1 Einleitung

Über den Entgeltunterschied zwischen Männern und Frauen, den „gender pay gap“, und seine Ursachen ist schon viel geforscht und geschrieben worden. Aktuellere Beiträge thematisieren dabei v. a. die unterschiedlichen Entgelte sowohl am oberen Ende der Lohnverteilung, den so genannten „glass ceiling effect“, als auch im Niedriglohnsektor, den so genannten „glass floor effect“; den Einkommensnachteil von Frauen mit Kindern, den so genannten „family pay gap“; die Entgelteinbußen in Verbindung mit Teilzeitbeschäftigung, das so genannte „occupational downgrading“; und die regionalen Unterschiede zwischen Stadt und Land, den so genannten „gap in the gap“.Footnote 1 Allein innerhalb des in diesem Heft behandelten Schwerpunktprogramms „Flexibilisierungspotenziale bei heterogenen Arbeitsmärkten“ sind mehrere Arbeiten zu den Hintergründen geschlechtsspezifischer Verdienstunterschiede entstanden.Footnote 2

Auch die deutsche Bundesregierung hat den seit Jahren mehr oder weniger unveränderten Entgeltunterschied von 23 Prozent zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten im deutschen Arbeitsmarkt als Problem erkannt und erste Schritte zur Analyse des Lohngefälles eingeleitet. Neben der Unterstützung öffentlichkeitswirksamer Aktionen wie dem jährlich stattfindenden Equal Pay Day geht die Bundesregierung inzwischen auch die Lohnunterschiede innerhalb von Unternehmen an. Sie setzt dabei in erster Linie auf Freiwilligkeit von Seiten der Arbeitgeber. Zur Unterstützung bietet das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) seit 2009 mit dem Analyseinstrument Logib-D einen freiwilligen statistischen Selbsttest auf Lohngleichheit im Internet an. Nach der Eingabe von Entgelten und Qualifikationsmerkmalen seiner weiblichen und männlichen Beschäftigten erhält der Arbeitgeber eine Diagnose über die nicht (durch Qualifikationsunterschiede) erklärte Entgeltlücke in seinem Unternehmen. Im Gegensatz zur Schweiz, in der die Vergabe öffentlicher Aufträge daran geknüpft ist, dass die unerklärte Lohnlücke eine Toleranzschwelle von 5 Prozent nicht überschreitet, können Unternehmen in Deutschland ihre Entgeltstrukturen freiwillig und anonym analysieren. Das BMFSFJ bietet darüber hinaus 200 interessierten Unternehmen bis 2012 eine kostenlose Beratung auf Basis des Selbsttests an. Die Ergebnisse der Beratung werden nur innerhalb der Unternehmen diskutiert und nicht veröffentlicht. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Teilnahme am Selbsttest nicht zufällig ist, sondern häufiger jene Unternehmen ihre Entgeltdaten in den Logib-D-Rechner eingeben, die sowieso eine eher geringe Ungleichheit aufweisen.

