren diese Zahlen den Einfluss, den der Mindestlohn im Dachdeckerhandwerk auf Beschäftigung und Wettbewerb auszuüben vermag. Einzelne Betriebe können jedoch durchaus von stärkeren Lohnkostenanstiegen betroffen sein. Zudem kann sich die Kostenbelastung im Laufe der sukzessiven Mindestlohnerhöhungen kumulieren.

6 Hypothesen zu den Mindestlohnwirkungen im Dachdeckerhandwerk

Für die von einem bindenden Mindestlohn betroffenen gewerblichen Beschäftigten des Dachdeckerhandwerks ist von Lohnerhöhungen auszugehen, falls die Mindestlohnregelungen wie in Abschn. 3 bereits diskutiert zumindest teilweise eingehalten werden. In Ostdeutschland ist aufgrund der höheren Eingriffsintensität und der stärkeren Einhaltung der Mindestlohnregelungen mit stärkeren Lohnzuwächsen für die betroffenen Beschäftigten zu rechnen als in Westdeutschland. Ob sich entsprechende Lohnzuwächse jedoch in Einkommenszuwächse übersetzen, hängt nicht zuletzt von den Beschäftigungswirkungen des Mindestlohns ab. Denn ein oberhalb des Marktlohnes liegender Mindestlohn stellt zwar diejenigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen besser, die weiterhin beschäftigt bleiben, mögliche Entlassungen als Reaktion könnten aber die durchschnittliche Einkommensposition verschlechtern. Ebenso könnten Arbeitszeitkürzungen das Einkommen – im Gegensatz zum Lohnsatz – der bereits Beschäftigten verringern (vgl. Michl 1996).

Einer mindestlohnbedingten Reduktion der Gesamtbeschäftigung wirkt jedoch entgegen, dass die effektive Kostenbelastung für die Unternehmen trotz der hohen Betroffenheit vom Mindestlohn relativ gering ausfällt. Zudem liegen aufgrund eines beschränkten Preiswettbewerbs auf dem Gütermarkt und eines zumindest partiell beschränkten Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt Rahmenbedingungen vor, die es eventuell ermöglichen, steigende Arbeitskosten teilweise an die Kunden in Form höherer Preise und an die Beschäftigten in Form verschlechterter Arbeitsbedingungen weiterzugeben (Neumark und Wascher 2008). Denkbar ist insbesondere, dass die Arbeitsbelastungen steigen, weil Arbeit verdichtet wird und dadurch (unbezahlte) Überstunden geleistet werden müssen, dass freiwillige Arbeitgeberleistungen zurückgenommen werden oder dass verstärkt weniger geschützte Beschäftigungsformen – befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit – zum Einsatz kommen.

Selbst eine unveränderte Gesamtbeschäftigung kann jedoch mit Beschäftigungseffekten für einzelne Beschäftigtengruppen einhergehen. So können veränderte relative Preise zwischen Nichtfachkräften, für die der Mindestlohn häufig bindend ist, und Fachkräften die relative Nachfrage nach Letzteren begünstigen. Aufgrund solcher Substitutionseffekte kann sich zudem auch die Entlohnung von Arbeitskräften verbessern, deren Entlohnung oberhalb des Mindestlohnes liegt. Falls Unternehmen über eine gewisse Marktmacht gegenüber Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen verfügen, würden Fachkräfte jedoch auch ohne entsprechende Lohnzuwächse nicht zwangsläufig das Unternehmen verlassen. Die zu erwartenden Wirkungen auf die Entlohnung dieser Beschäftigten ist somit keineswegs klar, auch wenn die Literatur vor allem positive Effekte nachweisen konnte (DiNardo et al. 1996; Lee 1999; Teulings 2000).

Mögliche Auswirkungen des Mindestlohns auf den Gütermarkt und die Form und Intensität des Wettbewerbs hängen ebenfalls von den Rahmenbedingungen auf dem Markt für Dachdeckerleistungen ab. Falls die Nachfrage- und Wettbewerbsverhältnisse wie bereits angeklungen eine zumindest partielle Weitergabe der mindestlohnbedingten Kostensteigerung an die Kunden erlauben, so kann der Mindestlohn zu Preiserhöhungen für Dachdeckerleistungen führen. Diese führt wiederum – in Abhängigkeit von der Preiselastizität der Nachfrage – zu einem Rückgang der Nachfrage oder einer Verringerung der Konsumentenrente. In dem Maße, indem zusätzliche Arbeitskosten jedoch nicht überwälzt werden können, können sich die Gewinne der Unternehmen reduzieren, sofern die Unternehmen die mindestlohnbedingte Kostensteigerung nicht durch eine höhere Produktivität kompensieren können. Niedrigere Gewinne verringern die Attraktivität für Marktzutritte und können langfristig zu einer steigenden Zahl von Marktaustritten führen.

Ein Mindestlohn kann aber auch zum Aufbau von Markteintrittsbarrieren für potenzielle Neugründungen führen. In diesem Fall nutzen die etablierten Unternehmen den Mindestlohn als ein Instrument zur Erhöhung der Kosten für potenzielle Wettbewerber (vgl. Göddeke et al. 2011; Haucap et al. 2001). Durch den Mindestlohn wird verhindert, dass wenig produktive Unternehmen über eine Niedrigpreisstrategie in den Wettbewerb eintreten können. Wenn für Neugründungen die Arbeitsproduktivität ihrer Mitarbeiter aufgrund geringerer Erfahrung, geringeren Möglichkeiten zur Nutzung von Skaleneffekten und einer geringeren Kapitalausstattung unter dem Mindestlohnniveau liegt, sind Markteintritte unattraktiv und unterbleiben. Markteintrittsbarrieren verringern den Wettbewerbsdruck der etablierten Unternehmen und können so zu einer Verringerung der Marktaustritte und einer Erhöhung der Gewinne führen.

7 Wirkungen des Mindestlohns

Die im Rahmen der Wirkungsanalysen betrachteten Zielgrößen betreffen eine Vielzahl an Indikatoren aus den Bereichen Beschäftigung, Arbeitnehmerschutz und Wettbewerbssituation. Im Rahmen dieses Beitrags können jedoch nur zentrale Ergebnisse für ausgewählte Indikatoren dargestellt werden. Für Details verweisen wir auf Aretz et al. (2011).

7.1 Beschäftigung

Im Hinblick auf Beschäftigungswirkungen betrachten wir zunächst die Wahrscheinlichkeit, dass eine Beschäftigung in der Branche auch im nächsten Jahr fortgesetzt wird. Aufgrund der konjunkturell schlechten Situation in der Baubranche, die mit einem deutlichen Beschäftigungsrückgang einhergeht, ist diese Weiterbeschäftigungswahrscheinlichkeit eine interessante Größe. Eine mindestlohnbedingte Zurückhaltung bei der Einstellung von Beschäftigten wird auf diese Weise jedoch nicht erfasst. Daher wird zusätzlich auf Betriebsebene die Entwicklung des Beschäftigungsumfangs, d.h. Anzahl der gewerblich Beschäftigten, näher beleuchtet.Footnote 6 Die so identifizierten Beschäftigungseffekte bilden sowohl ein verändertes Einstellungs- als auch Entlassungsverhalten der Betriebe ab, können jedoch nur eingeschränkt mit der Entwicklung der Gesamtbeschäftigung in der Branche gleichgesetzt werden, da z. B. eine mindestlohnbedingte Verkleinerung der Betriebsgröße durch eine steigende Zahl an Betrieben ausgeglichen werden könnte. Um einen besseren Einblick in die Gesamtwirkungen des Mindestlohns auf Branchenebene zu erhalten, berücksichtigen wir daher ergänzend die Wirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigung im Dachdeckerhandwerk auf der Ebene von Raumordnungsregionen.

