Ohne Forschung gibt es keinen medizinischen Fortschritt und somit auch keine Behandlungsverbesserung für Krebspatient*innen. Darin sind sich alle Beteiligten in der Onkologie einig. Wichtige Meilensteine in der Krebsmedizin, wie etwa die Entwicklung der Zellularpathologie durch Rudolf Virchow sowie die Strahlentherapie im 19. Jahrhundert, der Einsatz der modernen Chemotherapie durch Paul Ehrlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis hin zur Zulassung der CAR-T-Zelltherapie im 21. Jahrhundert in Deutschland, wären ohne Forschergeist undenkbar. Aber zur Forschung gehört nicht nur die exzellente Expertise von Wissenschaftler*innen – auch die passenden Rahmenbedingungen spielen eine wichtige Rolle. Und hier gibt es deutlichen Verbesserungsbedarf. Deshalb freue ich mich, dass in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift FORUM das Schwerpunktthema „Stärken und Barrieren der Krebsforschung in Deutschland“ gewählt wurde und Expert*innen aus der Onkologie ihre Sicht auf das Thema darlegen.

Die Qualität von klinischen Studien und die Sicherheit der Patient*innen, die daran teilnehmen, haben sich über Jahrzehnte kontinuierlich verbessert. Hierzu trugen zahlreiche internationale Vereinbarungen und Standards wie etwa die Deklaration von Helsinki, die Leitlinien zur guten klinischen Praxis und weitere Regularien bei. Und das ist gut so. Allerdings haben in Deutschland der bürokratische Aufwand und die regulatorischen Vorgaben mittlerweile so zugenommen, dass wichtige Ressourcen gebunden werden, die eigentlich in die Forschungstätigkeit fließen sollten. Um ein Beispiel zu nennen: Die schriftliche Patient*innenaufklärung zur Teilnahme an einer klinischen Studie ist so umfangreich geworden, dass das Dokument mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet. Hier bedarf es praktikabler Lösungen, die dennoch der adäquaten Aufklärung der Proband*innen gerecht werden.

Probleme zeigen sich auch an anderer Stelle. Mit der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 sollen die Einreichungs‑, Bewertungs- und Überwachungsverfahren für klinische Prüfungen in der EU über das Informationssystem für klinische Prüfungen (Clinical Trials Information System, CTIS) vereinheitlicht werden. Das EU-Portal soll als Drehscheibe für Antragsteller klinischer Studien, Behörden und Ethikkommissionen dienen. Der Ansatz klingt vielversprechend. Allerdings ist das CTIS-Portal nicht benutzerfreundlich, weist Funktionsmängel auf und ist darüber hinaus fehleranfällig. Die Nutzung des Portals bindet Zeit und Ressourcen aller Beteiligten – dabei sollte mit der Einführung eigentlich das Gegenteil erreicht werden.

Eine weitere Schwachstelle sind die langen und schwierigen Vertragsverhandlungen zwischen Sponsor einer klinischen Studie und Studienzentren. Der Grund sind fehlende Mustervertragsklauseln, die bereits in anderen europäischen Ländern möglich sind. Die langwierigen Verhandlungen tragen dazu bei, dass der Start einer klinischen Studie in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern oftmals verzögert ist. Auch die Proband*innengewinnung ist hierzulande schwierig. Mit einer fortgeschrittenen Digitalisierung des Gesundheitswesens wäre es beispielsweise viel einfacher, geeignete Proband*innen gezielt zu identifizieren und für eine Studienteilnahme zu gewinnen. Datenschutzrechtliche Bedenken stehen noch immer im Vordergrund. Dies alles trägt dazu bei, dass Deutschland als Studienstandort an Attraktivität verliert.

Dies alles zeigt exemplarisch auf, dass es viele Ansatzpunkte gibt, um den Forschungsstandort Deutschland zu verbessern. Auch der Gesetzgeber hat dies erkannt und Ende 2023 die nationale Pharmastrategie bekanntgegeben. Mit der Pharmastrategie sollen die Rahmenbedingungen für die Herstellung und Entwicklung von Arzneimitteln verbessert, die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorangetrieben, Anreize für die Ansiedlung von Produktionsstätten in Deutschland gesetzt und Innovationsprojekte gefördert werden.

Im Rahmen der Pharmastrategie wurden zwei Digitalgesetze – das Gesundheitsdatennutzungsgesetz und das Digital-Gesetz – beschlossen, die die Rahmenbedingungen für die Nutzung von Gesundheitsdaten regeln sollen. Mit dem Ziel, Forschung und Medizinproduktion in Deutschland zu stärken, stellte Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach dann Ende 2023 das Medizinforschungsgesetz vor. Damit soll die Zulassung von Studien vereinfacht und beschleunigt sowie Bürokratie abgebaut werden. Nach derzeitigem Stand sollen mit dem Gesetz etwa Mustervertragsklauseln möglich werden. Zudem ist geplant, eine interdisziplinär zusammengesetzte Bundesethikkommission einzurichten. Leider bleibt die akademische und versorgungsnahe Forschung in dem Medizinforschungsgesetz unberücksichtigt – hierzu hat die Deutsche Krebsgesellschaft auch in einer Stellungnahme hingewiesen. Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe wurde der Gesetzentwurf auf politischer Ebene diskutiert. Es bleibt daher abzuwarten, ob und in welcher Form die geplanten Vorhaben auch tatsächlich in den finalen Gesetzestext einfließen – 2025 soll das Gesetz in Kraft treten. Fakt bleibt aber: Damit Deutschland und Europa in der internationalen Forschung mithalten können, gilt es, Schwachstellen zu identifizieren, regulatorische sowie bürokratische Hürden abzubauen und den Schulterschluss mit der Industrie und der akademischen Forschung zu suchen.

Ihr Michael Ghadimi

Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft