1 Problemstellung

Die EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL – European Water Framework Directive, EWFD) zielt darauf ab, für oberirdische Gewässer in europäischen Einzugsgebieten bis zum Jahr 2015 einen guten ökologischen und chemischen Zustand zu erreichen. Die dafür erforderliche Reduzierung der Gewässerbelastung durch anthropogene Schadstoffe aus diffusen und Punktquellen soll in einem kombinierten Ansatz über die Vorgabe von Emissionsgrenzwerten und immissionsorientierten Qualitätszielen erreicht werden (Förstner 2002; Hollert et al. 2007c).

Sedimente stellen eine wichtige Determinante der Gewässerqualität in aquatischen Systemen dar: Sie können sowohl Senke für wassergelöste Schadstoffe als auch unter bestimmten Umständen Schadstoffquelle sein (Ahlf et al. 2002b; Förstner und Müller 1974). Insbesondere durch das europäische Netzwerk SedNet und durch die SETAC Nordamerika (Wenning und Ingersoll 2002) sind Sedimente in den letzten Jahren stärker in die wissenschaftliche und öffentliche Diskussion gerückt. Zahlreiche internationale Studien konnten einen Zusammenhang zwischen Sedimentbelastung und Schädigungen von Biozönosen von Wirbellosen und auch eine Häufung von Tumoren in Fischen nachweisen (für Übersichten siehe Chen und White 2004; White et al. 1998a,b).

Inzwischen hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden; Sedimente werden nicht nur als ein (zumeist problembeladenes) Gewässerkompartiment aufgefasst; vielmehr setzt sich eine holistische Sichtweise durch, bei der Sedimente im Global-Change-Kontext (Salomons 2005) wie auch als wichtige Ressource (SedNet 2004) verstanden werden: Sedimente sind z. B. auch ein wichtiges Habitat für Organismen sowie eine Nährstoffquelle für Organismen und Landwirtschaft, so dass ein nachhaltiges Sedimentmanagement zunehmend an Bedeutung gewinnen wird.

Während sich die Wasserqualität durch den technischen Gewässerschutz in den letzten Jahren deutlich verbessert hat, stellen zum Teil hoch kontaminierte Sedimente in vielen europäischen Einzugsgebieten ein Vermächtnis der vergangenen industriellen Ära dar, das die Gewässerqualität noch für viele Jahrzehnte nachhaltig beeinflussen wird (SedNet 2004). Sedimentgebundene Schadstoffe können durch Bioturbation (Power und Chapman 1992), Hochwasserereignisse (Hollert et al. 2000, 2003b) oder Verklappung von Sedimenten (Koethe 2003) remobilisiert werden. Aus diesem Grunde hat das Monitoring und die Bewertung der Sedimentqualität nicht nur im Rahmen nationalen Rechts, sondern auch bei der Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie eine große Bedeutung (SedNet 2004).

In diesem Beitrag soll ein Überblick über verschiedene Konzepte zur Bewertung von Sedimenten gegeben werden. Ein Schwerpunkt des Beitrages, der in dem vorliegenden Sonderheft anlässlich der Emeritierung von Prof. Dr. Dr. h. c. Volker Storch erscheinen soll, liegt auch auf der exemplarischen Vorstellung von Fallstudien zur Sedimenttoxikologie, die jeweils im Heidelberger Umfeld entstanden sind.

2 Chemische Analysen

Historisch wurde zunächst mit chemisch-analytischen Methoden nachgewiesen, dass Sedimente, besonders nach Einleitung von hochkontaminierten Abwässern, lipophile Schadstoffe anreichern und bei Sedimentation oder Umlagerung auf landwirtschaftlichen Flächen ein wichtiger Eintragspfad in die Nahrungskette sein können. Insbesondere an den großen amerikanischen Seen, aber auch an den Flüssen Elbe und Neckar in der Bundesrepublik konnten ab den 1970er-Jahren hohe Belastungen der Sedimente mit organischen und anorganischen Schadstoffen nachgewiesen werden (Förstner und Müller 1974). Auch heute hat die chemische Analytik in der Sedimentbewertung eine immense Bedeutung, sei es bei der Identifizierung neuer Problemverbindungen (z. B. Perfluorverbindungen; Giesy und Kannan 2002) oder hinsichtlich des Monitorings von prioritären Schadstoffen: Durch die von der Europäischen Kommission veröffentlichte Tochterdirektive der WRRL wird erstmals das Monitoring der Sedimentqualität reguliert. Der neue Artikel 2 (2) fordert, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Konzentrationen von 33 prioritären Schadstoffen (Anhang I, Teile A und B, vgl. dort Tabelle 2) in Sedimenten und Organismen nicht ansteigen (EC 2006; Hollert et al. 2007b).

Obwohl der Biotestansatz bei den Strategien zur Bewertung von Sedimenten und Schwebstoffen in den letzten Jahren immer wichtiger wurde, dominiert in der Bundesrepublik Deutschland noch immer der chemisch-numerische Ansatz (Ahlf 1995; Gratzer und Ahlf 1999a; Henschel et al. 2001; Hollert et al. 1999f; Neumann-Hensel et al. 2000a). Eine rein chemisch-analytische Unterscheidung gefährlicher von nicht gefährlichen Sedimenten erscheint jedoch in Anbetracht der Vielzahl bekannter sedimentassoziierter Verbindungen und des limitierten Wissens über deren toxische Wirkung nur in einem sehr begrenzten Maße möglich (Ahlf et al. 1991). Für eine Bewertung von Sedimenten und Schwebstoffen sind vielmehr biologische Wirkungstests notwendig, um summarisch die Wirkung aller Inhaltsstoffe zu erfassen, sowie deren synergistische und antagonistische Effekte (Verstärkung oder Reduzierung der toxischen Wirkung von Stoffgemischen) und Metabolisierung im Organismus (Toxifizierung und Detoxifizierung) zu berücksichtigen (Burton 1991, 1995; Gunkel 1994). Somit kann eine ökotoxikologische Bewertung der Sedimentqualität nur mittels einer Kombination von standardisierten chemischen und biologischen Testverfahren erfolgen (Förstner et al. 1989; Neumann-Hensel et al. 2000a).

