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Sexualkulturbildung und Gewaltprävention in der sozialen Arbeit

Sexual culture and violence prevention in social work

Zusammenfassung

Die Diskussion um das Öffentlichwerden und die Vermeidung diverser Formen sexueller Gewalt in pädagogischen Kontexten droht in zweierlei Hinsicht zu vereinseitigen: Zum einen ist mehr von Gewalt als von Sexualität die Rede, zum anderen mehr von Kontrolle als von Kultur und Bildung. Es besteht die Gefahr, dass funktional nützliche Sinnlichkeit im Alltag Sozialer Arbeit zurückgedrängt, Sexualpädagogik zur Gefahrenabwehr instrumentalisiert und die Ziele der Gewaltprävention letztlich auch nicht erreicht werden.

Der Beitrag regt dazu an, den Blickwinkel zu erweitern und die intime Kommunikation sowie sexuelles Verhalten in Einrichtungen der Sozialen Arbeit als Teile der Sexualkultur wahrzunehmen und transparent zu machen. Durch Sexualerziehung sowohl des Personals als auch der KlientenInnen und eine bewusste Sexualpolitik können die sozialen Beziehungen in Institutionen sich weniger gewaltförmig und gleichzeitig mit konstruktiver Intimität entfalten.

Abstract

The discussion of the publication and avoidance of diverse forms of sexual violence in pedagogical contexts threaten to be one-sided in some respects: on one hand it is more talked about violence than about sexuality, on the other hand it is more talked about control than about culture and education. There arises the threat to force back the functional useful sensuality in every day practice of social work, to exploit sexual pedagogics for the protection against threats and in the end not to reach the goals of violence prevention.

This article encourages to increase the perspective and to perceive the intimate communication and the sexual behavior in institutions of social work as parts of the sexual culture and to make this lucid. Through sexual education of both specialists and clients as well as considered politics of sexuality the social relationships in institutions can develop less violently and at the same time with a constructive intimacy.

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Notes

  1. Das Sozialwissenschaftliche Institut Tübingen (Leitung: Reinhard Winter) befragte im Rahmen einer Stichprobe 100 zufällig ausgewählte Kontaktpersonen aus vielen Bereichen der Jugendhilfe zu sexualpädagogischen Aktivitäten.

  2. So manche Fachtagung zum sexuellen Missbrauch wird mit diesem Motto eingeleitet. Siehe z. B. „Jungen und Männer als Opfer Sexualisierter Gewalt“ Fachtagung der DGfPI in Kooperation mit diversen anderen Organisationen am 4. November 2011 in Hamburg.

  3. Zur Paradigmengeschichte der Sexualpädagogik siehe Sielert (2011): Paradigmenwechsel der Sexualpädagogik im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen. In: Arbeitsgemeinschaft außerschulischer Bildungsstätten 3/11 (im Druck).

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  5. Allein über sexuelle Belästigung in Hochschulen liegen Untersuchungen vor (z. B. Bußmann und Lange1996).

  6. Godersky (2000) nennt die folgenden Gestaltungsmöglichkeiten: Vor allem gehe es darum, Spielregeln über Vertrautheit, Freundschaft und Liebe zu entwickeln, aufgrund derer es zu einer Handhabung von Offenheit und Vertrauen kommen kann. Daneben werden die in der Sozialen Arbeit nicht unbekannten Strukturen und Instrumente genannt wie Partizipation, kommunikative Settings, Personalmanagement, Supervision, Coaching, Teamentwicklung, Outdoortrainings, Kommunikationstrainings, TZI und Mediation.

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Sielert, U. Sexualkulturbildung und Gewaltprävention in der sozialen Arbeit. Soz Passagen 3, 253–267 (2011). https://doi.org/10.1007/s12592-011-0087-6

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Schlüsselwörter

  • Sexualkultur
  • Sexuelle Bildung
  • Sexualpädagogik
  • Intime Kommunikation
  • Sexuelles Verhalten in Organisationen
  • Gewaltprävention

Keywords

  • Sexual culture
  • Sexual violence
  • Sexual pedagogics
  • Intimate communication
  • Sexual behavior in institutions
  • Politics of sexuality