Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Thema Haarausfall wurde noch Ende des vergangenen Jahrhunderts vorwiegend als Tabuthema betrachtet. Besonders Männer taten sich schwer, ihr Problem zu benennen und offen nach medizinischen Lösungen zu fragen.

Aber auch Ärzte hatten kein gesteigertes Interesse an Haarpatienten. Es gab nur einige wenige Haarsprechstunden und noch weniger auf Haarausfall spezialisierte Ärzte.

Dadurch wurde der Scharlatanerie Tür und Tor geöffnet. Mit Wundermitteln gegen Haarausfall und für dauerhaften Haarwuchs wurden und werden noch heute weltweit Milliardenumsätze erzielt.

Derzeit werden im Internet im Jahresabstand immer wieder neue Wundermittel mit „Geld-zurück-Garantie“ bei der Behandlung des Haarausfalls angepriesen. Denn welcher Patient mit manifestem Haarausfall zieht schon sofort eine operative Therapie in Betracht? Keiner, und das ist gut so. Denn zunächst müssen die Ursachen für den Haarausfall seriös medizinisch abgeklärt und verschiedene Krankheitsbilder ausgeschlossen werden.

Es ist menschlich und eine völlig normale Reaktion, bei Anzeichen von Haarverlust, bei kahl werdenden Stellen im Kopfbereich erst einmal zu versuchen, konservativ Abhilfe zu schaffen. Das Internet ist dabei Fluch und Segen zugleich. Gerne kann man die gesamte Palette der Nahrungsergänzungsmittel und biologischen Produkte probieren. Auch alternative Möglichkeiten der Haartherapie kann man anwenden. Am Ende wird man mehr oder weniger damit den Herstellern nutzen.

Besonders die sog. androgenetische Alopezie (AGA) ist nur durch wenige Medikamente einigermaßen, aber leider auch nicht immer vollständig zu beherrschen.

Welche seriösen konservativen Therapiemöglichkeiten für die androgenetische Alopezie infrage kommen, erläutert Kollege Dr. Finner. Die Palette der Möglichkeiten ist größer geworden, Kombinationen sind möglich und können über längere Zeit sehr effektiv wirken. Wichtig ist die regelmäßige und konsequente Anwendung der Therapie.

Wer sich bei manifestem Haarverlust vor 50 Jahren für eine Haartransplantation entschied, konnte Glück oder Pech haben. So kam es vor, dass schlecht operierte Haarpatienten nicht nur den Schaden selbst zu tragen hatten, sie mussten sich in der Öffentlichkeit durch ihr teilweise unnatürliches Aussehen als „operiert“ outen.

Bis heute erkennt man nicht gut operierte Haarpatienten nach einer Haarwurzeltransplantation an den kleinen Büscheln, an einer zu regelmäßig verlaufenden oder stark kontrastierten Haarlinie und manchmal auch an Narben im hinteren und seitlichen Kopfbereich.

Die Haarchirurgie, damit ist die autologe Haarwurzeltransplantation gemeint, entwickelte sich nur sehr behutsam seit den 90er-Jahren. Das lag zum einen an der langen Lernkurve, für den an sich einfachen Vorgang der Haarwurzelumverteilung. Denn das Resultat seines Handelns konnte der Operateur erst nach 8 bis 12 Monaten in Augenschein nehmen und dann abgleichen, ob er alles richtig gemacht hatte oder ob Verbesserungen möglich sind.

Zum anderen waren die Präparationsmethoden für mikrofeine Haartransplantate sehr aufwendig. Nur durch die mikroskopische Präparation und entsprechend dafür trainiertes Personal konnten natürliche Resultate erzielt werden.

Geübten Operateuren stehe viele Möglichkeiten der Durchführung einer Haartransplantation zur Verfügung

Erst durch die Idee der Einzelhaarwurzelentnahme (FUE[„follicular unit extraction“]-Technik) ohne Schnitt und ohne Naht kam Innovation in das Fachgebiet. Parallel dazu entwickelte sich die Medizintechnik nahezu sprunghaft mit neuen Instrumenten bis hin zur roboterassistierten Haartransplantation. Entscheidend dabei ist auch, dass man schneller und mit weniger Personal eine Haartransplantation realisieren kann.