3 Biotests zum Nachweis von Sedimenttoxizität

Sedimenttoxizität ist nach Ahlf (1995) im weitesten Sinn definiert als „ökologische und biologische Änderung, die durch kontaminiertes Sediment verursacht wird. Sie kann auch operational bestimmt werden als die negative Wirkung an einem Testorganismus, der einem belasteten Sediment ausgesetzt wurde.“ Sedimentgebundene Schadstoffe verursachen zahlreiche in der Literatur gut belegte biologische Wirkungen (Übersichten bei Ahlf 1995; Burton 1991, 1995; Ingersoll et al. 1997; Zimmer und Ahlf 1994): auf organismischer Ebene Mortalität, erbgutverändernde, endokrine und pathologische Effekte, auf der Populationsebene Änderungen in Abundanzen und Diversität sowie auf biozönotischer Ebene Änderungen in Struktur und Funktion (Ahlf 1995). Die Schadwirkung partikulär gebundener Stoffe kann daher auf verschiedenen Organisationsebenen untersucht werden (Abb. 1). Dabei findet jede Organisationsebene ihre mechanistische Erklärung auf der nächst-niederen Organisationsebene. So resultiert eine Beeinträchtigung des Reproduktionserfolgs einer bestimmten Art etwa aus einer Reihe von Schädigungen auf dem Niveau der Organe. Diese sind Folge von Schädigungen auf zellulärem Niveau und lassen sich wiederum auf molekulare Mechanismen zurückführen (Braunbeck et al. 1995b). Von größter ökologischer Relevanz sind in diesem Zusammenhang Untersuchungen, die Veränderungen von Strukturen und Funktionen von Ökosystemen unter dem Einfluss von kontaminierten Sedimenten analysieren. Funktionell gesehen ist dagegen der Angriffspunkt von Sedimentschadstoffen auf molekularer Ebene und strukturell auf dem Niveau von Zellorganellen und Zellen zu suchen. Der hohen ökologischen Relevanz von Untersuchungen auf Populations- und Ökosystemniveau stehen somit die Vorteile von Untersuchungen auf niedrigerer Ebene in Form von erhöhter Geschwindigkeit und größerer Empfindlichkeit gegenüber (Burton 1991).

Abb. 1
figure 1

Die Schadwirkung partikulär gebundener Stoffe kann auf verschiedenen Organisationsebenen untersucht werden

Prokaryontische Testverfahren (mit Bakterien) und Tests an Invertebraten für die Bewertung von Sedimenten werden mittlerweile insbesondere im angelsächsischen Raum häufig verwendet (Übersichten bei Burton 1991; Chen und White 2004; Day et al. 1995; Hill et al. 1993; Ingersoll 1995; Ingersoll et al. 1995; Kemble et al. 1994; van Beelen 2003). Dabei handelt es sich zumeist um die klassischen Toxizitätstests Ames-, Leuchtbakterien- und Daphnien-, sowie den Chironomus tentants- und Hyalella azteca-Test.

Für eine Bewertung der Schadwirkung von Sedimenten und Schwebstoffen auf Vertebraten sind labornahe In-vivo-Versuche mit intakten Organismen (Fischtest nach DIN 38 412) aufgrund ihrer schlechten Reproduzierbarkeit und ethischer Konflikte problematisch. Daher wurden in den letzten Jahren verstärkt In-vitro-Testverfahren mit Zellkulturen für die Bewertung von partikelgebundenen Schadstoffen entwickelt (vgl. Ahlf et al. 2002b; Engwall et al. 1997a,b, 1998; Hollert et al. 2002a, 2003c; Kosmehl et al. 2007, 2008; Kostanjsek et al. 2005; Otte et al. 2008; Reifferscheid et al. 2008; Wölz et al. 2008). Neben den zellkulturbasierten Methoden wurden in den letzten Jahren auch Testmethoden mit frühen Lebensstadien von Fischen bzw. mit Fischeiern für die Untersuchung von partikelgebundenen Schadstoffen erfolgreich eingesetzt (Braunbeck et al. 2005; Ensenbach 1999; Hallare et al. 2005; Hollert et al. 2003c; Nagel 2002; Strmac et al. 2002).

Im Rahmen der eigenen Studien am Institut für Zoologie in Heidelberg und am Institut für Umweltforschung der RWTH Aachen wurden insbesondere Biotestverfahren eingesetzt, die für eine prospektive Bewertung von Schwebstoffen und Sedimenten geeignet sind. Wichtige Kriterien für solche biologische Testverfahren sind biologische Relevanz, Schnelligkeit, Standardisierbarkeit, mechanistische Interpretierbarkeit sowie vertretbarer personeller und finanzieller Aufwand.

Bei Biotestverfahren können Organismen oder Zellen auf verschiedene Weise gegenüber Sediment- und Schwebstoffproben exponiert werden: Die Untersuchung von nativen Sediment- oder Schwebstoffproben besitzt die größte ökologische Relevanz, da sie die aktuelle Bioverfügbarkeit von Schadstoffen berücksichtigt. Sie kann aber nicht mit allen hier dargestellten Biotests durchgeführt werden (Tabelle 1). Bei vielen In-vitro-Testverfahren ist es daher notwendig, die partikelgebundenen Schadstoffe durch verschiedene Verfahrensweisen in die gelöste Phase zu überführen (vgl. Ahlf 1995; Ahlf et al. 2002a,b; Hollert et al. 2003c; Seiler et al. 2008; Ulrich et al. 2002):

