1 Institutionelle Schutzkonzepte in pädagogischen Kontexten

Schutzkonzepte stellen einen zentralen Präventions- und Interventionsansatz bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Institutionen dar: Einrichtungen des Aufwachsens und Lernens sollen Schutz- und Kompetenzorte werden, in denen Adressat*innen vor (sexuellen) Übergriffen geschützt werden und Unterstützung erhalten (vgl. Kappler et al. 2019). Bei der Entwicklung und Implementierung von Schutzkonzepten geht es um Fragen der Umsetzung des Schutzauftrages und die Gewährleistung des Rechts auf Unversehrtheit, Beschwerde und Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen in Institutionen (vgl. Fegert et al. 2017), aber auch um die grundlegende Etablierung einer Einrichtungskultur, die einen offenen Umgang mit Sexualität ermöglicht (vgl. Eßer und Rusack 2020) und dabei Machtasymmetrien in der Organisation selbst als auch im professionellen Erziehungsverhältnis reflektiert (vgl. Kampert et al. 2021). Entgegen eines eher technokratischen Verständnisses von Schutzkonzepten als präventive Einzelmaßnahmen, wird aus organisationstheoretischer Perspektive eine einrichtungsspezifische Entwicklung verbundener Maßnahmen anvisiert, die auf „die Gewährleistung eines Schutzklimas abzielen, dessen Etablierung an einen langjährigen Organisationsentwicklungsprozesses gekoppelt ist“ (Schwerdt und Wazlawik 2016, S. 194). Die Beteiligung aller Organisationsmitglieder an der Schutzkonzeptentwicklung wird dafür als zentraler Gelingensfaktor herausgestellt (vgl. Kampert et al. 2021).

2 Problemstellung und Forschungsstand

Im schulischen Kontext wurden über die Verbreitung von Schutzkonzepten (Kappler und Pooch 2018) sowie Hürden und förderliche Faktoren ihrer Implementierung (Pooch und Tremel 2016) hinaus Entwicklungsprozesse institutioneller Schutzkonzepte hinsichtlich des Nähe-Distanz-Verhältnisses zwischen Pädagog*in und Schüler*in empirisch betrachtet. Bezüglich Prävention und Intervention konstatiert Glammeier (2019) große Wissenslücken zum Thema sexualisierte Gewalt sowie Handlungsunsicherheiten bei Lehrkräften und Lehramtsstudierenden. Schule ist als „zentraler Ort des Aufwachsens“ (Andresen und Bauch 2022, S. 37) für nahezu alle Kinder und Jugendlichen ein Ort, an dem sie mit Sexualität und sexuellen Grenzverletzungen in Kontakt kommen (vgl. Urban 2020). Des Weiteren weisen aktuelle Forschungsbefunde darauf hin, dass die Schule auch bedeutsam für das Bekanntwerden von Fällen sexualisierter Gewalt ist – etwa, weil „betroffene Schüler*innen oftmals den Wunsch nach einer Offenlegung haben und dabei durchaus schulische Fachkräfte als Ansprechpersonen in Erwägung ziehen“ (Christmann 2021, S. 441). Ergebnisse der Präventionsforschung geben in dem Zusammenhang erste Hinweise darauf, welche Veränderungen einzelne Präventionsbemühungen im institutionellen wie subjektiven Erleben mit sich bringen. Die grundlegende Frage, inwieweit Schutzkonzepte tatsächlich zu Verbesserungen für Kinder und Jugendliche führen, sie also geschützt und in ihren Rechten gestärkt werden (vgl. Caspari 2021), ist bislang jedoch nicht erforscht.

3 Das Verbundvorhaben SchuLae

Der Verbund SchuLae fragt vor diesem Hintergrund nach der Wirksamkeit institutioneller Schutzkonzepte an Schulen. Von Interesse ist, inwieweit Schutzkonzepte die Häufigkeit sexueller Übergriffe verringern, zu einem erhöhten Sicherheitsgefühl in der Schule beitragen und die Disclosure-Bereitschaft von Schüler*innen steigern. Zu zwei Zeitpunkten werden die Sichtweisen der Schüler*innen auf sexualisierte Gewalt sowie an ihrer Schule implementierte Schutzkonzepte in einem längsschnittlichen Design erhoben.

Im Teilprojekt des Deutschen Jugendinstituts werden Schüler*innen, Lehrkräfte, Schulsozialarbeitende und Schulleitungen in einer standardisierten Online-Befragung zu ihren Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen, Prävention und Intervention an Schulen befragt. Dabei werden Schulen mit keinen oder eher unkonkreten Plänen zur Einführung eines Schutzkonzepts (Kontrollgruppe) mit Schulen verglichen, die bereits einen konkreten Plan zur Einführung bzw. zur bedeutsamen Weiterentwicklung eines Schutzkonzeptes vorweisen (Interventionsgruppe). Letztere erhalten die Möglichkeit einer Risiko- und Potenzialanalyse sowie das Angebot einer Beratung zu Schutzkonzeptentwicklung. Durch einen Prä-Post-Vergleich können aussagekräftige Ergebnisse bezüglich der Wirksamkeit von Schutzkonzepten an Schulen sowohl im Quer- als auch im Längsschnitt generiert werden. Das Teilprojekt der Hochschule Hannover widmet sich dezidiert den Perspektiven der Adressat*innen schulischer Schutzkonzepte. In Gruppendiskussionen (vgl. Bohnsack 2010) sowie in leitfadengestützten, erzählgenerierenden Interviews (vgl. Helfferich 2014) werden Schüler*innen zu ihrer Wahrnehmung des Schulklimas und ihren Vorstellungen von Schutz und Sicherheit befragt. Zudem interessiert ihr Blick auf Schule als Organisation und ihre Erfahrungen mit Präventions- und Interventionsprozessen. Mithilfe der dokumentarischen Methode nach Bohnsack (2010) werden kollektive Orientierungen und Überzeugungen der Schüler*innen rekonstruiert.

Somit will der Verbund SchuLae nicht nur die Frage beantworten, ob Schutzkonzepte positive Veränderungen für Schüler*innen mit sich bringen, sondern differenzierter betrachten, wie sie dies tun. Wahrnehmungen und Normativitätsstrukturen der Adressat*innen von Schutzkonzepten werden jenseits einer „paternalistischen Schutzlogik“ (Kampert et al. 2021, S. 51) in den Vordergrund gestellt, um daraus Implikationen für zukünftige Präventionsmaßnahmen abzuleiten.