Auf der Individualebene (vgl. Tab. 2) wird in einem ersten Ansatz die Veränderung in den Weiterbeschäftigungschancen der in den Geltungsbereich des Mindestlohns fallenden Beschäftigten des Dachdeckerhandwerks in der Zeit nach der Einführung des Mindestlohns (1997–2007) im Vergleich zu der Zeit vor dessen Einführung (1994–1996)Footnote 7 mit der entsprechenden Veränderung der Weiterbeschäftigungschancen der theoretisch in den Geltungsbereich des Dachdecker-Mindestlohns fallenden Beschäftigten der Installationsbranche in einer multivariaten Differenz-von-Differenzen-Schätzung (DvD) geschätzt. Dabei kontrolliert die Berücksichtigung einer Reihe von weiteren möglichen Determinanten der individuellen Beschäftigungschancen wie z. B. das Bildungsniveau mögliche Unterschiede in den beobachtbaren Charakteristika der Beschäftigten beider Branchen sowie eine mögliche Veränderung in der Zusammensetzung der Beschäftigten über die Zeit. Unter der Annahme, dass die so kontrollierte Entwicklung in der Installationsbranche die Entwicklung im Dachdeckerhandwerk ohne Mindestlohnregelung abbildet und es keine indirekten Auswirkungen des Mindestlohns im Dachdeckerhandwerk auf die Installationsbranche gibt, identifiziert eine entsprechende Differenz-von-Differenzen-Schätzung (DvD) den kausalen Effekt des Mindestlohns.

Tab. 2 Mindestlohnwirkungen auf die Weiterbeschäftigungswahrscheinlichkeit der Beschäftigten der Dachdeckerbranche, verschiedene DvD-Schätzungen auf Basis der BA-Daten

Demnach haben ostdeutsche Beschäftigte der Dachdeckerbranche nach der Mindestlohneinführung im Vergleich zu Beschäftigten der Installationsbranche eine um 0,7 Prozentpunkte gesunkene Wahrscheinlichkeit, im darauffolgenden Jahr in derselben Branche beschäftigt zu sein. Für Westdeutschland hingegen ergibt sich ein positiver Weiterbeschäftigungseffekt in Höhe von 1,5 Prozentpunkten.

Möglicherweise sind die Ergebnisse des Branchenvergleichs jedoch dadurch verzerrt, dass die Annahme paralleler Trends in den Branchen ohne Mindestlohnregelungen über den langen Zeitraum nicht zutrifft. Alternativ wird daher auch ein Vergleich der Weiterbeschäftigungschancen der von einem bindenden Mindestlohn betroffenen und nicht betroffenen Beschäftigten des Dachdeckerhandwerks vorgenommen. Da sich die Zusammensetzung der von einem bindenden Mindestlohn betroffenen Beschäftigten über die Zeit aufgrund der Anhebungen des Mindestlohns verändert, ist ein Vergleich dieser Personengruppen für die Jahre vor und nach der Mindestlohneinführung jedoch wenig sinnvoll. Stattdessen wird eine doppelte Differenzenbildung wiederum mittels der Installationsbranche vorgenommen, indem die Beschäftigten im Installationsgewerbe identifiziert werden, die im Falle einer Beschäftigung in der Dachdeckerbranche von einem bindenden Mindestlohn betroffen wären.Footnote 8 Dies wird möglich, indem das für die Dachdeckerbranche entwickelte Imputationsmodell (vgl. Anhang B) auf die Installationsbranche angewendet wird, so dass eine kontrafaktische Wahrscheinlichkeit berechnet werden kann, von einem bindenden Mindestlohn betroffen zu sein.

Dieser Ansatz beruht auf der Annahme, dass Beschäftigten im Installationsgewerbe am ehesten mit denjenigen Beschäftigten im Dachdeckerhandwerk vergleichbar sind, die aufgrund ihrer Charakteristika im Falle einer Beschäftigung in der Dachdeckerbranche in ähnlicher Weise vom Mindestlohn betroffen wären. Durch eine doppelte Differenz der von einem bindenden Mindestlohn betroffenen und der nicht betroffenen Beschäftigten in beiden Branchen lässt sich zudem für abweichende Trends zwischen den Branchen kontrollieren. Dies setzt jedoch voraus, dass sich die Beschäftigung von Personen mit und ohne bindenden Mindestlohn ohne Mindestlohnregelung in ähnlicher Weise entwickelt hätte und keine indirekten Auswirkungen des Mindestlohns auf die nicht von einem bindenden Mindestlohn betroffenen Beschäftigten in den beiden Branchen bestehen.

Im Ergebnis (Zeile 2 in Tab. 2) haben westdeutsche Beschäftigte des Dachdeckerhandwerks mit einem bindenden Mindestlohn eine um sechs Prozentpunkte reduzierte Wahrscheinlichkeit, im darauffolgenden Jahr weiterhin in der Branche beschäftigt zu sein. Bei einer gegebenen Betroffenheitswahrscheinlichkeit von durchschnittlich 5,5 % zwischen 1997 und 2007 impliziert dies eine um 0,3 Prozentpunkte reduzierte Weiterbeschäftigungswahrscheinlichkeit auf Branchenebene (analog zu Ansatz 1).Footnote 9 Für Ostdeutschland reduziert sich die Wahrscheinlichkeit einer Weiterbeschäftigung in der Dachdeckerbranche für die von einem bindenden Mindestlohn betroffenen Beschäftigten um 2,8 Prozentpunkte. Dies entspräche bei einem durchschnittlichen Anteil der betroffenen Personen von etwa 20 % einer um etwa 0,6 Prozentpunkte reduzierten Weiterbeschäftigungswahrscheinlichkeit auf Branchenebene. Während beide Ansätze für Ostdeutschland somit zu sehr vergleichbaren und negativen Auswirkungen auf die Weiterbeschäftigungschancen kommen, deutet die Abweichung beider Ansätze für Westdeutschland hingegen darauf hin, dass die zugrundeliegenden Annahmen teilweise verletzt sind. So könnten die Ergebnisse ein Hinweis darauf sein, dass mindestlohnbedingt weniger qualifizierte durch gut qualifizierte Beschäftigte substituiert werden und somit auch Beschäftigte im Dachdeckerhandwerk ohne einen bindenden Mindestlohn indirekt vom Mindestlohn betroffen sind. Die Ergebnisse für Westdeutschland können somit nur bedingt als verlässlich eingestuft werden. Zudem können die Ergebnisse beider Ansätze verzerrt sein, wenn ein Betrieb mindestlohnbedingt vor allem die Beschäftigten mit einer geringen Motivation oder Fähigkeit entlässt, da diese unbeobachteten Faktoren bislang in den Schätzmodellen nicht berücksichtigt werden. Hier besteht noch weiterer Forschungsbedarf.