Um den politischen Handlungsrahmen zur Erreichung von Entgeltgleichheit in deutschen Unternehmen und Betrieben besser abschätzen zu können, ist deshalb zum einen eine breitere und repräsentative Datenbasis nötig. Zum anderen müssen für eine korrekte Abschätzung der Entgeltlücke gemäß Logib-D sinnvollerweise die Entgelte von Beschäftigten innerhalb derselben Betriebe verglichen werden. In der wissenschaftlichen Literatur wie in den öffentlichen Medien ist mit dem Entgeltunterschied aber in aller Regel der Unterschied zwischen den von männlichen und weiblichen Beschäftigten im Arbeitsmarkt durchschnittlich bezogenen Entgelten gemeint. Seltener beziehen sich empirische Studien auf das Differenzial zwischen Beschäftigten innerhalb desselben Betriebes, den innerbetrieblichen Verdienstabstand. Eine Ausnahme bildet die Studie von Gartner und Hinz (2009), welche eine durchschnittliche geschlechtsspezifische Entgeltlücke in westdeutschen Betrieben im Beobachtungszeitraum von 1993 bis 2006 von etwa 12 Prozent bestimmt. D.h. bei gleicher Ausbildung, gleicher Berufserfahrung und gleichem Beruf verdienen Frauen im gleichen Betrieb durchschnittlich 12 Prozent weniger als Männer. Im Gegensatz dazu liegt der relative Verdienst von vollzeitbeschäftigten Frauen auf dem Arbeitsmarkt insgesamt zwischen 83 Prozent und 84 Prozent des Verdienstes von Männern. Dass die Erklärungskraft ihres Schätzmodells über die Zeit deutlich abnimmt, interpretieren die Autoren als zunehmende Diversifizierung und Flexibilisierung der betrieblichen Lohnsetzungsprozesse. Dieser Heterogenität der innerbetrieblichen Lohnstruktur tragen wir bei unserem, im Rahmen des DFG Schwerpunkprogramms entwickelten, Verfahren zur Bestimmung geschlechtsspezifischer Entgeltlücken auf Betriebsebene explizit Rechnung.Footnote 3

Mithilfe dieses Verfahrens bestimmen wir auch im vorliegenden Beitrag die Entgeltlücken zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten innerhalb derselben Betriebe auf Basis eines repräsentativen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Datensatzes (LIAB) und verwenden hierzu ein ökonometrisches Schätzmodell, welches vergleichbare Informationen wie das Instrument Logib-D nutzt. Auf dieser empirischen Grundlage können die bisherigen Einzelergebnisse ausgewählter Unternehmen auf Basis von Logib-D besser eingeordnet werden. Des Weiteren charakterisieren wir diejenigen Betriebe, welche einen Verdienstabstand von 5 Prozent zwischen ihren männlichen und weiblichen Beschäftigten über- bzw. unterschreiten. Wir bestimmen die Anteile dieser Betriebe im deutschen Arbeitsmarkt, untersuchen ihre spezifischen Merkmale und umreißen damit das politische Handlungsfeld für die Bekämpfung von unerklärter Entgeltungleichheit. Hierzu fassen wir im Folgenden zunächst die relevanten Ergebnisse zu innerbetrieblichen Entgeltlücken aus unserem Forschungsprojekt zusammen, um dann den Lohnrechner Logib-D und den LIAB-Datensatz vorzustellen. Nach einer Darstellung der empirischen Ergebnisse schließt der Beitrag mit einer kritischen Würdigung des Logib-D Rechners und wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen.

2 Die Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen in deutschen Betrieben – unsere bisherigen Erkenntnisse

Im Rahmen unseres Forschungsprojekts zu Lohndifferenzialen bestimmten wir auf Basis des verknüpften Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Datensatzes des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Linked Employer-Employee-Daten, LIAB) erstmalig die Entgeltlücken innerhalb deutscher Betriebe (siehe Wolf und Heinze 2007; Heinze und Wolf 2010 zu den geschlechtsspezifischen Verdienstabständen und Beblo et al. 2011 zu den Abständen nach Nationalität). Hierzu berechneten wir zunächst die beobachteten Entgeltunterschiede innerhalb aller Betriebe. Da sich männliche und weibliche Beschäftigte in ihrer Humankapitalausstattung unterscheiden und somit eine große Heterogenität zwischen den Betrieben entsteht, bestimmten wir als zweites Maß ein um die Unterschiede im Humankapital korrigiertes Entgeltdifferenzial. Zur Analyse der innerbetrieblichen Bewertung von Humankapital schätzten wir betriebsspezifische Lohnregressionen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die Lohnbildungsprozesse tatsächlich stark zwischen den Betrieben unterscheiden. Auf Basis dieser Ergebnisse kann der (erklärte) Teil der Entgeltlücken bestimmt werden, welcher durch die unterschiedliche Qualifikation von Männern und Frauen verursacht wird.

