Narrationen sind im sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Alltag vielfach präsent: Adressat:innen erzählen zum Beispiel von ihrer Lebenslage und Fachkräfte erzählen zur Reflexion Geschichten über einzelne Situationen. Fallgeschichten sind aber auch in der Praxis von Forschung und Weiterbildung von zentraler Bedeutung, und in politischen Auseinandersetzungen werden Narrative entwickelt, um besondere Sichtweisen auf ein Problem zu etablieren.

Systematisch sind Narrationen hingegen bislang kaum in den Mittelpunkt des sozialpädagogischen Fachdiskurses und der Forschung gerückt. Nur zwei markante Ausnahmen finden sich: Zum einen werden Lebensgeschichten in der Biografieforschung und Kasuistik der sozialpädagogischen Adressat:innen‑, Nutzer:innen- und Akteur:innenforschung, der Professionalisierungsforschung und der historischen Forschung erhoben und analysiert. Dies korrespondiert, zum anderen, mit einem hohen Interesse an Fragestellungen der qualitativ-rekonstruktiven wie ethnografischen Forschung, die diesbezüglich unterschiedliche methodologische Konzepte und methodische Zugänge zu Narrationen vorhält.

Um darüber hinaus in einem breiteren Rahmen zu zeigen, welch hohe Bedeutung Narrationen für Soziale Arbeit und Sozialpädagogik aufweisen, präsentiert der aktuelle „Blickpunkt“ der Sozialen Passagen verschiedene Möglichkeiten, Narrationen nicht nur in der empirischen Forschung, sondern weiterführend auch grundlagentheoretisch und in Anbindung an die sehr weit reichende interdisziplinäre Forschungslandschaft zu erschließen (siehe ausführlich das Intro zum „Blickpunkt“ von Bernd Dollinger und Werner Thole).

Daher freut sich der Herausgeberkreis der Sozialen Passagen sehr, dass es gelungen ist, einen „Blickpunkt“ zum Thema Narrationen für dieses Heft zusammenzustellen, in dem bewusst heterogene Bezugnahmen auf und Arbeiten mit Narrationen deutlich werden.

Der „Blickpunkt“ wird auch in der vorliegenden Ausgabe wieder durch ein „Forum“ mit themenoffenen Beiträgen ergänzt. Dieser wird mit einem Beitrag von Cathleen Grunert und Katja Ludwig (beide Halle a. d. S.) zur „kulturellen Teilhabe und Jugendarbeit in peripher(isiert)en ländlichen Regionen“ eröffnet. Auf der Basis einer raumtheoretischen Sensibilisierung werfen die Autorinnen die Frage auf, wie in der kulturellen Bildungsarbeit Raumkonstruktionen in ländlichen Regionen hervorgebracht werden. Die empirische Basis ihrer Überlegungen bilden erstens Interviews mit Expert:innen, die in unterschiedlichen Angeboten der kulturellen Bildungsarbeit mit Jugendlichen tätig sind; zweitens kommen Perspektiven von Expert:innen in den Blick, die auf kommunaler oder Landkreisebene Verantwortung für die kulturelle Bildungsarbeit tragen und so deren Rahmenbedingungen mitgestalten. Die von Grunert und Ludwig vorgelegten Rekonstruktionen machen deutlich, dass sich Akteur:innen kultureller Bildungsarbeit in ländlichen Regionen in einem Spannungsfeld zwischen räumlicher Zentralisierung und Dezentralisierung bewegen.

In ihrem Beitrag „Frauenhauskinder und ihr Weg ins Leben. Das Frauenhaus als entwicklungsunterstützende Sozialisationsinstanz“ widmet sich Angelika Henschel (Lüneburg) den Auswirkungen häuslicher Gewalt auf das Aufwachsen und die Entwicklung von Kindern. Deutlich wird dabei, dass diese Kinder erhöhte Entwicklungsrisiken davontragen, denen durch eine Stärkung der Resilienz begegnet werden kann. Henschel geht nun der Frage nach, welchen Einfluss der vorübergehende Aufenthalt in einem Frauenhaus als Sozialisationsinstanz für die betroffenen Kinder hat. In diesem Kontext verweist sie auch auf die Relevanz der Kooperationsbeziehungen zwischen Frauenhäusern und Institutionen der Jugendhilfe wie des Kinderschutzes, um Entwicklungsrisiken von Kindern durch verbesserte Schutzkonzepte zukünftig besser begegnen zu können.