Unter Verwendung derselben Kontrollgruppenansätze betrachten wir auf der Betriebsebene den Umfang der gewerblichen Beschäftigung sowie den Anteil der Fachkräfte auf Betriebsebene, vgl. Tab. 3. Während die betriebliche Beschäftigung im Vergleich zu den vorangegangenen Analysen zusätzlich zum Entlassungsverhalten auch das Einstellungsverhalten der Betriebe abbildet, soll der Fachkräfteanteil einen Einblick in die möglicherweise aufgrund von Substitutionseffekten veränderte Beschäftigungsstruktur geben. Die linearen Schätzungen erfolgen zudem unter Berücksichtigung betrieblicher Charakteristika sowie betriebsspezifischer fixer Effekte und kontrollieren somit für beobachtbare und unbeobachtete, zeitkonstante Faktoren auf der Betriebsebene. Dies ist deshalb besonders wichtig, da mindestlohnbedingte Marktaustritte gering produktiver Betriebe die Ergebnisse andernfalls verzerren könnten.

Tab. 3 Mindestlohnwirkungen auf den Beschäftigungsumfang und den Fachkräfteanteil auf Betriebsebene, verschiedene DvD-Ansätze auf Basis der BA-Daten

Die entsprechenden Auswirkungen des Mindestlohns werden in dem ersten Kontrollgruppenansatz (vgl. Zeilen 1 und 2, Tab. 3) im Rahmen eines Vergleichs von Dachdecker- und Installationsbetrieben vor und nach der Mindestlohneinführung bestimmt. Für den zweiten Kontrollgruppenansatz (vgl. Zeilen 3 und 4, Tab. 3) wird hingegen die Differenz in den Zielgrößen für die betroffenen im Vergleich zu den nicht betroffenen Dachdeckerbetrieben in der Zeit nach der Mindestlohneinführung mit der kontrafaktischen Differenz zwischen betroffenen und nicht betroffenen Installationsbetrieben verglichen. Ein Betrieb gilt dabei als vom Mindestlohn betroffen, wenn die durchschnittliche – im Falle der Installationsbetriebe kontrafaktische – Betroffenheitswahrscheinlichkeit der Beschäftigten des Betriebs über 5 % liegt.

Im Branchenvergleich zeigt sich für Westdeutschland, dass die durchschnittliche Betriebsgröße im Dachdeckerhandwerk gegenüber dem Installationsgewerbe mindestlohnbedingt um 8 % gesunken ist, während der Rückgang der durchschnittlichen Betriebsgröße in Ostdeutschland nicht signifikant ist. Gleichzeitig stieg der durchschnittliche Fachkräfteanteil auf Betriebsebene im Branchenvergleich in beiden Landeshälften um etwa sechs Prozentpunkte. Eine Verschiebung der Beschäftigtenstruktur hin zu höher qualifizierten Beschäftigten wird auch durch den zweiten Kontrollgruppenansatz – wenn auch in geringerem Umfang – bestätigt. Der Beschäftigungsrückgang seit Mitte der 1990er Jahre hat demnach – auch unterstützt durch den Mindestlohn – stärker die gering Qualifizierten der Branche betroffen.

Umgerechnet auf Branchenebene ergibt sich nach dem zweiten Ansatz (Zeile 3) bei einer durchschnittlichen Betroffenheit der Betriebe in Westdeutschland (Ostdeutschland) in Höhe von 8 % (26 %) eine durchschnittliche Reduktion der Beschäftigung je Betrieb um 0,3 % (2,1 %). Der geschätzte Rückgang der durchschnittlichen Betriebsgröße fällt in Ostdeutschland somit höher und in Westdeutschland niedriger aus als im reinen Branchenvergleich. Diese Abweichungen sprechen dafür, dass der Branchenvergleich in Zeile (1) beispielsweise aufgrund abweichender Branchentrends verzerrt ist. Abweichende Trends können durch die Differenzenbildung zwischen betroffenen und nicht betroffenen Betrieben innerhalb jeder Branche in Zeile (3) jedoch berücksichtigt werden, so dass diese Ergebnisse eine höhere Validität aufweisen sollten.

Eine solche Reduktion der durchschnittlichen Beschäftigung auf Betriebsebene bedeutet jedoch nicht zwingend auch einen Rückgang der Gesamtbeschäftigung, da es gleichzeitig zu einer Zunahme der Zahl der Betriebe gekommen sein kann. Tatsächlich lässt sich deskriptiv beobachten, dass die Zahl der Ein-Personen-Unternehmen stark zugenommen hat. Um somit alle möglichen Wirkungsmechanismen (Einstellungs- und Separationsverhalten der bereits existierenden Betriebe, Betriebsgründungen/-schließungen, Spillovereffekte zwischen betroffenen und nicht betroffenen Betrieben) zu berücksichtigen und die Wirkungen auf die Gesamtbeschäftigung zu identifizieren, ist eine Analyse auf Marktebene erforderlich, indem die Gesamtbeschäftigung auf der Ebene der Raumordnungsregionen betrachtet wird. Dafür nutzen wir die regionale Variation in dem Anteil der vom Mindestlohn betroffenen Beschäftigten sowie die regionale Variation im Kaitz-Index unter der für das Dachdeckerhandwerk plausiblen Annahme, dass es sich bei diesen regionalen Märkten um relativ abgeschlossene Märkte handelt. Die Schätzungen auf Basis der BA- und der LAK-Daten erfolgen unter Berücksichtigung regionaler fixer Effekte, so dass die Veränderung in der regionalen Betroffenheit vom Mindestlohn bzw. des Kaitz-Indexes den Mindestlohneffekt identifiziert. Gleichzeitig werden in dem multivariaten Schätzansatz regionale Marktunterschiede durch die Anzahl der Baugenehmigungen und Fertigstellungen, die Anzahl der Gebäude, den Sanierungsindex, die Altersstruktur der Gebäude, die neu installierte Leistung an Photovoltaik-Anlagen sowie die Zahl der Personen in der Region und die Kaufkraft gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf berücksichtigt.

Die Effekte auf die Gesamtbeschäftigung in der Branche auf regionaler Ebene zeigen keine signifikanten Auswirkungen des Mindestlohns. Dieses Ergebnis spricht entweder für einen Nulleffekt des Mindestlohns auf die Gesamtbeschäftigung oder für eine zu geringe Identifikationskraft des gewählten Schätzansatzes. Letzteres könnte der Fall sein, da die regionale Betroffenheit vom Mindestlohn nicht aufgrund unterschiedlicher Mindestlohnhöhen, sondern lediglich aufgrund unterschiedlicher Marktstrukturen variiert. Unter weitgehender Kontrolle der regionalen Marktstrukturen ist die Identifikationskraft des Schätzansatzes somit möglicherweise beschränkt. In diesem Fall sprechen die vorangegangenen Analysen zumindest für Ostdeutschland für einen mindestlohnbedingten Beschäftigungsrückgang.

Wertet man die regionalen Analysen hingegen als verlässliche Evidenz für einen wahrscheinlichen Nulleffekt des Mindestlohns auf die Gesamtbeschäftigung, steht dieses Ergebnis in einem vermeintlichen Widerspruch zu den vorangegangenen Analysen. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass es mindestlohnbedingt zu Umstrukturierungen kam und der Mindestlohn die Beschäftigungschancen der von einem bindenden Mindestlohn betroffenen Beschäftigten verschlechtert sowie in betroffenen Betrieben zu einem Beschäftigungsrückgang beigetragen hat. Der nicht vorhandene Effekt auf der Ebene des (regionalen) Marktes deutet jedoch darauf hin, dass diese Wirkungen sich nicht in Nettoverlusten in der Branche niederschlugen, da nicht betroffene Fachkräfte und/oder andere Betriebe der Branche indirekt profitieren und Beschäftigungsverluste in Teilen der Branche ausgeglichen haben.