In Abb. 1 ist der zeitliche Verlauf beider Maße (im Durchschnitt über alle Betriebe) zwischen 1996 und 2007, für Westdeutschland und Ostdeutschland getrennt, dargestellt. Während über diesen Zeitraum hinweg die durchschnittlich beobachtete Entgeltlücke in Westdeutschland um etwa 3 Prozentpunkte abnimmt, bleibt der unerklärte Entgeltabstand konstant bei 15 Prozent. D.h. im Mittel über alle Betriebe verbleiben 15 Prozentpunkte des Entgeltunterschieds zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten „unerklärt“, können also nicht auf die berücksichtigten Qualifikationsunterschiede zurückgeführt werden. Auf einem insgesamt viel niedrigeren Niveau sinkt der beobachtete Entgeltabstand in ostdeutschen Betrieben zwischen 1996 und 2007 von 13 auf unter 10 Prozent. Da der erklärte Anteil in gleichem Maße sinkt, ist der beobachtete Rückgang – genauso wie im Westen – in erster Linie auf die Angleichung der Qualifikationen von weiblichen und männlichen Beschäftigten zurückzuführen. Der Beitrag von Unterschieden im Humankapital zur geschlechtsspezifischen Entgeltlücke liegt im Jahr 2007 bei Null, d.h. die dennoch beobachteten Entgeltdifferenzen können nur anderen Faktoren wie nicht erfassten Qualifikationsmerkmalen, der Arbeitsbewertung und auch Diskriminierung zugeschrieben werden.

Abb. 1
figure 1

Die Entwicklung der durchschnittlichen innerbetrieblichen Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen von 1996 bis 2007

Eine multivariate Zusammenhangsanalyse der unerklärten Entgeltlücken mit Betriebsmerkmalen und institutionellen Rahmenbedingungen zeigte, dass größere Betriebe ein geringeres Differenzial aufweisen als kleinere. Außerdem geht sowohl die Tarifbindung eines Betriebes als auch die betriebliche Mitbestimmung (Betriebsrat) mit geringeren Entgeltunterschieden einher. Die Ergebnisse in Heinze und Wolf (2010) offenbaren ferner mehr Entgeltgleichheit in Betrieben, die in stärkerem Wettbewerb auf dem Produktmarkt stehen.

Insgesamt zeigten unsere Analysen eine große Varianz in den Verdienstlücken zwischen den Betrieben, welche sich zum Teil durch Strukturmerkmale erklären lässt. Somit ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, dass der Betrieb als Ort der Entstehung und Aufrechterhaltung von geschlechtsspezifischen Unterschieden einen elementaren Beitrag zur Erklärung von Entgeltunterschieden leistet. Vor diesem Hintergrund ist die Einrichtung eines Lohnrechners wie Logib-D unserer Meinung nach ein notwendiger erster Schritt, um mehr Transparenz in die Lohnstrukturen und Lohnbildungsprozesse in Unternehmen zu bringen.

3 Logib-D

Logib-D ist die für Deutschland angepasste Variante des ursprünglich als Schweizer Lohnmessmethode entwickelten Logib (Strub 2005). Mit diesem vom BMFSFJ zur Verfügung gestellten Software-Programm auf Excel-Basis sollen Arbeitgeber überprüfen können, ob es in ihren BetriebenFootnote 4 deutliche Entgeltunterschiede zwischen Frauen und Männern gibt (BMFSFJ 2010).

Im Rahmen von Logib werden (alternativ oder sukzessive) zwei Regressionsgleichungen geschätzt: In die Basisregression gehen die persönlichen Merkmale oder Humankapitalvariablen der Beschäftigten ein und zwar außer dem Geschlecht noch die Dienstjahre (d.h. die Jahre der Betriebszugehörigkeit), potenzielle Erwerbsjahre und Ausbildungsjahre (BMFSFJ 2010). Der resultierende unerklärte Unterschied ähnelt unserem oben beschriebenen zweiten Maß der innerbetrieblichen Entgeltlücke. In der erweiterten Regression werden zusätzlich das Anforderungsniveau des Arbeitsplatzes und die berufliche Stellung berücksichtigt (BMFSFJ 2010).

