Wenn eines im Bundestagswahlkampf auf und nieder geschrieben wurde, dann ist es, dass sich Deutschland international mehr positionieren muss. Dass eine solche Rolle angestrebt wird und werden muss, haben Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ursula von der Leyen, damals noch in ihrer Funktion als Verteidigungsministerin, und der damalige Außenminister Frank Walter Steinmeier bei der Münchener Sicherheitskonferenz 2014 proklamiert. Auch Alexander Graf Lambsdorff kann sich nun in die Riege derjenigen einordnen, die auf eine solche Neuorientierung pochen.

Im Kampf zwischen den Elefanten, namentlich zwischen der Volksrepublik China, den Vereinigten Staaten von Amerika und der Russischen Föderation, hat sich Europa durch seine Illusion, Zentrum der Welt zu sein, fehlende Weitsicht und fehlendes Verständnis für den „Rest der Welt“ in eine prekäre Lage manövriert (S. 13). Was das Werk von Herrn Graf Lambsdorff jedoch von anderen Abhandlungen unterscheidet, ist seine Art und Weise, den Begriff der Freiheit mit der Verantwortung Deutschlands zum Handeln zu verbinden. Auf 293 Seiten analysiert Graf Lambsdorff eindrucksvoll die Konfliktlinien des 21. Jahrhunderts, deren Ursprünge und Deutschlands Verantwortung im Kampf für die Freiheit. Das Buch selbst ist in drei Akte und neun Kapitel geteilt. Teil 1 (Kapitel 1–3) nähert sich der Freiheit definitorisch und historisch, Teil 2 (Kapitel 4–7) auf einer globalen Ebene und Teil 3 (Kapitel 8 und 9) widmet sich den daraus resultierenden Konsequenzen für Deutschland, das sehr auf internationale Zusammenarbeit angewiesen ist, sowie den Folgen für Europa (S. 13).

Dass das Buch eines Politikers der FDP sich vor allem auf Freiheit fokussiert, ist vermutlich nicht überraschend. Freiheit in der Definition von Herrn Graf Lambsdorff ist „Eine Leere. Ein Raum unendlicher Möglichkeiten, der durch die Abwesenheit von Zwängen entsteht. Frei zu sein heißt nicht, dass ich etwas tue, sondern: Ich kann etwas tun“ (S. 22). Damit beschreibt Graf Lambsdorff zwei Zustände, zum einen die Fähigkeit, etwas zu tun, zum anderen die Freiheit, dies zu tun, ohne Folgen erwarten zu müssen. Folgen beinhalten hierbei für ihn die Beschneidung der Würde des Menschen (S. 24–25). Was Europa so besonders macht, sei, dass sich hier Freiheit wie Wasser verhalten könne. Allerdings verbirgt sich in der angenommenen Selbstverständlichkeit eine Gefahr, denn es warten viele Herausforderungen, auf die es zu reagieren gilt. Reagieren auf Digitalisierung, Migration, Klima, Wirtschaft etc. heißt, kritisch die Grenzen der Freiheit auszuloten (S. 32–33).

Herr Graf Lambsdorff nähert sich der Welt von der Warte des Verständnisses. Im zweiten Teil des Buches erklärt er die einzelnen Positionen der Elefanten, beginnend mit China. Gerade hier habe es eine fatale Fehleinschätzung der Entwicklungen eines Landes gegeben, die sich aus historischen Gesichtspunkten gar nicht zu einer Symbiose mit dem Westen herablassen kann (S. 103–104). Zu groß ist die Verletzung durch den Westen in der Vergangenheit gewesen, als dass man sich diesem System unterordnen könnte. Die Machtausdehnung Chinas, gerade über wirtschaftliche Vernetzungen, scheint kaum aufhaltbar (S. 109), auch wegen der unlauteren Mittel, denen sich China bei Widerstand der Handelspartner bedient (S. 111). Russland, einst europäische Großmacht, steht für sich allein und unter der Doktrin Russki Mir (Russische Welt) beschützt es seine Landsleute, wo auch immer diese sich befinden (S. 116–125). Aus russischer Sicht, so Lambsdorff, befindet sich das Land im Krieg (S. 128–129). Russische hybride Kriegsführung ergibt von dieser Warte aus auf einmal sehr viel mehr Sinn. Dem dritten Elefanten, dem Osmanischen Reich, widmet Graf Lambsdorff einige Seiten, um den Zerfall eines einstigen Riesen darzustellen (S. 133–138), aber auch die derzeitigen Problematiken in der arabischen Welt und vor allem der Türkei aufzuzeigen (S. 141–147).