Christoph Beineke, Sabrina Schmidt und Sebastian Wen (alle Köln) untersuchen in ihren Überlegungen unter dem Titel „Vergleich punitiver Einstellungen angehender Fachkräfte der Sozialen Arbeit mit der Allgemeinbevölkerung“ die These, dass sozialpädagogische/sozialarbeiterische Fachkräfte im Zuge der sozialpolitischen Transformation hin zum aktivierenden Sozialstaat vermehrt punitive Einstellungen vertreten. Dazu vergleichen sie die Einstellungen angehender Fachkräfte mit den Einstellungsmustern in der Allgemeinbevölkerung – unter Berücksichtigung der soziodemografischen Lage. Sie kommen zu der Einschätzung, dass unter angehenden sozialpädagogischen/sozialarbeiterischen Fachkräften zwar durchaus punitive Einstellungen vorkommen, diese jedoch im Vergleich zur entsprechenden Referenzgruppe der Allgemeinbevölkerung seltener und weniger stark auftreten.

In seinem Beitrag „Anti-Gewalttrainings, Gewaltwissen und die institutionelle Erzeugung gewaltbefreiter Subjekte“ diskutiert Ekkehard Coenen (Weimar), wie Wissen über Gewalt in Anti-Gewalttrainings produziert, vermittelt und sozial wirkmächtig wird. Aus der Perspektive des kommunikativen Konstruktivismus werden entsprechende Kurse als gewaltbezogene Institutionen begriffen, in denen eine Wissensordnung der Gewalt stabilisiert wird. Sie sollen demnach Abweichungen von institutionalisierten Wirklichkeitsvorstellungen in Bezug auf Gewalt entgegenwirken. Dabei lassen sie sich als „Selbsttechniken“ begreifen, durch welche die Kursteilnehmer:innen eine spezifische Subjektposition einüben, nämlich diejenige des gewaltbefreiten Subjekts. Den Kursleiter:innen kommt damit, so Coenen, eine wichtige Rolle im Subjektivierungsprozess und der Wissenskommunikation über Gewalt zu.

Das Thema des Beitrags von Maria Pfützner (Wolfsburg) und Helen Knauf (Bielefeld) ist die „Digitalisierung der pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen“. Vor dem Hintergrund der zunehmenden digitalen Durchdringung aller Lebensbereiche, womit nicht nur technische Innovationen gemeint sind, sondern auch soziale und kulturelle Veränderungen, untersuchen die Autorinnen, welche Veränderungen mit der zunehmenden Nutzung digitaler Instrumente in Kindertageseinrichtungen einhergehen. Am Beispiel der Bildungsdokumentation, die im Elementarbereich ein zentrales pädagogisches Werkzeug darstellt, fragen Pfützner und Knauf, wie sich Digitalisierung auf die pädagogische Arbeit in diesem Bereich auswirkt. Empirische Materialbasis sind Gruppendiskussionen mit pädagogischen Fachkräften, um deren Erfahrungen und Perspektiven systematisch zu erschließen.

Gesa Alena Linnemann (Köln), Julian Löhe (Münster) und Beate Rottkemper fragen in ihrem Beitrag nach der „Bedeutung von künstlicher Intelligenz in der Sozialen Arbeit“ am Beispiel einer arbeitsfeldübergreifenden Betrachtung des Natural Language Processing. Der Fokus auf den Bereich der Sprachverarbeitung durch KI erscheint den Autor:innen aufgrund der hohen Bedeutung kommunikativer Prozesse für die sozialpädagogische/sozialarbeiterische Praxis von besonderer Bedeutung. Unter Bezugnahme auf die Handlungstheorie Staub-Bernasconis diskutieren Linnemann, Löhe und Rottkemper unterschiedliche Implikationen von NLP und arbeiten mögliche Gratifikationen für Klient:innen heraus. In einer weiteren theoretischen Einordnung kommen die Autor:innen zu dem Schluss, dass sich aus der Etablierung der KI sowohl Risiken (u. a. die Gefahr einer modularisierten Herauslösung genuin sozialarbeiterischer Tätigkeit) als auch Chancen (z. B. Teilhabe, niederschwelliger Zugang, Zugriff auf breitere Datenbasis) für die Zukunft in der Sozialen Arbeit ergeben.