Nach Strub (2005) lässt sich allein anhand der Basisregression eine Entgeltdiskriminierung nicht isoliert von einer möglichen Beschäftigungsdiskriminierung messen (wobei mit dem Begriff Beschäftigungsdiskriminierung inhaltlich eher eine Aufstiegs- oder Beförderungsdiskriminierung gemeint zu sein scheint). Wenn Frauen nicht ihrer Qualifikation entsprechend eingesetzt werden, fließt dies in die unerklärte Entgeltlücke ein und gilt als potenziell diskriminierend, auch wenn das geringere Entgelt von Frauen nicht Ausdruck einer direkten Einkommensdiskriminierung ist, sondern die Ursache des geringeren Entgelts bereits vor der Einkommensbemessung liegt, nämlich bei der Zuweisung der Tätigkeit (Klenner und Ziegler 2010) bzw. der Einordnung in eine Gehalts- oder Lohngruppe.

Andererseits bergen die zusätzlich verwendeten arbeitsplatzbezogenen Variablen in der erweiterten Regression selbst Diskriminierungspotenzial. Die Formulierung des Anforderungsniveaus eines Arbeitsplatzes kann beispielsweise traditionelle (geschlechtsspezifische) Hierarchien oder Unterschiede in der Arbeitsbewertung widerspiegeln, welche wiederum von Geschlechterstereotypen und Vorurteilen geprägt sein können (Chicha 2009). Wenn dies der Fall wäre, würden Unterschiede im Entgelt auf der linken Seite der Gleichung mit Unterschieden in der geschlechtsspezifischen Bewertung von Tätigkeiten als „unabhängige“ Variablen auf der rechten Seite „erklärt“ werden und somit potenzielle Diskriminierungsmechanismen verschleiern. Aus diesem Grund werden wir uns im Folgenden bei der Bestimmung der – über Qualifikationsunterschiede hinausgehenden – Entgeltdifferenz in deutschen Betrieben auf die Basisregression beschränken.

Gemäß Strub (2005) lautet die Spezifikation für die Basisregression:

$$\begin{aligned}\ln(Y_{i}) &= \beta_{0} + \beta_{1} \cdot \mathit{AUSB}_{i} + \beta_{2} \cdot \mathit{ERWERB}_{i}\\&\quad {}+ \beta_{3} \cdot \mathit{ERWERB}_{i}^{2} + \beta_{4} \cdot \mathit{DIENSTJ}_{i} + \beta_{5} \cdot \mathit{FRAU}_{i}\end{aligned}$$

Dabei ist ln (Y i ): der logarithmierte, auf Vollzeit standardisierte Bruttolohn von Person i; AUSB i : Anzahl der Bildungsjahre von Person i; ERWERB i : Anzahl der potenziellen Erwerbsjahre von Person i; DIENSTJ i : Anzahl der Dienstjahre/Jahre der Betriebszugehörigkeit von Person i und die Indikator- oder Dummy-Variable FRAU i =1, wenn Person i eine Frau ist.

Der Schätzkoeffizient β 5 für das Merkmal Frau misst den Einfluss des Geschlechtes auf den Lohn, indem er (nach einer mathematischen Transformation) anzeigt, um wie viel Prozent geringer der Lohn im Durchschnitt ist, wenn die betrachtete Person weiblich ist (bei gleichen Ausstattungsmerkmalen).