  • Es kann das native Porenwasser, dem viele aquatische Organismen a priori ausgesetzt sind und das vordergründig den Hauptexpositionspfad von Sedimentschadstoffen darstellt (Burton 1991, Power und Chapman 1992), auf seine biologische Wirksamkeit untersucht werden. Die Art der Sammeltechnik für Porenwasser besitzt einen großen Einfluss auf dessen Toxizität (Bufflap und Allen 1995), die Methoden sind jedoch wenig standardisiert. Zudem können nur begrenzte Mengen effizient gesammelt werden. Das mögliche Schädigungspotenzial der Sedimente und die langfristige Bioverfügbarkeit wird bei der Prüfung von Porenwasser prinzipiell nicht erfasst und de facto meist unterschätzt (Harkey et al. 1994). Porenwasser sollte als Expositionsphase genutzt werden, wenn untersucht werden soll, ob benthosbewohnende Organismen durch die Sedimente geschädigt werden können. Die Handlungsanweisung für den Umgang mit Baggergut im Binnenland (HABAB-WSV; BfG 2000) benutzt die ökotoxikologische Wirkung von Porenwasser im Leuchtbakterien-, Algen- und Daphnientest als wichtiges Kriterium für die Bewertung von Baggergutumlagerungen: „Baggergut, dessen Porenwasser bei einer Verdünnung 1:4 nicht toxisch wirkt, darf umgelagert werden. Bei toxischem Baggergut ist eine Einzelfallentscheidung erforderlich, für die gegebenenfalls weitere Untersuchungen erforderlich werden.“ Nach Wang (1999) stellen Toxizitätsuntersuchungen von anoxischen Porenwässern, die bereits in Tiefen von wenigen Millimetern vorkommen können, ein großes Problem dar: Durch die aerobe Probenaufarbeitung und die Expositionssituation im Biotest können die Metalle von Sulfiden oxidiert werden (Entstehung von flüchtigem H2S), so dass die Sulfidtoxizität im Bioassay unterbewertet wird. Andererseits geht mit der Oxidation der Sulfide oft eine Veränderung der Bindungsspezies einher, durch die Schwermetallsulfide und Polysulfid-Komplexe bioverfügbar werden. Die Toxizität dieser Substanzen wird somit im Bioassay oft überbewertet. Die Bedeutung des Porenwassers als wichtigem Expositionspfad für sedimentbewohnende Invertebraten könnte zudem geringer als bisher angenommen sein, da sich diese durch Röhrensysteme ein eigenes Milieu schaffen können, das mehr dem der Wassersäule als dem des Porenwassers gleicht (Wang 1999). Porenwasser für die Biotests kann durch Dialyseverfahren (Bufflap und Allen 1995; Mudroch und MacKnight 1994a,b) oder durch Zentrifugation von nativen Sedimenten bei 4 °C über 10 min mit 3000 × g gewonnen werden (Hollert et al. 1999a). Die Untersuchung von Porenwässern mit einer Batterie von Biotests ist aufgrund der geringen Volumina, die sich aus Sedimenten gewinnen lassen, mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden.

  • Die Überprüfung der wässrigen EluateFootnote 1 von Sedimenten – die durch Schütteln von Sedimenten mit Wasser hergestellt werden – ist relativ gut standardisiert und ahmt oxidierende Umweltverhältnisse nach, wie sie bei einer Remobilisierung von Sedimenten zu erwarten sind. Für wässrige Eluate ist jedoch bekannt, dass sie das tatsächliche bioverfügbare Maß an Schadstoffen unterbewerten (Harkey et al. 1994). Für die Herstellung von wässrigen Eluaten (vgl. Ahlf 1995; Hollert und Braunbeck 1997) werden die Sediment- oder Schwebstoffproben in einer definierten Menge Aqua bidest. (1:2 oder 1:4) suspendiert und für 12 h bei 4 °C mit einem Überkopfschüttler mit 20 Upm rotiert. Durch Zentrifugation (3000 × g bei 4 °C) wird das wässrige Eluat von feinen Partikeln befreit. Die Proben werden nativ oder nach einer Sterilfiltration (0,2 µm) in den unten beschriebenen In-vitro-Tests auf ihre ökotoxikologische Wirkung untersucht.

  • Organische Sedimentextrakte: Sedimente oder Schwebstoffe können mit organischen Lösungsmitteln wie etwa Aceton extrahiertFootnote 2 werden (Campbell et al. 1992; Ho und Quinn 1993b; Landolt und Kocan 1984; True und Heyward 1990), mittels einer Fraktionierung kann dabei eine Aussage über die Dominanz verschiedener Schadstoffgruppen gemacht werden (Brack 1999; Brack et al. 1999a, 2000; Engwall et al. 1996; Ho und Quinn 1993a,b; Ho et al. 1997; Hollert et al. 1998). Mit organischen Extraktionen kann versucht werden, die langfristige Schädigung von Organismen durch überwiegend fettlösliche Substanzen und eine kurze Exposition gegenüber den potenziell verfügbaren Schadstoffen nachzuahmen. Dieser in der Ökotoxikologie weit verbreitete Ansatz ist in der Literatur nicht unumstritten (vgl. Braunbeck et al. 1995a). Die Extraktion kann z. B. durch einfaches Schütteln mit dem Lösungsmittel Methanol (Kwan und Dukta 1990; Neumann-Hensel et al. 2000a) oder als multiple Extraktion im Soxhlet-Apparat (Hollert und Braunbeck 1997) erfolgen. Grundsätzlich gilt es bei der Extraktion zwischen unterschiedlich stringenten Methoden zu unterscheiden. Die Anwendung eines Extraktionsverfahrens ist daher direkt abhängig vom Untersuchungsziel. Schnell desorbierende und damit leicht bioverfügbare Substanzen können u. a. mithilfe von Cyclodextrinen oder Tenax TA-Beads separiert werden (Cornelissen et al. 1997a,b; Ehlers und Loibner 2006; Puglisi et al. 2003, 2007; Reid et al. 2000; Semple et al. 2003). Für die stärker gebundenen, langsam und sehr langsam desorbierenden Fraktionen steht eine Reihe als erschöpfend geltende Extraktionsmethoden zur Verfügung. Zu den gängigsten gehören die klassische Soxhlet-Extraktion bzw. ihre moderneren Modifikationen, die automatisierte Pressurized Fluid Extraction (PLE, auch ASE®) sowie verschiedene Varianten des Einsatzes von Mikrowellen (Microwave Assisted Extraction, MAE; Camel 2000, 2001; Dean und Xiong 2000; Luque-Garcia und de Castro 2003, 2004; de Castro und Garcia-Ayuso 1998). Alle konventionellen Herangehensweisen können als aktive Methoden gesehen werden, da sie extern zugeführte Hitze zur Unterstützung des Extraktionsprozesses verwenden. Dies birgt allerdings das Risiko, dass chemische Substanzen degradiert werden oder durch chemische Reaktionen überhaupt erst entstehen (Seiler et al. 2008). Ein neuerer Ansatz versucht diesen Umstand zu verbessern, indem mittels passiver Dialyse schonend aber dennoch erschöpfend extrahiert wird (Seiler et al. 2006).