Die ganze Entwicklung über die letzten Jahre bis hin zur heutigen modernen Haarchirurgie habe ich in meinem Beitrag abgehandelt. Darin kann man auch gut nachvollziehen, dass nicht alles schlecht war in der Vergangenheit und Operationsmethoden verworfen werden müssen. Nein, dem geübten Operateur stehen nunmehr viele Möglichkeiten der Durchführung einer Haartransplantation zur Verfügung. Er kann damit noch besser auf die Bedürfnisse seiner Klientel eingehen und für jeden Patienten ein individuell abgestimmtes Behandlungskonzept erstellen.

Die durchweg schönen ästhetischen Resultate bei richtiger Anwendung der Methoden der Haartransplantation führten zum Outing prominenter Personen, v. a. aus dem Sportbereich.

Die sichtbar schönen Resultate sind der Grund für den sprunghaften Anstieg der Haartransplantationspatienten. Dieser Trend hält nunmehr schon 20 Jahre an.

Die Nachfrage war teilweise höher, als in Deutschland Operationen zu realisieren waren. Das führte zu einem rasanten Anstieg des Operationstourismus in Richtung Türkei. Nach Angaben der International Society Hair Restoration Surgery (ISHRS.org) gibt es dort über 800 illegal und nicht lizensierte „Haartransplantationsunternehmen“, denen nicht immer ein Arzt vorsteht. Natürlich gibt es auch in der Türkei geübte und gut operierende Ärzte. Wie soll der unerfahrene Patient den richtigen Arzt finden? Noch dazu im Ausland? Meist kann man nur über das Internet selektieren, und damit ist der Weg der richtigen Erkenntnis stark erschwert.

Aber auch in Deutschland kann es passieren, dass Patienten nicht fachgerecht behandelt werden, dass Resultate nicht wie vorgestellt eintreten. Deswegen ist die ärztliche Aufklärung im Vorfeld einer Haartransplantation sehr wichtig. Das erfordert viel Erfahrung und die Fähigkeit, ein Resultat vorausschauend real einzuschätzen.

Eine gute, allumfassende und realistische Aufklärung über das „Machbare“ bei einer Haartransplantation erspart später aufwendige Zeit und Nerven kostende Schadenersatzprozesse. Frau Dr. Hortling, die häufig als Gutachter angefragt wird, gibt in ihrem Artikel Hilfen, wie aufgeklärt werden soll und was beachtet werden muss.

Für jeden Operateur ist es wichtig zu lernen, auch einmal „Nein“ zu sagen. Zum einen, weil er mit dem anstehenden Eingriff überfordert ist und er das personell, manuell und seitens des Equipments nicht realisieren kann. Zum anderen, weil die patientenseitige Erwartungshaltung an das Resultat einer haarchirurgischen Maßnahme einfach zu hoch ist.

Am Ende geht es nicht darum, sich vor Gericht über Recht und Unrecht zu streiten, davon wachsen schließlich keine neuen Haare. Es geht um eine suffiziente, natürliche Rekonstruktion des Haarkleides.

Wer sich als Patient für eine Haartransplantation entscheidet, der ist natürlich aufgeregt und muss von ärztlicher Seite besonders gut geführt und betreut werden. Es ist bekannt, dass prä-, intra- und postoperativer Stress sich ungünstig auf die Wundheilung auswirken kann. Frau Dr. Leonhardt zeigt in ihrem Beitrag auf, mit welchen einfachen, aber wirksamen Möglichkeiten die Stressreduktion am Patienten für eine schnelle Genesung sorgen kann.

Was wünscht sich jeder Haarpatient am meisten? Natürlichkeit …

Im Resultat einer jeden Haartransplantation sollte eine deutliche Verbesserung erkennbar sein. Die Verbesserung soll aber nicht unnatürlich oder optisch auffällig wirken. Das ist die eigentliche Kunst des Haarchirurgen und nicht nur das perfekte Beherrschen der technischen Abläufe. Besonders wichtig sind hier Prinzipien und Techniken beim Gestalten des Haaransatzes und der seitlichen Haargrenzen, was man in einem weiteren Artikel von Frau Dr. Leonhardt nachvollziehen kann.

Und so könnte man noch viele weitere Seiten mit spannenden Themen rund um das Thema „Haare“ füllen. Vielleicht findet der eine oder andere Kollege beim Lesen Interesse am Thema. Gerne geben wir dazu weitere Auskünfte, entweder persönlich oder über den Verband Deutscher Haarchirurgen, www.vdhc.de.

Ich wünsche viel Freude und gute Erkenntnisse beim Lesen

Dr. med. F.G. Neidel