Um die Frage zu beantworten, ob Entgeltdiskriminierung in einem Unternehmen vorliegen könnte, kann geprüft werden, ob der Geschlechtskoeffizient β 5 im Betrag statistisch signifikant größer als Null ist, da bei sehr geringeren Differenzialen nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich um ein rein zufälliges Ergebnis handelt.Footnote 5 Die vom BMFSFJ gewählte Variante ist das Ausweisen des bereinigten innerbetrieblichen Verdienstabstandes anhand einer farbigen Uhr, in welcher Entgeltunterschiede bis zu etwa 5 Prozent grün ausgewiesen werden. Unterschiede darüber variieren von gelb-grün über gelb bis zu einer roten Einfärbung (bei bis zu 25 Prozent Verdienstabstand). In unserem späteren Vergleich der Merkmale von Betrieben mit und ohne Entgeltungleichheit orientieren wir uns an dieser implizit tolerierten Schwelle von 5 Prozent.

4 Die Datenbasis

Die Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Daten (LIAB) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bilden einen repräsentativen Datensatz von Betrieben mit ihren sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland. Das LIAB entsteht durch die Verknüpfung zweier Datenquellen, den Betriebsdaten der jährlichen Erhebungswellen des IAB-Betriebspanels und den Personendaten aus den Prozessdaten der Bundesagentur für Arbeit. Für die vorliegende Analyse verwenden wir die (zum jetzigen Zeitpunkt) aktuellste Stichprobe aus dem Jahr 2007. Gemäß den Empfehlungen des BMFSFJ (2010) berücksichtigen wir nur Betriebe mit mindestens 50 (sozialversicherungspflichtig) Beschäftigten.Footnote 6 Die in unserer Basisregression verwendeten Humankapitalvariablen entsprechen weitestgehend denen in Logib-D (siehe Erläuterungen in Tab. 1).

Tab. 1 Vergleich unserer Schätzmethode mit Logib-D

Abweichungen ergeben sich jedoch bei der Auswahl der analysierten Beschäftigten. Während in die Lohnrechnung im Excel Tool die Entgelte aller Beschäftigten eingehen, können wir wegen fehlender Information zu den Arbeitsstunden im LIAB nur Vollzeitbeschäftigte berücksichtigen. Diese Selektion kann zu verzerrt geschätzten Entgeltlücken führen, da zum einen eher gutverdienende Frauen in Vollzeit arbeiten, zum anderen die Entgelte pro Stunde im Durchschnitt höher sind als jene von Teilzeitbeschäftigten (siehe Wolf 2010). Daher wird die so ermittelte Entgeltlücke den wahren Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern tendenziell unterschätzen. Außerdem bezieht sich unsere Stichprobe auf 20 bis 60-jährige und enthält keine Auszubildenden. Eine weitere Einschränkung in den IAB-Daten ist die Zensierung der Entgeltdaten an der Beitragsbemessungsgrenze. Diesem Problem begegnen wir, indem wir die Lohngleichung mit einem Tobit-Modell schätzen.

5 In welchen Betrieben gibt es Entgeltungleichheit?

Im Durchschnitt betragen die beobachteten Entgeltunterschiede im Jahr 2007 in westdeutschen Betrieben 25,1 Prozent und in ostdeutschen Betrieben 9,7 Prozent.Footnote 7 Ohne Berücksichtigung von Ausbildung und Erwerbsjahren müssen weibliche Beschäftigte in Westdeutschland einen fast dreimal so großen Verdienstabstand zu ihren männlichen Kollegen hinnehmen wie diejenigen in Ostdeutschland. Nach Abzug der auf unterschiedliche Humankapitalvariablen zurückzuführenden Lücke nähern sich die verbleibenden (unerklärten) Abstände in Ost und West etwas aneinander an: In westdeutschen Betrieben ist der Abstand mit 20 Prozent „nur“ noch doppelt so hoch wie in ostdeutschen (9,8 Prozent). Interessanterweise ist also der unerklärte Entgeltunterschied zwischen Frauen und Männern in ostdeutschen Betrieben sogar knapp höher als der beobachtete. Dies ist auf die relativ langen Ausbildungszeiten, Betriebszugehörigkeiten und auf das höhere Durchschnittsalter von erwerbstätigen ostdeutschen Frauen zurückzuführen, welche nach unseren Ergebnissen sogar höhere Löhne und Gehälter erhalten müssten als ihre männliche Kollegen, wenn ihr Humankapital gleich entlohnt würde.Footnote 8