Unter Einbeziehung der Staatentheorie von Robert Cooper (S. 150–153) zeigt Graf Lambsdorff die Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigen auf, also die unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Staatenbildung und die Konsequenzen für die Freiheit, die sich aus den Stadien ergeben. Für die Freiheit sind jedoch nicht einzelne Staaten, sondern vor allem die internen Narrative von Bedeutung. Eine Zerstörung dieser führe zu Staatserosionen und schließlich unweigerlich zum Ende der Demokratie. Populistische Kräfte in den USA und in Europa zeigen dies eindrucksvoll (S. 177–181, 190). Im Gegenbegriff der Souveränität baut Lambsdorff seinen Freiheitsbegriff aus, denn Souveränität kann bei globalen Problemen nicht weit reichen (S. 196). An den großen Fragen Klimawandel (S. 196–201), Migration (S. 201–208), Handel (S. 208–217) und Digitalisierung (S. 217–224) zeigt er deutlich: „Keiner dieser Megatrends unserer Zeit schert sich um staatliche Grenzen“ (S. 224).

Seiner Ansicht nach liegt es in Deutschlands Verantwortung, „dass Europa als wichtiger Teil des globalen Westens ein Kontinent der Demokratie, des Rechtsstaats und der Menschenrechte bleibt“ (S. 293). Darin liegt ein ganz klarer Appell: „Deutschland, Europa und der globale Westen [müssen] ihren Führungsanspruch erneuern: als starke Vorbilder, offene Gesellschaften und loyale Verbündete, die sich nicht erpressen lassen, sondern Lösungen jenseits von militärischen Konflikten aufzeigen“ (S. 293). Dafür muss die Demokratie und die Freiheit nach innen und außen verteidigt und geschützt werden, gegen Populismus abgeschirmt und immer wieder erneut werden, damit sie attraktiv bleiben (S. 232).

Das Buch ist eine gekonnte Mischung aus persönlichen Anekdoten und politischen Ereignissen. Seine eigene Biografie, geprägt durch seine berufliche Karriere, aber auch seinen Bildungsweg und die Diplomatenkarriere seines Vaters, ist eng verwoben mit dem Kalten Krieg. Aus diesen Meilensteinen zieht er für sich Konsequenzen für den Umgang mit Russland, den USA, China, aber auch unseren europäischen Nachbarn. Wo andere Autor*innen den Fehler begehen könnten, den wissenschaftlichen Charakter ihrer Werke durch das Persönliche zu verwässern, schafft es Herr Graf Lambsdorff, seine Argumente zu bestärken. Als Grundlage des internationalen politischen Handelns sieht Graf Lambsdorff Verständnis von sich, anderen Kulturen und der gemeinsamen Weltgeschichte, die die eurozentrische Weltsicht transzendiert (S. 97–99). Um dies zu erreichen, bedient sich Graf Lambsdorff des Begriffes der Geopolitik, die er wertfrei als Raum und Voraussetzung dafür versteht, dass „das internationale System der Gegenwart mit all seinen Akteuren und in seiner ganzen Dynamik“ (S. 98) verstanden werden kann. Was in Europa als die zentralen Begebenheiten des 20. Jahrhunderts verstanden werden, kann für den Rest der Welt eine Nebensächlichkeit sein. So maßen wir der Dekolonisierung weniger Bedeutung bei als den zwei Weltkriegen – Asien, Afrika und Südamerika wiederum empfinden die Erringung ihrer Unabhängigkeit aber als deutlich bezeichnender (S. 98).

Zu empfehlen ist „Wenn Elefanten kämpfen. Deutschlands Rolle in den kalten Kriegen des 21. Jahrhunderts“ all denen, die einen Überblick über die globalen Trends und Störungen in der Weltpolitik gewinnen wollen. Eine tieferliegende, politikwissenschaftliche Analyse von Ursachen kann und wird nicht gegeben, kann aber auch nicht erwartet werden. Bestehend durch einen flüssigen und informierten Schreibstil schafft es Lambsdorff, Lesenden komplexe, historisch gewachsene Zusammenhänge näher zu bringen. Der rote Faden Freiheit und Menschenrechte und die damit eingeschlossene Verantwortung Deutschlands und Europas, zieht sich schlüssig durch seine Argumentation, die am Ende durch die Ausschließlichkeit der Verantwortung besticht. Graf Lambsdorff macht von vornherein klar, dass Freiheit ihren Preis hat und mit Ungewissheit, Aufwand und mit der Verantwortung verbunden ist, sie immer wieder neu zu definieren und zu verteidigen (S. 46). Er macht jedoch auch klar, dass der Preis des European Way of Life (S. 13) zwar hoch, aber Ausdruck unserer Geschichte und unserer tiefsten Überzeugungen ist. Mit seinem Plädoyer für den Einsatz für diese Werte hat Herr Graf Lambsdorff ein durchaus gelungenes Buch für alle geschrieben, die ein besseres Verständnis über die deutsche Außenpolitik und die zukünftigen und derzeitigen Herausforderungen gewinnen wollen.