  • Native Sedimente: Verschiedene Sedimenttoxizitätsstudien haben in den letzten Jahren gezeigt, dass die Verwendung von Porenwässern und Eluaten sowie speziell organische Extraktionsverfahren im Verdacht stehen, die tatsächliche Bioverfügbarkeit der Schadstoffe nur unzureichend zu berücksichtigen, so dass sich oftmals Probleme hinsichtlich der Übertragbarkeit der In-vitro-Daten auf das Freiland ergeben. Aus dieser Erkenntnis ergab sich die wissenschaftliche Notwendigkeit, Sedimentkontakttests zu entwickeln. Im kürzlich abgeschlossenen BMBF-Verbundprojekt SeKT (Sedimentkontakttests) wurden eine standardisierte Batterie verschiedener Sedimentkontakttests (Arthrobacter globiformis, Saccharomyces cerevisiae, Caenorhabditis elegans, Lumbriculus variegatus, Danio rerio und Myriophyllum aquaticum) zur Untersuchung von natürlichen und künstlichen Referenzsedimenten sowie zur Ermittlung von Toxizitätsgrenzwerten eingesetzt (Feiler et al. 2005).

Detaillierte Charakterisierungen des Schadstoffpotenzials von Sedimenten lassen sich über die Verwendung verschiedener Expositionsphasen in mehreren Biotests erhalten. Tabelle 1 gibt einen exemplarischen Überblick über wichtige Sediment-Biotestverfahren und die möglichen Expositionspfade. Auch andere Sedimentbiotests haben sich bei internationalen und nationalen Forschungsvorhaben bewährt (Ahlf 1995; Burton 1991, 1995; Duft et al. 2003a,b; Ginn und Pastorok 1992; Ingersoll 1995; Ingersoll et al. 1995; La Point und Fairchild 1992; Long 2000; Neumann-Hensel et al. 2000b; Reynoldson und Day 1993; Traunspurger und Drews 1996; van Beelen und Doelman 1997; Zimmer und Ahlf 1994). Die Biotestverfahren, die im Rahmen verschiedener Forschungsvorhaben an die Untersuchung partikelgebundener Schadstoffe angepasst wurden, sind in Abb. 2 dargestellt. Einige der genannten In-vitro-Biotestverfahren konnten im Rahmen eines Methodenkompendiums des Deutschen Verbandes für Wasser- und Kulturbau (DVWK) einem breiten Publikum vorgestellt werden (Brack 1999; Dürr et al. 1999; Ensenbach 1999; Gratzer und Ahlf 1999b; Hollert et al. 1999b,g; Krebs 1999; Rönnpagel et al. 1999; Schnurstein et al. 1999). Bei der Auswahl der Biotests sollten sowohl verschiedene Hierarchie-Ebenen der Organismen (vgl. auch Abb. 1) als auch unterschiedliche Expositionspfade (s. Tabelle 1 und Abb. 2) berücksichtigt werden.

Abb. 2
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Biotestverfahren, die im Rahmen verschiedener Forschungsvorhaben an die Untersuchung partikelgebundener Schadstoffe angepasst wurden

Tabelle 1 Exemplarischer Überblick über wichtige Sediment-Biotestverfahren und die möglichen Expositionspfade

Durch die alleinige Verwendung eines Biotestverfahrens kann das Schädigungspotenzial von Sedimenten und Schwebstoffen allerdings nicht ausreichend beschrieben werden (Zimmer und Ahlf 1994). Die einzelnen Verfahren lassen sich in Biotestbatterien kombinieren (Ahlf 1995; Fretwurst et al. 1997; Henschel et al. 2001; Hollert et al. 1999c,e; 2002a,b; Keiter et al. 2006, 2008; Kosmehl et al. 2007; Zimmer und Ahlf 1994). Durch die kombinierte Verwendung lässt sich eine Vielzahl von Informationen über die Sedimenttoxizität erhalten: Von der Schädigung bestimmter Organismen kann nur sehr bedingt auf die Wirkung auf andere Lebewesen geschlossen werden. Obgleich in den meisten Fällen die sedimentinduzierte Schädigung bei verschiedenen Organismen gut korreliert, können bei Dominanz verschiedener Schadstoffgruppen Bakterien, Algen, Invertebraten und Wirbeltiere sehr unterschiedlich reagieren. Daher kann durch die alleinige Verwendung eines Biotests der Zustand von Sedimenten und Schwebstoffen nicht ausreichend bewertet werden. Für das Testdesign sind daher Biotestbatterien anzustreben, die jeweils mindestens einen Vertreter aus den trophischen Ebenen Produzenten, Konsumenten, Konsumenten höherer Ordnung und Destruenten nutzen (Ahlf 1995; Zimmer und Ahlf 1994).

Partikelassoziierte Schadstoffe können unterschiedliche Arten der Schädigung verursachen: Neben einer akuten toxischen Wirkung, die in der Regel mit dem Sterben der Organismen oder Zellen einhergeht, können auch vielfältige subletale Wirkungen auftreten, die für das Ökosystem sehr wohl relevant sein können. Sedimente können prinzipiell auch erbgutverändernd wirken (Mutagenität, Gentoxizität; Chen undWhite 2004), die natürliche Entwicklung von Eiern und Embryonen stören (Teratogenität; Engwall et al. 1994; Ensenbach 1998; Hollert et al. 2003c; Strmac 1999), in den Hormonhaushalt der Tiere eingreifen (endokrine Wirkung; Legler 2001, Duft et al. 2003a,b) oder pathologische Veränderungen in Tieren und Pflanzen (Otto et al. 1994; Strmac und Braunbeck 2000) verursachen. Für umfassende Charakterisierungen des Sedimentzustandes sollten daher zusätzlich zu den (zumeist unspezifischen) akuten Biotests solche mit exakt definierten Endpunkten eingesetzt werden (Chapman und Hollert 2006; Hollert et al.1999a,d,f, 2002b, 2007a; Keiter et al. 2008).

4 Stufenverfahren

Insbesondere in angelsächsischen Ländern werden häufig gestufte Beurteilungskonzepte verwendet, um die Qualität von Sedimenten zu bewerten. In einem Positionspapier des Fachausschusses „Gewässersedimente“ der Fachgruppe Wasserchemie in der GDCh (Henschel et al. 2001; Calmano 1996) wurde ein solches gestuftes Bewertungskonzept vorgestellt, das sich weitgehend an Reynoldson und Day (1993) orientiert. Auf jeder Stufe wird entschieden, ob ein Sediment nutzungsbezogen unbedenklich ist oder ob weitere Untersuchungen erforderlich sind. Dabei können Biotestverfahren generell als Screeningmethoden verwendet werden (Calmano 1996). Auch andere Autoren haben kombinierte chemische und bioanalytische Stufenverfahren vorgeschlagen, die akute und Mechanismus-spezifische Testverfahren kombinieren (z. B. Ahlf et al. 2002a,b; Hollert 2001).