Die „[p]sychische und emotionale Erschöpfung von Fachkräften der Sozialen Arbeit“ stellt den Gegenstand der Analyse von Yvonne Kahl (Düsseldorf) und Jürgen Bauknecht (Koblenz) dar, die nach „Entwicklung, Ausmaß und [der] Rolle von Belastungs- und Resilienzfaktoren“ fragen. Im Längsschnitt, im Vergleich zu anderen Berufsgruppen und im Alters- und Geschlechtsvergleich innerhalb der Berufsgruppe der Sozialarbeiter:innen zeigen sie, dass weibliche Fachkräfte eine größere Erschöpfung aufweisen als männliche und junge Beschäftigte eine höhere als ältere. In Bezug auf Belastungsfaktoren und Resilienzfaktoren nehmen sozialarbeiterische Fachkräfte im Vergleich aller Berufe eine hohe soziale Unterstützung im eigenen Kollegium wahr, während die Unterstützung durch Vorgesetzte durchschnittliche Werte erreicht. Die Kombination von hoher Erschöpfung in der jüngsten Gruppe und die eher geringe subjektive Unterstützungserfahrung durch Vorgesetzte, legt nach Einsicht der Autor:innen nahe, dass sowohl die mentale Gesundheit junger Fachkräfte sowie die Fachkräftesicherung von einer stärkeren Unterstützung dieser Gruppe profitieren könnte.

Auch Alfons Hollederer (Kassel) blickt in seinem Beitrag „Wer leidet in der Sozialen Arbeit an Erschöpfung? Ergebnisse einer Repräsentativerhebung“ auf das Erschöpfungspotenzial unter sozialpädagogischen/sozialarbeiterischen Fachkräften. Ziel seiner Untersuchung ist es, gefährdete Personengruppen unter ihnen anhand berufsspezifischer Einflussfaktoren zu identifizieren. Datenbasis seiner sekundäranalytischen Untersuchung ist die BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018. Dort berichteten 25 % der Fachkräfte über ein häufiges Auftreten von emotionaler wie körperlicher Erschöpfung. Dieser Anteil übertrifft klar den Durchschnittswert von 17 % bei den anderen Berufen. Als stärkste Prädiktorvariable stellt sich dabei die häufige emotionale Arbeitsanforderung heraus. Darüber hinaus werden die ambivalenten Resultate zu Arbeitsressourcen, berufsspezifischen Risiken und Präventionspotenzial aufgezeigt.

Den Abschluss des vorliegenden Heftes der Sozialen Passagen bilden auch dieses Mal wieder die „Forschungsnotizen“. Diese kürzeren Beiträge, mit denen Einblicke in projektierte wie laufende Forschungsprojekte gegeben werden, eröffnen dieses Mal Felicia Grieser, Martin Wazlawik (beide Hannover), Regine Derr, Sabeth Eppinger und Heinz Kindler (alle München). Sie berichten aus dem Forschungsverbund SchuLae, in dem sie der „Wirksamkeit institutioneller Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt“ auf die Entwicklung und Implementierung von Schutzkonzepten aus der Adressat:innenperspektive nachgehen. Im Zuge eines durch Schutzkonzepte in Gang gesetzten Organisationsentwicklungsprozesses sollen Orte des Aufwachsens für Kinder und Jugendliche zu Schutz- und Kompetenzorten werden. Denn ob Schutzkonzepte tatsächlich zu einem Rückgang von Viktimisierungserfahrungen und einer erhöhten Bereitschaft zur Hilfe(suche) führen, wurde nach Aussage der Autor:innen bislang nicht empirisch erfasst.