Abbildung 2 illustriert die jeweiligen Verteilungen der beobachteten gesamten und der – bei simultaner Berücksichtigung der Qualifikation – durch das Geschlecht erklärten Entgeltlücken innerhalb der Betriebe (in Prozent). Abgesehen von ihrer geringeren Varianz zeigt die Kerndichteschätzung der verbleibenden geschlechtsspezifischen Entgeltdifferenzen, dass eine große Mehrheit der Betriebe einen positiven Verdienstabstand zwischen männlichen und weiblichen Beschäftigten aufweist. In Westdeutschland zahlen etwa 81 Prozent aller Betriebe ihren männlichen Beschäftigten systematisch mindestens 5 Prozent höhere Löhne und Gehälter. In Ostdeutschland sind es etwa 64 Prozent.

Abb. 2
figure 2

Verteilung der beobachteten und der verbleibenden, nur durch das Geschlecht erklärten, innerbetrieblichen Entgeltunterschiede

Wie sind nun diejenigen Betriebe beschaffen, in denen weibliche und männliche Beschäftigte so (unerklärlich) unterschiedlich entlohnt werden? Und welche Eigenschaften vereinen solche Betriebe, in denen die Entgeltlücken sehr gering sind? Hierzu gibt Tab. 2 Aufschluss, welche die durchschnittlichen Merkmalsausprägungen von Betrieben mit und ohne Entgeltungleichheit gegenüberstellt – gemessen an der oben erläuterten Grenze von 5 Prozent für die um die Humankapitalunterschiede korrigierte Entgeltlücke.

Tab. 2 Merkmale von Betrieben mit Entgeltunterschieden über und unter 5 Prozent (LIAB 2007, gewichtet)

Generell beschäftigen westdeutsche Betriebe mit größeren Verdienstabständen (d.h. über 5 Prozent) mehr Teilzeitkräfte sowie einen fast 8 Prozentpunkte höheren Anteil weiblicher Beschäftigter. Sie sind seltener tarifgebunden und gehören häufiger dem verarbeitenden Gewerbe oder dem Kredit- und Versicherungsgewerbe an. Bei Betrieben im Bereich Sonstige Dienstleistungen ist dagegen überproportional oft eine geringere Entgeltlücke zu finden. Weiterhin zeigt sich, dass in Betrieben mit einer größeren geschlechtsspezifischen Ungleichheit im Durchschnitt höhere Entgelte gezahlt werden. Die Mittelwertsunterschiede aller anderen Betriebsmerkmale sind in westdeutschen Betrieben statistisch nicht signifikant. In Ostdeutschland bestätigen sich der negative Zusammenhang der Entgeltlücke mit der Tarifbindung und die höheren Durchschnittsverdienste in Betrieben mit größeren Entgeltunterschieden. Die höheren Abschläge für Frauen in Hochlohnbetrieben sind konsistent mit dem „glass ceiling effect“, der auftritt, wenn weibliche Beschäftigte schlechtere Chancen haben in die höchsten und bestbezahlten Positionen aufzusteigen.Footnote 9