Ein Stufenverfahren braucht nicht weiter vorangetrieben werden, wenn (1) die nutzungsbezogenen Zielvorgaben (z. B. Sicherung der Trinkwasserqualität, Schutz der Lebensgemeinschaften im und auf dem Sediment) erreicht sind oder (2) das ökotoxikologische Gefahrenpotenzial hinreichend charakterisiert ist. Eine Schädigung in nur einem Biotest kann ausreichen, um die Zielvorgaben für Sedimente zu verfehlen (Ahlf 1995). Stufenverfahren sind, da sie den Kostenfaktor betonen und ein übersichtliches Schema bieten, häufig als Managementstrategie für eine Sedimentsanierung oder zur Entscheidungsfindung bei der Umlagerung von Baggergut angeboten worden. Zudem sollte bei Stufenverfahren das Augenmerk auf die Expositionswege gerichtet werden, um allgemeingültige Mechanismen der Wirkung sedimentassoziierter Umweltchemikalien aufzuklären (Calmano 1996).

Bisher existieren in der Bundesrepublik noch keine umfassend validierten Stufenverfahren für die Bewertung von Sedimenten und Schwebstoffen. Einen Überblick über mögliche Stufenverfahren und entsprechende Anwendungen geben Ahlf (1995), Ahlf et al. (2002a,b), Henschel et al. (1997), Hollert (2001), Hollert et al. (2002a,b), van Beelen (2003) sowie Zimmer und Ahlf (1994).

5 Integrierte Ansätze

5.1 Integrierte Sedimentbewertung und Weight-of-evidence Studien

Um Sedimente unter Sicherstellung der ökologischen Relevanz zu untersuchen und zu bewerten, können verschiedene Ansätze zur integrierten Sedimentbewertung genutzt werden (Abb. 3, Literaturübersichten bei Ahlf 1995; Chapman et al. 1992; Zimmer und Ahlf 1994). „Integrierende Beurteilungen“ des Systemzustandes erhält man nach Chapman et al. (1992) durch die Kombination verschiedener Messungen der Umweltqualität. Diese bestehen mindestens aus drei der folgenden fünf Komponenten (Ahlf 1995): (1) chemische Sedimentanalysen, (2) Sedimenttoxizitätstests, (3) Geweberückstandsanalysen, (4) pathologische Untersuchungen und (5) biozönotische Untersuchungen. Obwohl jede einzelne dieser fünf Komponenten wichtige Informationen zum Sedimentzustand bietet, gelangt keine von ihnen zu erschöpfenden Aussagen: Mittels chemischer Analytik kann die Anwesenheit und Konzentration von Schadstoffen im Sediment erfasst werden, sie erlaubt aber keine Aussage über die Bioverfügbarkeit und Wirkung der Substanzen. Sedimenttoxizitätstests im Labor geben zwar Aufschluss über toxische Wirkungen auf die getesteten Organismen und Testsysteme, doch ist die Extrapolation der Daten auf Organismen im Freiland problematisch (Zimmer und Ahlf 1994).

Abb. 3
figure 3

Integrierte Sedimentbewertung

Soll beispielsweise geklärt werden, ob ein bestimmtes Sediment kontaminiert und toxisch ist und ob Lebensgemeinschaften im Sediment Schadeffekte zeigen, so genügt ein vereinfachter, kostengünstigerer Drei-Komponenten-Ansatz der integrierten Bewertung (Ahlf 1995). Nach Chapman et al. (1992) sollte in diesem Falle eine Sedimentbewertungstriade aus den Komponenten Sedimentchemie, Sedimenttoxizität in biologischen Tests und Messung von Feldeffekten der benthischen Lebensgemeinschaft (z. B. Pathologie oder Struktur der Biozönose) eingesetzt werden. Integrierte Sedimentbewertungen wurden insbesondere im angelsächsischen Raum (vgl. Carr et al. 1996; Chapman 2000; Power und Chapman 1992), in der Tschechischen Republik (Machala et al. 1998; Staffová et al. 1998), am Golf von Cadíz (DelValls et al. 1998) sowie im Bereich der Nordsee (Karbe et al. 1992; 1994) und an der Elbe (Karbe et al. 1992, 1994) durchgeführt.

An zwölf Fließgewässerstandorten im Einzugsgebiet des Neckars wurde eine Sedimenttriade durchgeführt (Hollert et al. 2002a,b, 2003c, 2005). Es konnten mit Hilfe der In-vitro-Bioassays äußerst komplexe Belastungsmuster aus toxischen, teratogenen, gentoxischen, mutagenen, Dioxin-ähnlichen und endokrinen Effekten nachgewiesen werden. Es konnte mit den Untersuchungen zugleich gezeigt werden, dass eine Bewertung der Fließgewässer mit Bioassays zur akuten Toxizität das Schädigungspotenzial drastisch unterbewerten würde, so dass eine Untersuchungsstrategie für Sedimente unbedingt spezifische Endpunkte beinhalten sollte (Hollert et al. 2002b). Die chemisch-analytischen Untersuchungen ergaben insgesamt eine gute Korrelation mit den Befunden aus den Bioassays. Eine Berechnung des Anteils der chemisch analysierten Substanzen an der gesamten biologischen Wirksamkeit mit Hilfe von Toxicity-Equivalency-Faktoren zeigte sowohl bei der Dioxin-ähnlichen als auch bei der endokrinen Wirkung, dass selbst eine umfangreiche chemische Analytik die biologische Wirksamkeit nicht abzuschätzen erlaubt (Hollert et al. 2002a, 2005): Während mit Hilfe des TEF-Konzeptes bei den weniger kontaminierten Proben ein Großteil der Dioxin-ähnlichen Wirksamkeit mit den Konzentrationen an PAHs, PCBs und PCDDs/Fs erklärt werden konnte, identifizierte die chemische Analyse nur 0,5–0,7 % des biologisch nachgewiesenen Dioxin-ähnlichen Potenzials der hoch kontaminierten Proben. Mit Hilfe von Makrozoobenthosaufnahmen und der Verwendung zahlreicher Indices konnte die ökologische Relevanz der biologischen und chemischen Analysen verifiziert werden (Hollert et al. 2002a). Es zeigte sich, dass der Saprobienindex die Degradation der Biozönose drastisch unterbewerten kann, wogegen in Kombination mit dem ökotoxikologischen Index eine sehr differenzierte Bewertung des Zustandes in situ möglich war. Insgesamt erwies sich das Konzept der Sedimentbewertungstriade als geeignete Strategie für eine umfassende Beschreibung des ökotoxikologischen Schädigungspotenzials der untersuchten Fließgewässer. Eine weitere Weight-of-evidence-Studie an einer Flachwasserzone am unteren Neckar, die durch stark gestörte Zusammensetzung der Fischgemeinschaften und entsprechende adverse Effekte aufgefallen ist, stellen Braunbeck et al. (2009) in einem eigenen Artikel in diesem Sonderheft vor.

