Das Thema Schule kursiert seit Jahren in den Fachdiskursen der Sozialen Arbeit. Ob als „Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule“ oder als „Schulsozialarbeit“ bezeichnet, als Ganztagsschule und/oder Ganztagsbildung qualifiziert – im Vordergrund dieses Diskurses stehen zumeist professionelle wie strukturelle Netzwerke und damit verbundene Organisations- und Professionsfragen.

Bislang weniger beachtet in diesem „Soziale-Arbeit-und-Schul-Diskurs“ ist die sozialpädagogische Begleitung von Kindern und Jugendlichen in ihren schulischen und ausbildungsbezogenen Karrieren. Wie arrangieren sich sozialpädagogische Settings um den Ort Schule und wie werden sozialpädagogische Kontexte außerhalb des Schulalltags wirksam? Wie erstreckt sich der „lange Arm der Schule“ in die verschiedenen sozialpädagogischen Lebensformen und wie wird der alltägliche Schulbesuch hier bearbeitet und reflektiert? In welcher Weise wird professionelles sozialpädagogisches Handeln in Schulkontexten wirksam und welche Gestaltungsmöglichkeiten haben Sozialpädagog*innen? Welche veränderten Herausforderungen sind zu bewältigen (erweiterte Bildungsinhalte, veränderte Sozialisationsbedingungen, Partizipation, Gestaltung von Übergängen, soziale und politische Bildung)? Immer wieder wird kritisch auf die Wirksamkeit sozialpädagogischer Angebote in Schule hingewiesen, die nicht darauf ausgerichtet sein sollten, das Funktionieren von Schule sicherzustellen sowie eine Entlastung von Lehrkräften zu ermöglichen.

In diesem Zuschnitt versammelt der Blickpunkt Schule Überlegungen, Reviews und Forschungsergebnisse aus unterschiedlichen sozialpädagogischen Arbeits- und Handlungsfeldern, die auch von schulischen Logiken mitgeprägt und -gestaltet werden: Maximilian Schäfer geht in seinem Beitrag der Frage nach, wie „Familiennormalität“ im Kontext des Schulbesuchs in familienanalogen Formen der Hilfen zur Erziehung hergestellt und bewältigt wird. Susanne Siebholz lotet die schulische Situation von Kindern und Jugendlichen in der Heimerziehung aus. Dieses Thema vertiefend werfen Helena Kliche und Vicki Täubig einen Blick auf die Begleitung schulischer Übergänge von Kindern und Jugendlichen in Wohngruppen. Darauf folgen Überlegungen von Nina Göddertz und Anke Karber über „Berufliche Bildung Sozialpädagogik“, die eine „Spurensuche didaktischer Prinzipien“ vornehmen. Markus Sauerwein, Nina Thieme und Emanuela Chiapparini fragen abschließend danach, wie es aus sozialpädagogischer Perspektive um die Ganztagsschule steht.

Mit diesem Blickpunkt auf Schule haben wir uns vorgenommen, den bislang aus unserer Sicht eng geführten Schuldiskurs zu erweitern. Zudem geht es uns auch darum, alte Fragen in den sozialpädagogischen Schuldiskurs neu einzubringen bzw. daran zu erinnern, dass diese Fragen aus sozialpädagogischer Sicht eine besondere Relevanz besitzen.

Zu diesen „alten“ Fragen gehört u. E. auch, neben dem Hinweis auf die quantitative Ausdehnung und den qualitativen Bedeutungszuwachs, dass Schule nach wie vor ein Ort ist, der der Eröffnung und Beschränkung von Lebenschancen dient. Weitere Herausforderungen sind die Zeitstrukturen (Vor- und Nachbereitungszeiten, System- und Vernetzungsarbeit, Schulentwicklung, kollegiale Fallberatung etc.) sowie die notwendige Unterstützung der sozialpädagogischen Fachkräfte, etwa eine deutliche Weiterentwicklung der bisherigen nur punktuellen Einbindung in kommunale Vernetzungssysteme und fachliche Unterstützung der zuständigen Behörden. Zudem sollten als Auswirkung der Schulpflicht die Möglichkeiten der Ausbalancierung schulischer Anforderungen in differenten Lebenswelten – auch bei Schulmüdigkeit und -frustration – stärker als bislang in den Schuldiskurs aufgenommen werden. Ferner ist es aus unserer Sicht in diesem Kontext wichtig, immer wieder daran zu erinnern, dass die über schulische Bildung vermittelte Teilhabe an Gesellschaft als „soziale Frage“ eine genuin sozialpädagogische war, ist und bleibt.

Diese Fragen werden und können in dem hier vorgelegten Blickpunkt Schule des ersten Heftes 2019 der Sozialen Passagen Journal für Theorie und Empirie Sozialer Arbeit nicht in Gänze und abschließend bearbeitet werden. So fehlen auch Ergebnisse und Einblicke aus der Förderschul- und Inklusionsdebatte, die gerade erst erforscht werden (siehe Forschungsnotizen). Gleichwohl ist – zumindest aus unserer Sicht – hier gebündelt der Versuch unternommen worden, den „langen Arm der Schule“ im Alltag der Adressat*innen (und damit auch im Alltag von Angeboten und Leistungen der Sozialen Arbeit) sowie das Aufgreifen und das Verständnis von Schule in sozialpädagogischen Settings nachzuzeichnen.

Abgerundet wird der Themenschwerpunkt Schule in der Rubrik Nachgefragt-Wiederentdeckt daher durch den Beitrag von Carsten Müller über den Schulpädagogen und Schulpolitiker Karl Mager, der eigentlich mit seiner Wortschöpfung der „Social-Pädagogik“ (contra Individual-Pädagogik) in die sozialpädagogische Geschichtsschreibung eingegangen ist. Carsten Müller hat dafür einen Text von Mager herausgesucht, in dem Schule als sozialpädagogischer Ort von ihm bestimmt wurde – und erinnert damit einmal mehr daran, wie wichtig der Ort Schule (nicht nur) für die sozialpädagogischen Klassiker*innen war.

In der Rubrik Forum versammeln sich fünf Artikel: Chantal Munsch und Andreas Kewes reflektieren Forschungsergebnisse zu „migrationsspezifischen Kategorisierungen in Narrationen über beendetes bürgerschaftliches Engagement“ und zeigen auf, wie sich Vorannahmen und Ergebnisse irritieren können. Michael May fokussiert in seinem Artikel die „Herausforderungen einer soziogenetischen Rekonstruktion von Nutzerorientierungen älterer Zugewanderter im Hinblick auf personenbezogene soziale Dienstleistungen im Bereich Gesundheit und Pflege“; während Benedikt Sturzenhecker in seinem Artikel nachzeichnet, wie Kinder in Kindertagesstätten Demokratie praktizieren – und wie sie dies ganz ohne pädagogische Aufoktroyierung können. Ronnie Oliveras rekonstruiert in seinem Beitrag „Freiheit in Grenzen“ einen von diversen Landesregierungen empfohlenen, auflagenstarken Erziehungsratgeber, der einen autoritativen Erziehungsstil präferiert, während Helen Knauf sich dem Thema Erziehung aus der Perspektive von Elternblogs im Internet widmet und dort das Paradigma der intensiven Elternschaft identifiziert.

Auch in den Forschungsnotizen wird Schule zum Thema: Christine Demmer und Anika Lübeck stellen das Verbundprojekt „Professionalisierung durch Fallarbeit für die inklusive Schule“ (ProFiS) vor; Mirja Silkenbäumer und Nina Thieme geben Einblicke in das Verbundprojekt „Wer macht wen und was wie zum Fall? Rekonstruktionen zur Fallkonstitution und Kooperation sonder- und sozialpädagogischer Professioneller in inklusiven Schulen (FallKo)“.

Mathias Elosge, Jan Pöter, Mark Humme und Martin Watzlawik stellen das Forschungsprojekt SCHUPPS vor, in dem es um „Schutzkonzepte und pädagogische Praxis“ aus „Diskursanalytischer Perspektive auf die Prävention von sexualisierter Gewalt in Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe“ geht. Christian Reutlinger, Heidi Furrer, Nicola Hilti, Miriam Meuth und Patricia Roth geben Hinweise zu ihrem Forschungsprojekt „Bewältigung von drohendem Wohnungsverlust – die soziale Seite gebietsbezogener baulich-planerischer Strategien“ (WOHNSOG).

Wir hoffen, dass das erste Heft 2019 der Sozialen Passagen – Journal für Theorie und Empirie Sozialer Arbeit den geneigten Leser*innen interessante Lesestunden bereitet und eine erkenntnisreiche Lektüre bieten kann.