1 Einleitung

Durch Schadstoffeinträge in Gewässer werden neben dem Wasserkörper auch die Sedimente belastet. Häufig kommt es durch die Bindung der Schadstoffe an die Sedimentpartikel zu einer Anreicherung (Bryan und Langston 1992). Dies führt nicht nur zu hohen Konzentrationen einzelner Schadstoffe, sondern auch zur Akkumulation einer Vielzahl von Schadstoffen in den Sedimenten. Somit sind benthische Organismen und Lebensgemeinschaften oft einer hohen und komplexen Schadstoffbelastung ausgesetzt. Vor allem die Meiofauna (z. B. Nematoden, Anneliden, Tardigraden, Rotatorien, Ostracoden), der arten- und individuenreichste Teil der benthischen Lebensgemeinschaft (Giere 2009), ist davon betroffen, da diese Taxa ihren kompletten Lebenszyklus innerhalb des Sediments verbringen und so in allen Lebensphasen gegenüber den Schadstoffen exponiert sind (Coull und Chandler 1992). Allerdings ist es nicht einfach, klare Ursache-Wirkungsbeziehungen zwischen Belastungsmustern und beobachteten Veränderungen in benthischen Lebensgemeinschaften herzustellen. Es ist selten möglich, den effektverursachenden Schadstoff eindeutig zu identifizieren. Ein Zusammenspiel aus Exposition, Bioverfügbarkeit und Empfindlichkeit entscheidet, ob Schadstoffe eine Wirkung hervorrufen können oder nicht. Dabei ist zu beachten, dass eine beobachtete Veränderung der Lebensgemeinschaft auch indirekt über das Nahrungsnetz und nicht nur durch einen direkten Effekt eines Schadstoffs erfolgen kann. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Schadstoff eine Wirkung auf Konkurrenten oder Räuber hat und die biotischen Bedingungen so verändert werden, dass sich dies in der Struktur der Lebensgemeinschaft niederschlägt. Solche indirekten Effekte können nur aufgedeckt werden, wenn die Lebensgemeinschaft und somit das benthische Nahrungsnetz als Ganzes betrachtet wird. Modellökosysteme bieten eine gute Möglichkeit, direkte und indirekte Schadstoffeffekte auf Lebensgemeinschaften unter kontrollierten Bedingungen zu untersuchen. Die Meiofauna zeigt Eigenschaften, die sie für Studien in Modellökosystemen prädestiniert: 1) geringe Größe (meist 0,5–5 mm), 2) hohe Abundanz (1–10 Millionen Individuen pro Quadratmeter), 3) kurze Generationszeiten (Wochen bis Monate), 4) viele Ernährungstypen (Bakterien-, Algen-, Pilz-, Pflanzen-, Allesfresser, Räuber). Diese Eigenschaften erlauben ökologisch relevante Modellökosysteme von geringer Größe und kurzer Laufzeit bei gleichzeitig hoher statistischer Aussagekraft. Zudem nimmt die Meiofauna durch ihre hohe Abundanz und Artenvielfalt eine Schlüsselposition im Nahrungsnetz zwischen der Mikrofauna (z. B. Bakterien, Pilze, Protozoen) und der Makrofauna (z. B. Schnecken, Muscheln, Insektenlarven) ein. Veränderungen im Nahrungsangebot (z. B. Bakterien, Algen) und das Fehlen von potenziellen Räubern wirkt sich direkt auf die Meiofauna aus. Es ist überraschend, dass die Erfassung der Meiofauna in Modellökosystemen zur Beantwortung ökotoxikologischer Fragestellungen im Vergleich zur Makrofauna meist vernachlässigt wurde (Kennedy und Jacoby 1999). Bisher wurde vorwiegend im marinen bzw. ästuaren Lebensraum der Effekt von Schadstoffen auf die Meiofauna in Modellökosystemen untersucht (z. B. Austen und McEvoy 1997; Austen und Somerfield 1997; Beyrem et al. 2007; Gyedu-Ababio und Baird 2006; Millward et al. 2001; Schratzberger et al. 2002; Suderman und Thistle 2003). Ebenso wurden in terrestrischen Modellökosystemen insbesondere die Nematoden als Bioindikatoren verwendet (z. B. Korthals et al. 1996; Smit et al. 2002). Hingegen wurde für Süßgewässer die Meiofauna bisher nur sehr selten in Modellökosystemen berücksichtigt (z. B. Höss et al. 2004). Daher sind weitere Studien mit Modellökosystemen notwendig, um die Wirkung von Schadstoffen auf das Meiobenthos in Seen und Fließgewässern besser zu verstehen.