7.2 Arbeitnehmerschutz

Die Auswirkungen des Mindestlohns auf den Arbeitnehmerschutz werden anhand der Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen in der Branche untersucht. Dabei ist vor allem fraglich, ob sich mindestlohnbedingt steigende Stundenlöhne auch in steigende Einkommen übersetzen. Dies hängt nicht zuletzt vom Arbeitsumfang ab, da steigende Stundenlöhne bei einer gleichzeitigen Reduktion der Arbeitszeit mit sinkenden Lohneinkommen einhergehen können. Die Jahreslohneinkommen in den LAK-Daten sind jedoch durch diverse Sonderzahlungen, wie z. B. das 13. Monatsgehalt, beeinflusst. Stattdessen betrachten wir daher die Bruttotagesentgelte. Zwar berücksichtigen diese keine Einkommenseffekte, die durch verkürzte Jahresarbeitszeiten z. B. aufgrund saisonaler Entlassungen entstehen; sie bilden jedoch den Einfluss der durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit auf das Lohneinkommen ab.

Tabelle 4 weist die in den LAK Daten beobachteten prozentualen Veränderungen in den Stundenlöhnen, den Arbeitsstunden pro Arbeitstag und den daraus resultierenden Bruttotagesentgelten zwischen 1995 und 2010 entlang der Stundenlohnverteilung aus. Zum einen bestätigt sich die bereits in Abschn. 3 diskutierte Entwicklung, dass die von einem bindenden Mindestlohn betroffenen unteren Dezile der Lohnverteilung – in Ostdeutschland bis zum 6. Dezil, in Westdeutschland bis zum 1. Dezil (vgl. Tab. 1) – stärkere Stundenlohnzuwächse verzeichnen, als dies in den oberen Dezilen der Fall ist. Dies trifft insbesondere auf Ostdeutschland zu, da sich die Stundenlöhne am oberen Rand der Lohnverteilung in dem Zeitraum nominal kaum verändert haben.

Tab. 4 Bruttostundenlöhne, Tagesarbeitszeiten und Bruttotagesentgelte zwischen 1995 und 2010 nach Dezilen der Stundenlohnverteilung, Juni-Monatsangaben der LAK-Daten

Auch trotz der unvollständigen Einhaltung des Mindestlohns (vgl. Tab. 1) führt der Mindestlohn somit zumindest teilweise zu gewünschten Stundenlohnzuwächsen. Diese übersetzen sich jedoch nicht Eins zu Eins in entsprechende Einkommenszuwächse. So steigen die (nominalen) Bruttotagesentgelte in Ostdeutschland lediglich bis zum dritten Dezil der Lohnverteilung; alle anderen Dezile erfahren sogar einen nominalen Einkommensrückgang. Dies spiegelt die Veränderungen in den täglichen Arbeitszeiten wider. Zwar sank die Arbeitszeit für alle Dezile der Lohnverteilung; vor allem die Arbeitszeit der mittleren Dezile hat sich jedoch reduziert, so dass hier Stundenlohnzuwächse durch verringerte Arbeitszeiten überkompensiert werden. Auch in Westdeutschland reduzierten sich die täglichen Arbeitszeiten für nahezu alle Beschäftigten. Überdurchschnittliche Arbeitszeitverkürzungen finden sich vor allem in den Perzentilen direkt oberhalb der vom Mindestlohn betroffenen Perzentile, während die unteren fünf Perzentile sogar stark an Arbeitszeit zulegten. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es sich um rein deskriptive Veränderungen handelt, die u. a. dadurch zustande kommen können, dass mindestlohnbedingt vor allem die von einem bindenden Mindestlohn betroffenen Beschäftigten mit sehr geringen Arbeitszeiten entlassen wurden. Im Ergebnis haben die weiterhin Beschäftigten in den unteren fünf Perzentilen einen deutlichen Zuwachs der nominalen Bruttotagesentgelte zu verzeichnen, während die oberen Dezile in etwa einen dem Durchschnitt entsprechenden Einkommenszuwachs erfahren haben.

Die beobachteten Veränderungen können jedoch nicht unbedingt als ein kausaler Effekt des Mindestlohns interpretiert werden, da diese Veränderungen auch auf allgemeine konjunkturelle Einflüsse zurückgehen könnten. Zudem kann sich die Zusammensetzung der Beschäftigten über die Zeit verändern, so dass die Vergleichbarkeit der Beschäftigten in den Dezilen nicht gewährleistet ist. Aus diesem Grund untersuchen wir mit Hilfe der BA-Daten die Einkommensentwicklung im Kontext eines multivariaten Schätzansatzes, der das logarithmierte Bruttotagesentgelt zwischen der Dachdecker- und der Installationsbranche in der Zeit nach der Mindestlohneinführung im Vergleich zu der Zeit davor für jedes Einkommensdezil getrennt vergleicht. Zudem werden nach der Mindestlohneinführung drei verschiedene Phasen unterteilt, die jeweils mit der Branche interagiert werden und somit zusätzliche heterogene Wirkungen im Zeitablauf zulassen. Diese zeitliche Aufschlüsselung erlaubt es, die Wirkung des Mindestlohns besser in einen Zusammenhang zum steigenden Mindestlohnniveau zu setzen, da im Laufe der Zeit vor allem in Ostdeutschland ein wachsender Anteil der Beschäftigten einem bindenden Mindestlohn unterlag. Das in Abb. 5 dargestellte Ergebnis zeigt für jedes Einkommensdezil und jede der drei Perioden den um beobachtbare CharakteristikaFootnote 10 bereinigten prozentualen Anstieg des Bruttotagesentgelts gegenüber der Vormindestlohnperiode im Vergleich zur Installationsbranche.

Abb. 5
figure 5

Prozentuale Veränderung der Bruttotageseinkommen im Dachdecker- im Vergleich zum Installationshandwerk nach Einkommensdezilen, BA-Daten 1995–2008. Anm.: Separate DvD-Schätzungen des logarithmierten Bruttotagesentgelts mit der Installationsbranche als Kontrollgruppe für jedes Einkommensdezil; gepunktete Balken sind auf dem 5 %-Signifikanznvieau insignifikant

Für Ostdeutschland zeigt Abb. 5, dass die untersten Einkommensdezile bereits in der Einführungsphase deutliche Einkommenszuwächse im Vergleich zur Installationsbranche und Vorperiode erfuhren. Von dieser Entwicklung konnten mit zunehmendem Betrachtungszeitraum – und damit einem steigenden Anteil an betroffenen Beschäftigten – systematisch auch höhere Einkommensdezile profitieren. Dagegen mussten besser verdienende Dachdecker/Innen im Vergleich zur Installationsbranche Einkommensverluste hinnehmen. Zieht man die Erkenntnisse aus den LAK-Daten hinzu, ist diese Entwicklung vermutlich das Resultat von weitgehend stagnierenden Nominallöhnen für die besserverdienenden Beschäftigten der Branche und einer in den letzten Jahren insgesamt reduzierten Arbeitszeit. Diese sinkenden Arbeitskosten für die besserverdienenden Beschäftigten der Branche konnten somit die steigenden Arbeitskosten bei den schlechter Verdienenden teilweise kompensieren. Ergebnis ist das weitgehende Verschwinden einer Lohndifferenzierung in Ostdeutschland (vgl. auch Abb. 4). In Gesprächen mit Verbandsvertretern wurde diese Entwicklung mehrfach bestätigt. Auf die Rückfrage hin, wieso Unternehmen in der Vergangenheit ihre qualifizierten Beschäftigten zu solchen Konditionen trotz des großen Lohnunterschieds zwischen Ost- und Westdeutschland halten konnten, wurde wiederholt auf die hohe Bindung der Beschäftigten an Betriebe und die geringe regionale Mobilität verwiesen. Für die ostdeutschen Betriebe würde es aktuell jedoch zunehmend schwieriger, Fachkräfte zu finden und zu halten, da sich mittlerweile auch in Folge stark gesunkener Azubizahlen ein Fachkräftemangel in der Branche abzeichnet. In den Betrieben müsste bei der Entlohnung der Beschäftigten daher bald ein Umdenken einsetzen.

