Deutschland war schon vor der neuen „Willkommenskultur“ Spitzenreiter in Hilfsbereitschaft. In keinem anderen Land der Welt werden Spendenaufrufe für Flut- oder Hurrikane-Opfer, bei Erdbeben oder Tsunamis in einem ähnlichen Ausmaß befolgt. Viele Bundesbürger — auch Ärzte und Zahnärzte — engagieren sich ehrenamtlich und packen an. Und zweifellos: Menschen, die zu uns kommen, müssen menschenwürdig behandelt werden. Aber jedem, der auch nur einmal das Wort „Asyl“ ausgesprochen hat, den Versorgungsstandard der GKV zu versprechen, ist in mehrfacher Hinsicht grob fahrlässig.

Plötzlich soll es möglich sein, die bislang als unverzichtbar angesehenen Standards im Baurecht oder bei der ärztlichen Approbation zu ignorieren. So sollen Flüchtlinge, die über eine ärztliche Ausbildung verfügen, in Aufnahmestellen behandeln dürfen. Sie müssen lediglich eidesstattlich versichern, dass sie über eine abgeschlossene Ausbildung verfügen. Ein deutscher Arzt soll in einem Fachgespräch Ausbildungsweg sowie ärztliche Kompetenz beurteilen — Zeugnisse, Urkunden und Bescheinigungen sollen offenbar nicht erforderlich sein. Was denkt ein Zahnarzt, wenn ihm gerade vom Landesamt für soziale Dienste ein Bußgeld und eine Strafanzeige aufgebrummt wurden, weil er die fachliche Eignung seiner ZFAs für die Aufbereitung von Medizinprodukten nicht lückenlos nachweisen konnte oder weil er einen Zahn zwar mit einer nachweislich sterilen aber nicht nachweislich validiert maschinell aufbereiteten Extraktionszange extrahiert hat?

Viele Probleme sind ungelöst

Es wird hoffentlich niemand auf die Idee kommen, mit einer mobilen Behandlungseinheit durch Erstaufnahmelager ziehen zu wollen, auch wenn die gleichen Politiker, die das Medizinproduktegesetz zu verantworten haben, sich das möglicherweise so vorstellen. Aber auch bei der Behandlung in den Praxen sind viele Probleme ungelöst. Das fängt bei sprachlichen Schwierigkeiten mit der Anamnese an und hört bei dem von Sozialamt zu Sozialamt unterschiedlichen Leistungskatalog noch nicht auf. Lobenswert sind alle Initiativen, die den Praxen Hilfen anbieten — Sicherheit geben Sie den Zahnärzten aber nicht. Das gilt für mehrsprachige Anamnesebögen ebenso wie für Piktogramme mit typischen Zahnbehandlungssituationen zur Verständigung mit Analphabeten und den neu eingerichteten Übersetzungsservice des Freien Verbandes.

Nach dem Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes können die Bundesländer nun entscheiden, ob sie Flüchtlinge mit einer elektronischen Gesundheitskarte ausstatten. Nach Hamburg und Bremen haben das auch Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein beschlossen. Hier wird die Versorgung landkreisbezogen in die Zuständigkeit bestimmter Krankenkassen gelegt. Als Verwaltungskostenpauschale erhalten sie dafür acht Prozent des abgerechneten Volumens (mindestens zehn Euro pro Fall). Zusätzliches Problem: Der gesetzlich auf die Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzen beschränkte Leistungsumfang lässt sich vorerst technisch auf der Gesundheitskarte nicht hinterlegen. Das kann noch bis zu einem Jahr dauern. Außerdem gilt die Beschränkung seit März 2015 nur noch für 15 Monate (voher 48 Monate). Danach werden Flüchtlinge zu „Betreuten“ wie beispielsweise Hartz-IV-Empfänger mit dem gleichen Leistungsanspruch der GKV.

Standesvertretung fordert klare Regelungen

Warum und für wen die Einbindung ins Sozialgesetzbuch gut sein soll, spricht die Landesregierung Baden-Württemberg deutlich aus: „Nach den Regelungen des Sozialgesetzbuches profitierten die Länder von der Möglichkeit der Budgetierung von ärztlichen Leistungen sowie vom Know-how und der starken Verhandlungs- und Rechtsposition der Krankenkassen bei Vertragsabschlüssen mit Leistungsanbietern“, heißt es in einer Stellungnahme. Offensichtlich ist also beabsichtigt, das Mengenrisiko nach bewährtem Muster auf die „Leistungsanbieter“ abzuwälzen.

Auch die breiteste private Hilfsbereitschaft stößt an Grenzen, wenn der Staat sich übernimmt. Alle zahnärztlichen Standesvertretungen fordern daher zu Recht klare Regelungen sowie eine gesicherte Finanzierung für die medizinische Betreuung von Migranten, Flüchtlingen und Asylbewerbern.