Intensiv hat das Zoologische Institut in Heidelberg in den letzten fünf Jahren eine Weight-of-Evidence-Studie an der Oberen Donau beschäftigt. Die Fischbestände in der Donau zwischen Sigmaringen und Ulm sind seit Ende der 1980er-Jahre stark rückläufig (Wurm 2001). Trotz intensiver bestandsstützender Maßnahmen und einer verbesserten Wasserqualität entlang der Donau seit den 1970er-Jahren konnte dieser Entwicklung nicht entgegengewirkt werden. Ergebnisse einer Pilotstudie (Keiter et al. 2006) ergaben, dass Abschnitte der oberen Donau ein hohes ökotoxikologisches Belastungspotenzial aufwiesen. Insbesondere den Sedimenten kam in dieser Studie als Senke und auch mögliche Quelle für die Schadstoffe eine große Bedeutung zu. In einer nachfolgenden Studie, die auch in diesem Sonderheft in einem Artikel von Keiter et al. (2009) vorgestellt wird, sollte eine umfassende integrierte Bewertung im Sinne eines Triadeansatzes durchgeführt werden (Grund et al. 2009a,b; Keiter et al. 2008; Otte et al. 2008; Seitz et al. 2008). In den Sediment-Untersuchungen wurden verschiedene Biotestverfahren angewendet (Cytotoxizitätstest, Mikrokerntest, Comet-Assay und EROD-Assay mit der Zelllinie RTL-W1, der neu entwickelte Sedimentkontakttest auf Embryotoxizität und Gentoxizität mit Fischeiern von Danio rerio, Bakterienkontakttest mit Arthrobacter globiformis, Ames-Test, Yeast Estrogen Screen-Assay und DR-CALUX-Assay). Insbesondere um die Biotestbefunde mit der Situation im Freiland zu korrelieren, wurden Störungen in der Makrozoobenthosgemeinschaft und des Gesundheitszustandes einer ausgewählten Fischart untersucht. Neben histopathologischen Untersuchungen zur ultrastrukturellen Organisation der Leber mittels Elektronenmikroskopie an der Barbe (Barbus barbus) wurde der Mikronukleustest als definitiver Mutagenitätsendpunkt an Erythrocyten und Leberproben von Barben aus dem Freiland und entsprechenden Kontrolltieren als In-situ-Parameter untersucht. Weiterhin wurden limnochemische Summenparameter sowie anorganische und organische Schadstoffe in den Sedimentproben gemessen.

Kürzlich wurde von Chapman und Hollert (2006) vorgestellt, dass das Konzept der Sedimentbewertungstriade und allgemeiner Weight-of-Evidence-Studien um zusätzliche Beweislinien (Lines-of-Evidence) erweitert werden kann. So ist etwa der gezielte Einsatz von histologischen und gentoxikologischen In-situ-Methoden an Fischen aus dem Feld als eine zusätzliche Beweislinie, die die Relevanz von labornahen Untersuchungen auf die Situation im Freiland bewerten können, sinnvoll.

6 Effekt-dirigierte Analysen

Durch die Verwendung von Biotests kann das Schädigungspotenzial der partikelgebundenen Schadstoffe summarisch erfasst werden, die problematischen Substanzen können jedoch nicht identifiziert werden. Eine Möglichkeit, nähere Auskunft über die Substanzgruppen zu erhalten, die für die toxischen Wirkungen verantwortlich sind, stellt die Effekt-dirigierte Analyse (EDA, engl.; ähnlich auch TIE = Toxicity Identification Evaluation) dar (Ankley und Schubauer-Berigan 1995; Brack 2003; Brack et al. 1998, 2005b; Engwall et al. 1996; Ho et al. 1997; Ho und Quinn 1993a,b; Hollert et al. 1998). Bei der Effekt-dirigierten Analyse kann durch die Kombination aus chemischen Fraktionierungstechniken, Biotests und nachgeschalteten chemisch-analytischen Untersuchungen der jeweils problematischen Fraktionen eine nähere Charakterisierung der toxischen Stoffe erzielt werden (s. Abb. 3). Bioassay-dirigierte Fraktionierungen können insbesondere in gestuften Bewertungsverfahren zur Identifizierung problematischer Substanzklassen bzw. Schadstoffe führen. Diese Methodik wird vor allem an bekannten hochbelasteten Standorten eingesetzt, da an diesen die Effekt-verursachenden Schadstoffe vorrangig zu identifizieren sind. Sie kann aber auch eingesetzt werden um wichtige Informationen über Umweltproben unbekannter Zusammensetzung, z. B. über die Auswirkungen von Schwebstoffen nach Sedimenterosion im Hochwasserverlauf, zu erlangen.