Die ostdeutschen Brancheneffekte bei den Verdienstabständen weisen ebenfalls eine ähnliche Struktur auf wie im Westen und sind darüber hinaus öfter signifikant. Dies wird auch beim Test auf signifikante Mittelwertsunterschiede zwischen ost- und westdeutschen Betrieben mit Entgeltlücke über 5 Prozent deutlich (siehe letzte Spalte in Tab. 2). Zum Beispiel haben nur im Osten überproportional viele Betriebe im Gesundheitswesen keinen nachweisbaren Entgeltunterschied nach Geschlecht. Im Westen lassen die Branchenanteile dies zwar auch vermuten, aber der Unterschied zwischen „entgeltgleichen“ und „entgeltungleichen“ Betrieben ist nicht statistisch signifikant. Ostdeutsche Betriebe mit höheren Verdienstabständen beschäftigen außerdem insgesamt weniger Arbeitskräfte, darunter relativ weniger ohne abgeschlossene Berufsausbildung und mehr mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft. Überraschenderweise scheint die betriebliche Mitbestimmung weder in Ost- noch in Westdeutschland im statistischen Zusammenhang mit dem Ausmaß der Entgeltgleichheit zu stehen.Footnote 10

6 Politischer Handlungsrahmen und Grenzen von Logib-D

Unsere Abschätzung der innerbetrieblichen Entgeltlücken auf Basis des LIAB und eines an den Lohnrechner Logib-D angepassten Schätzmodells zeigt, dass in der Mehrheit der deutschen Betriebe (81 Prozent im Westen und 64 Prozent im Osten) eine erhebliche Entgeltungleichheit nach dem Geschlecht besteht, die sich nicht durch Bildungs- oder Erfahrungsunterschiede der Beschäftigten erklären lässt. Dass der Verdienstabstand stark zwischen den Betrieben variiert, scheint auf einige systematische Unterschiede zurückzugehen. Der für die politischen Akteure vielleicht interessanteste Befund unserer Analyse mag der klare statistische Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Entgeltungleichheit in einem Betrieb und seiner Bindung an Tariflöhne sein. Schließlich ist die Lohnbildung im Betrieb oft ein Zusammenspiel von tarifvertraglichen Regelungen (Definition der Tätigkeitsmerkmale, Klassifikationen der Tätigkeiten, Zuordnung von Entgeltbeträgen) und der betrieblichen Praxis bei der Anwendung des Tarifvertrages und Eingruppierung der Beschäftigten in die Tarifgruppen (Klenner und Ziegler 2010). In diesem Zusammenhang spielt i. d. R. auch der Betriebsrat eine wichtige Rolle, welcher nach unseren Ergebnissen allerdings keine egalisierende Wirkung auszuüben scheint.

Seit seiner Einführung im Jahr 2009 ist Logib-D auf große, auch kritische Resonanz gestoßen. In der Kritik wird zum einen auf die Grenzen der verwendeten statistischen Methode und Daten verwiesen. So werden in Logib-D Fähigkeiten jenseits konventioneller Humankapitalfaktoren (wie Kreativität, Engagement, Sozialverhalten) nicht berücksichtigt und das Merkmal Ausbildungsjahre erfasst keine Fort- und Weiterbildungen.Footnote 11

Zum anderen sei der Lohnrechner grundsätzlich nicht geeignet, Lohngleichheit im Sinne des Gesetzes – nämlich gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit – zu diagnostizieren. Er unterstelle stattdessen die Existenz eines Qualifikationslohnes und blende andere Faktoren der Lohnbildung aus (Tondorf 2009). Mit dem Entgeltgleichheits-Check (eg-Check) schlagen Tondorf und Jochmann-Döll (2010) deshalb ein alternatives Prüfinstrument vor, welches auf Basis der geltenden Rechtslage wichtige Vergütungsbestandteile – wie Grundgehalt, Leistungsvergütungen oder Erschwerniszuschläge – einzeln auf mögliche Diskriminierung prüft.

Darüber hinaus bezeichnen Klenner und Ziegler (2010) Logib-D als zahnlosen Tiger, weil deutsche Arbeitgeber den Rechner als Selbstevaluationstool auf freiwilliger Basis nutzen können ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, während Schweizer Betriebe zumindest bei Bewerbungen um öffentliche Aufträge, z.B. mit dem Prüfinstrument Logib den Nachweis erbringen müssen, dass in ihrem Betrieb keine Geschlechterdiskriminierung bei der Entlohnung vorliegt. Da sich das Interesse der deutschen Unternehmen am Selbsttest bisher in Grenzen zu halten scheint, schlussfolgern wir, dass die Anreize für eine Teilnahme unabhängig vom Ergebnis deutlich erhöht werden sollten.