Für Westdeutschland zeigt Abb. 5 für alle außer dem obersten Dezil Einkommenszuwächse im Vergleich zur Vorperiode und zur Installationsbranche. Auffällig ist, dass die drei unteren Dezile in Westdeutschland eine überdurchschnittliche Einkommensverbesserung im Vergleich zur Referenzgruppe erzielen konnten, obwohl nur maximal 15 % der Beschäftigten vom Mindestlohn direkt betroffen waren. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass sich die Nachfrage nach Arbeitskräften mit einem Verdienst knapp oberhalb der Lohnuntergrenze mindestlohnbedingt erhöht hat. Überraschend ist, dass die positiven Einkommenswirkungen bis zum 9. Dezil reichen. Dies deutet möglicherweise daraufhin, dass das Dachdeckerhandwerk in Westdeutschland eine auch vom Mindestlohn unabhängige, insgesamt günstigere Entwicklung als das Installationsgewerbe genommen hat und die Vergleichbarkeit der beiden Branchen somit nicht gänzlich gegeben ist. Möglich ist jedoch auch, dass die aufgrund des Mindestlohns reduzierte Wettbewerbsverzerrung zwischen Ost- und Westdeutschland hier zu einer positiven Einkommensentwicklung beigetragen hat, da es unter einem reduzierten Preiswettbewerb eher möglich ist, höhere Preise und Einkommen durchzusetzen. Die Bedeutung des Mindestlohns zur Reduktion von Wettbewerbsverzerrungen und Begrenzung eines Preiswettbewerbs wurde wiederholt durch Verbandsvertreter im Rahmen von Expertengesprächen betont.

Die Wirkungen des Mindestlohns können jedoch über die Entlohnungs- und Einkommensbedingungen hinausgehen. Falls der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt laut Einschätzungen von Branchenvertretern in Ostdeutschland zumindest teilweise beschränkt ist, könnte es beispielsweise zu einer Verschlechterung von Arbeitsbedingungen (z. B. der Vergütung von Arbeitsstunden, Maßnahmen zur Arbeitssicherheit) kommen, um an anderer Stelle Kosten einzusparen. Da entsprechende Indikatoren in den vorhandenen Sekundärdaten fehlen, wurden zusätzliche Indikatoren zum Arbeitnehmerschutz im Rahmen der CATI-Unternehmensbefragung sowohl für Dachdecker- als auch Installationsbetriebe (siehe Anhang A) erhoben. Dies betraf zum einen die Frage nach einer Entlohnung zum Tarifvertrag, das im Unternehmen angewandte Arbeitszeit- und Überstundenmodell, den Krankenstand des Unternehmens sowie das Ausmaß der prekären Beschäftigung in Form der nicht dauerhaft beschäftigten Randbelegschaft. Die Analysen konnten keine mindestlohnbedingten Veränderungen in den untersuchten Zielgrößen finden. Dies bedeutet entweder, dass es hier keine Auswirkungen gegeben hat oder dass die Datenlage nicht ausreichte, Wirkungen des Mindestlohns nachzuweisen.

7.3 Effekte auf die Wettbewerbssituation

Die Auswirkungen des Mindestlohns auf den Wettbewerb im Dachdeckerhandwerk werden anhand von fünf Wettbewerbsindikatoren analysiert, nämlich der Profitabilität der im Markt aktiven Unternehmen, der Marktaustritte, der Markteintritte, der Anzahl der im Markt aktiven Unternehmen (als Maß für die Angebotskonzentration bei gegebener Nachfrage) sowie der Preise für Dachdeckerleistungen. Zu den einzelnen Indikatoren liegen Messwerte auf unterschiedlichen Aggregationsniveaus vor: Profitabilität und Marktaustrittswahrscheinlichkeit können auf Unternehmensebene gemessen werden, Angaben zu Marktzutritten und zur Anzahl der im Markt aktiven Unternehmen liegen auf der Ebene regional abgegrenzter Marktgebiete vor, während Güterpreise nur für Deutschland insgesamt (auf Basis der Preisindizes des Baugewerbes) gemessen werden können. Daraus ergeben sich jeweils spezifische empirische Untersuchungsansätze. Gemeinsam ist allen Ansätzen, dass neben der Mindestlohnvariable noch weitere Bestimmungsfaktoren des Wettbewerbs abgebildet werden, um spezifische Produktions- und Nachfragebedingungen der Branchen zu berücksichtigen.Footnote 11 Mindestlohneffekte werden daher über multivariate Erklärungsmodelle, die in einen DvD-Rahmen eingebettet sind, empirisch geschätzt. Dabei werden neben dem Mindestlohn auch viele weitere Einflussgrößen von Wettbewerbsvariablen berücksichtigt. Als Kontrollbranche dient das Installationsgewerbe. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre 1996 bis 2010 und schließt somit auch einen Zeitraum vor Mindestlohneinführung sowie die Perioden der kurzzeitigen Unterbrechung in den Jahren 2000/01 und 2002/03 mit ein.

Daten zu Profitabilität, Marktaustritten, Markteintritten und Unternehmensbestand werden aus dem MUP gewonnen (siehe Anhang A). Die Profitabilität wird über die Bonitätseinstufung der Unternehmen approximiert, die von der Kreditauskunftei Creditreform vorgenommen wird und die aktuelle sowie kurzfristig erwartete Zahlungsfähigkeit des Unternehmens abbildet, die im Allgemeinen positiv mit der aktuellen Gewinnsituation korreliert ist. Diese Information liegt allerdings erst ab 1999 vor.

Da die im MUP erfassten Unternehmen aus Datenschutzgründen nicht mit Angaben aus den LAK- oder BA-Daten verknüpft werden können, kann kein Maß der individuellen Betroffenheit der Unternehmen vom Mindestlohn gebildet werden. Stattdessen werden Durchschnittswerte für die Betriebe des Dachdeckerhandwerks in einem regionalen Absatzgebiet und einer Beschäftigtengrößenklasse ermittelt und den Unternehmen im MUP zugespielt. Als regionale Absatzgebiete werden Landkreise bzw. kreisfreie Städte herangezogen. Als Indikatoren für die Betroffenheit vom Mindestlohn dienen zum einen der Anteil der gewerblichen Beschäftigten, die von der Einführung bzw. Erhöhung des Mindestlohns betroffen sind (Betroffenheitsquote), und zum anderen die betriebliche Lohnlücke. Durch den Einsatz von Paneldaten wird versucht, die unvermeidbare Endogenität zwischen der Mindestlohnvariable und anderen erklärenden Variablen im Bereich der Produktions- und Absatzbedingungen (da z. B. mindestlohnbedingte höhere Arbeitskosten zu Änderungen in den Produktionstechnologien oder der Nachfrage führen können) zu reduzieren.