Chromatographische Auftrennungen von Extrakten wurden insbesondere für gentoxische Biotests mehrfach angewendet; Grifoll et al. (1990) verwendeten dazu Aluminiumoxid-Säulen, West et al. (1986), Brack et al. (2005a, 2007) und Lubcke-von Varel et al. (2008) Aluminiumoxid-Säulen in Verbindung mit Normalphasen/Umkehrphasen-HPLC, Jarvis et al. (1996) eine Silicagel-Fraktionierung, Braunbeck et al. (1997), Erdinger et al. (1997), Hollert und Braunbeck (1997), Hollert et al. (1998) und Samolloff et al. (1983) eine Florisil®-Fraktionierung, Fernandéz et al. (1992) eine Kombination aus Gelpermeationschromatographie, Normalphasen-HPLC und Umkehrphasen-HPLC sowie Maruoka et al. (1986) eine Dünnschichtchromatographie (TLC) mit anschließender HPLC-Auftrennung. Mutagene Wirkung wurde z. B. mit dem Ames- und dem umu-Test nachgewiesen (Brack et al. 2005b). Zum Nachweis der Dioxin-ähnlichen Wirksamkeit wurden Extrakte von Umweltproben mehrfach mit Säulenchromatographie beziehungsweise HPLC aufgetrennt und in permanenten Zellkulturen mit den Zelllinien RTL-W1 (Brack et al. 1999b, 2000, 2005b; Wölz et al. 2008) und H4IIE-luc (Hilscherova et al. 2000; Khim et al. 1999a,b) oder in embryonaler Hühnerleberkultur (Brunström et al. 1992; Engwall et al. 1994, 1996, 1997a,b, 1998; Norrgren et al. 1998) untersucht. Zur Identifizierung akut toxischer Substanzen haben Ho und Quinn (1993b) eine Flüssig/Flüssig-Extraktion und Reemtsma et al. (1999) eine HPLC-Fraktionierung mit dem Endpunkt Microtox-Assay durchgeführt, Galassi und Benfenati (2000) untersuchten die Toxizität von HPLC-Extrakten mit Daphnia magna, Cytotoxizitätstests mit RTG-2-Zellen wurden mit HPLC-Extrakten von Abwasserproben (Castano et al. 1994) und Fraktionen einer Florisil®-Trennung von Schwebstoffextrakten (Braunbeck et al. 1997; Hollert und Braunbeck 1997) untersucht. Brack et al. (1998, 1999b) kombinierten eine Alumina- und HPLC-Fraktionierung von Sedimentextrakten mit einer Biotestbatterie aus Vibrio fischeri, Daphnia magna, dem Algenhemmtest mit Scenedesmus vacuolatus und dem Cytotoxizitätstest mit der Zelllinie RTG-2.

Am Beispiel eines hoch belasteten Baches im Einzugsgebiet des Neckars wurden z. B. komplexe Effekt-dirigierte Analysen (Alumina-Säulenchromatographie, Normalphasen- und Umkehrphasen-HPLC) durchgeführt, um die Substanzen zu identifizieren, die für das hohe mutagene und Dioxin-ähnliche Schädigungspotenzial der Sedimentproben verantwortlich waren. Es konnte z. B. gezeigt werden, dass neben Benzo[a]pyren und Benzo[a]fluoranthen auch Perylen einen großen Anteil des gentoxischen Potenzials erklärte (Brack et al. 2005b). Neben den lipophileren Schadstoffen wurde ein Schwerpunkt auf die Untersuchung der polareren Inhaltsstoffe gelegt. Bei einer Fraktionierung und Massenbilanzierung von Hochwasserschwebstoffen des Neckars konnte beispielsweise nach einer Säure-Base-Trennung gezeigt werden, dass persistente organische Schadstoffe nur einen kleinen Teil des Dioxin-ähnlichen Potenzials erklärten (Wölz et al. 2008). Mit nachgeschalteter Effekt-dirigierter Analyse mittels einer kürzlich entwickelten HPLC-Methode konnte gezeigt werden, dass insbesondere die prioritären und die nicht-prioritären PAHs einen großen Anteil am gesamten Dioxin-ähnlichen Potenzial besitzen.

7 Sedimentmobilität und Hochwasserfolgenbewertung

Sedimente in Flüssen haben ihren Ursprung hauptsächlich in der Erosion von terrestrischen Oberflächen und des Flusskanals selbst. Ihre Verlagerung im Fluss erfolgt in Richtung Küsten, so dass sie letztlich in den Flussdeltas und den Ozeanen abgelagert werden. Innerhalb der Flusssysteme können Sedimente zeitweilig stabil zwischengelagert vorliegen. Zusätzlich können sie z. B. in Auen und Überflutungsgebieten eingetragen werden. In diesem Kontext ist zu beachten, dass Sedimente, bedingt durch ihre Zusammensetzung (anorganische und organische Bestandteile), eine Vielzahl von Bindungsstellen für Schadstoffe besitzen. Folglich können Sedimente Senken für Schadstoffe darstellen und diese der Wassersäule entziehen. Andererseits können sie im Fall von Hochwassern und bei Verklappungen auch Schadstoffquellen darstellen (Ahlf et al. 2002b; Hollert et al. 2000, 2003a; Oetken et al. 2005). Fragen der Sedimentstabilitätsbewertung und die damit verbundenen Unsicherheiten werden bei der weiteren Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie eine wichtige Rolle spielen (Hollert et al. 2007a,b). Die hohe Relevanz der Sedimentremobilisierung und die dadurch erhöhte Bioverfügbarkeit von Schadstoffen werden in Folge der zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels deutlich. Allgemein wird weltweit mit einem verstärkten globalen Wasserkreislauf gerechnet, der auch zu einer Zunahme von Hochwasserrisiken führt (Hulme et al. 2002; Wilby et al. 2006). Hochwasser werden in Frequenz und Intensität in vielen Regionen der Welt zunehmen (Ikeda et al. 2005; Kay et al. 2006). In Mitteleuropa wird beispielsweise mit einer Zunahme von extremen Wetterereignissen und Starkregen gerechnet, die zu einem gehäuften und verstärkten Auftreten von Hochwasserereignissen führen. Dadurch werden Jahrhunderthochwasser wie das an der Elbe 2002 und ihre Auswirkungen zunehmend häufiger. Um der resultierenden Bedrohung zu entgehen, werden derzeit in vielen Ländern bereits zusätzlich Rückhalteräume ausgewiesen, wie beispielsweise im „Integrierten Rhein-Programm (IRP)“ entlang des Rheins in Baden-Württemberg (Disse und Engel 2001).

Allerdings ist es neben baulichen Maßnahmen zur Minimierung der Schäden durch die Hochwasserwelle selbst wichtig, auch die mittransportierte Schadstofffracht zu berücksichtigen. Während in besiedelten und industriell genutzten Gebieten vor allem ursprünglich an Land gelagerte Gefahrenstoffe verdriftet werden, sind insbesondere in industriefernen Gebieten die im Flusssystem remobilisierten Schadstoffdepots wichtige Kontaminationsquellen. Ein umfassendes und integratives Hochwassermanagement muss auch die Auswirkungen solcher Schadstofffrachten berücksichtigen.