Trotz des allseits bekannten durchschnittlichen Verdienstabstandes von 23 Prozent sind nach einer Studie von Sinus Sociovision innerbetriebliche Entgeltlücken in der deutschen Arbeitswelt weitgehend tabuisiert, und was Frauen und Männer in einem Betrieb bei gleicher Qualifikation und Verantwortung verdienen, erscheint wenig transparent (BMFSFJ 2008). Die mangelnde innerbetriebliche Transparenz bei den Entgeltunterschieden scheint somit eines der größten Hindernisse für ihre Beseitigung zu sein. Nach der auf Basis des Sozio-ökonomischen Panel ermittelten wahrgenommenen Einkommensgerechtigkeit haben Frauen nicht zuletzt dadurch niedrigere Erwartungen an ihre Einkommen als Männer (Liebig et al. 2010). Die Autoren konstatieren deshalb: „Der gender wage gap kann also nicht allein durch individuelle Anstrengungen reduziert werden, sondern eher durch eine größere Transparenz von Entlohnungssystemen.“ (Liebig et al. 2010:16).

Wie weiter oben schon formuliert, ist unserer Meinung nach ein Instrument wie Logib-D ein notwendiger erster Schritt, um mehr Transparenz in die Lohnbildungsprozesse innerhalb von Unternehmen zu bringen und Ansatzpunkte für die Verringerung von Entgeltungleichheit aufzuzeigen. In Anbetracht der diskutierten Einschränkungen ist es aber sicherlich kein hinreichender Schritt, um den Ursachen der aufgedeckten Ungleichheiten genauer auf die Spur zu kommen, geschweige denn, sie zu beheben.

Executive summary

Since 2009, the German Federal Ministry for Family Affairs, Senior Citizens, Women and Youth (BMFSFJ) provides a statistical tool—named Logib-D—for firms to measure their internal wage inequality voluntarily. We apply our estimation model of firm-specific gender pay gaps, developed in the DFG Priority Program 1169, to simulate the wage differentials within establishments that would result from applying the Logib-D tool to all German establishments. As our analysis is based on the representative employer-employee data set of the Institute for Employment Research (LIAB) it helps to interpret the small number of results of the voluntary self-test. According to our results, the average gender pay gap amounts to 25.1 percent in West- and 9.7 percent in East German establishments. The regional differences reduce, once we take differences in the human capital endowments of the employees into account. The so called “unexplained” or residual pay cut for female employees is 20 percent in the West and 9.8 percent in East-Germany. That is, when considering the slightly higher education and the longer tenure and work experience, the residual pay gap in East Germany even exceeds the observed one. Our estimation results further show that the majority of German establishments (81 percent in West and 64 percent in East Germany) exhibit substantial gender pay gaps which cannot be explained by differences in education or work experience. Part of the observed variance across establishments seems to be systematically linked to specific firm characteristics. We can hence identify the characteristics related to establishments exceeding or falling below a tolerated level of 5 percent gender pay gap. For instance, one very robust result is that establishments without a collective bargaining agreement as well as high-wage establishments tend to exhibit higher gender pay gaps. Furthermore, we find significant differences between the sectors. Our findings hence provide new insights into the wage structures and wage setting processes of establishments and help to identify toeholds for policy measures to reduce establishment-specific wage inequalities. We appreciate the implementation of the Logib-D tool as a first step to improve the transparency of intra-firm wage setting processes. However, given the missing implications and political consequences of the voluntary self-test, we are rather sceptical that this measure will help to actively promote the detection and reduction of wage discrimination by gender in German establishments.