Für die Untersuchung von Mindestlohneffekten ist es entscheidend, zwischen zwei Gruppen von Handwerksunternehmen zu unterscheiden, nämlich Unternehmen mit abhängig gewerblich Beschäftigten, die grundsätzlich vom Mindestlohn direkt betroffen sein können, und Unternehmen ohne solche Beschäftigte, die vom Mindestlohn nicht direkt betroffen sind. Da im MUP nur Informationen zur Anzahl der Mitarbeiter (inkl. Inhaber), aber nicht zum Status der Mitarbeiter vorliegen, werden diese Gruppen anhand der Anzahl der Mitarbeiter unterschieden. Mehr-Personen-Unternehmen (MPU) sind Unternehmen mit zwei oder mehr Mitarbeitern, wobei angenommen wird, dass diese zumindest einen abhängig gewerblich beschäftigten Mitarbeiter aufweisen. Ein-Personen-Unternehmen (EPU) sind definiert als Unternehmen, in dem nur der Inhaber tätig ist. Für MPU und EPU sind grundsätzlich unterschiedliche Mindestlohneffekte zu erwarten. Da EPU nicht vom Mindestlohn betroffen sind, gilt für sie der mindestlohnbedingte Arbeitskostenanstieg nicht, vielmehr könnten EPU versuchen, durch eine Niedrigpreisstrategie – sei es als Zuarbeiter von größeren Betrieben, sei es im Verbund von mehreren EPU – Marktanteile auf Kosten der vom Mindestlohn betroffenen Unternehmen zu gewinnen. Auch können EPU eine Ausweichstrategie vom Mindestlohn darstellen. Der Anteil der EPU im Dachdeckerhandwerk auf Basis des MUP stieg von 7 % im Jahr 1995 auf 22 % im Jahr 2010 an. Für die Kontrollbranche des Installationshandwerks zeigt sich eine sehr ähnliche Entwicklung auf höherem Niveau (1995: 15 %, 2010: 32 %). Zusätzlich zur Differenzierung nach MPU und EPU ist eine Differenzierung nach Ost- und Westdeutschland zentral, da sich das Ausmaß des Mindestlohns in den beiden Regionen erheblich unterscheidet.

Die Schätzergebnisse zu den Mindestlohneffekten auf Profitabilität, Marktaustritte, Markteintritte und Unternehmensbestand sind in Tab. 5 dargestellt. Für Westdeutschland zeigen sich durchweg keine statistisch signifikanten Effekte der beiden betrachteten Mindestlohnvariablen (Betroffenheitsquote, betriebliche Lohnlücke). Dies ist angesichts der geringen Betroffenheit vom Mindestlohn, den sehr niedrigen Kostensteigerungen aufgrund des Mindestlohns und der großen Bedeutung anderer Einflussfaktoren auf den Wettbewerb im Dachdeckerhandwerk plausibel.

Tab. 5 Einfluss des Mindestlohns auf Profitabilität, Marktaustritte, Markteintritte und Unternehmensbestand im Dachdeckerhandwerk in Deutschland: Schätzergebnisse von Panelmodellen

Für Ostdeutschland zeigen sich positive Profitabilitätseffekte für MPU, denen negative Effekte auf die Markteintritte von MPU und – zumindest für das Mindestlohnmaß BetroffenheitsquoteFootnote 12 – negative Effekte auf den Unternehmensbestand von MPU gegenüberstehen. Die Anzahl der Marktzutritte durch EPU und der Bestand an EPU wurden durch den Mindestlohn positiv beeinflusst. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Mindestlohn in Ostdeutschland zu einer Verschiebung der Anbieterstruktur im Dachdeckerhandwerk zugunsten von EPU und zu Lasten von MPU geführt hat. Die beiden Unternehmenstypen scheinen jedoch nicht in einem direkten Preiswettbewerb zu stehen, da sich für die im Markt verbliebenen ostdeutschen MPU die Gewinnsituation relativ verbessert hat.Footnote 13 Dies dürfte mit einem geringeren Wettbewerbsdruck zusammenhängen, da die mindestlohnbedingten geringeren Marktzutritte bei strukturell unveränderten Marktaustritten zu einer Verringerung des Unternehmensbestands (im Vergleich zur hypothetischen Situation ohne Mindestlohn) führten. Dabei ist zu beachten, dass der Wettbewerbsdruck bei Einführung des Mindestlohns sehr hoch war, da ab 1995 die Bautätigkeit in Ostdeutschland stark nachließ und es zu Überkapazitäten kam.

Eine Voraussetzung für diese Entwicklung ist, dass die im Markt verbliebenen MPU in Ostdeutschland zumindest einen Teil der mindestlohnbedingten Kostenerhöhung entweder über höhere Preise an die Nachfrager weitergeben oder über Produktivitätserhöhungen intern abfedern konnten. Unsere Analysen zu den Mindestlohneffekten auf die Güterpreise liefern einen schwachen Beleg für eine partielle Weitergabe höherer Kosten über höhere Preise.Footnote 14 Nur für eine der vier Modellvarianten konnte ein positiver und statistisch signifikanter Einfluss (nämlich der Betroffenheitsquote auf den Preisindex) gefunden werden, die anderen Modellschätzungen erbrachten insignifikante Ergebnisse.

Die Ergebnisse zu den Wettbewerbswirkungen des Mindestlohns im Dachdeckerhandwerk sollten vor dem Hintergrund der nicht optimalen Datenlage mit Vorsicht interpretiert werden. So ist die regionale Marktabgrenzung, die für die Analysen zu Markteintritten und Unternehmensbestand zentral ist, problematisch, da sich der regionale Aktionsradius je nach Unternehmen unterscheiden kann. Auch können die empirischen Modelle die relevanten Einflussfaktoren des Wettbewerbs im Markt für Dachdeckerleistungen sowie in der Kontrollbranche des Installationsgewerbes nur unvollständig abbilden. Dadurch besteht die Gefahr, dass nicht beobachtbare Einflussfaktoren mit dem beobachtbaren Mindestlohnmaß korrelieren und deren Effekte auf das Mindestlohnmaß abgeschoben werden. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstandes, dass der Mindestlohneffekt über die Zeit tendenziell ansteigt (da die Betroffenheit zunimmt und die Erhöhung des Mindestlohns meist über der der übrigen Tariflöhne lag) und sich gleichzeitig auch die Marktsituation im Dachdeckerhandwerk seit Mitte der 2000er Jahre erheblich verbessert hat, wodurch die Zahl der Marktaustritte zurückging und Gewinne und Gründungszahlen stabilisiert wurden. Außerdem war es nicht möglich, die unternehmensspezifische Betroffenheit durch den Mindestlohn zu berücksichtigen.

8 Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen

Der 1997 eingeführte und seit 2003 bundeseinheitlich geregelte Mindestlohn im Dachdeckerhandwerk führte vor allem in Ostdeutschland zu einer auch im internationalen Vergleich sehr hohen Eingriffsintensität des Mindestlohns. 2008 erhielten in Westdeutschland etwa 10 % der gewerblich abhängigen Beschäftigten im Dachdeckerhandwerk einen Lohn unterhalb des nächstgeltenden Mindestlohns, in Ostdeutschland machte diese Gruppe mehr als 50 % der Beschäftigten aus. Während daher der durchschnittliche vom Mindestlohn betroffene Beschäftigte in Westdeutschland eher ein atypisch Beschäftigter ist, der nicht zu der vollzeitbeschäftigten Stammbelegschaft gehört, erfasst der Mindestlohn in Ostdeutschland auch den durchschnittlichen Facharbeiter.