Das Verbundprojekt SEDYMO („Feinsedimentdynamik und Schadstoffmobilität in Fließgewässern“; Westrich und Foerstner 2007) wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in dem oben genannten Kontext von Mai 2002 bis Juli 2006 gefördert. Es umfasste 13 Forschungsprojekte, und sein interdisziplinärer Ansatz konzentrierte sich auf die Umlagerung von kontaminierten Sedimenten und Freisetzung von Nährstoffen und Schadstoffen in die Wassersäule als Folge hydrodynamischer Prozesse in Flüssen und Ästuaren. Es wurde deutlich gemacht, dass bei der Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (und anderer flusseinzugsgebiets-übergreifender Bewirtschaftungskonzepte) die Berücksichtigung des Faktors ‚Erosionsstabilität von Sedimenten‘ unverzichtbar ist. Ein wichtiger Beitrag war die Entwicklung von experimentellen Techniken und Modellen für die Übertragung von Laborbefunden auf die In-situ-Bedingungen. In einem kürzlich erschienenen Buch werden u. a. die Unsicherheiten von chemischen, hydraulischen und biologischen Sedimentdaten behandelt (Ahlf und Heise 2007; Westrich et al. 2007) und auch die Notwendigkeit einer gemeinsamen Betrachtung von Sedimentmobilität und -toxizität aufgezeigt (Hollert et al. 2007a).

Bisher wurden Fragestellungen zu den Auswirkungen von Hochwasserereignissen im Kontext der Sediment-gebundenen Schadstofffrachten noch nicht hinreichend untersucht. Um diese Lücken zu schließen, wird derzeit beispielsweise in einem BMBF-Verbundprojekt (RIMAX-HoT) am Standort des geplanten Rückhalteraums Bellenkopf-Rappenwört (bei Karlsruhe) untersucht, welche Auswirkungen (extreme) Hochwasserereignisse auf die Trinkwasserversorgung haben können (Maier et al. 2005). Im Rahmen der Exzellenzinitative wurde an der RWTH Aachen im Rahmen des Pathfinder FLOODSEARCH-Projektes kürzlich begonnen, in einem integrativen hydraulischen und toxikologischen Ansatz die ökologische Relevanz von kurzfristig remobilisierten Sedimenten auf aquatische Systeme zu untersuchen (Wölz et al. 2009). Andere Fragestellungen betreffen die weitere Nutzung von flussnahen landwirtschaftlichen Nutzflächen, z. B. für die Viehhaltung. All diese Aspekte weisen auf die hohe gesellschaftliche Relevanz der Untersuchung und des Monitorings von Sedimentbelastungen in Flüssen im Kontext der Hochwasserfolgenbewertung hin.

8 Ausblick

Um die Bedeutung von Sedimenten für flussgebietsbezogene Managementansätze in verschiedenen Regionen Europas zu erörtern, organisierte das Europäische Sedimentnetzwerk „SedNet“ vom 22. bis 23. November 2006 ein Round-Table-Gespräch in den Gebäuden der UNESCO in Venedig. Geladen waren aus den vier Einzugsgebieten Donau, Douro, Elbe und Humber Wissenschaftler, Flussgebietsmanager und Vertreter von Nutzergruppen, deren Tätigkeit direkt oder indirekt von der Sedimentqualität und/oder dem Sedimenthaushalt beeinflusst wird. Sie diskutierten die spezifische Notwendigkeit einer Integration von Sedimenten in die jeweiligen Flussgebietsmanagementpläne (Netzband et al. 2007).

Es stellte sich heraus, dass Sedimente in allen Einzugsgebieten ein Thema waren, und dies entweder in Bezug auf ihre Qualität, auf ihre Quantität oder häufiger in Bezug auf eine Kombination aus beidem.

Trotz der beträchtlichen Fortschritte bei der Umsetzung der WRRL dokumentieren die Bestandsaufnahmen der Bundesländer, dass viele Gewässer den, guten ökologischen und chemischen Zustand‘ bis 2015 nicht erreichen werden (Übersicht dazu bei Hollert et al. 2007b). Während insgesamt eine umfangreiche Methodik zur Umsetzung der WRRL erarbeitet wurde, sehen Hollert et al. (2007b) insbesondere für die Wasserkörper mit unzureichender chemischer Qualität Nachholbedarf bei der Bestandaufnahme und im Monitoring. Obgleich schon jetzt in vielen Fällen die problematischen ‚prioritären‘ und ‚prioritären gefährlichen Schadstoffe‘ bekannt sind und im Kontext der Bewirtschaftungspläne reduziert oder gar eliminiert werden können, steht in anderen Fällen das entsprechende Wissen bzw. die Methodik noch nicht zur Verfügung. Gründe dafür sind u. a. in der starken ökologischen Ausrichtung der WRRL zu sehen. Obgleich dieser Ansatz zu den Stärken der WRRL zählt, hat er auch dazu geführt, dass etwa die partikelgebundenen Schadstoffe und die, historische Verschmutzung aus Sedimenten‘ als neue Verschmutzungsursache für Oberflächengewässer lange vernachlässigt wurden (Heise und Förstner 2006). Dies kann auch dazu führen, dass wichtige Nutzungsansprüche, z. B. bei der Schifffahrt und dem dafür erforderlichen Baggergutmanagement oder bei der landwirtschaftlichen Nutzung von Auenböden, bei der Formulierung der Bewirtschaftungsziele nicht ausreichend berücksichtigt werden (Netzband et al. 2007). Die Kombination aus chemischen und ökotoxikologischen Sedimentuntersuchungen unter der Berücksichtigung der Sedimentmobilität bietet große Potenziale hinsichtlich der Identifizierung und Eliminierung von Risiken aus kontaminierten (Alt)sedimenten.

Wie weiterhin an verschiedenen Fallbeispielen in diesem Artikel verdeutlicht wird, besitzt insbesondere (i) das Konzept der Effekt-dirigierten Analysen und (ii) der kombinierte Einsatz von akuten und Mechanismus-spezifischen Biotestverfahren sowie In-situ-Untersuchungen in Weight-of-Evidence-Studien ein großes Potenzial für die Kausalanalyse von komplexen Umweltproblemen in aquatischen Systemen und für die Maßnahmenprogramme in den Bewirtschaftungsplänen chemisch belasteter Flüsse.