Von einer Zeitenwende war in diesem Jahr immer wieder die Rede – angesichts der gravierenden politischen, ökologischen und auch gesundheitspolitischen Herausforderungen. Eine Krise folgte der anderen und der bevorstehende Winter lässt viele Menschen sorgenvoll in die Zukunft schauen. Werden wir Frieden haben, wird meine Heizung laufen, wird mich die Impfung vor möglichen neuen Coronavarianten schützen? Die einzige Konstante ist die Veränderung – ein oft zitierter Satz. Aber momentan prasseln die Ungewissheiten auf uns ein. Gefühlt wurden unsere Gewohnheiten noch nie so hinterfragt. Ja, bereits wenn dieser Text erscheint, mag sich einiges wieder verändert haben.

Aus gesundheitspolitischer Sicht haben wir rund zweieinhalb Jahre hinter uns, die alle Beteiligten enorm gefordert haben. Corona hat viele Menschen verängstigt und das Gesundheitssystem an seine Grenzen gebracht. Auch die Verantwortlichen in der Krebsmedizin, die Betroffenen und Angehörigen. Die wirklichen Auswirkungen der Pandemie auf die Prävention von Krebserkrankungen und die Versorgung von Krebspatient*innen werden wir erst in den kommenden Jahren sehen. Aber die Ausnahmesituationen haben auch zum Überdenken unserer Arbeit geführt. Wir sind flexibler geworden, mit mehr Mut, uns auf Neues einzulassen. In kürzester Zeit wurden zahlreiche hochwirksame neue Impfstoffe und Medikamente entwickelt. Wir sind im Gesundheitswesen Alternativwege gegangen (denken Sie nur an die Videosprechstunden), haben unsere Abläufe angepasst und andere Formen des Miteinanders gefunden.

So soll es auch beim Deutschen Krebskongress 2022 sein. In Präsenz und zusätzlich vieles als Onlineangebot – das war unser Plan im Vorfeld. Hoffen wir, dass uns die COVID-19-Entwicklung im Laufe des Herbstes nicht noch einen Strich durch die Rechnung macht. Wer hatte nicht gehofft, dass die bereitstehenden Impfstoffe die Coronasituation immer mehr entschärfen und vielleicht sogar komplett „normalisieren“ würden?

Doch die Sommerwelle hat gezeigt: Es muss weiter Vorsicht walten. Zu viele Menschen sind noch nicht geimpft und zu groß ist die Gefahr gerade für Krebspatient*innen. Jeder Einzelne von uns ist – auch unabhängig von gesetzlichen Rahmenbedingungen – gefordert: Rücksicht auf andere zu nehmen ist weiterhin das Gebot der Stunde. Impfen verhindert nicht eine Infektion mit den aktuellen Coronavarianten, kann aber den Verlauf der Erkrankung abmildern. Die Maske schützt mich und andere. Gerade im Sommer war trotz enorm hoher Inzidenzen die Belegung der Intensivstationen wegen einer COVID-19-Erkrankung erfreulicherweise nur mäßig.

Ja, es mag lästig sein, dass uns die Pandemie weiterhin begleitet. Ja, wir sind wohl alle müde, wollen zur gefühlten „Normalität“ zurück. Aber wir sollten mit unseren Bedürfnissen nicht die in Gefahr bringen, die zu den besonderen Risikogruppen gehören – wie die Krebspatient*innen.

Die Beschäftigten im Gesundheitswesen haben Großartiges geleistet und wir können stolz auf diese Leistungen sein. Wir sind müde, aber wir sollten die Müdigkeit nicht siegen lassen. Stehen wir auch in diesem Herbst und Winter für den Zusammenhalt in der Gesellschaft ein. Corona ist sehr wahrscheinlich nicht „vorbei“. Und doch habe ich die Zuversicht, dass wir gestärkt aus dieser Krise hervorgehen werden. Eine „Zeitenwende“ kann auch ein Aufbruch in eine gute Zukunft sein.

Ihr

Thomas Seufferlein

Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft