Die Neuerscheinung erweckt Interesse. Standen im AGB-Recht bislang die Verträge mit Verbrauchern ganz im Vordergrund, widmet sich nunmehr eine Kommentierung erstmals speziell den Verträgen mit Unternehmern (sog. b2b-Bereich). Zur Reichweite der Klauselkontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr besteht in der Praxis ein erheblicher Bedarf an Orientierung. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der allein Verbraucherverträge betreffenden EU-Klauselrichtlinie (93/13/EWG) – in Fortführung der früheren Gesetzeslage – die Verträge mit Unternehmern lediglich von nahezu allen speziellen Klauselverboten der §§ 308, 309 BGB, nicht aber von der Generalklausel des § 307 BGB ausgenommen hat.
Um es vorwegzunehmen: Die Neuerscheinung bietet einen aktuellen und zuverlässigen Überblick zur Reichweite der AGB-Kontrolle im b2b-Bereich mit eigenen, in der Regel sorgfältig begründeten Standpunkten. Der Herausgeber ist bereits mit einer umfangreichen Studie zu dem Themenkreis hervorgetreten, deren Abschlussbericht von 2014 weiterhin lesenswert ist (abrufbar unter: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/Abschlussbericht-AGB-Forschungsprojekt.pdf?__blob=publicationFile). Er verantwortet gemeinsam mit zehn weiteren Autorinnen und Autoren das umfangreiche Werk.
Wenn sich aus der Neuerscheinung gleichwohl für den versicherungsrechtlich interessierten Leserkreis dieser Zeitschrift nur begrenzter Nutzen ziehen lässt, so liegt dies wesentlich daran, dass den mit Abstand meisten Raum ein umfangreicher Klauselteil einnimmt. Darin werden in alphabetischer Abfolge in der Praxis verbreitete Vertragsbestimmungen von Abnahmeklauseln bis hin zu Zurückbehaltungsklauseln behandelt. Die dabei erörterten Regelungen sind nur sehr punktuell für die in Versicherungsverträgen verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) von Interesse. Umgekehrt bleiben bei diesem branchenübergreifenden Ansatz solche AVB, über deren AGB-rechtliche Beurteilung im unternehmerischen Geschäftsverkehr pointiert gestritten wird, unberücksichtigt. Dies gilt beispielsweise für die von § 101 Abs. 2 S. 1 VVG abweichende Kostenanrechnungsklausel (s. dazu nur einerseits Terno, r+s 2013, 577 ff., andererseits Ihlas, in: MünchKomm-VVG, 2. Aufl. 2017, D&O-Versicherung Rn. 520 ff.). Auch AVB-rechtliche Grundsatzfragen wie etwa diejenige, inwiefern und mit welchem Ergebnis bei Großrisikoverträgen, auf welche nach § 210 Abs. 1 VVG die Beschränkungen der Vertragsfreiheit durch das VVG nicht anwendbar sind, gleichwohl eine Leitbildkontrolle gem. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB stattfindet (s. dazu Klimke, in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, § 210 Rn. 15 ff.), bleiben unerörtert.
Von einigem Interesse auch für den versicherungsrechtlich orientierten Leser sind hingegen die dem Klauselteil vorangestellten systematischen Erläuterungen zu den §§ 305–310 BGB. Dies gilt etwa für die Ausführungen zum Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Dazu stellt Rieländer fest, dass dieses Gebot auch im b2b-Bereich sachgerecht erscheine (§ 307 Rn. 75 f.), es allerdings – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung – angesichts besserer Erkenntnis- und Verständnismöglichkeiten nicht in derselben Strenge wie bei Verbraucherverträgen anzuwenden sei (§ 307 Rn. 87). Was das Verhältnis der Unklarheitenregel zum Transparenzgebot angeht, spricht der Autor sich für ein Nebeneinander aus (§ 307 Rn. 78 f.). Hier vermisst man eine Auseinandersetzung mit der fundiert begründeten differenzierenden Ansicht von Pilz (Missverständliche AGB, 2010, S. 173 ff.).