Annalena Danner (Nordhausen), Franziska Bock (Oldenburg), Daniel Rohde, Gunther Graßhoff (beide Hildesheim), Till-Sebastian Idel (Oldenburg) und Markus Sauerwein (Nordhausen) erläutern das Verbundvorhaben „Laien als Akteure im Ganztag. Explorative Analysen im multiperspektivischen Mixed-Methods-Design (Laktat)“. Pädagogisch tätige Laien haben an Schulen in den letzten zwei Dekaden merklich an quantitativer Bedeutung gewonnen, weil oft erst mit ihnen schulische Ganztagsangebote vorgehalten werden können. Zugleich konzentriert sich die Fachdiskussion in den letzten Jahren eher auf die Bedeutung von Schule als zunehmend multiprofessioneller Organisation. Das skizzierte Forschungsvorhaben hat daher zum Ziel, die Bedeutung von Laien in der Ganztagsschule, ihre organisationale Einbindung in Schule und ihre pädagogischen Orientierungen in einem Mixed-Methods-Design sowohl quantitativ als auch qualitativ auf den drei Ebenen System, Organisation und Akteur:in zu analysieren und die Ergebnisse in einer explorativen Theorie zur Laisierung in Schule zu verdichten.

Mit den „Care Leaver Statistics“ stellen Katharina Brüchmann (Bremen), Sibel Dönmez (München), Maria Groinig (Hildesheim), Martina Pokoj (München) und Dorothee Schäfer (Frankfurt a. M.) die erste Langzeitstudie zur Teilhabe junger Menschen im Übergang aus der Kinder- und Jugendhilfe vor, mit der die Lebensverläufe von Care Leaver:innen erforscht werden sollen. Als Care Leaver bestimmen sie dabei Menschen, die zeitweise in Wohngruppen, sonstigen betreuten Wohnformen oder in Vollzeitpflege aufwachsen. Ihre deutschlandweite Panelstudie fokussiert die Dimension der sozialen Teilhabe von jungen Erwachsenen vor dem Hintergrund ihrer Jugendhilfeerfahrung. Die Care Leaver werden dazu wiederholt über mehrere Jahre hinweg zur Teilhabedimensionen befragt.

André Heinz (Berlin) und Susann Kunze (Erfurt) umreißen in ihrer Forschungsnotiz zum Projekt „QuKi plus“ die Auswirkungen der Debatten um Qualität und Nutzen frühkindlicher Bildung auf die psychosoziale Arbeitsbelastung und den Fachkräftemangel in Kindertageseinrichtungen. Die gestiegenen Anforderungen bezüglich der Beobachtung und Dokumentation der kindlichen Lern- und Entwicklungsfortschritte sowie in Bezug auf den präventiven Kinderschutz führen demnach zu hohen Anforderungen an das Personal, oft unter Bedingung der Personalknappheit.

Marius Metzger und Anoushiravan Masoud Tehrani (beide Luzern) nehmen „die Rückerstattungspflicht als Zugangshürde zur sozialpädagogischen Familienhilfe“ in ihrem Beitrag unter die Lupe. Denn je nach Unterstützungswohnsitz müssen Eltern in der Schweiz die Kosten für die Inanspruchnahme einer sozialpädagogischen Familienhilfe selbst übernehmen. Sind Eltern dazu nicht in der Lage, werden diese Kosten von der zumeist rückerstattungspflichtigen Sozialhilfe subsidiär übernommen. Aufgrund der damit drohenden Rückerstattungspflicht besteht die Gefahr, dass Eltern trotz vorhandenem Hilfebedarf auf die Inanspruchnahme einer sozialpädagogischen Familienhilfe verzichten, um eine Verschuldung zu vermeiden. In einer qualitativen Befragung von 36 sozialpädagogischen Fachkräften wurde von den Autoren untersucht, wie dieser Problematik in der Beratung der Eltern begegnet werden kann.

Das vorliegende Heft kann mit seinem „Blickpunkt“, den „Forum“-Beiträgen und den vielfältigen „Forschungsnotizen“ wieder einmal die Reichhaltigkeit, aber auch die Unterschiedlichkeit der Forschung und Theoriebildung in Sozialpädagogik und Sozialer Arbeit zeigen. Daher freut sich die Redaktion und der Kreis der Herausgeber:innen der Sozialen Passagen, den Leser:innen das aktuelle Heft zur Lektüre zu empfehlen: Wir wünschen allen eine erkenntnisreiche Lektüre.