Kostenerstattender sagen, Nr. 6190 sei nur bei kieferorthopädischer Behandlung ansetzbar und behaupten zudem, GOZ-Leistungen seien nur im Rahmen ihrer Überschriften anwendbar. Sie äußern sich etwa so: „(...) ist Nr. 6190 GOZ aufgrund ihrer Stellung im Gebührenverzeichnis nur im Rahmen einer KFO-Behandlung ansetzbar.“ Dieses Prinzip gibt es in der GOZ nicht: Jede GOZ-Leistung kann mit jeder anderen sinnvoll verknüpft und zusammen berechnet werden, wenn nicht ausdrücklich Gegenteiliges in der GOZ bestimmt und eine Leistung Bestandteil der anderen ist.

Ein Kostenerstatter behauptet, Nr. 6190 GOZ sei nur zur Vermeidung einer kieferorthopädischen Behandlung ansetzbar. Diese Laiensicht des Erstatters ist so nicht zutreffend. Schädliche Gewohnheiten und Dysfunktionen können Ursachen für relevante Veränderungen im Gebiss oder für Fehlstellungen von Zähnen sein. Aber es trifft fast nie zu, dass Zahn- und/oder Kieferfehlstellungen durch Gespräche „gerade gerückt“ werden können.

URTEILE

Urteile im Zusammenhang mit der Nr. 6190 GOZ sprechen eine klare Sprache: OLG Düsseldorf (08.04.2004, Az. 1-8 U 123/02): „Die Tatsache, dass (...) Gebührennummern im Abschnitt über die kieferorthopädische Behandlung geregelt sind, bedeutet nicht, dass sie nicht berechnet werden können, wenn die entsprechende Leistung im Zusammenhang mit der prothetischen Versorgung des Patienten erbracht wird.“

Im Umkehrschluss bestätigt das OVG Rheinland-Pfalz (20.1.1995, Az. 2 A 11206/93) den Standpunkt: „Einen Grundsatz, nach dem Kieferorthopäden nur die im Abschnitt „G. Kieferorthopädie“ der GOZ beschriebenen Leistungen in Rechnung stellen dürfen, gibt es nicht.“ Daraus folgt: Einen Grundsatz, nach dem Zahnärzte zutreffende Leistungen aus Abschnitt G. Kieferorthopädie für zahnärztliche Behandlung nicht in Rechnung stellen dürfen, gibt es nicht.

LEISTUNGSINHALT UND -BEWERTUNG

Die Leistung nach 6190 (Habit-/Dysfunktionsberatung) ist in der Regel eine etwas aufwändigere funktions- oder verhaltenstherapeutische Spezialberatung (zum Beispiel Anleitung zum „Bio-Feedback“) im Gegensatz zur allgemeinen Kurzberatung nach Ä1. Die Nr. 6190 vergütet im Mittel zirka vier Minuten zahnärztliche Beratungszeit, deutlich weniger als die eingehende Beratung nach Nr. Ä3.

Die Leistungsbeschreibung der 6190 GOZ weist diese eindeutig als beratende Habit-/Dysfunktionsbehandlung aus, gegebenenfalls unterstützt durch Hilfsmittel, jedenfalls nicht als „kieferorthopädische Leistung“ im eigentlichen Sinne, die mit „Umformung eines Kiefers“ (6030–6050) und „Einstellung der Kiefer in den Regelbiss“ (6060–6080) beschrieben ist: Die Nr. 6190 ist daneben ausdrücklich nicht ansetzbar.

KOMMENTIERUNGSQUELLEN

Im Verfahren zum Erlass der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ ‘88) hatte der Bundesrat zu einzelnen Gebührenziffern Anmerkungen gemacht (Bundesrat-Drucksache 276/87), die in die GOZ eingehen sollten. Zu der Nr. 619 war unter der Überschrift „Änderungen (…)“ aufgeführt: „Die Leistung nach Nummer 619 soll auch außerhalb einer kieferorthopädischen Behandlung als präventive Maßnahme eingesetzt werden können.“

Es war also erklärter Wille des Verordnungsgebers, dass im Abschnitt G. „Kieferorthopädische Leistungen“ auch gegebenenfalls präventive Maßnahmen (6190) außerhalb einer kieferorthopädischen Behandlung aufgeführt sind, also als karies-, parodontal-, prothetisch-, kieferorthopädisch- und funktionell-prophylaktische Leistung.

Das nahm aber 25 Jahre lang kaum ein Kostenerstatter zur Kenntnis. Erst mit der Novellierungsbegründung zur GOZ ‘12 wurde bekannt (Zitat):

„Die Leistung nach der Nummer 6190 kann in bestimmten Fällen auch außerhalb einer kieferorthopädischen Behandlung indiziert sein und wäre in diesen Fällen auch berechnungsfähig.“

Diese Formulierung wiederum erstaunt: Die Leistung nach Nr. 6190 GOZ wäre also üblicherweise innerhalb einer kieferorthopädischen Behandlung indiziert?

Auflösung des Widerspruchs zur gegenteiligen Berechnungsbestimmung (bei Nr. 6080) kann darin bestehen, dass spezielle Beratung nach 6190 in dem Geltungszeitraum der 6030–6080 GOZ keinen kieferorthopädischen Inhalt haben darf.

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Dr. Peter H. G. Esser