Sehr lesenswert sind die Ausführungen von Leuschner zu der Frage, inwieweit die derzeitige strenge Grundlinie der Rechtsprechung bei der Klauselkontrolle im b2b-Bereich sachgerecht erscheint (§ 310 Rn. 42 ff.; s. auch Einl. Rn. 51 ff.). Er vertritt zu Recht den Standpunkt, dass die Judikatur die Bedürfnisse des unternehmerischen Rechtsverkehrs teilweise verfehlt (§ 310 Rn. 42). Ob tatsächlich ein Verhandlungsungleichgewicht vorliegt, werde richterlich nicht geprüft, und im Schrifttum werde der Rang des dispositiven Rechts teils überhöht (§ 310 Rn. 44 f.). Freilich sieht der Autor in § 310 Abs. 1 S. 2 Hs. 2, wonach im b2b-Bereich „auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche […] angemessen Rücksicht zu nehmen“ ist, keinen geeigneten legislativen Ansatzpunkt für eine weniger strenge Klauselkontrolle. Vielmehr erklärt er diese Regelung für „letztlich […] überflüssig“ (§ 310 Rn. 41). Das lässt sich mit guten Gründen anders sehen (näher Armbrüster, NZA Beil. 1/2019, 44, 48 f.; s. auch Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, 2019, S. 939 f.).
Leuschner sieht hingegen in verschiedener Hinsicht den Gesetzgeber gefordert: Der Anwendungsbereich von § 305 BGB solle begrenzt und großvolumige Verträge sollten grundsätzlich der Inhaltskontrolle entzogen werden (§ 310 Rn. 46; s. auch Einl. Rn. 54). Davon unabhängig soll die Inhaltskontrolle „eine gewisse Liberalisierung“ (§ 310 Rn. 46) erfahren. Insoweit greift Leuschner den von ihm selbst bereits früher (ZIP 2015, 1045, 1047) unterbreiteten Vorschlag auf, die AGB-rechtliche Zulässigkeit bestimmter branchenüblicher Klauseln positiv anzuordnen (Einl. Rn. 57 a. E.; § 310 Rn. 46).
Dieser (vom Autor durch das Beispiel der Vorhersehbarkeitsformel in Haftungsbeschränkungsklauseln illustrierte) Vorschlag ist für AVB etwa mit Blick auf die oben genannte versicherungsrechtliche Kostenanrechnungsklausel interessant. Freilich gilt es zu bedenken, dass jede spezielle legislative „Freigabe“ einer bestimmten Klausel die Frage aufwirft, wie mit ähnlichen AGB zu verfahren ist. Sofern hier die Voraussetzungen für eine Analogiebildung nicht vorliegen, wäre die Rechtsprechung gefordert, die Klausel nicht ohne Weiteres mittels eines Umkehrschlusses zu verwerfen, sondern die bislang übliche Einzelfallbetrachtung anzustellen. Anderenfalls droht die angestrebte Liberalisierung in ihr Gegenteil umzuschlagen.
Der Schlussteil des Werks ist AGB im internationalen unternehmerischen Rechtsverkehr (S. 1123 ff.) gewidmet. Hier bleiben wiederum die für die Rechtswahl in Versicherungssachen geltenden Regeln (namentlich Art. 7 Rom I-VO) unerörtert.
Fazit: Es gibt gewiss gute Gründe, in dem ohnehin umfangreichen Werk die Verwendung von AVB im unternehmerischen Geschäftsverkehr unberücksichtigt zu lassen. Für eine Neuauflage wäre es gleichwohl wünschenswert, wenn die dazu stattfindenden teils lebhaften Debatten ihren Niederschlag finden könnten. Dies gilt umso mehr, als die Ursprünge des gesamten AGB-Rechts wesentlich auf die Verwendung von AVB zurückgehen, die für das Rechtsprodukt Versicherung schlechterdings konstitutiv sind.
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Armbrüster, C. Leuschner, Lars (Hrsg.), AGB-Recht im unternehmerischen Rechtsverkehr. Kommentar zu den §§ 305–310 BGB mit Klauselteil, Erläuterungen zur Rechtswahl und Länderberichten.. ZVersWiss 111, 213–215 (2022). https://doi.org/10.1007/s12297-022-00525-4
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