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„Die sanften Kontrolleure“ (Helge Peters und Helga Cremer-Schäfer 1975) revisited

“Die sanften Kontrolleure” (Helge Peters and Helga Cremer-Schäfer 1975) revisited

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Soziale Passagen Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

In diesem Beitrag präsentieren wir erste Ergebnisse einer von der DFG geförderten vergleichenden Replikationsstudie der 1975 veröffentlichten Untersuchung „Die sanften Kontrolleure“ von Helge Peters und Helga Cremer-Schäfer, die seit Mai 2016 an der Universität Duisburg-Essen durchgeführt wird. Nach einem kurzen Überblick über die Ursprungsstudie, unsere zentralen Annahmen und unser Projektdesign gehen wir für den Bereich der Jugendgerichtshilfe (JGH) der These nach, dass aufgrund der zunehmenden Kooperationsbeziehungen mit anderen Instanzen sozialer Kontrolle das von Helge Peters und Helga Cremer-Schäfer postulierte Helferselbstverständnis im subjektiven Sinne der Adressat*innen heute nicht mehr in dieser Weise existent ist und damit auch ein Wandel von Interaktionspraktiken der Sozialarbeiter*innen einhergeht. Hierfür analysieren wir im Rahmen eines diachronen Vergleichs die von den Sozialarbeiter*innen gegenüber ihren Adressat*innen vorgenommenen Selbstpositionierungen in den von Peters und Cremer-Schäfer Anfang der 1970er-Jahre sowie von uns 2016 protokollierten JGH-Gesprächen sowie Gesprächssequenzen, in denen andere Instanzen thematisiert werden. Die Ergebnisse deuten nicht nur auf ein verändertes, nämlich neutrales und adressat*innenunabhängiges, professionelles Selbstverständnis, sondern auch auf eine damit einhergehende konfrontativere Interventionspraxis hin, wodurch die von uns beobachteten Sozialarbeiter*innen ihr berufliches Selbstverständnis jedoch nicht gefährden, sondern allenfalls das kooperative Antwortverhalten ihrer Adressat*innen riskieren und die ohnehin in den Gesprächen vorhandene interaktive Asymmetrie verstärken.

Abstract

In this paper we present preliminary results of a replication study of Helge Peters’ and Helga Cremer-Schäfer’s study “Die sanften Kontrolleure”, which is funded by the German Research Foundation and, since May 2016, conducted at the University Duisburg-Essen. After a short overview of the original study, our central assumptions and project design, we pursue the following assumption: Due to increased cooperation between social workers and other institutions of social control in the field of youth court assistance, social worker’s professional identity no longer rests on a self-concept of help, as Peters and Cremer-Schäfer have posited it. Related to this we assume a concomitant change in interaction practices. For this purpose, we compare the self-positioning performed by social workers in talks with their addressees in youth court assistance recorded by Peters and Cremer-Schäfer in the early 1970s and by us in 2016 on a diachronic level. In addition, we analyze sequences, in which the professionals are mentioning other authorities. Our results point to a changed professional self-conception, which is neutral and independent from addressees and accompanied by more confrontational practices of intervention. Thereby the observed social workers do not risk their professional self-conception, but at most the cooperation of their addressees to answer appropriately. Moreover, they enhance the interactive asymmetry, which is anyway present in these talks.

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Notes

  1. Die Etikettierungsthese besagt, dass abweichendes Verhalten nicht etwas objektiv Vorfindliches darstellt, sondern nach bestimmten Regeln im Rahmen eines Aushandlungsprozesses erst konstituiert wird.

  2. Nach Abschluss der Erhebung lagen 112 Protokolle vor, die sich auf 94 Fälle beziehen und sowohl das verbale und nonverbale Verhalten der Beobachteten als auch Äußerungen der Fachkraft über ihre Ziele und Absichten oder die Beurteilung des Klienten bzw. der Klientin gegenüber der Beobachtungsperson enthielten (vgl. Peters und Cremer-Schäfer 1975, S. 27).

  3. Neben den Autor*innen sind Margarete Killian und Lisa Paffrath als studentische Hilfskräfte an dem Projekt beteiligt.

  4. Dieser Vergleich ließ keine signifikanten Unterschiede erkennen.

  5. Mit dem Fokus auf Unterschiede in den institutionellen Rahmenbedingungen, zu denen auch der Einsatz von Fachsoftware und Checklisten gerechnet wird, orientiert sich das Projekt an den Prämissen der institutionellen Ethnographie und geht in methodischer Hinsicht über die Ursprungsstudie hinaus. Neben der teilnehmenden Beobachtung der Interaktionen werden auch qualitative Interviews mit Fachkräften geführt und einschlägige Arbeitshilfen und Manuale analysiert.

  6. Im Anschluss an die Auswertung dieser ersten Daten werden weitere Einrichtungen der Erziehungshilfe ausgewählt, die aufgrund ihrer Merkmale nicht nur zusätzliche Variationen erwarten lassen. An ihnen soll auch die Relevanz der zuerst erfassten Einflussfaktoren auf die Interaktionen in anderen Kontexten überprüft werden.

  7. Wie die Autor*innen der Ursprungsstudie haben auch wir uns dafür entschieden, die Gespräche handschriftlich zu protokollieren, da wir vermuten, dass unsere Anwesenheit bei Audioaufnahmen häufiger von Sozialarbeiter*innen und Adressat*innen abgelehnt werden würde. Damit geht ein Genauigkeitsverlust einher. Dies macht den Verzicht auf konversations- oder sequenzanalytische Auswertungsverfahren notwendig, welche jedoch zur Beantwortung unserer Forschungsfragen nicht erforderlich sind.

  8. An dieser Stelle gilt unser Dank Helga Cremer-Schäfer, die uns die Gesprächsprotokolle der Studie zur Verfügung gestellt hat.

  9. Aus Platzgründen kann dies nur kursorisch erfolgen.

  10. Um Rückschlüsse sowohl auf die untersuchten Einrichtungen als auch die in ihnen tätigen Fachkräfte Sozialer Arbeit auszuschließen, sind sämtliche Namen der Jugendgerichtshelfer*innen in diesem Beitrag zu Darstellungszwecken pseudonymisiert worden.

  11. Die Selbstpositionierungen der Sozialarbeiter*innen bei Peters und Cremer-Schäfer ließen sich hingegen dem Typ „Die KlientInnen passen an“ zuordnen: „Die SozialarbeiterInnen sehen sich […] als InteressenvertreterInnen ihrer KlientInnen (HelferInnenfunktion)“ (Engelke 2016, S. 260).

  12. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Konstrukt des beruflichen Selbstverständnisses und seinen Komponenten: vgl. Lutz (2010).

  13. Diese Entwicklung wähnten sie in den Professionalisierungsbestrebungen der Sozialen Arbeit.

  14. Dass sich die Zusammenarbeit mit der Justiz zu einem Arbeiten auf Augenhöhe und sich ein partnerschaftliches Verhältnis entwickelt hat, wurde auch in unseren Interviews mit den langjährig in der Jugendgerichtshilfe tätigen Sozialarbeiter*innen als (positive) Veränderung beschrieben.

  15. Zum Einsatz und den Funktionen von Meta-Kommunikation in Gesprächen: vgl. van Nijnatten (2006).

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Kühne, S., Schlepper, C. & Wehrheim, J. „Die sanften Kontrolleure“ (Helge Peters und Helga Cremer-Schäfer 1975) revisited. Soz Passagen 9, 329–344 (2017). https://doi.org/10.1007/s12592-017-0271-4

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