2 Ergebnisse und Diskussion

In zwei Mikrokosmosstudien mit einem Schwermetall (Cadmium; Cd) und einem Veterinärpharmazeutikum (Ivermectin; IVM) sollte zum einen der Effekt der Schadstoffe auf die limnische Meiofauna untersucht werden, um sowohl Daten aus Freilandstudien besser interpretieren, als auch Voraussagen über die zu erwartende Wirkung im Freiland machen zu können. Zum anderen sollte die Eignung der Meiofauna für Higher-Tier-Studien in Modellökosystemen überprüft werden (Publikationen in Vorbereitung). Der Eintrag von Cd (10, 100 und 1000 mg kg–1 TG) in das Sediment führte zu Veränderungen der Lebensgemeinschaften der Meiofauna als Ganzes und der Nematoden im Speziellen. Bei diesen hohen nominellen Sedimentkonzentrationen ist aber zu berücksichtigen, dass die höchste je im Versuchsverlauf gemessene Cd-Konzentration im Porenwasser nur 232 µg L–1 betrug. Am deutlichsten waren die Veränderungen bei der höchsten Schwermetallkonzentration. Hier profitierten räuberische Nematoden, die bisher als eher schadstoffsensitiv galten, von der Cd-Belastung, während die eher schadstofftoleranten, bakterienfressenden Nematoden in ihrer Häufigkeit deutlich abnahmen. Dieses Ergebnis bestätigt ein Phänomen, das bereits in einer Freilanduntersuchung von Fließgewässern beobachtet wurde (Heininger et al. 2007), steht aber im Widerspruch zu bisherigen Beobachtungen für terrestrische und marine Nematoden (Bongers und Ferris 1999; Bongers et al. 2001). Die Veränderungen der Nematodenlebensgemeinschaft könnten durch Effekte auf konkurrierende, makrobenthische Räuber indirekt induziert worden sein. Eine andere Erklärung könnten unterschiedliche Cd-Expositionen für die verschiedenen Ernährungstypen der Nematoden (Bakterienfresser, Räuber usw.) und daraus resultierende Unterschiede in der Bioverfügbarkeit von Cd sein. In den niedrigen Cd-Konzentrationen (10 und 100 mg kg–1 TG) dominierten neben den Nematoden auch die Anneliden, während in der höchsten Konzentration die Anneliden deutlich abnahmen. Darüber hinaus konnten bereits bei niedrigen Cd-Konzentrationen schon erste Veränderungen der Nematodenlebensgemeinschaft auf Artniveau beobachtet werden. Auch das Pharmazeutikum Ivermectin (0,6, 6,2 und 31 µg kg–1 TG) verursachte in Mikrokosmen eine deutliche Veränderung der Lebensgemeinschaft. Als besonders empfindlich erwiesen sich die benthischen Microcrustaceen (Cladoceren, Ostracoden, Copepoden) und die Nematoden. Die bereits in Biotests ermittelte hohe Empfindlichkeit von Daphnien, als Vertreter der Crustaceen (Garric et al. 2007; Halley et al. 1989), konnte somit auch für natürliche Populationen von benthischen Organismengruppen der Crustaceen gezeigt werden. Die Studie zeigte weiterhin, dass Ivermectin, das als Antiparasitikum gegen parasitische Nematoden eingesetzt wird, auch einen deutlichen Effekt auf Abundanz und Diversität freilebender Nematoden hat. Ähnlich wie in den Modellökosystemen mit Cadmium hatten räuberische Nematoden bei der höchsten Ivermectinbelastung (31 µg kg–1 TG) einen sehr hohen Anteil. Dies ist ein weiterer Hinweis, dass die Arten und Ernährungstypen der Süßwassernematoden anders auf Schadstoffbelastungen reagieren als terrestrische und marine Nematodenarten. Ein positiver Schadstoffeffekt des Ivermectins wurde ebenfalls beobachtet. Tardigraden zeigten eine Abundanzzunahme mit steigender Ivermectinkonzentration, die vermutlich auf indirekte Effekte durch fehlende Konkurrenten zurückzuführen ist. Diese ersten Studien zeigen, dass Untersuchungen der Meiofauna, insbesondere der Nematoden, in Modellökosystemen geeignet sind, Effekte von Schadstoffen auf benthische Süßwasserlebensgemeinschaften zu erfassen. Besonders bei höheren Schadstoffkonzentrationen sind immer noch meiobenthische Organismen in genügender Anzahl vorhanden und können so als Bioindikatoren dienen. Die Studien geben zudem einen Einblick, ob Änderungen der Zusammensetzung auf einem direkten Effekt des Schadstoffes beruhen oder ob indirekte Effekte vorliegen, die wesentlich zur Veränderung der Lebensgemeinschaft beitragen können. Auch wenn in Modellökosystemen meist keine eindeutige Trennung von direkten und indirekten Effekten möglich ist, da sich diese überlagern und nicht immer alle Komponenten des benthischen Nahrungsnetzes erfasst werden (z. B. Abundanz und Arten der Bakterien und Protozoen), sind Studien mit Modellökosystemen ein erster wichtiger Schritt, um beobachtete Veränderungen im Freiland zu erklären. Im Zusammenspiel mit anderen ökotoxikologischen Methoden, wie z. B. Toxizitätstests, Artenempfindlichkeitsverteilungen (SSD) und effektgeleiteter Analytik (EDA), können Wirkungsursachen erkannt und im Sinne eines integrierten Gewässerschutzes beseitigt werden.

