Zusammenfassung
Im folgenden Artikel werden im Rahmen der vielfältigen Qualifizierungswege der Sozialpädagogik jene der beruflichen Bildung fokussiert. Einhergehend mit der Frage wie sozialpädagogisches Handeln erlernt werden kann, richten wir unsere Aufmerksamkeit auf zwei zentrale didaktische Prinzipien: Integrale Persönlichkeitsentwicklung und Theorie-Praxis-Relation – und begeben uns auf deren theoretische Spurensuche. Wir plädieren für die Aufnahme eines weiteren, bislang unbeachteten Prinzips in die sozialpädagogische Didaktik: Analyse und Kritik der gesellschaftspolitischen Bedingtheit von Theorie und Praxis und schlagen hierfür den Modus der Reflexion vor. Im Horizont der Professionalisierungsdebatte trägt der Beitrag zur theoretischen Stärkung der wenig ausformulierten Didaktik der Sozialpädagogik im Kontext beruflicher Qualifizierungen bei und kritisiert eine bislang nicht selten zu findende, rein am lernenden Individuum orientierte Argumentation. Ein Plädoyer für die Anerkennung der Verwobenheit von Erziehung/Qualifizierung und Gesellschaft/Politik.
Abstract
Within the multiple ways of qualification in social pedagogy, this article lays a focus on vocational education. Along with the question on how social pedagogical acting can be learned, we target our attention on two central didactical principles: One of them focuses on personal development whereas the other one deals with relations between theory and practice. We plead for the inclusion of another, so far disregarded principle of social pedagogical didactics: The analysis and criticism of sociopolitical conditionality of theory and practice and propose the mode of reflection. Against the horizon of the debate about professionalization, the article supports the theoretical foundation of the little formalized didactics of social pedagogy in the context of social pedagogical vocational curricula. It criticizes the not seldomly found argumentation that is focused purely at the learning individual. This is a plea for the recognition of the interdependency of education/training/qualification and society/politics.
Notes
Zum Thema Lernfeldorientierung in der beruflichen Bildung spezifisch in sozialpädagogischen Bildungsgängen: siehe H. Küls (2017).
Die Diskussion um geltende Prinzipien sozialpädagogischer Qualifizierungen, so könnten auch noch aus dem Bereich der Erwachsenenbildung weitere herangezogen werden, ist erst am Beginn ihrer Entwicklung.
Max Horkheimer und Theodor W. Adorno (1944/2006) erarbeiten in ihrem Werk „Dialektik der Aufklärung“ eine deutliche Kritik und zeigen auf, „daß die Ursache des Rückfalls von Aufklärung in Mythologie nicht so sehr bei den eigens zum Zweck des Rückfalls ersonnenen nationalsozialistischen, heidnischen und sonstigen modernen Mythologien zu suchen ist, sondern bei der in Furcht vor der Wahrheit erstarrenden Aufklärung selbst“ (Horkheimer und Adorno 1944/2006, S. 3 f).
Ganz so einfach scheint es allerdings nicht zu sein, das bringt das GRIPS-Theater (1973) herrlich präzise auf den Punkt: „Doof geborn ist keiner! Doof wird man gemacht. Und wer behauptet: ‚Doof bleibt doof!‘, der hat nicht nachgedacht […] vor dem nehmt euch in Acht!“. Siehe auch weniger musikalisch, aber ebenso pointiert: J. Weber (2016).
Siehe auch T. W. Adorno (1973). Studien zum autoritären Charakter. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Siehe hierzu im Kontext von 1968 und der Kinderladenbewegung auch: N. Göddertz (2018).
Mit Verweis auf H. Sünker (2012) sei erwähnt, dass „Kritische Erziehungswissenschaft“ zunächst ein Sammelbegriff war und nicht von einem homogenen Gebilde dieser auszugehen ist.
An der Stelle sei ein Hinweis gestattet: Dabei darf nicht vergessen werden, dass wir vor allem mit der kritischen Selbstreflexion durchaus eine pandorasche Büchse öffnen könnten. J. Weber (2016) hält mit Verweis auf J. Butler und den Zusammenhang von Reflexivität und Subjektwerdung fest: „Im Rückbezug auf uns selbst stiftet sich zwar so etwas wie Subjektivität, doch mitnichten haben wir diese Subjektwerdung in der Hand, sondern vielmehr sie uns. Sie überfällt uns möglicherweise mit äußerst unangenehmen Einsichten, und es fragt sich, ob wir fähig sind, diese Einsichten auszuhalten“ (Weber 2016, S. 312).
Das Forschungsprojekt „Gelingen – Gemeinsam Lernen in und für inklusive(n) Bildungen im Kindergarten“ ist ein Verbundvorhaben der TU Dresden (Projektleitung Cornelia Wustmann) und der TU Dortmund (Teilprojektleitung Anke Karber) und wird gefördert aus den Mitteln des Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderrichtlinie „Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte für inklusive Bildung“.
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Göddertz, N., Karber, A. Berufliche Bildung Sozialpädagogik – Eine Spurensuche didaktischer Prinzipien. Soz Passagen 11, 65–80 (2019). https://doi.org/10.1007/s12592-019-00319-z
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