Die mit dem Mindestlohn einhergehende effektive Kostenbelastung fiel dennoch gering aus. Zum einen führt der Mindestlohn selbst bei vollständiger Einhaltung zu Gesamtkostenerhöhungen von lediglich 0,3–0,8 % in Ostdeutschland und 0,2–0,5 % in Westdeutschland. Zum anderen wurde der Mindestlohn vielfach nicht vollständig eingehalten.

Die Wirkungsanalysen zu den Mindestlohnwirkungen auf die Wettbewerbssituation im Markt für Dachdeckerleistungen erbrachten keine eindeutigen Ergebnisse, was unter anderem auf die eingeschränkte Datenbasis zurückzuführen ist. Auf der Ebene der Preise liegen gewisse Hinweise vor, dass die mindestlohnbedingten Kostensteigerungen zumindest teilweise und eher mittelfristig über höhere Preise an die Kunden weitergegeben wurden. Für Westdeutschland zeichnen sich keine mindestlohnbedingten Wirkungen auf Profitabilität, Eintritte, Austritte oder Unternehmensbestand ab. In Ostdeutschland scheint sich die Gewinnsituation für Mehr-Personen-Unternehmen aufgrund des Mindestlohns etwas verbessert zu haben, was auf niedrigere Marktzutritte und einen abnehmenden Unternehmensbestand zurückgeführt werden könnte. Außerdem zeigen die Wirkungsanalysen, dass der Mindestlohn in Ostdeutschland zu einer leichten Verschiebung der Unternehmensstruktur in Richtung Ein-Personen-Unternehmen (zulasten von Mehr-Personen-Unternehmen) beigetragen hat.

Die Wirkungsanalysen zum Arbeitnehmerschutz belegen, dass der Mindestlohn in Ostdeutschland zu deutlichen Stundenlohnzuwächsen für die unteren Dezile der Lohnverteilung geführt hat. Auch in Westdeutschland zeigen sich für die vom Mindestlohn betroffenen unteren zwei Dezile überdurchschnittliche Lohnzuwächse. Diese Lohnzuwächse übersetzten sich jedoch nicht Eins zu Eins in Einkommenszuwächse, da die Arbeitsstunden der vom Mindestlohn betroffenen Beschäftigten im gleichen Zeitraum tendenziell sanken. Dennoch stiegen die Tageseinkommen der vom Mindestlohn betroffenen Beschäftigten im Vergleich zur Installationsbranche vor allem in Ostdeutschland an.

In Ostdeutschland steht dem Einkommenszuwachs der vom Mindestlohn betroffenen Beschäftigten ein Einkommensverlust seitens der oberen Lohndezile gegenüber. Diese Entwicklung ist das Resultat weitgehend stagnierender Nominallöhne und einer in den letzten Jahren insgesamt reduzierten Arbeitszeit. Diese sinkenden Arbeitskosten für die besser verdienenden Beschäftigten der Branche halfen somit, die mindestlohnbedingten Kostensteigerungen am unteren Rand zu kompensieren. Eine Lohndifferenzierung findet in Ostdeutschland somit kaum mehr statt, eine Entwicklung die sowohl von Arbeitnehmer- als auch Arbeitgebervertretern als kritisch eingeschätzt wird, da die Attraktivität eine Dachdeckerlehre zu beginnen schwindet, wenn Fachkräfte nicht ausreichend mehr verdienen als Ungelernte. Problematisch sehen vor allem die Arbeitnehmervertreter die Tendenz, dass der Mindestlohn zu einer Orientierungsmarke und damit in Ostdeutschland weitgehend zum Normlohn geworden ist. Die Verbandsvertreter sind sich jedoch sicher, dass der aktuell zunehmende, auch abwanderungsbedingte Fachkräftemangel diese Praxis in der Zukunft erschwert und ein Umdenken in den Betrieben einsetzen könnte.

Die Analysen weiterer Indikatoren des Arbeitnehmerschutzes auf Basis der eigenen Unternehmensbefragung konnten keine mindestlohnbedingten Veränderungen in der Vergütung von Überstunden, der Bedeutung prekär Beschäftigter in der Randbelegschaft oder dem Krankenstand im Unternehmen finden. Dies bedeutet entweder, dass es hier keine Auswirkungen gegeben hat oder dass die Datenlage nicht ausreichte, Wirkungen des Mindestlohns nachzuweisen.

Die Gesamtbeschäftigung der Branche hat sich mindestlohnbedingt vermutlich nicht verändert. Analysen zu den Wirkungen des Mindestlohns auf die Gesamtbeschäftigung auf der Ebene regionaler Märkte weisen zumeist keine statistisch signifikanten Effekte aus. Für die vom Mindestlohn betroffenen Beschäftigten und Betriebe lassen sich im Vergleich zu den nicht direkt betroffenen Beschäftigten und Betrieben sowohl in West- als auch Ostdeutschland jedoch negative Beschäftigungsfolgen nachweisen. Der nicht vorhandene Effekt auf der Ebene des (regionalen) Marktes deutet jedoch darauf hin, dass diese Wirkungen sich nicht in Nettoverlusten in der Branche niederschlugen, da nicht betroffene Fachkräfte und/oder andere Betriebe der Branche indirekt profitieren und Beschäftigungsverluste in Teilen der Branche ausgleichen. Ob die zu beobachtende Fachkräfteintensivierung jedoch vollständig dem Mindestlohn zuzurechnen ist, kann nicht abschließend geklärt werden. Für eine Wirkung des Mindestlohns spricht, dass bei einer in den letzten Jahren extrem gesunkenen Lohnspreizung die Beschäftigung von Fachkräften im Vergleich zu ungelernten Arbeitskräften extrem an Attraktivität gewonnen hat. Langfristig kann dies jedoch zu Lasten der Attraktivität einer Dachdeckerlehre gehen und damit zu einem Fachkräftemangel führen, wenn die Ausbildungsrendite sinkt. Die eigene Unternehmensbefragung liefert erste Evidenzen für einen sich abzeichnenden Fachkräftemangel im Dachdeckerhandwerk. Demnach kommen derzeit auf 100 Beschäftigte im Durchschnitt 10,6 offene Stellen, die kurzfristig nicht besetzt werden können.

Es lassen sich somit weder starke Wettbewerbswirkungen noch Nettobeschäftigungseffekte nachweisen. Dies kann einerseits auf die jeweiligen Schwächen der Analyse zurückzuführen sein, ist andererseits aber auch ökonomisch durchaus plausibel, da effektive Arbeitskostenerhöhungen, die nicht durch Preisweitergaben kompensiert werden konnten, vermutlich eher gering ausfielen. Hinzu kommt, dass der technische Fortschritt im Dachdeckerhandwerk die Ausschöpfung von Produktivitätsreserven – laut Verbandsvertretern im Osten in größerem Maße vorhanden als im Westen – vermutlich begünstigte und auf diesem Wege ebenfalls zur Kompensation steigender Arbeitskosten beitrug. Immerhin ein Drittel der befragten Unternehmen gibt zudem an, dass der Mindestlohn zu einer erhöhten Motivation der Beschäftigten beigetragen habe, so dass auch auf diesem Wege teilweise Produktivitätsreserven realisiert werden konnten. Darüber hinaus half in Ostdeutschland eine Lohnzurückhaltung für Fachkräfte einen Teil der zusätzlichen Arbeitskosten zu kompensieren.

Die teilweise moderaten Auswirkungen des Mindestlohns im Dachdeckergewerbe sind somit auch vor dem Hintergrund der branchenspezifischen Kompensationsmöglichkeiten mindestlohnbedingter Arbeitskosten zu sehen. Die Ergebnisse können somit keinesfalls als wahrscheinliche Wirkungen eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns interpretiert werden, sondern spiegeln die Besonderheiten der Branche und das aktuelle Marktumfeld wider. Mit veränderten Rahmenbedingungen können sich jedoch auch die Wirkungen des Mindestlohns verändern.

So reduziert die fehlende Lohndifferenzierung seit einigen Jahren die Attraktivität einer Ausbildung zum Dachdeckergesellen und verstärkt somit möglicherweise den aktuell stark zunehmenden Fachkräftemangel in der Branche. Während die bisherigen Beschäftigungswirkungen somit in eine Phase des Arbeitskräfteüberschusses nach dem Ende des wiedervereinigungsbedingten Baubooms fielen, können Betriebe in der aktuellen Situation Fachkräfte vermehrt nur durch verbesserte Arbeitsbedingungen halten. In einem solchen Marktumfeld könnten die Auswirkungen des Mindestlohns auf die Nettobeschäftigung jedoch zunehmen. Zudem wäre auch im Falle einer vollständigen Einhaltung des Mindestlohns möglicherweise mit stärkeren Auswirkungen auf die Nettobeschäftigung zu rechnen.

Trotz der ein oder anderen nicht intendierten Wirkung des Mindestlohns im Dachdeckerhandwerk steht die Branche einem allgemeinverbindlichen Mindestlohn weitgehend positiv gegenüber. Sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgebervertreter sind der Meinung, dass der Mindestlohn eine wichtige untere Haltelinie für den Preiswettbewerb darstellt, der somit Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Arbeitnehmer/innen reduziere. Die Durchführung von Kontrollen stellt dafür jedoch eine Grundvoraussetzung dar. Aus der Sicht der Verbände reichen die Bemühungen der Kontrollinstanzen und die Sanktionsmöglichkeiten bislang nicht aus.

Zusammenfassung

In der Dachdeckerbranche wurde 1997 ein allgemeinverbindlicher Mindestlohn eingeführt, der seitdem mehrfach erneuert und angehoben wurde und im Jahr 2011 10,80 € betrug. Als erste Branche wies das Dachdeckerhandwerk zudem ab 2003 einen bundeseinheitlichen Mindestlohn auf. Diese besondere Situation führt zu einer in Ostdeutschland sehr hohen Betroffenheit vom Mindestlohn; etwa 50 % der ostdeutschen gewerblichen Beschäftigten der Branche erzielen einen Verdienst zum Mindestlohnniveau. Die Höhe des Mindestlohns gemessen am Medianlohn der Branche ist damit so hoch wie in keiner anderen Branche in Deutschland.

Auf der Basis von Differenz-von-Differenzen-Schätzungen sowohl im Vergleich zu einer nicht von einem Mindestlohn betroffenen Baunebenbranche als auch auf Basis eines Vergleichs von unterschiedlich stark durch den Mindestlohn betroffenen Beschäftigten des Dachdeckerhandwerks werden in diesem Beitrag die kausalen Wirkungen im Hinblick auf Beschäftigung, Arbeitnehmerschutz und Wettbewerb untersucht. Für diese Analysen steht mit den administrativen Arbeitnehmer-Arbeitgeberdaten der Bundesagentur für Arbeit, dem Mannheimer Unternehmenspanel des ZEW sowie der Vollerhebung der Beschäftigten des Dachdeckerhandwerks durch die Lohnausgleichskasse des Dachdeckerhandwerks eine sehr gute Datengrundlage zur Verfügung. Insbesondere kann die Betroffenheit vom Mindestlohn wesentlich genauer festgestellt und für kausale Wirkungsanalysen genutzt werden, als dies in Studien für andere Branchen möglich war.

Die Ergebnisse der Evaluation zeigen, dass es vor allem in Ostdeutschland mindestlohnbedingt zu deutlichen Stundenlohnzuwächsen für die unteren Dezile der Lohnverteilung kam. Diese Lohnzuwächse übersetzten sich nur teilweise in Einkommenszuwächse, da die Arbeitsstunden der vom Mindestlohn betroffenen Beschäftigten im gleichen Zeitraum tendenziell sanken. Zudem stehen den Einkommenszuwächsen der vom Mindestlohn betroffenen Beschäftigten Einkommensverluste seitens der oberen Lohndezile gegenüber. Dies trug möglicherweise dazu bei, dass sich zwar die Beschäftigungschancen der mindestlohnbedingt verteuerten Arbeitskräfte verschlechtert haben, die Gesamtbeschäftigung jedoch vermutlich unverändert blieb. Eindeutige Wettbewerbswirkungen ließen sich nicht nachweisen, wenngleich sich für Ostdeutschland eine gewisse Verschiebung der Unternehmensstruktur in Richtung Ein-Personen-Unternehmen zeigt. Zudem gibt es Hinweise dafür, dass die mindestlohnbedingten Kostensteigerungen zumindest teilweise über höhere Preise an die Kunden weitergegeben wurden.

Insgesamt können die Ergebnisse nicht als wahrscheinliche Wirkungen eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns interpretiert werden, sondern spiegeln die Besonderheiten der Branche und das aktuelle Marktumfeld wider. Mit veränderten Rahmenbedingungen können sich auch die hier gezeigten Wirkungen des Mindestlohns verändern.

Executive summary

Generally binding minimum wages were introduced in the roofing sector in 1997 and have been renewed and raised several times since then; in 2011, the roofer minimum wage amounted to 11.80 €. Moreover, the roofing sector was the first to introduce national minimum wages in 2003. This specific situation lead to a hard bite of the minimum wage in Eastern Germany; about 50 % of all East German blue-collar workers earn a wage at minimum wage level. The minimum wage level as compared to the median wage of the sector is thus higher than in all other sectors in Germany.

Based on difference-in-differences estimations in comparison to an ancillary construction sector that is not affected by minimum wages as well as based on a comparison of workers in the roofing sector who have been affected by minimum wage introduction to different degrees, this paper investigates the causal effects with regard to employment, worker protection and competition. The administrative employee-employer data of the Federal Employment Agency, the Mannheim business panel of the ZEW, as well as the full-scale survey of all employees in the roofing sector conducted by the income supplement fund of the roofing trade provide a well-documented database for these analyses. In contrast to previous studies for other sectors, minimum wage bite can be detected more precisely and can be used for causal effect analyses.

The results show that, particularly in East Germany, minimum wages cause considerable increases in hourly wages for lower deciles of the wage distribution. These wage increases have only partially compiled into earnings increases because the working hours of those affected by minimum wages have decreased by tendency at the same time. Furthermore, wage increases caused by minimum wage introduction are opposed to wage decreases in the upper deciles. This might have contributed to the fact that employment opportunities for workers, who are now more expensive due to minimum wages, have decreased, while the overall employment has presumably not changed. Distinct competitive impacts could not be detected, even though there is a slight tendency toward single-person companies in the East German corporate structure. Moreover, there is evidence that cost increases due to minimum wages were, at least in part, transferred to the customers via increased prices.

To conclude, the results cannot be interpreted as probable effects of national statutory minimum wages, but they rather present the distinctiveness of the sector and the current market environment. Changing the framework conditions could also change the minimum wage effects shown above.