3 Ausblick

Welche Rolle können Modellökosysteme in einer Risikobewertung haben? Das zur Bewertung von belasteten Sedimenten von Long und Chapman (1985) vorgeschlagene Konzept der Sedimentqualitätstriade (SQT) beinhaltet drei wesentliche Bestandteile: 1) Sedimentanalytik zur Bestimmung von Schadstoffkonzentrationen, 2) Ermittlung der Toxizität der Sedimente durch Biotests und 3) Untersuchung des Effekts der belasteten Sedimente auf die natürliche in situ Lebensgemeinschaft. Eine Ergänzung bzw. Erweiterung dieses Konzepts ist nicht nur sinnvoll, sondern auch wünschenswert (Chapman und Hollert 2006). Die Anwendung von Modellökosystemen bildet ein Bindeglied zwischen der Schadstoffanalytik und der Analyse der in situ Lebensgemeinschaften und ist damit eine sinnvolle Ergänzung zur Triade (im Sinne des Weight-of-Evidence-Ansatzes; Abb. 1). Durch die Verknüpfung mit anderen, die Triade ergänzenden, Methoden, könnten allerdings noch wertvolle Zusatzinformationen gewonnen werden. Die effektgeleitete Analytik (EDA) bietet die Möglichkeit, durch Fraktionierung von Umweltproben und Testung dieser Fraktionen mittels Biotests den effektverursachenden Schadstoff zu identifizieren (Brack 2003). Eine Schwachstelle der EDA ist allerdings die ökologische Relevanz, da eine realistische Exposition und Bioverfügbarkeit, die vergleichbar zum natürlichen Sediment ist, meist nicht berücksichtigt wird. Ein möglicher Ansatz könnte daher die Kombination aus EDA und Mikrokosmen sein (siehe Abb. 1). Diese Mikrokosmen sollten unbelastetes Sediment mit einer natürlichen Lebensgemeinschaft enthalten. Indem man die Mikrokosmen mit einer, im Rahmen einer EDA, als toxisch identifizierte Fraktion belastet, kann überprüft werden, ob diese Fraktion auch tatsächlich die im Freiland gefundenen Effekte verursacht. Umgekehrt könnten fälschlicherweise durch Biotests als nicht toxisch klassifizierte Fraktionen im Mikrokosmos doch einen Effekt auf die Lebensgemeinschaft und Artenzusammensetzung ausgewählter Organismengruppen auslösen. Wenn es gelingt, ausreichende Mengen der entsprechenden Fraktionen aus den Umweltproben zu gewinnen, dann könnten Mikrokosmen mit der Meiofauna aufgrund ihrer Eigenschaften (geringe Größe der Mikrokosmen, Laufzeit ab 1–2 Monate, hohe Individuen- und Artenzahlen, hohe statistische Aussagekraft) solche Studien realisierbar machen und einen weiteren Beitrag für künftige ökotoxikologische Bewertungen von belasteten Sedimenten bieten.

Abb. 1
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Eine mit den Beweislinien effektgeleitete Analytik (EDA) und Modellökosystem (z. B. Mikrokosmen) erweiterte Sedimentqualitätstriade (in Anlehnung an Chapman und Hollert 2006)